Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertriebenenausweis. Bindungswirkung. Vertreibungsschaden
Leitsatz (amtlich)
Aus der Bindungswirkung, die dem Vertriebenenausweis A gemäß § 15 Abs. 5 BVFG (a.F.) zukommt, lassen sich keine Rückschlüsse auf eine etwaige Staatsangehörigkeit oder Volkszugehörigkeit des Vaters des Ausweisinhabers ziehen (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung des Senats).
Normenkette
FG § 9 Abs. 1 S. 1; LAG § 229 Abs. 1 S. 2 Hs. 2; BVFG § 15 Abs. 5 a.F.
Verfahrensgang
VG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 23.09.1999; Aktenzeichen 3 K 1106/97) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 23. September 1999 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der 1949 geborene Kläger – durch Vertriebenenausweis A aus dem Jahre 1989 als Heimatvertriebener ausgewiesen – begehrt die Feststellung eines Vertreibungsschadens nach dem Feststellungsgesetz. Der vom ihm geltend gemachte Vertreibungsschaden betrifft den Verlust einer kleinen Landwirtschaft (7,47 ha) in Polen (Pinczyn – früher Wilhelmsort –) die seinem 1971 verstorbenen Vater 1945 durch den polnischen Staat weggenommen worden sein soll.
Mit Bescheid vom 3. Juli 1996 lehnte das Ausgleichsamt des Beklagten den Antrag des Klägers auf Feststellung eines Vertreibungsschadens ab. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Klägers wies der Beschwerdeausschuss für Lastenausgleich beim Regierungspräsidium mit Bescheid vom 30. April 1997 zurück. Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage des Klägers hat das Verwaltungsgericht abgewiesen und das Urteil im Wesentlichen wie folgt begründet: Als Anspruchsgrundlage komme nur § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FG in Verbindung mit § 229 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz LAG in Betracht. Dafür sei erforderlich, dass der Vater des Klägers als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger einen Vertreibungsschaden erlitten habe. Das sei nicht der Fall, weil zum einen die deutsche Staats- oder Volkszugehörigkeit des Vaters nicht glaubhaft gemacht sei; sie stehe nicht durch Bindungswirkung des Vertriebenenausweises des Klägers nach § 15 Abs. 5 BVFG a.F. fest, weil diese sich auf die Person des Klägers beschränke; sie lasse sich auch nicht durch eine Gesamtwürdigung der ermittelten Indizien und eingeholten Auskünfte feststellen; insbesondere sei die Annahme in der Begründung des Vertriebenenausweises unrichtig, die zeitweilige Zugehörigkeit des Vaters zur Wehrmacht sei ein sicherer Hinweis auf seine deutsche Staatsangehörigkeit. Zum anderen sei auch das Eigentum des Vaters an dem weggenommenen Anwesen nicht glaubhaft gemacht, weil seine Identität mit dem Eigentümer zweifelhaft geblieben sei. Schließlich sei der Verlust des Anwesens durch Vertreibungsmaßnahmen gegen Deutsche nicht festzustellen; manches spreche dafür, dass es bereits 1939 durch deutsche Stellen beschlagnahmt worden sei.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision mit dem Ziel eingelegt, das Urteil und die ablehnenden Bescheide aufzuheben und seiner Verpflichtungsklage zur Feststellung des Vertreibungsschadens stattzugeben.
Die Revision rügt die Verletzung des § 15 Abs. 5 Satz 1 BFVG a.F., dessen Bindungswirkung verkannt worden sei, sowie eine verfahrensfehlerhafte Beweiswürdigung zur Frage des Eigentums des Vaters des Klägers.
Der Vertreter der Interessen des Ausgleichsfonds verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Vertreibungsschadens lägen nicht vor, beruht nicht auf einem Bundesrechtsverstoß (§ 137 Abs. 1 VwGO).
