Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorbeugende Verbrechensbekämpfung. Strafverfolgungsvorsorge. Rechtsweg. erkennungsdienstliche Unterlagen
Leitsatz (amtlich)
Die Zuständigkeit für polizeiliche Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge nach § 81 b 2. Alt. StPO beurteilt sich nicht nach der Strafprozessordnung, sondern nach den Polizeigesetzen der Länder.
Normenkette
StPO § 81b 2. Alt.
Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 27.10.2004; Aktenzeichen VG 1 A 164.04) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. Oktober 2004 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Polizeipräsident in Berlin (Landeskriminalamt) ermittelte gegen den Kläger wegen des Verdachts der Geldwäsche. Im Verlaufe dieses Ermittlungsverfahrens lud das Landeskriminalamt ihn mit Bescheid vom 23. September 2003 zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen vor. Die Vorladung wurde auf dem Formular „Pol 1019 Vorladung zur ED-Behandlung” des Polizeipräsidenten in Berlin, LKA 312 verfügt. Die beabsichtigten Maßnahmen wurden mit „Fingerabdruck” und „Lichtbilder” bezeichnet. Als Rechtsgrundlage wurde „§ 81 b StPO – 2. Altern.” angegeben. Die formularmäßig vorgesehene Rechtsbehelfsbelehrung sowie die Anordnung der sofortigen Vollziehung wegen besonderer Eilbedürftigkeit waren durchgestrichen. Ausweislich eines Aktenvermerks vom 2. Oktober 2003 sind diese Formulartextteile aus Versehen gestrichen worden.
Der gegen die Vorladung eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg.
Auf die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27. Oktober 2004 den Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 23. September 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheids aufgehoben und die Sprungrevision zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Bescheid fehle es an einer Rechtsgrundlage, weil § 81 b StPO nicht zum Erlass eines Verwaltungsakts i.S. v. § 35 VwVfG ermächtige. Die herrschende Meinung gehe davon aus, erkennungsdienstliche Maßnahmen auf der Grundlage des § 81 b StPO hätten präventiv-polizeilichen Charakter und seien dem materiellen Polizeirecht zuzuordnen. Dem stehe eine andere Ansicht gegenüber, welche die Maßnahmen dem Strafprozessrecht zuordne, weil eine enge Verknüpfung mit dem Strafverfahren bestehe. In der neueren Literatur werde die Meinung vertreten, die seitherige Auffassung zu § 81 b 2. Alt. StPO lasse sich spätestens seit Einführung des DNA-Identitätsfeststellungs-gesetzes nicht mehr aufrechterhalten. Dieser Ansicht sei nach Abwägung aller Argumente zu folgen. Die erkennungsdienstliche Behandlung zur Vorsorge für die künftige Strafverfolgung sei weder Gefahrenabwehr im engeren Sinn noch Strafverfolgung im engeren Sinn. § 81 b 2. Alt. StPO weise aber die größere Sachnähe zum Strafverfahren auf.
Die dagegen eingelegte Sprungrevision begründet der Beklagte folgendermaßen: Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruhe auf einer Verletzung von Bundesrecht. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts eröffne § 81 b 2. Alt. StPO die Möglichkeit, durch Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG eine Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen anzuordnen. Die Rechtsgrundlage des § 81 b 2. Alt. StPO beinhalte materielles Polizeirecht. Erkennungsdienstliche Maßnahmen nach § 81 b 2. Alt. StPO richteten sich zwar auch gegen einen Beschuldigten, dienten aber nicht der Aufklärung und Durchführung des konkreten Anlassstrafverfahrens, sondern der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. Die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten und damit auch die Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten werde durch die Gesetzgeber der Länder dem Polizeirecht zugeordnet.
Auch der Bundesgesetzgeber habe die Verwendung personenbezogener Daten für Zwecke künftiger Strafverfahren, die in Dateien der Polizei gespeichert seien oder würden, in § 484 Abs. 4 StPO eindeutig dem Polizeirecht zugewiesen und damit implizit die Zugehörigkeit der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten zum Polizeirecht bestätigt. Ausgenommen seien nach § 484 Abs. 4 StPO nur Daten für die Zwecke eines konkreten Strafverfahrens. Bei der zukunftsorientierten, vorsorgenden Datenerhebung fehle es an dem für Strafverfolgungsmaßnahmen gemäß § 152 Abs. 2 StPO notwendigen Anfangsverdacht einer bereits begangenen Straftat. Wenn der Anfangsverdacht einer Straftat nicht bestehe, könne sie nicht verfolgt, sondern nur verhütet werden.
