Entscheidungsstichwort (Thema)
Einigungsvertrag, Berufung von Richtern der ehemaligen DDR zum Richter auf Probe. Richterwahlausschuß. Richter der ehemaligen DDR, Berufung zum Richter auf Probe. Richterwahlausschuß nach der ORWA, keine Bindung des Justizministers an positiven Beschluß
Leitsatz (amtlich)
Über die Berufung eines Richters der ehemaligen DDR in ein neues Richterverhältnis in Thüringen entscheidet der Justizminister gemeinsam mit dem Richterwahlausschuß. Schlägt der Justizminister einen Bewerber nicht zur Berufung vor, so bedarf es keiner Beschlußfassung des Richterwahlausschusses; ein gleichwohl zugunsten des Bewerbers gefaßter Beschluß ist als Empfehlung an den Minister nicht bindend (im Anschluß an Urteile vom 6. November 1995 – BVerwG 2 C 21.94 – <BVerwGE 99, 371> und vom 25. April 1996 – BVerwG 2 C 18.95 –).
Normenkette
DDR-RiG §§ 12-13; ORWA §§ 5, 8
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 2. März 1995 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der 1938 geborene Kläger strebt als ehemaliger Richter der DDR seine Berufung zum Richter auf Probe im Justizdienst des Beklagten an.
Der Kläger wurde nach einem Sonderlehrgang für Strafrichter und bestandener Prüfung auf dem Gebiet des Straf- und Strafprozeßrechts 1973 zum Richter am Kreisgericht A… gewählt. Dort war er bis 1984 im Strafrecht und im Familienrecht tätig. Nachdem er ferner von 1974 bis 1980 ein rechtswissenschaftliches Fernstudium absolviert hatte, wechselte er als Richter an das Kreisgericht B…, zu dessen stellvertretendem Direktor er 1985 ernannt wurde. In dieser Funktion arbeitete er als Familienrichter bis Mitte Januar 1992. Im November und Dezember 1980 sowie im September und Oktober 1985 gehörte er außerdem dem Militärgericht C… an.
Der Kläger war in der Zeit zwischen 1970 und 1972 hauptamtlicher BGL-(Betriebsgewerkschaftsleitungs-)Vorsitzender im damaligen VEB Elektro-Glas B… und ab 1972 Angehöriger der Betriebskampfgruppe. Von 1974 bis 1982 war er BGL-Vorsitzender und von 1982 bis 1984 Parteisekretär der Justizorgane A…. Von 1984 bis 1988 war er BGL-Vorsitzender der Justizorgane B…. Vom 1969 bis 1989 war er Mitglied der SED. Im Jahre 1980 wurde ihm die Ehrennadel der Organe der Rechtspflege in Bronze verliehen.
Im Februar 1991 bewarb sich der Kläger um Übernahme als Richter in den Dienst des Beklagten. Mit Schreiben vom 13. November 1991 teilte der Thüringer Minister für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten dem zuständigen Richterwahlausschuß mit, er beabsichtige, den Kläger nicht zum Richter auf Probe zu berufen. Dieses Votum wurde dem Kläger vor Einberufung des Richterwahlausschusses zugeleitet. Zur Begründung führte der Minister im wesentlichen aus, er halte den Kläger für ein solches Amt zwar für fachlich, jedoch nicht persönlich geeignet. Trotz fehlender Anhaltspunkte für eine Tätigkeit für das MfS ergäben sich aus seiner Einbindung in das frühere Rechtssystem der DDR und seiner Rechtsprechungstätigkeit in Strafsachen durchgreifende Bedenken gegen seine persönliche Eignung. Er sei durch eine fast zwanzigjährige Tätigkeit in der Justiz der früheren DDR geprägt. Er habe sich während dieser Zeit als linientreuer Richter erwiesen, der insbesondere in Strafsachen mit politischem Hintergrund die Positionen von Staat und Partei offenbar kritiklos übernommen und in seiner Rechtsprechung auch umgesetzt habe. Unter seinem Vorsitz sei eine Reihe von Strafurteilen ergangen, in denen unangemessen hohe Freiheitsstrafen ausgesprochen worden seien und deren Begründung sich als willfährige Vollziehung der politischen Bewertungen und Vorgaben darstelle. – Dies ist im Schreiben u.a. unter Hinweis auf Urteile zu § 213 DDR-StGB (“Republikflucht”) näher ausgeführt. –
