Verfahrensgang
Hamburgisches OVG (Aktenzeichen 1 Bf 284/98.A) |
Tenor
Das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. Januar 1999 wird geändert und wie folgt neu gefaßt:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 14. April 1998 wird hinsichtlich der Aufhebung von Nr. 1 des Bescheids der Beklagten vom 19. Februar 1998 aufgehoben; die Klage wird insoweit abgewiesen. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt zwei Drittel der Kosten des Verfahrens; die Beklagte trägt ein Drittel der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, der Beteiligte trägt ein Drittel der Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der 1972 geborene Kläger ist togoischer Staatsangehöriger; er kam 1992 nach Deutschland und beantragte Asyl. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den Antrag ab, stellte fest, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Togo an. Auf die hiergegen erhobene Klage entschied das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 22. Dezember 1993, unter entsprechender Aufhebung des Bundesamtsbescheids werde „festgestellt, daß der Abschiebung des Klägers nach Togo Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG entgegenstehen”; im übrigen wies es die Klage ab. Für Personen, die ins Ausland geflüchtet seien, bestünde bei ihrer Rückführung nach Togo die Gefahr unmenschlicher Behandlung und Lebensgefahr (§ 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK). Dieses Urteil wurde rechtskräftig.
In einem später eingeleiteten Widerrufsverfahren entschied das Bundesamt durch Bescheid vom 19. Februar 1998, „die mit Urteil des VG … getroffene Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG wird widerrufen” (Nr. 1 des Bescheids), und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Togo an (Nr. 2). Zur Begründung führte es aus, die Feststellung von Abschiebungshindernissen sei gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorlägen. Das sei hier der Fall, weil die vom Verwaltungsgericht festgestellten Gefahren nachträglich weggefallen seien. In ihr Heimatland zurückgeführte Staatsangehörige Togos müßten aufgrund der neuesten Erkenntnislage nicht mehr mit unmenschlicher Behandlung rechnen. Dem Widerruf stehe nicht entgegen, daß die Feststellung hier durch Urteil getroffen worden sei. Die Abschiebungsandrohung sei nach § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 50 AuslG zu erlassen, weil der Kläger weder als Asylberechtigter anerkannt worden sei noch eine Aufenthaltsgenehmigung besitze.
Auf die Klage des Klägers hat das Verwaltungsgericht den Widerrufsbescheid aufgehoben. Diese Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht auf die Berufung des Beteiligten geändert und die Klage abgewiesen. Es hat hierzu ausgeführt, der angefochtene Bescheid des Bundesamts sei rechtmäßig. Der Widerruf der Feststellung von Abschiebungshindernisssen sei als Widerruf eines Verwaltungsaktes zu behandeln. Zwar seien die Verwaltungsgerichte nach der Änderung des § 113 Abs. 2 VwGO durch das 4. VwGO-Änderungsgesetz seit 1991 nicht mehr befugt, behördliche Feststellungen jeder Art durch eine andere Feststellung zu ersetzen. Die danach unzulässige verwaltungsgerichtliche Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG müsse jedoch als eine Abänderungsfeststellung im Sinne des § 113 Abs. 2 VwGO a.F. gedeutet werden, die den angefochtenen Verwaltungsakt als solchen bestehen lasse und ihn nur inhaltlich verändere. Ein derart gerichtlich geänderter Verwaltungsakt könne aber auch nach der Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils im üblichen Verfahren zur Änderung rechtskräftig bestätigter behördlicher Verwaltungsakte widerrufen werden. Die Rechtskraft des Feststellungsurteils vom Dezember 1993 stehe dem Widerruf nicht entgegen, weil sich nach Erlaß des Urteils die Sachlage geändert habe. Die Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG lägen bei dem Kläger nicht mehr vor. Ernsthafte Gründe für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Klägers bei seiner Rückkehr nach Togo hätten weder im Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung bestanden noch bestünden solche heute. Dies ergebe sich aus den Berichten des Auswärtigen Amtes über die Behandlung von Rückkehrern nach Togo seit 1998. Die Abschiebungsandrohung sei nach §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 50 Abs. 1 bis 3 AuslG rechtmäßig.
Mit der Revision macht der Kläger vor allem geltend, dem Widerruf stehe die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Feststellungsurteils vom Dezember 1993 entgegen.
Die Beklagte und der Beteiligte verteidigen das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist lediglich zum Teil begründet. Sie hat nur mit dem Begehren Erfolg, die Abschiebungsandrohung in Nr. 2 des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) aufzuheben (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Im übrigen – hinsichtlich des „Widerrufs” in Nr. 1 des Bescheids – erweist sich die Revision im Ergebnis als unbegründet (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Der Widerruf der verwaltungsgerichtlichen Feststellung ist rechtswidrig. Hierzu ist das Bundesamt weder nach § 73 Abs. 3 AsylVfG noch nach § 113 Abs. 2 VwGO a.F. befugt. Dies hat der Senat in dem gleichzeitig ergehenden Urteil im Verfahren BVerwG 9 C 16.99 näher begründet; hierauf wird Bezug genommen. Die fehlerhafte („Widerrufs-”)Entscheidung in dem angegriffenen Bundesamtsbescheid kann aber in eine nach Änderung der Sachlage zulässige neue Feststellung durch Verwaltungsakt, daß für den Kläger Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich Togos nicht – mehr – vorliegen, umgedeutet werden. Alle Voraussetzungen für eine solche Umdeutung nach § 47 VwVfG und für eine negative Feststellung nach § 53 AuslG infolge der geänderten Sachlage liegen vor. Die Änderung der Gefährdungslage für togoische Asylbewerber in der Zeit zwischen Dezember 1993 und der Entscheidung des Berufungsgerichts im Januar 1999 ergibt sich aus den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts. Auch dies hat der Senat im Urteil zu dem Parallelverfahren BVerwG 9 C 16.99 näher ausgeführt. Die Verneinung eines Anspruchs auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1, 2, 4 und 6 AuslG und die insoweit erfolgte Abweisung der Klage durch das Berufungsgericht sind daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Hingegen kann die Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben, da das Bundesamt schon allgemein im Widerrufsverfahren nach § 73 Abs. 3 AsylVfG und deshalb auch im vorliegenden Sonderfall zum Erlaß einer Abschiebungsandrohung nicht zuständig gewesen ist (vgl. auch hierzu das Urteil im Parallelverfahren BVerwG 9 C 16.99).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Interesse des Klägers an der Aufhebung der Abschiebungsandrohung bewertet der Senat für die vorliegende besondere Fallkonstellation gegenüber der erstrebten Abschiebungsschutzentscheidung nach § 53 AuslG – unabhängig von der gesetzlichen Streitwertbemessung nach § 83 b Abs. 2 AsylVfG – mit einem Drittel.
Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Unterschriften
Seebass, Hund, Richter, Beck, Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eichberger ist wegen Urlaubs an der Beifügung seiner Unterschrift verhindert. Seebass
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 23.11.1999 durch Battiege Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen