Entscheidungsstichwort (Thema)
Disziplinarklage des Bundesnachrichtendienstes. anwaltliche Vertretung im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. behördliches Disziplinarverfahren. Inhalt der Disziplinarklageschrift. wesentlicher Mangel im Sinne von § 55 BDG. unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst. Nachweis der Dienstfähigkeit. Melde- und Nachweispflichten bei Erkrankung. Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung. Beweiswürdigung bei Verweigerung der Mitwirkung. Ausschluss des Unterhaltsbeitrags
Leitsatz (amtlich)
Gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG muss die Klageschrift die Handlungen des Beamten, aus denen Dienstpflichtverletzungen hergeleitet werden, aus sich heraus verständlich darstellen. Dies erfordert grundsätzlich die Darstellung des Geschehensablaufs sowie des Ortes und der Zeit der Handlungen. Soweit eine Klageschrift diesen Anforderungen nicht genügt, leidet sie in der Regel an einem wesentlichen Mangel im Sinne von § 55 BDG.
Normenkette
BBG § 55 S. 2, § 73 Abs. 1 Sätze 1-2, § 77 Abs. 1 S. 1; BDG § 10 Abs. 1, 3, § 13 Abs. 1; BDG § Abs. 2 S. 1; BDG §§ 19-20, 30, 52 Abs. 1, § 60 Abs. 2 Sätze 1-2; VwGO § 50 Abs. 1 Nr. 4, § 67 Abs. 1 S. 1
Tenor
Der Beklagte wird aus dem Beamtenverhältnis entfernt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Gewährung eines Unterhaltsbeitrags wird ausgeschlossen.
Tatbestand
I
Der im Jahre … geborene Beklagte ist seit … beim Bundesnachrichtendienst (BND) beschäftigt, seit … im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit.
Der Beklagte erschien seit Anfang 2002 nur noch sporadisch zum Dienst. Für einen Teil der Abwesenheitszeiten legte er Dienstunfähigkeitsbescheinigungen verschiedener Ärzte ohne Diagnose vor. Für die verbleibenden Zeiten meldete er sich teilweise telefonisch krank, teilweise gab er keine Erklärung ab. Seit dem 7. Mai 2004 darf der Beklagte aufgrund der Entziehung des Sicherheitsbescheides die Liegenschaften des BND nicht mehr betreten.
Nach den Dienstvorschriften des BND sind die Mitarbeiter gehalten, sich innerhalb einer Stunde nach Beginn der Kernarbeitszeit bei der Dienststelle zu melden, wenn sie unvorhergesehen nicht zum Dienst erscheinen. Bei Dienst- oder Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Kalendertagen müssen sie eine ärztliche Bescheinigung vorlegen.
Mit Schreiben vom 16. Januar 2003 unterrichtete der vom Präsidenten des BND bestellte Ermittlungsführer den Beklagten, dass der Präsident ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet habe. Dem Beklagten werde vorgeworfen, seit Januar 2002 häufig gegen die Meldepflicht bei unvorhergesehenem Nichterscheinen zum Dienst verstoßen zu haben. Zudem habe er für die angegebenen Abwesenheitszeiten von mehr als drei Kalendertagen zwischen Juni und September 2002 keine ärztlichen Dienstunfähigkeitsbescheinigungen eingereicht. Für die kürzeren Abwesenheitszeiten im März, Juni und Juli 2002 habe er sich nicht einmal im Nachhinein krank gemeldet. Der Beklagte wurde zu der mündlichen Anhörung am 10. Februar 2003 geladen, in der er sich zu den Vorwürfen äußerte.
Am 26. März 2003 wurde dem Beklagten aufgegeben, bereits für den ersten Tag eines krankheitsbedingten Fernbleibens vom Dienst eine ärztliche Dienstunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen.
Mit Schreiben vom 20. Januar 2004 (versehentlich auf den 20. Januar 2003 datiert) unterrichtete der Ermittlungsführer den Beklagten, der Präsident des BND habe das Disziplinarverfahren auf diejenigen Abwesenheitszeiten zwischen Oktober und Dezember 2003 ausgedehnt, für die keine ärztlichen Dienstunfähigkeitsbescheinigungen vorlägen. Zudem sei er entgegen der dienstlichen Anordnung vom 30. September 2003 unentschuldigt nicht zu der amtsärztlichen Untersuchung am 28. November 2003 erschienen. Der Ermittlungsführer setzte dem Beklagten Fristen zur schriftlichen und mündlichen Äußerung.
Den Umschlag mit dem Schreiben vom 20. Januar 2004 warf ein Kurier des BND tags darauf in den Briefkasten der Mietwohnung des Beklagten am “… Platz 3… in M…. Nachdem ein Kurier im März 2004 bemerkt hatte, dass dieser Briefkasten überfüllt war, ging der BND dazu über, die an den Beklagten gerichteten Schriftstücke an die Anschrift “c/o G… B… R…, …-Str. …” in M… zu senden. Im Disziplinarklageverfahren stellte sich diese Adresse als die Wohnanschrift von Frau U… B… heraus, der Witwe des verstorbenen Richters G… B…. Diese hat mitgeteilt, der Beklagte wohne nicht bei ihr, sei aber unter ihrer Anschrift erreichbar. Im Disziplinarklageverfahren hat der BND im September 2006 verschiedene Anhaltspunkte mitgeteilt, die darauf schließen ließen, dass der Kläger seine Wohnung am “… Platz …” in M… seit Jahren nicht mehr nutzt.
Mit Schreiben vom 29. April 2005 unterrichtete der Ermittlungsführer den Beklagten, der Präsident des BND habe das Disziplinarverfahren auf diejenigen Abwesenheitszeiten zwischen Januar und Juli 2004 ausgedehnt, die nicht durch ärztliche Dienstunfähigkeitsbescheinigungen gedeckt seien. Er setzte dem Beklagten Fristen zur schriftlichen und mündlichen Äußerung. Mit gleicher Post übersandte er den Bericht über das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen und wies den Beklagten auf die Möglichkeit hin, sich innerhalb der Fristen abschließend zu äußern. Die Sendung wurde Frau B… in deren Wohnung übergeben.
Der Beklagte hat sich nach der Anhörung am 10. Februar 2003 nicht mehr zu den Vorwürfen geäußert.
Mit Klageschrift vom 30. Juni 2005 hat der Präsident des BND Disziplinarklage mit dem Antrag erhoben, den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Er wirft dem Beklagten vor, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass er
– sich ab Mitte Januar 2002 in dutzenden von Fällen nicht rechtzeitig bei der Dienststelle gemeldet habe, wenn er unvorhergesehen nicht zum Dienst erschienen sei (Anschuldigungspunkt 1);
– dem Dienst im Jahre 2002 am 20. und 25. März, am 18. Juni, vom 24. Juni bis 11. Juli, vom 22. bis 24. Juli, am 5. August, vom 19. August bis 9. September, im Jahre 2003 vom 21. bis 24. Oktober, am 3. und 4. November, am 11. und 12. November, vom 20. bis 28. November, vom 8. bis 12. Dezember und am 29. Dezember, im Jahre 2004 vom 26. bis 30. Januar, vom 11. Februar bis 8. April, vom 28. April bis 14. Mai und vom 21. Juni bis 2. Juli unerlaubt ferngeblieben sei (Anschuldigungspunkt 2);
– entgegen der dienstlichen Anordnung vom 30. September 2003 unentschuldigt nicht zu dem amtsärztlichen Untersuchungstermin am 28. November 2003 erschienen sei (Anschuldigungspunkt 3).
In der Klageschrift heißt es im Wesentlichen: Die einzelnen Verstöße des Beklagten gegen die Meldepflicht in den Jahren 2002 und 2003 ergäben sich aus einer Liste, die sich in der Disziplinarakte befinde. Sie könnten auch durch die benannten Zeugen bewiesen werden.
Der Vorwurf des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst im Jahr 2002 erfasse nur Abwesenheitszeiten des Beklagten von mehr als drei Kalendertagen, für die er keine Dienstunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt habe, sowie diejenigen kürzeren Abwesenheitszeiten, für die er sich nicht einmal telefonisch krank gemeldet habe. Der Vorwurf des unerlaubten Fernbleibens in den Jahren 2003 und 2004 erstrecke sich auf alle Abwesenheitszeiten, die nicht von einer Dienstunfähigkeitsbescheinigung abgedeckt seien.