In seiner nichtöffentlichen Sitzung vom 18. Dezember 1991 befaßte sich der Richterwahlausschuß u.a. mit der Bewerbung des Klägers. Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung zweifelte der Kläger die Objektivität des Votums des Ministeriums an. Er erklärte, sich nicht nach den von ihm ausgeübten gesellschaftlichen Aktivitäten gedrängt zu haben. Auch habe er sich nicht freiwillig als Militärrichter zur Verfügung gestellt. Seine Rechtsprechungstätigkeit sei einerseits linientreu gewesen, andererseits sei er aber von Auszeichnungen ausgeschlossen gewesen. Die im Votum angesprochenen Urteile seien im Vergleich zu den Urteilen anderer Kreisgerichte nicht übermäßig hart. In vier der Fälle seien die Angeklagten einschlägig vorbestraft und deshalb mindestens eine Freiheitsstrafe von einem Jahr zu verhängen gewesen. Er verwies auch auf Schwierigkeiten mit der Parteileitung des Kreises. Nach Beratung sprachen sich sodann in geheimer Abstimmung sechs Ausschußmitglieder für eine Berufung des Klägers aus, drei dagegen. Der Vorsitzende stellte fest, daß er damit die für die Ernennung zum Proberichter erforderliche Zweidrittelmehrheit erreicht habe. Der Kläger wurde über das Ergebnis der Abstimmung unterrichtet.
Darauf teilte der Beklagte dem Kläger mit, daß mit der Unterrichtung über das Ergebnis der Entscheidung des Richterwahlausschusses sein Arbeitsverhältnis geendet habe. Mit Bescheid vom 28. Januar 1992 erklärte der Beklagte (unter 1.) die Ermächtigung des Klägers zur Ausübung der Rechtsprechung mit der Entscheidung des Richterwahlausschusses vom 18. Dezember 1991 für beendet und lehnte (unter 2.) die Bewerbung um Einstellung in den Richterdienst des Landes ab. Zur Begründung stützte sich der Beklagte auf sein Votum vom 13. November 1991 und die nach seiner Ansicht darin dargelegten Gründe für die mangelnde persönliche Eignung des Klägers. Die Anhörung vor dem Richterwahlausschuß habe ausweislich der Niederschrift diesbezüglich keine neuen Erkenntnisse erbracht.
Der dagegen erhobenen Klage mit dem Antrag,
den Beklagten unter Aufhebung von Nr. 2 des Bescheides vom 28. Januar 1992 zu verpflichten, ihn zum Richter auf Probe zu berufen,
hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden,
hat das Verwaltungsgericht hinsichtlich des Hilfsantrags stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:
Die Klage sei als Verpflichtungsklage in Form einer Bescheidungsklage statthaft. Der Kläger erstrebe seine Neueinstellung als Richter in den Dienst des beklagten Landes. Die im Vorfeld ergehende Entscheidung des Richterwahlausschusses stelle einen inzident zu prüfenden internen Mitwirkungsakt dar. Gebe der Richterwahlausschuß ein negatives Votum ab, so sei der Minister an einer Einstellung gehindert. Gebe er ein positives Votum ab, stelle dieses eine bloße Empfehlung an den Minister dar, der keine Außenwirkung zukomme und die auch nicht bindend sei. Sie eröffne für den Dienstherrn kraft seiner Personalhoheit die Möglichkeit einer eigenen Auswahlentscheidung. Das tatsächliche Gewicht, das der positiven Entscheidung des Ausschusses zukomme, sei dadurch gekennzeichnet, daß die Entscheidung zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen werden müsse, und daß die Gründe für eine Abweichung von einigem Gewicht sein müßten.