Der vom Verwaltungsgericht in Bezug genommene Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Dezember 2000 – 2 BvR 1741/99 u.a. – gebiete keine Abkehr von der bisherigen Einordnung. Das Bundesverfassungsgericht begründe in dieser Entscheidung lediglich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG für § 81 g StPO. Die Gesetzgebungskompetenz lasse aber nicht zwingend den Schluss auf den materiellrechtlichen Charakter einer Norm zu. Es müsse zwischen kompetenzrechtlicher Einordnung einerseits und Zuweisung zu einem bestimmten Rechtsweg bzw. Verwaltungsverfahren andererseits unterschieden werden. Es fehle aber auch an der Vergleichbarkeit der Ausgangssituation. § 81 g StPO weise einen stärkeren Bezug zum Strafverfahren auf als § 81 b 2. Alt. StPO. Dies komme im Wortlaut von § 81 g StPO zum Ausdruck, wo im Unterschied zu § 81 b 2. Alt. StPO von der „Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren” die Rede sei. Die Stellung des § 81 2. Alt. StPO in der Strafprozessordnung sei kein taugliches Argument, seinen Inhalt der Zuordnung zum Polizeirecht zu entziehen. Diese Stellung lasse sich daraus erklären, dass der Bundesgesetzgeber bei der Regelung des Strafverfahrensrechts nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG aus Gründen des Sachzusammenhangs materielles Polizeirecht mitgeregelt habe.
Die Zuordnung von Maßnahmen nach § 81 b 2. Alt. StPO zum Bereich des Strafverfahrensrechts führe auch nicht zu angemesseneren und sachgerechteren Ergebnissen. Eine solche Zuordnung sei nämlich praktisch kaum zu handhaben. Die Staatsanwaltschaft, deren Sachleitungsbefugnis im Fall einer Unterstellung unter das Strafverfahrensrecht gegeben wäre, sei – schon wegen ihres gesetzlichen Auftrags aus § 152 Abs. 2 StPO – nach ihrem Selbstverständnis, ihren rechtlichen Möglichkeiten sowie ihrer personellen und materiellen Infrastruktur ausschließlich auf die Verfolgung begangener Straftaten zugeschnitten. Die Zuständigkeit für die Leitung und Beaufsichtigung von Vorfeldmaßnahmen stelle damit einen Fremdkörper in ihrer auf Repression ausgerichteten Struktur dar.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. Oktober 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und führt aus, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für erkennungsdienstliche Maßnahmen in seinem Fall nicht erfüllt seien.
Entscheidungsgründe
II.
Die Sprungrevision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das im zweiten Rechtszug zuständige Oberverwaltungsgericht.
1. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht und beruht darauf (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
a) Die Klage ist zulässig. Dabei hat der Senat nicht zu prüfen, ob der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet ist. Bei Maßnahmen der Polizei kann es zwar im Einzelfall streitig sein, ob diese die Gefahrenabwehr (oder sonstige Polizeiaufgaben) betreffen und somit auf dem Verwaltungsrechtsweg überprüft werden können oder ob es sich ebenso wie bei den Strafverfolgungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft um Maßnahmen von Justizbehörden auf dem Gebiet der Strafrechtspflege handelt, gegen die Rechtsschutz nach § 23 EGGVG auf dem ordentlichen Rechtsweg gewährt wird (s. Urteil vom 3. Dezember 1974 – BVerwG 1 C 11.73 – BVerwGE 47, 255 ≪258 ff.≫). Das Verwaltungsgericht hat aber den Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO für gegeben gehalten. An diese Entscheidung ist das Revisionsgericht nach § 17 a Abs. 5 GVG (i.V.m. § 173 VwGO) gebunden. Gemäß § 17 a Abs. 5 GVG prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Zweck dieser Vorschrift ist, die Frage der Rechtswegzuständigkeit zu einem möglichst frühen Zeitpunkt des Verfahrens in der ersten Instanz abschließend zu klären und das weitere Verfahren nicht mehr mit dem Risiko eines später erkannten Mangels des gewählten Rechtsweges zu belasten (vgl. BTDrucks 11/7030 S. 36 f.).