Der Beklagte hat sich zur Disziplinarklage nicht geäußert. Er hat lediglich Frau B… unter deren Wohnanschrift Zustellungsvollmacht für das Disziplinarklageverfahren erteilt. In der Ladung zum Verhandlungstermin hat ihm der Senat mitgeteilt, es sei beabsichtigt, nach Aktenlage zu entscheiden, falls er sich weiterhin nicht zur Disziplinarklage äußere. Zugleich hat der Senat den Beklagten darauf hingewiesen, dass bislang keine Umstände ersichtlich seien, die das vorgeworfene schwerwiegende Fehlverhalten in einem milderen Licht erscheinen ließen oder es gar ausräumten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, die Disziplinarakte und die weiteren von der Klägerin vorgelegten Unterlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
II
Der Senat entscheidet über die Disziplinarklage in erster und letzter Instanz (§ 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO, § 45 Satz 5 BDG). Sie führt zu der Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis (§ 60 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 5, §§ 10, 13 Abs. 2 Satz 1 BDG).
1. Eine anwaltliche Vertretung des Beklagten war nicht erforderlich. Der Vertretungszwang vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.d.F. des Art. 1 Nr. 8a des Gesetzes vom 20. Dezember 2001 (BGBl S. 3987) soll sicherstellen, dass nur Streitstoff in das Verfahren eingeführt wird, der von einem Rechtsanwalt gesichtet und geprüft worden ist. Er besteht auch in erstinstanzlichen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 11. November 1999 – BVerwG 2 A 8.98 – Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 96). Aufgrund dieses Normzwecks des § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO erstreckt sich der Vertretungszwang auf den gesamten Sachvortrag eines Verfahrensbeteiligten. Daraus folgt, dass die gesetzliche Einschränkung “soweit er einen Antrag stellt” Rechtsmittelgegner, Beigeladene und demnach auch Beklagte in erstinstanzlichen Verfahren nur dann vom Vertretungszwang ausnimmt, wenn und solange sie ihre prozessualen Gestaltungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten nicht wahrnehmen, d.h. sich passiv verhalten. Davon unberührt bleibt die Heranziehung zur Mitwirkung an der gerichtlichen Ermittlung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Im vorliegenden Fall hat der Beklagte sich im Disziplinarklageverfahren weder schriftlich geäußert noch ist er zur mündlichen Verhandlung erschienen. Er ist bei der Ladung gemäß § 102 Abs. 2 VwGO darauf hingewiesen worden, dass bei seinem Ausbleiben ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
2. Dem behördlichen Disziplinarverfahren, das durch die Erhebung der Disziplinarklage abgeschlossen worden ist (§ 34 BDG), haftet kein wesentlicher Mangel im Sinne von § 55 BDG an, der eine Fristsetzung zur Mangelbeseitigung gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 BDG erfordert hätte.
Die sich aus § 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 BDG ergebenden Anforderungen an die Unterrichtung des Beklagten, die dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs Rechnung tragen, sind eingehalten worden. Der Ermittlungsführer hat die Einleitung und die Ausdehnungen des Disziplinarverfahrens sowie die jeweils zugrunde liegenden disziplinarischen Vorwürfe schriftlich mitgeteilt. Die Schreiben enthielten alle Vorwürfe, auf die die Klägerin die Disziplinarklage gestützt hat.
Die Schreiben sind dem Beklagten bekannt gegeben worden, weil sie ihm zugegangen sind. Eine schriftliche Erklärung geht dem Adressaten zu, wenn sie derart in dessen Bereich gelangt, dass er unter normalen Umständen die Möglichkeit hat, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen (BGH, Urteil vom 3. November 1976 – VIII ZR 140/75 – BGHZ 67, 271 ≪275≫; stRspr).