Der angegriffene Bescheid verstoße nicht gegen das Erfordernis einer Begründung gemäß § 39 ThürVwVfG. Die Verweisung auf das Votum vom 13. November 1991 genüge diesem Begründungserfordernis. Jedenfalls sei durch dieses Votum dem Kläger die Auffassung des Beklagten zur Sach- und Rechtslage bereits bekannt gewesen.
Maßgeblich für die rechtliche Überprüfung sei Anlage I Kapitel III Sachgebiet A… Abschnitt III Nr. 8 Maßgabe o) des Einigungsvertrages. Diese Maßgabe verweise ihrerseits auf die Regelungen über den Fortbestand der Richterverhältnisse im DDR-RiG und in der Ordnung über die Bildung und Arbeitsweise der Richterwahlausschüsse – ORWA –. Aus § 45 Abs. 1 DDR-RiG folge trotz fehlenden ausdrücklichen Verweises auf § 13 Abs. 4 DDR-RiG nicht, daß eine Feststellung der dort geforderten sachlichen und persönlichen Voraussetzungen entbehrlich gewesen sei. Denn die Entscheidung über die Übernahme von im Zeitpunkt des Beitritts tätigen Richtern habe eine Entscheidung über die Begründung eines neuen, am Richterbild des Grundgesetzes orientierten Dienstverhältnisses dargestellt.
Die Feststellung der Verfassungstreue eines Bewerbers wie auch seiner (sonstigen) sachlichen und persönlichen Voraussetzungen erfordere ein Urteil des Ministers über die Persönlichkeit des Bewerbers, für das ihm eine gerichtlich nur beschränkt nachprüfbare Beurteilungsermächtigung zustehe. Die gerichtliche Kontrolle beschränke sich darauf, ob der Minister die anzuwendenden Begriffe oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen könne, verkannt habe oder ob er von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sei, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen habe.
Der Beklagte habe den gesetzlichen Rahmen seiner Prüfungskompetenz nicht verkannt. Es bedürfe keiner Entscheidung, ob die erforderliche Gewähr für eine verfassungstreue Amtsausübung des Klägers in Zweifel gezogen werden könne. Denn die im Votum vorgetragenen Argumente des Beklagten rechtfertigten die Einschätzung, daß der Kläger die sonstigen persönlichen Voraussetzungen nicht erfülle. Dabei genüge es, wenn jeder der vom Beklagten angezogenen Gründe sachlich zu einem ungünstigen Eignungsurteil beitragen könne und erst die Gesamtheit der Gründe das ungünstige Eignungsurteil rechtfertige.
Hiernach sei nicht zu beanstanden, daß der Beklagte aus der jahrzehntelangen Einbindung des Klägers in das gesellschaftliche System der ehemaligen DDR und insbesondere auch aus dessen Tätigkeit als Militärrichter schlußfolgere, er erscheine als willfähriger Repräsentant des früheren Unrechtssystems und seiner Justiz. Der Akzeptanz der Justiz in der Öffentlichkeit komme im Hinblick auf ihre herausgehobene Funktion im Rechtsstaat besondere Bedeutung zu. Eine in den Augen der Bürger glaubwürdige Amtsführung erscheine nicht möglich, wenn ein Bewerber aufgrund seiner Karriere “besonders eingebunden in die sozialistische Gesetzlichkeit” erscheine. Richter, die im besonderen Maße mit der “sozialistischen Parteilichkeit” identifiziert worden seien, könnten in der Bevölkerung schwerlich das Vertrauen genießen, ihr Amt nach rechtsstaatlichen Grundsätzen auszuüben.