Über die Frage des zulässigen Rechtsweges hat das zuerst angegangene Gericht zu entscheiden – und zwar durch Beschluss, wenn es den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig hält (§ 17 a Abs. 2 GVG), wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt (§ 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG) oder wenn es eine Vorabentscheidung für zweckmäßig hält (§ 17 a Abs. 3 Satz 1 GVG). Gegen diesen Beschluss ist als statthafter Rechtsbehelf die Beschwerde vorgesehen (§ 17 a Abs. 4 GVG). Nach der Gesetzessystematik soll die Frage der Rechtswegzuständigkeit abschließend geklärt sein, bevor eine Entscheidung in der Hauptsache ergeht. Wird – wie hier – die Zulässigkeit des Rechtsweges vor der Hauptsacheentscheidung des zuerst angegangenen Gerichts weder von diesem noch von den Parteien in Frage gestellt, soll die in der Sache ergangene Entscheidung nicht mehr mit der Begründung angefochten werden können, der Rechtsweg sei nicht gegeben. Das Rüge- und Beschwerderecht der Parteien garantiert ausreichenden Rechtsschutz auch hinsichtlich der Einhaltung des Rechtsweges. Zugleich rechtfertigt die Kontrollmöglichkeit des übergeordneten Gerichts im vorgezogenen Verfahren die Beschränkung der Prüfungskompetenz durch das Rechtsmittelgericht im Verfahren zur Hauptsache (vgl. BTDrucks 11/7030 S. 38; BGHZ 114, 1 ≪3≫; BGHZ 119, 246 ≪249 f.≫). Den Weg der Vorabentscheidung über den Rechtsweg durch Beschluss hätte das Verwaltungsgericht wählen können, um die von ihm für klärungsbedürftig gehaltene Frage, ob § 81 b 2. Alt. StPO „die größere Sachnähe zum Strafprozess” aufweist, im Instanzenzug prüfen zu lassen. Es hat dies aber nicht getan. Stattdessen hat es, ohne die durch seine Rechtsauffassung zumindest nahegelegte Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zu erörtern, den Verwaltungsrechtsweg im Rahmen der Urteilsgründe bejaht. Die Entscheidung des Gerichts erster Instanz, ob es, wenn es den beschrittenen Rechtsweg für gegeben hält und dessen Zulässigkeit von keiner Partei gerügt worden ist, gemäß § 17 a Abs. 3 Satz 1 GVG einen Beschluss über die Rechtswegzuständigkeit fasst, erfolgt nach pflichtgemäßem richterlichen Ermessen und unterliegt nicht der Rechtskontrolle durch das übergeordnete Gericht. Nachdem das Verwaltungsgericht die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges in der Entscheidung zur Hauptsache bejaht hat, ist die Frage der Rechtswegzuständigkeit einer Prüfung im Rechtsmittelverfahren auch unter dem Gesichtspunkt eines Ermessensmissbrauchs entzogen (Beschluss vom 22. November 1997 – BVerwG 2 B 104.97 – BayVBl 1998, 603).
Der Senat gewährt danach Rechtsschutz in der nach der Verwaltungsgerichtsordnung gebotenen Weise. Auch insoweit ist die vom Verwaltungsgericht aufgeworfene Frage nach der prozessrechtlichen Einordnung von Maßnahmen nach § 81 b 2. Alt. StPO nicht entscheidungserheblich. Selbst wenn nämlich das Verwaltungsgericht den Verwaltungsrechtsweg in irriger Weise bejaht hätte, müsste das zuständige Gericht die volle Rechtsschutzfunktion übernehmen, das einschlägige materielle Recht anwenden und, wenn ihm mehrere Klage- oder Verfahrensarten nach seiner Prozessordnung zur Verfügung stehen, in derjenigen Verfahrensart entscheiden, die am meisten dem Rechtsschutzbegehren des Klägers entspricht (Urteil vom 6. Juni 1967 – BVerwG IV C 216.65 – Buchholz 310 § 41 VwGO Nr. 15 = BVerwGE 27, 170; s.a. BFH, Beschluss vom 23. April 1991 – VII B 221/90 – RPfleger 1992, 82; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 9.Aufl. 2004, Rn. 159; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 5. Aufl. 2003, § 11 Rn. 98). Das ist hier, wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO).