Danach ist das Schreiben vom 20. Januar 2004 über die erste Ausdehnung des Disziplinarverfahrens dem Beklagten durch den Einwurf in den Briefkasten seiner Wohnung “… Platz …” in M… zugegangen. Da die Möglichkeit der Kenntnisnahme ausreicht, kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte seine Wohnung damals noch genutzt und den Briefkasten regelmäßig geleert hat. Das Schreiben vom 29. April 2005 über die zweite Ausdehnung des Disziplinarverfahrens ist dem Beklagten dadurch zugegangen, dass es Frau B… in deren Wohnung übergeben wurde. Der Beklagte hat die im März 2004 begonnene Praxis, für ihn bestimmte Schriftstücke an die Wohnanschrift Frau B… zu senden, jedenfalls hingenommen. Dies zeigt die Erteilung der Zustellungsvollmacht im Disziplinarklageverfahren.
Die sich aus § 20 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 BDG ergebenden Anforderungen an die Belehrung und Anhörung sind nicht vollständig erfüllt worden. Zum einen hat der Ermittlungsführer in dem Schreiben über die Einleitung des Disziplinarverfahrens vom 16. Januar 2003 dem Beklagten entgegen § 20 Abs. 2 Satz 1 BDG keine Äußerungsfristen gesetzt. Stattdessen hat er den Beklagten zu dem Anhörungstermin am 10. Februar 2003 geladen. Zum anderen enthält das Schreiben vom 20. Januar 2004 nicht die von § 20 Abs. 1 Satz 3 BDG geforderte Belehrung über das Recht, sich jederzeit eines Bevollmächtigten oder Beistands zu bedienen.
Diese Versäumnisse stellen jedoch keine wesentlichen Mängel im Sinne von § 55 BDG dar, weil ausgeschlossen werden kann, dass sie sich für den Beklagten nachteilig ausgewirkt haben. Zu den Vorwürfen in dem Schreiben vom 16. Januar 2003 hat er in der Anhörung am 10. Februar 2003 Stellung genommen. Das Schreiben vom 20. Januar 2004 hat er ebenso wenig wie die nachfolgenden Mitteilungen, Belehrungen und Ladungen zum Anlass genommen, zu den darin erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen.
Die gemäß § 30 Satz 1 BDG gebotene abschließende Anhörung des Beklagten ist ordnungsgemäß durchgeführt worden. Der Ermittlungsführer hat ihn in dem Schreiben vom 29. April 2005 über die Möglichkeit der abschließenden Stellungnahme belehrt und hierfür die Äußerungsfristen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 BDG gesetzt. Zugleich hat er dem Beklagten den Bericht über das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen übersandt.
Die Mitwirkung des örtlichen Personalrats vor der Erhebung der Disziplinarklage ist zu Recht unterblieben, weil sie der Beklagte nicht beantragt hat (§ 78 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 BPersVG). Über das Antragserfordernis hat der Ermittlungsführer den Beklagten durch das Schreiben vom 21. März 2005 ordnungsgemäß belehrt, das ihm in der Wohnung Frau B… persönlich ausgehändigt wurde. Die nachfolgende zweite Ausdehnung des Disziplinarverfahrens machte keine nochmalige Belehrung vor Klageerhebung notwendig. Denn der Beklagte musste sich aufgrund der ersten Belehrung darüber im Klaren sein, dass der Personalrat nur auf seinen Antrag eingeschaltet werden konnte. Durch sein Schweigen auf das Belehrungsschreiben vom 21. März 2005 hat er zu verstehen gegeben, dass er auf diese Mitwirkung keinen Wert legte.
3. Dagegen haftet der Klageschrift vom 30. Juni 2005 hinsichtlich des ersten Anschuldigungspunktes ein wesentlicher Mangel im Sinne vom § 55 BDG an, weil sie insoweit den Vorgaben des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG nicht genügt.
Gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG muss die Klageschrift auch die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet darstellen. Die Vorschrift knüpft an die weitgehend wortgleiche Vorgängerregelung des § 65 Halbs. 2 BDO an. Sie überträgt die Anforderungen, die § 65 Halbs. 2 BDO für die Anschuldigungsschrift festgelegt hat, inhaltlich unverändert auf die Klageschrift (vgl. BTDrucks 14/4659 S. 48; Beschluss vom 13. März 2006 – BVerwG 1 D 3.06 – Buchholz 235 § 67 BDO Nr. 1 Rn. 8). Daher kann die Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts zum Bedeutungsgehalt des § 65 Halbs. 2 BDO für die Auslegung des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG herangezogen werden. Ebenso wie früher die Anschuldigungsschrift muss die Klageschrift die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich darstellen. Dies erfordert, dass Ort und Zeit der einzelnen Handlungen möglichst genau angegeben sowie die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden. Nur eine inhaltlich derart bestimmte Klageschrift ermöglicht dem beklagten Beamten eine sachgerechte Verteidigung gegen die disziplinarischen Vorwürfe (Urteil vom 23. November 2006 – BVerwG 1 D 1.06 – Rn. 14 und 15 – zur Veröffentlichung bestimmt, Beschlüsse vom 8. März 1985 – BVerwG 1 DB 16.85 – BVerwGE 76, 347 ≪349≫ und vom 13. März 2006 a.a.O. Rn. 13).
Die inhaltlichen Vorgaben des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG tragen auch dem Umstand Rechnung, dass die Klageschrift Umfang und Grenzen der gerichtlichen Disziplinarbefugnis festlegt. Denn gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 BDG dürfen nur Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, die dem Beamten in der Klage als Dienstvergehen zur Last gelegt werden.
Soweit die Klägerin dem Beklagten vorwirft, er habe ab Mitte Januar 2002 häufig gegen die Meldepflicht bei unvorhergesehenem Nichterscheinen zum Dienst verstoßen (Anschuldigungspunkt 1), werden in der Klageschrift keine konkreten Vorkommnisse dargestellt. Dies hätte vor allem deren zeitliche Bestimmung erfordert. Stattdessen hat sich die Klägerin darauf beschränkt, den Inhalt der dienstinternen Meldepflicht, die Art und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den groben zeitlichen Rahmen des Fehlverhaltens anzugeben. Der Verweis auf die in der Disziplinarakte befindliche Aufstellung einzelner Vorkommnisse kann die fehlende Substantiierung der disziplinarischen Vorwürfe in der Klageschrift nicht ersetzen. Gleiches gilt für das Angebot, Zeugenbeweis zu erheben.
Dennoch braucht der Klägerin keine Frist zur Beseitigung des wesentlichen Mangels der Klageschrift gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 BDG gesetzt zu werden. Die damit bezweckte Nachbesserung der Klageschrift erübrigt sich, weil bereits die hinreichend substantiierten Vorwürfe des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst (Anschuldigungspunkt 2) für sich genommen zu der Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis führen (vgl. nachfolgend unter 4. und 5.).
Zwar folgt aus dem Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens, dass das Gericht alle seiner Disziplinarbefugnis unterliegenden Tatvorwürfe prüfen und die entsprechenden Sachverhalte feststellen muss, soweit es nicht von einer gesetzlichen Beschränkungsmöglichkeit Gebrauch macht (vgl. nunmehr § 56 BDG). Steht jedoch fest, dass aufgrund der nachgewiesenen Pflichtenverstöße die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auszusprechen ist, so bedarf es hinsichtlich weiterer Tatvorwürfe einer Sachaufklärung und damit einer Ergänzung der Klageschrift nicht mehr (vgl. Urteile vom 27. November 1996 – BVerwG 1 D 28.95 – BVerwGE 113, 32 ≪35 f.≫ und vom 23. November 2006 a.a.O. Rn. 21).
4. Der Beklagte hat seine Dienstleistungspflicht dadurch verletzt, dass er an den in der Klageschrift aufgeführten Arbeitstagen zwischen dem 20. März 2002 und dem 7. Mai 2004 dem Dienst vorsätzlich unerlaubt ferngeblieben ist (§ 73 Abs. 1 Satz 1, § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG). Es handelt sich ausschließlich um Abwesenheitszeiten, die nicht durch ärztliche Dienstunfähigkeitsbescheinigungen abgedeckt sind. Für die Zeit nach dem 7. Mai 2004 kann den Beklagten der Vorwurf des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst nicht mehr treffen. Denn seit der Entziehung des Sicherheitsbescheides war er aufgrund des Verbots, die Liegenschaften des BND zu betreten, gehindert, Dienst zu leisten.
Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 BBG setzt voraus, dass der Beamte nicht zum Dienst erscheint, obwohl er dienstfähig ist. Das Erfordernis der Dienstfähigkeit während der Abwesenheit stellt ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 73 Abs. 1 Satz 1 BBG dar. Solange ein Beamter nicht dienstfähig ist, ist er von der Dienstleistungspflicht entbunden, weil er sie nicht erfüllen kann. Dienstunfähig ist der Beamte, wenn er aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustandes außer Stande ist, den ihm übertragenen dienstlichen Aufgaben nachzukommen (Urteil vom 11. Oktober 2006 – BVerwG 1 D 10.05 – Rn. 34, 35 – zur Veröffentlichung bestimmt –).
Der Dienstherr kann dem Beamten aufgeben, bei der Feststellung seiner Dienstfähigkeit mitzuwirken, insbesondere Dienstunfähigkeit infolge Krankheit nachzuweisen (§ 73 Abs. 1 Satz 2 BBG). Diese Mitwirkungspflicht wird regelmäßig durch dienstinterne Regelungen konkretisiert, die den Beamten verpflichten, ein unvorhergesehenes Fernbleiben alsbald anzuzeigen und im Krankheitsfall eine ärztliche Dienstunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Erfüllt der Beamte die Pflicht zur Vorlage einer Dienstunfähigkeitsbescheinigung, so kann der Nachweis seiner Dienstfähigkeit im Regelfall jedenfalls dann nur durch die Einschaltung des Amtsarztes geführt werden, wenn die Bescheinigungen eine Diagnose enthalten (Urteil vom 11. Oktober 2006 a.a.O.). Verstößt der Beamte gegen seine Mitwirkungspflichten, weil er seine Abwesenheit nicht hinreichend begründet, insbesondere trotz behaupteter Krankheit kein ärztliches Attest vorlegt, so kann daraus im Rahmen der Beweiswürdigung auf seine Dienstfähigkeit geschlossen werden. Die Dienstfähigkeit kann als nachgewiesen gelten, wenn der Beamte durch sein Verhalten die Feststellung seines Gesundheitszustandes bewusst verhindert (Urteil vom 18. September 1997 – BVerwG 2 C 33.96 – Buchholz 237.5 § 51 HeLBG Nr. 2; Beschluss vom 19. Juli 2000 – BVerwG 1 DB 13.00 – BVerwGE 111, 246 ≪248 f.≫).
Die in der Klageschrift genannten Abwesenheitszeiten zwischen dem 20. März 2002 und dem 7. Mai 2004 und das Fehlen ärztlicher Atteste für diese Zeiten werden durch die Eintragungen in den Abwesenheitskarten für die Jahre 2002 bis 2004 belegt. Auch befinden sich in der Disziplinarakte keine ärztlichen Dienstunfähigkeitsbescheinigungen für diese Zeiten.
Der Beklagte hat lediglich zu seinen dienstlichen Abwesenheiten am 20. März, vom 24. Juni bis 11. Juli und vom 19. August bis 9. September 2002 Stellung genommen (Anhörung vom 10. Februar 2003). Seine Erklärungen sind nicht glaubhaft, weil nicht nachvollziehbar: So ist unerklärlich, warum der Beklagte von dem Orthopäden, den er am 19. März 2002 aufgesucht haben will, trotz angeblich großer Beinschmerzen nicht für den 20. März 2002 krankgeschrieben wurde. Seine Angaben zu den längeren Abwesenheitszeiten im Sommer 2002 sind konfus. Der Beklagte will längere Zeit wegen Bluthochdrucks krankgeschrieben gewesen sein, bis einer der behandelnden Ärzte gemeint habe, “es könne etwas mit dem Herzen sein”. Aus diesem Vorbringen geht nicht ansatzweise hervor, welche gesundheitlichen Defizite für welche Fehlzeiten ursächlich gewesen sein sollen.