Vor diesem Hintergrund sei nicht zu beanstanden, daß der Beklagte die vom Kläger getroffenen Entscheidungen zum politischen Strafrecht der früheren DDR (acht Fälle, in denen der Kläger an Urteilen mitgewirkt habe, die den Tatbestand der versuchten oder vollendeten Republikflucht gemäß § 213 DDR-StGB erfüllten) zusammen mit anderen Gesichtspunkten als Rechtfertigung für eine Ablehnung der Eignung für das Richteramt angesehen habe. Dies ergebe sich schon aus der Perspektive der Opfer derartiger Strafurteile. Wer wegen solcher Strafurteile lange Freiheitsstrafen verbüßt habe, müsse es als Zumutung empfinden, weiterhin die Rechtsprechung derartiger Richter akzeptieren zu müssen. Es sei nachvollziehbar, daß sich ein Richter durch die Verurteilung von “Republikflüchtlingen” zu langen Freiheitsstrafen zum Werkzeug des Unterdrückungsapparates gemacht habe und daß sich aus der Existenz etlicher derartiger Urteile über einen relativ langen Zeitraum von 1982 bis 1987 auch Zweifel an der moralischen und politischen Integrität eines Bewerbers ergeben könnten.
Der Beklagte habe auch die Ausschußentscheidung als Umstand von tatsächlichem Gewicht angemessen berücksichtigt, wenngleich er das Ergebnis nicht geteilt habe.
Der Beklagte habe entgegen der Auffassung des Klägers nicht den Gleichheitssatz verletzt. Es handele sich in jedem Falle der Entscheidung über die Neueinstellung eines Bewerbers um einen Einzelfall, der bereits seinem Wesen nach, aber auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Kriterien, die die einzelnen Bewerber jeweils verschiedenartig erfüllten, einer Vergleichbarkeit mit anderen Fällen nicht zugänglich sein könne.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom Senat zugelassene Revision eingelegt, mit der er beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Oberverwaltungsgerichts vom 2. März 1995 den Beklagten unter Aufhebung von Nr. 2 des Bescheides des Thüringer Justizministers vom 28. Januar 1992 zu verpflichten, den Kläger in ein Richterverhältnis auf Probe zu berufen,
hilfsweise,
über die Bewerbung des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Er rügt die Verletzung materiellen und formellen Rechts.
Der Beklagte tritt der Revision entgegen.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß der angegriffene Ablehnungsbescheid des Beklagten rechtmäßig ist.
Der Justizminister des beklagten Landes war – wovon auch beide Vorinstanzen zutreffend ausgegangen sind – bei der Entscheidung, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Berufung in ein Richteramt nach dem Grundgesetz erfüllt, nicht an den zustimmenden Beschluß des Richterwahlausschusses gebunden. Er ist lediglich an negative Beschlüsse des Richterwahlausschusses gebunden mit der Folge, daß er einen Bewerber nicht ohne Zustimmung des Ausschusses in ein Richteramt berufen darf; das folgt aus § 12 des Richtergesetzes der Deutschen Demokratischen Republik – DDR-RiG – vom 5. Juli 1990 (GBl I S. 637) in Verbindung mit der Ordnung über die Bildung und Arbeitsweise der Richterwahlausschüsse – ORWA – vom 22. Juli 1990 (GBl I S. 904), die beide nach Anlage I Kapitel III Sachgebiet A… Abschnitt III Nr. 8 Maßgabe o) zum Einigungsvertrag – EV – vom 23. September 1990 (BGBl II S. 885) insoweit fortgelten (vgl. Urteil des Senats vom 6. November 1995 – BVerwG 2 C 21.94 – <BVerwGE 99, 371> im Anschluß an BVerwGE 70, 270 f., m.w.N.). Dagegen befreit eine Zustimmung des Richterwahlausschusses den Minister nicht von