b) Das Verwaltungsgericht hält die Klage für begründet, weil die angefochtene polizeiliche Verfügung „als Verwaltungsakt” erlassen worden sei, wohingegen § 81 b 2. Alt. StPO – entgegen der bisher herrschenden Meinung – nicht zum Erlass von Verwaltungsakten i.S. v. § 35 Satz 1 VwVfG, sondern von Maßnahmen auf dem Gebiet des Strafprozessrechts ermächtige. Diese Erwägungen stehen mit Bundesrecht nicht in Einklang. Die handelnde Behörde kann festlegen, ob sie gegenüber dem Bürger eine verbindliche Regelung treffen will oder nicht und welchen Inhalt die Regelung gegebenenfalls hat. Der betreffende Regelungsgehalt ist, soweit erforderlich, in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Die Behörde hat aber keine Deutungshoheit darüber, auf welchem Rechtsgebiet sie tätig wird. Dies ist keine Frage des Regelungsgehaltes der von ihr zu erlassenden Maßnahme, sondern eine solche des Rechtsweges, auf dem diese Maßnahme im Streitfall zu überprüfen ist. Da sich diese Frage, wie dargelegt, im derzeitigen Stadium des Verfahrens nicht mehr stellt, hängt der Ausgang des Rechtsstreits davon ab, ob die Beklagte nach der als Rechtsgrundlage der angefochtenen Verfügung allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 81 b 2 Alt. StPO berechtigt war, den Kläger zur Durchführung der beabsichtigten erkennungsdienstlichen Maßnahmen vorzuladen. Diese Prüfung hat das Verwaltungsgericht nicht vorgenommen. Wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, kann sie im Revisionsverfahren nicht mit einem abschließenden Ergebnis – zugunsten des Klägers (§ 144 Abs. 4 VwGO) oder zu seinen Lasten – nachgeholt werden, denn der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist bislang nicht ausreichend geklärt.
2. Gemäß § 81 b 2. Alt. StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit dies für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts werden erkennungsdienstliche Unterlagen nach § 81 b 2. Alt. StPO nicht für Zwecke eines gegen den Betroffenen gerichteten oder irgendeines anderen konkreten Strafverfahrens erhoben. Ihre Anfertigung, Aufbewahrung und systematische Zusammenstellung in kriminalpolizeilichen Sammlungen dienen nach ihrer gesetzlichen Zweckbestimmung vielmehr – ohne unmittelbaren Bezug zu einem konkreten Strafverfahren – der vorsorgenden Bereitstellung von sächlichen Hilfsmitteln für die sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben, die der Kriminalpolizei hinsichtlich der Erforschung und Aufklärung von Straftaten durch § 163 StPO zugewiesen sind (vgl. Urteil vom 19. Oktober 1982 – BVerwG 1 C 29.79 – BVerwGE 66, 192; Beschluss vom 12. Juli 1989 – 1 B 85.89 – DÖV 1990, 117). Es handelt sich mithin bei § 81 b 2. Alt. StPO nicht um eine Regelung im Bereich der Strafverfolgung, sondern um die Ermächtigung zu Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge (vgl. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl. 2005, Rn. 30). Während § 81 b 1. Alt. StPO mit der ausdrücklichen Benennung der tatbestandlichen Voraussetzung „für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens” der Strafverfolgung dient, soll die Ermächtigung in § 81 b 2. Alt. StPO der zukünftigen Durchführung der Strafverfolgung in Bezug auf mögliche spätere oder später bekannt werdende Straftaten zugute kommen. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten ist unmittelbar der Befugnis für die konkurrierende Gesetzgebung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zu entnehmen, denn die dortige Zuständigkeitsbeschreibung für „das Strafrecht und den Strafvollzug” sowie das „gerichtliche Verfahren” enthält keine Einschränkung dahin, dass Maßnahmen, die sich auf zukünftige Strafverfahren beziehen, von der Zuweisung der konkurrienden Gesetzgebungskompetenz nicht erfasst sein sollen (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Juli 2005 – 1 BvR 668/04 – NJW 2005, 2603; Kammerbeschluss vom 14. Dezember 2000 – 2 BvR 1741/99 u.a. – BVerfGE 103, 21; im Ergebnis ebenso bereits BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1982 a.a.O.).