Anspruchsgrundlage für die lastenausgleichsrechtliche Feststellung des geltend gemachten Vertreibungsschadens ist § 9 Abs. 1 Satz 1 FG in Verbindung mit § 229 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz LAG. Das Verwaltungsgericht hat aus dieser gesetzlichen Grundlage zu Recht und unbeanstandet den Schluss gezogen, dass der Kläger anspruchsberechtigt nur als Erbe seines vertreibungsgeschädigten Vaters sein kann. In dessen Person müssen die Voraussetzungen für die Geltendmachung des Vertreibungsschadens vorliegen. Vertreibungsgeschädigt im Sinne des Lastenausgleichsrechts ist der Vater des Klägers nur, wenn er zur Zeit der Wegnahme der Landwirtschaft die deutsche Staatsangehörigkeit oder Volkszugehörigkeit besaß. Dass das Verwaltungsgericht diese Anspruchsvoraussetzung für nicht erwiesen oder glaubhaft gemacht hält, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Rüge der Revision, das Verwaltungsgericht habe die deutsche Staatsangehörigkeit des Vaters des Klägers schon wegen der Bindungswirkung des dem Kläger 1989 erteilten und nicht wieder eingezogenen Vertriebenenausweises als feststehend ansehen müssen, geht fehl. Zwar ist der Vertriebenenausweis nach § 15 Abs. 5 BVFG (hier in der 1989 geltenden Fassung) für alle Behörden und Stellen zur Vermeidung sich widersprechender Behördenentscheidungen über den Status des Ausweisinhabers verbindlich, die für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen als Vertriebener oder Sowjetzonenflüchtlinge zuständig sind. Aus der Bindungswirkung, die dem dem Kläger erteilten Vertriebenenausweis A gemäß § 15 Abs. 5 BVFG zukommt, lassen sich jedoch keine Rückschlüsse auf eine etwaige Staatsangehörigkeit oder Volkszugehörigkeit der Eltern des Ausweisinhabers ziehen. An dieser vom Senat in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung (vgl. Beschluss vom 20. September 1982 – BVerwG 3 CB 86.81 –; Urteil vom 22. April 1976 – BVerwG 3 C 63.74 – Buchholz 427.207 § 5 der 7. FeststellungsDV Nr. 47) ist festzuhalten. Eine rechtliche Bindungswirkung kann dem Ausweis nur zukommen, soweit die Behördenentscheidung reicht. Die den Ausweis ausstellende Behörde hat eine Entscheidung nur über die Vertriebeneneigenschaft des Klägers selbst getroffen. Dessen Vertriebeneneigenschaft wird hier aber nicht in Frage gestellt. Im Hinblick auf den Vater des Klägers hat die Ausweisbehörde keine bindungsfähige Entscheidung getroffen, sondern lediglich im Rahmen der Begründung eine Annahme zugrunde gelegt, aus der sie ihre Entscheidung für den Kläger abgeleitet hat.
Entgegen der Auffassung der Revision wird diese Rechtsprechung auch nicht durch die von ihr zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts in Frage gestellt. Vielmehr weist gerade das von ihr genannte Urteil des 1. Senats vom 25. Juni 1970 (– BVerwG 1 C 10.69 – BVerwGE 35, 316 ≪318≫) ausdrücklich darauf hin, dass die Vorschrift des § 15 Abs. 5 BVFG nur die Feststellung des Status des Ausweisinhabers betrifft. Das Urteil des 8. Senats vom 21. September 1984 (– BVerwG 8 C 137.81 – BVerwGE 70, 156) erstreckt die Feststellungswirkung im Hinblick auf die ausdrückliche gesetzliche Regelung in § 1 Abs. 3 BVFG auf den Ehegatten des Ausweisinhabers. Nach dieser Gesetzesbestimmung werden aber nur Ehegatte und Nachkommen unter bestimmten Bedingungen dem Vertriebenen gleichgestellt. Eine Ausdehnung auf „aufsteigende” Verwandtschaftsgrade sieht die Vorschrift gerade nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat daher ohne Rechtsfehler hinsichtlich der persönlichen Merkmale des Vaters des Klägers eine Bindung an den Vertriebenenausweis des Klägers verneint.
Soweit es dann folgerichtig die eigenständige Prüfung vorgenommen hat, ob der Vater des Klägers zum Zeitpunkt des Schadenseintritts die deutsche Staatsangehörigkeit besaß oder Volkszugehöriger war, ist das Revisionsgericht an die im Rahmen der – mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen – Beweiswürdigung ermittelten Tatsachen gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO). Danach ist gegen die Überzeugung des Verwaltungsgerichts, die zum Teil widersprüchlichen Indizien reichten insoweit zur Glaubhaftmachung nicht aus, revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Insbesondere hat es – wie die Revision auch nicht mehr in Abrede stellt – keine unrichtigen Rechtserwägungen mit einbezogen. Nach der geographischen Lage des streitbefangenen Anwesens im so genannten polnischen Korridor ist vielmehr der Verlust einer etwaigen deutschen Staatsangehörigkeit des Vaters des Klägers aufgrund des Art. 91 des Versailler Vertrages in Verbindung mit den Bestimmungen des Minderheitenschutzvertrages zwischen den alliierten und den assoziierten Hauptmächten und Polen vom 28. Juni 1919 und des deutsch-polnischen Abkommens über Staatsangehörigkeits- und Optionsfragen vom 30. August 1924 (RGBl 1925 II S. 33) – sog. Wiener Abkommen – rechtsfehlerfrei abgeleitet (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1995 – BVerwG 9 C 113.95 – BVerwGE 100, 139). Die Annahme, die zeitweise Zugehörigkeit zur deutschen Wehrmacht nach § 10 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22. Februar 1955 (BGBl I S. 65) habe für sich allein den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht zur Folge gehabt, ist ebenfalls frei von Rechtsfehlern.
Auf die geltend gemachten Verfahrensrügen im Hinblick auf die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zur möglicherweise fehlenden Identität des Eigentümers des Anwesens mit dem Vater des Klägers sowie zur Ursache des Grundstücksverlustes, kommt es danach nicht mehr an, weil sie allein keinen Erfolg der Revision herbeiführen könnten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel, Dr. Brunn
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 23.11.2000 durch Dallügge Angestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
NVwZ-RR 2001, 275 |
DVBl. 2001, 493 |