der Aufgabe, in eigener Verantwortung zu prüfen, ob die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen für die Berufung als Richter vorliegen. Die jeweils eigenständige Prüfung trägt zum einen der besonderen Bedeutung des Richteramts und der Unabhängigkeit der einmal berufenen Richter Rechnung. Zum anderen wahrt sie die Personalhoheit der Exekutive als Grundlage der parlamentarischen Verantwortlichkeit des zuständigen Ministers für die personelle Besetzung der zu seinem Geschäftsbereich gehörenden Gerichte. Das Erfordernis eigenverantwortlicher Prüfung durch den Justizminister bestätigt § 8 Abs. 3 Satz 1 ORWA, wonach der Richterwahlausschuß bei positivem Ergebnis die Berufung des Richters durch den Minister “empfiehlt”. Darüber hinaus ergibt sich – worauf der Beklagte mit Recht hinweist – das Erfordernis eigenverantwortlicher Prüfung durch den Justizminister hier insbesondere daraus, daß § 13 Abs. 2 und 4 DDR-RiG, § 5 Abs. 1 ORWA eine Prüfung und Beschlußfassung durch den Richterwahlausschuß nur über Bewerber vorsehen, die der Justizminister für ein Richteramt vorgeschlagen hat. Beabsichtigt also, wie hier, der Minister nicht, einen Bewerber in das Richteramt zu berufen, so bedarf es keiner Beschlußfassung durch den Richterwahlausschuß (ebenso das genannte Urteil des Senats vom 25. April 1996 – BVerwG 2 C 18.95 – für das Berliner Richtergesetz). Die gleichwohl vorgesehene Benennung nicht vorgeschlagener Bewerber unter Beifügung der Personalunterlagen und einer Stellungnahme (§ 13 Abs. 3 DDR-RiG, § 6 ORWA) dient hiernach zunächst der Unterrichtung des Ausschusses über das gesamte, gegebenenfalls vergleichsweise heranzuziehende Spektrum der vorliegenden Bewerbungen und gibt dem Ausschuß Gelegenheit, sich mit dieser Bewerbung zu befassen.
Der Justizminister hat den angegriffenen Ablehnungsbescheid hinreichend begründet. Die Bezugnahme auf die – elf Seiten umfassende – Stellungnahme gegenüber dem Richterwahlausschuß läßt erkennen, auf welche eingehenden Erwägungen der Beklagte seine Ablehnung nach wie vor stützt.
Sachlich war der Justizminister ebensowenig wie – im Falle seines Vorschlags – der Richterwahlausschuß auf die Prüfung beschränkt, ob der Bewerber die Gewähr dafür bietet, das angestrebte Richteramt entsprechend den Grundsätzen der Verfassung auszuüben (§ 9 Abs. 1 DDR-RiG). Eine solche Beschränkung ergibt sich nicht, wie die Revision meint, aus § 45 Abs. 1 DDR-RiG, der allein auf die Voraussetzung des § 9 Abs. 1 DDR-RiG ausdrücklich Bezug nimmt. Vielmehr läßt die umfassende Umschreibung der Aufgaben der Richterwahlausschüsse in § 5 ORWA erkennen, daß schon der seinerzeitige Gesetzgeber der DDR von einer entsprechend umfassenden Prüfung der Berufungsvoraussetzungen ausging. Das entspricht dem vom DDR-RiG gewählten Prinzip der Diskontinuität, nach dem es eine “Überleitung” bestehender richterlicher Beschäftigungsverhältnisse in rechtsstaatliche Richterverhältnisse strikt vermied und statt dessen vorsah, die noch tätigen Richter bei gegebener Eignung wie außenstehende Bewerber neu zu berufen, und zwar in ein Richterverhältnis auf Probe oder auf Zeit (vgl. BVerfGE 87, 68 <82>; BVerwGE 99, 371 <374>). Demgemäß sind das Bundesverfassungsgericht und der erkennende Senat in den beiden genannten Entscheidungen von einer vollständigen Prüfung der persönlichen und sachlichen Voraussetzungen durch den jeweiligen Richterwahlausschuß ausgegangen. Für die Prüfung durch den Justizminister gilt nichts anderes.