b) Der Polizeipräsident in Berlin war für die streitgegenständlichen Maßnahmen zuständig. Die Strafprozessordnung bestimmt – abgesehen von der ausnahmsweisen Zuständigkeit der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft für Maßnahmen nach § 81 g StPO (DNA-Identitätsfeststellung) und von der Bezugnahme auf das Landespolizeirecht in § 484 Abs. 4 StPO – eine Zuständigkeit der Behörden und Beamten des Polizeidienstes lediglich für die Strafverfolgung (§§, 158, 160, 161, 163 StPO), enthält aber keine Regelung über die Zuständigkeit für Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge nach § 81 b 2. Alt. StPO. Daher beurteilt sich die Zuständigkeit des Polizeipräsidenten für die Anordnung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen nach Berliner Landesrecht. Das angefochtene Urteil enthält dazu keine Ausführungen. Deshalb ist der Senat nicht gehindert, die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften selbst anzuwenden und auszulegen (Urteil vom 27. Juni 1966 – BVerwG 1 C 130.64 – Buchholz 418.00 Nr. 5; Urteil vom 22. Februar 1972 – BVerwG 1 C 24.69 – BVerwGE 39, 329, ≪332≫; Urteil vom 15. April 1988 – BVerwG 7 C 100.86 – Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 82). Die Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten obliegt nach § 1 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 ASOG Bln der Polizei als Verwaltungsaufgabe, und Polizei im Sinne dieses Gesetzes ist nach § 5 Abs. 1 ASOG Bln der Polizeipräsident.
c) Der Polizeipräsident hat den Kläger zu Recht als Beschuldigten i.S. v. § 81 b 2. Alt. StPO angesehen, denn gegen ihn wurde wegen Geldwäsche (§ 261 StGB) ermittelt. Der Kläger hat im Revisionsverfahren vorgetragen, dass er wegen dieses Delikts erstinstanzlich verurteilt worden ist und gegen seine Verurteilung Berufung eingelegt hat. Aus dieser Entwicklung lässt sich kein Einwand gegen die Rechtmäßigkeit der getroffenen Anordnung herleiten, weil ein unmittelbarer Zweckzusammenhang zwischen der Beschuldigteneigenschaft des Betroffenen und den gesetzlichen Zielen der erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81 b 2. Alt. StPO nicht besteht. Dass eine erkennungsdienstliche Behandlung nach dieser Vorschrift nur gegen einen Beschuldigten angeordnet werden darf, besagt lediglich, dass die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ergehen kann, sondern dass sie aus einem konkret gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Strafverfahren hervorgehen und jedenfalls auch aus den Ergebnissen dieses Verfahrens die gesetzlich geforderte Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung herleiten muss. Der spätere Wegfall der Beschuldigteneigenschaft infolge der Beendigung des Strafverfahrens durch Einstellung, Verurteilung oder Freispruch lässt daher die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahmen unberührt (Urteil vom 19. Oktober 1982 a.a.O.; Beschluss vom 6. Juli 1988 – BVerwG 1 B 61.88 – Buchholz 306 § 81 b StPO Nr. 1).
d) Die gegen den Kläger angeordneten Maßnahmen sind ihrem Inhalt nach gemäß § 81 b 2. Alt. StPO zulässig, weil diese Vorschrift ausdrücklich zur Anfertigung von Lichtbildern und zur Abnahme von Fingerabdrücken ermächtigt.
e) Die darüber hinaus für die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahmen zu erfüllenden gesetzlichen Anforderungen können indes anhand der im erstinstanzlichen Urteil getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht überprüft werden. Das betrifft insbesondere die Frage, ob die angeordneten Maßnahmen notwendig sind. Die erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81 b 2. Alt. StPO soll, wie erwähnt, vorsorgend sächliche Hilfsmittel für die Erforschung und Aufklärung von Straftaten bereitstellen. Dementsprechend bemisst sich ihre Notwendigkeit danach, ob der Sachverhalt, der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellt wurde, nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalles Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen – den Betroffenen letztlich überführend oder entlastend – fördern könnten (Urteil vom 19. Oktober 1982 – BVerwG 1 C 29.79 – BVerwGE 66, 192 ≪199≫). Ob die hier umstrittenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen in diesem Sinne notwendig sind und ob sie darüber hinaus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen, lässt sich auf der Grundlage der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen nicht beurteilen.
3. Das angefochtene Urteil ist somit wegen Verletzung von Bundesrecht aufzuheben. Mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen ist es dem Senat nicht möglich, in der Sache selbst zu entscheiden (§ 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO); diese ist vielmehr zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).
Der Senat macht von dem ihm im Falle einer Sprungrevision in § 144 Abs. 5 Satz 1 VwGO eingeräumten Ermessen Gebrauch und verweist die Sache an das im zweiten Rechtszug zuständige Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurück, weil dies einen Zeitgewinn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verspricht.
Unterschriften
Bardenhewer, Hahn, Büge, Graulich, Bier
Fundstellen
DÖV 2006, 967 |
JZ 2006, 727 |
DVBl. 2006, 923 |
NPA 2007 |