Nach der Anhörung am 10. Februar 2003 hat sich der Beamte nicht mehr zur Sache geäußert. Er hat weder erklärt, warum er für die in der Klageschrift genannten Abwesenheitszeiten keine ärztlichen Dienstunfähigkeitsbescheinigungen eingereicht hat, noch hat er Gründe für sein Fernbleiben angegeben. Amtsärztlichen Untersuchungen, die Aufschluss über seinen gesundheitlichen Zustand hätten geben können, hat er sich entgegen dienstlichen Anordnungen unentschuldigt nicht unterzogen. Im Disziplinarklageverfahren ist der Beklagte mit Ausnahme der Erteilung der Zustellungsvollmacht untätig geblieben.
Aufgrund dieses Verhaltens des Beklagten kann der Nachweis seiner Dienstfähigkeit während der unentschuldigten Abwesenheitszeiten zwischen dem 20. März 2002 und dem 7. Mai 2004 als erbracht gelten. Die tatsächlichen Umstände geben keinen Anlass für weitere Aufklärungsbemühungen. Denn diese sind ohne die Mitwirkung des Beklagten zum Scheitern verurteilt. Seine Verweigerungshaltung seit nunmehr fast vier Jahren lässt nur den Schluss zu, dass er sein Verhalten nicht ändern wird.
Davon ausgehend fällt dem Beklagten hinsichtlich des unerlaubten Fernbleibens jedenfalls bedingter Vorsatz zur Last. Ein dienstfähiger Beamter, der ungenehmigt keinen Dienst leistet, handelt hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals “Dienstfähigkeit” mit bedingtem Vorsatz, wenn er ernsthaft für möglich hält, dienstfähig zu sein, und im Hinblick darauf billigend in Kauf nimmt, die Dienstleistungspflicht zu verletzen (Urteil vom 9. April 2002 – BVerwG 1 D 17.01 – Buchholz 232 § 73 BBG Nr. 25). Der Beklagte hat zwischen Januar 2002 und Mai 2004 eine Vielzahl ärztlicher Atteste zum Nachweis seiner vorübergehenden Dienstunfähigkeit vorgelegt. Daher kann nicht zweifelhaft sein, dass er zumindest ernsthaft damit gerechnet hat, in Zeiten ohne Krankschreibung dienstfähig zu sein.
Hinsichtlich des dritten Anschuldigungspunktes fällt dem Beklagten ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Pflicht zur Last, dienstliche Anordnungen zu befolgen (§ 55 Satz 2 BBG). An der Berechtigung zum Erlass der Anordnung vom 30. September 2003, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, kann aufgrund der umfangreichen Abwesenheitszeiten des Beklagten kein Zweifel bestehen (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 3, § 73 Abs. 1 Satz 2 BBG).
5. Welche Disziplinarmaßnahme angemessen ist, richtet sich nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten (§ 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 BDG). Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, darüber hinaus nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten und Beweggründen für sein Verhalten sowie den unmittelbaren Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gemäß § 10 BDG setzt voraus, dass der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG). Ein endgültiger Vertrauensverlust ist eingetreten, wenn eine Gesamtwürdigung der bedeutsamen Umstände ergibt, der Beamte werde auch künftig seinen Dienstpflichten nicht ordnungsgemäß nachkommen oder habe durch sein Fehlverhalten eine erhebliche, nicht wieder gutzumachende Ansehensbeeinträchtigung des Berufsbeamtentums herbeigeführt. Unter diesen Voraussetzungen ist er als Beamter nicht mehr tragbar (Urteil vom 20. Oktober 2005 – BVerwG 2 C 12.04 – BVerwGE 124, 252 ≪258 ff.≫).
Ein vorsätzliches unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst über einen Zeitraum von mehreren Monaten ist regelmäßig geeignet, das Vertrauensverhältnis zu zerstören. Gleiches muss gelten, wenn ein Beamter in der Summe umfänglich vergleichbar über mehrere Jahre immer wieder an einzelnen Tagen oder teilweise auch für mehr oder weniger länger zusammenhängende Zeiträume unerlaubt keinen Dienst leistet. Aufgrund der ohne weiteres einsehbaren Bedeutung der Pflicht, überhaupt zum Dienst zu erscheinen, offenbart ein solches Verhalten ein besonders hohes Maß an Verantwortungslosigkeit und Pflichtvergessenheit (Urteile vom 22. April 1991 – BVerwG 1 D 62.90 – BVerwGE 93, 78 ≪80 ff.≫ und vom 6. Mai 2003 – BVerwG 1 D 26.02 – juris Rn. 54 ff.). Daher ist in diesen Fällen die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis Ausgangspunkt der Überlegungen zur Bestimmung der angemessen Disziplinarmaßnahme. Die von der Schwere des Fehlverhaltens ausgehende Indizwirkung entfällt nur dann, wenn im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für gewichtige Entlastungsgründe vorliegen.