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß dem Justizminister bei der Prüfung der – heute im Lichte der Art. 33, 97 Abs. 1 GG zu sehenden – sachlichen und persönlichen Voraussetzungen für die Berufung in das Richteramt eine gerichtlich nur beschränkt nachprüfbare Beurteilungsermächtigung eingeräumt ist. Die dabei zu beachtenden Maßstäbe hat der Senat in seinem vorgenannten Urteil vom 6. November 1995 (BVerwGE 99, 371) in bezug auf den Richterwahlausschuß und im Urteil vom 25. April 1996 – BVerwG 2 C 18.95 – in bezug auf den Minister/Senator bei Unterbleiben eines Vorschlages an den Richterwahlausschuß im einzelnen dargelegt.
In Übereinstimmung hiermit ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, eine in den Augen der Bürger glaubwürdige richterliche Amtsführung sei nicht möglich, wenn ein Bewerber – wie der Kläger – aufgrund seiner früheren Karriere “besonders eingebunden in die sozialistische Gesetzlichkeit” erscheine. Richter, die im besonderen Maße mit der “sozialistischen Parteilichkeit” identifiziert worden seien, könnten in der Bevölkerung schwerlich das Vertrauen genießen, ihr Amt nach rechtsstaatlichen Grundsätzen auszuüben. Der Beklagte habe aus der jahrzehntelangen Einbindung des Klägers in das gesellschaftliche System der ehemaligen DDR und insbesondere auch aus dessen Tätigkeit als Militärrichter schlußfolgern dürfen, dieser erscheine als willfähriger Repräsentant des früheren Unrechtssystems und seiner Justiz. Das Berufungsgericht hat weiter in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Würdigung des angegriffenen Bescheides neben anderen Gesichtspunkten die vom Kläger getroffenen Entscheidungen zum politischen Strafrecht der früheren DDR (acht Fälle zum Tatbestand der versuchten oder vollendeten “Republikflucht” gemäß § 213 DDR-StGB) hervorgehoben und in ihrer Gesamtheit als rechtlich zulässige Ablehnungsgründe gewertet. Dies stimmt insbesondere mit den Erwägungen des Senats im Urteil vom 25. April 1996 – BVerwG 2 C 18.95 – überein, wonach zahlenmäßig ins Gewicht fallende Verurteilungen nach § 213 DDR-StGB mit seinem erheblichen und unverhältnismäßigen Strafrahmen durch einen ehemaligen DDR-Richter diesen für die Übernahme als Richter ungeeignet erscheinen lassen können. Verurteilungen aufgrund dieses Tatbestandes verstoßen regelmäßig gegen rechtsstaatliche Grundsätze. Mithin ist die Mitwirkung an solchen Urteilen geeignet, die Akzeptanz als Richter im Sinne des Grundgesetzes durch die rechtsuchende Bevölkerung und damit der Rechtsprechung insgesamt zu gefährden; denn die Überzeugungskraft richterlicher Entscheidungen stützt sich im hohen Maße auch auf das Vertrauen, das den Richtern von der Bevölkerung entgegengebracht wird. Diese Erwägungen gelten auch, wenn der Richter keine Leitungsfunktion innehatte und nicht Mitarbeiter des früheren Ministeriums für Staatssicherheit war. Soweit hiernach ein ehemaliger DDR-Richter im Hinblick auf seine frühere Tätigkeit den Rechtsuchenden nicht als Richter zugemutet werden kann, setzt dies nicht voraus, daß ihm aus der Art seiner damaligen Rechtsprechungstätigkeit ein persönlicher Vorwurf zu machen ist.
Im Ergebnis ohne Erfolg beanstandet die Revision, daß der Beklagte über die vorstehenden Erwägungen hinaus in seiner im ablehnenden Bescheid in Bezug genommenen Stellungnahme wiederholt frühere Strafurteile, die unter dem Vorsitz des Klägers ergangen waren, als im Vergleich zu den Urteilen anderer Gerichte überdurchschnittlich hart bezeichnet hat, ohne diesen Vergleich näher darzulegen. Der Revision mag einzuräumen sein, daß bei den mitgeteilten Verurteilungen wegen “Republikflucht im schweren Fall” mit einem gesetzlichen Strafrahmen von 1 – 8 Jahren Freiheitsstrafe die Wertung der dazu ausgesprochenen Strafen von einem Jahr und zwei Monaten bis zu zwei Jahren als überdurchschnittlich hart einer näheren Darlegung des zugrunde gelegten Vergleichsmaßstabes bedurft hätte, wenn ihr für das ablehnende Ergebnis wesentliche Bedeutung zukäme. Indessen hat das Berufungsgericht, das diesen Gesichtspunkt nicht angesprochen hat, ihm ersichtlich keine derartige Bedeutung für die Begründung des Ablehnungsbescheides beigemessen. Diese Würdigung erscheint rechtlich möglich und ist deshalb revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
Inwieweit der Beklagte im Rahmen des pflichtgemäßen Gebrauchs seiner Beurteilungsermächtigung gehalten war, seine Absicht, den Bewerber nicht zu übernehmen, im Lichte des als Empfehlung aufzufassenden Beschlusses des Richterwahlausschusses zu überprüfen, bedarf keiner abschließenden Erörterung. Denn jedenfalls läßt der angegriffene Bescheid erkennen, daß der Beklagte diesen Beschluß zur Kenntnis genommen und berücksichtigt hat. Daß der Beklagte die in der Niederschrift der Ausschußsitzung festgehaltenen Äußerungen des Klägers angesichts seiner bereits früher erfolgten Anhörung dahin würdigte, es hätten sich keine neuen Erkenntnisse ergeben, lag im Rahmen des ihm eröffneten Beurteilungsspielraums. Zusätzliche Ablehnungsgründe über die in der Stellungnahme dargelegten hinaus mußte und konnte der Beklagte nicht anführen, wenn er – zulässigerweise – auch unter Berücksichtigung der Ausschußempfehlung lediglich an den bisherigen Ablehnungsgründen festhielt.
Ohne Erfolg rügt die Revision als Verfahrensfehler des Berufungsgerichts eine mangelnde Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO). Diese sieht sie darin, daß das Berufungsgericht Hinweisen und Beweisanregungen des Klägers in bezug auf mehrere namentlich benannte ehemalige DDR-Richter, die trotz mindestens vergleichbarer Umstände berufen worden seien, nicht nachgegangen ist. Von Ermittlungen in dieser Richtung hat aber das Berufungsgericht verfahrensfehlerfrei abgesehen, weil es darauf nach seiner materiellen Rechtsauffassung nicht ankam. Es hat im Urteil – sachlich zutreffend – dargelegt, daß es sich bei der Entscheidung über die Berufung jeweils um einen Einzelfall handele, der nach seinem Wesen und im Hinblick auf die unterschiedlichen Kriterien, die die einzelnen Bewerber jeweils verschiedenartig erfüllten, einer Vergleichbarkeit mit anderen Fällen nicht zugänglich sein könne. Die verfahrensrechtliche Aufklärungspflicht (§ 86 VwGO) gebietet dem Tatrichter nur, solche Umstände aufzuklären, auf die es nach seiner eigenen materiellrechtlichen Auffassung, die er seinem Urteil zugrunde legt, ankommt; ob diese seine Auffassung zutrifft, ist keine Frage des Verfahrensrechts, sondern des materiellen Rechts (ständige Rechtsprechung, u.a. Urteil des Senats vom 27. Mai 1982 – BVerwG 2 C 50.80 – <NJW 1983, 187, 189> m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Franke, Dr. Lemhöfer, Dr. Müller, Dr. Bayer, Dr. Schmutzler
Fundstellen
BVerwGE, 168 |
DVBl. 1997, 371 |