Der Beklagte ist während einer Zeit von mehr als zwei Jahren immer wieder kürzer oder länger unerlaubt dem Dienst ferngeblieben. Diese Abwesenheitszeiten zwischen dem 20. März 2002 und dem 7. Mai 2004 belaufen sich auf insgesamt 112 Arbeitstage. Dabei hat der Beklagte sein Verhalten fortgesetzt, nachdem er im Januar 2003 über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unterrichtet worden war. So ist er vom 11. Februar bis 8. April 2004 für ungefähr acht Wochen ohne Angabe eines Grundes nicht zum Dienst erschienen. Auch hält der Beklagte den Dienstherrn bewusst im Unklaren über seinen Gesundheitszustand. Anhaltspunkte für Entlastungsgründe sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Darauf ist der Beklagte in der Ladung zur mündlichen Verhandlung hingewiesen worden.
Die Gesamtbetrachtung des Verhaltens des Beklagten bis Mai 2004 ergibt, dass er im Hinblick auf die Erfüllung der Dienstleistungspflicht äußerst unzuverlässig ist. Der bisherige Verlauf lässt nur den Schluss zu, dass der Beklagte sein pflichtwidriges Verhalten auch in Zukunft nicht ändern würde. Dies schließt eine Fortsetzung des Beamtenverhältnisses aus.
6. Der gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 BDG kraft Gesetzes vorgesehene Unterhaltsbeitrag in Höhe von 50 % der Dienstbezüge für die Dauer von sechs Monaten ist gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 BDG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht von Amts wegen die Gewährung des Unterhaltsbeitrags ganz oder teilweise ausschließen, soweit der Beamte ihrer nicht würdig oder den erkennbaren Umständen nach nicht bedürftig ist. Der gesetzliche Begriff der Unwürdigkeit gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 BDG entspricht demjenigen der Vorgängerregelung des § 77 Abs. 1 Satz 1 BDO (vgl. dazu BTDrucks 14/4659 S. 37), so dass auf die dazu ergangene Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts zurückgegriffen werden kann. Danach ist Unwürdigkeit anzunehmen, wenn feststeht, dass sich der Beamte vom Dienstherrn dauerhaft gelöst hat (Urteil vom 1. Juni 1999 – BVerwG 1 D 49.97 – BVerwGE 113, 337 ≪339≫).
Die Verweigerungshaltung des Beklagten, die über sein Schweigerecht hinsichtlich der Vorwürfe weit hinausgeht, lässt darauf schließen, dass er schon seit langem jedes Interesse an der Fortsetzung des Beamtenverhältnisses verloren hat. So hat er sich seit der Anhörung vom 10. Februar 2003, d.h. seit nunmehr fast vier Jahren nicht zu den disziplinarischen Vorwürfen geäußert, ohne einen Grund dafür anzugeben. Zu den Vorwürfen aus den Jahren 2003 und 2004 hat er überhaupt nicht Stellung genommen. Amtsärztliche Untersuchungstermine hat er weisungswidrig unentschuldigt nicht wahrgenommen, ohne dieses Verhalten zu erklären. Auch die Hinweise des Senats auf die Schwere der Vorwürfe und die disziplinarrechtlichen Folgen einer weiteren Untätigkeit haben ihn nicht bewegen können, sein Verhalten zu ändern.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 Satz 1, § 78 Abs. 2 BDG.
Unterschriften
Albers, Dr. Müller, Groepper, Dr. Bayer, Dr. Heitz
Fundstellen
Haufe-Index 1727338 |
ZBR 2007, 321 |
DVBl. 2007, 781 |