Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzneimittel. Lebensmittel. Nahrungsergänzungsmittel. Beeinflussung der physiologischen Funktionen. pharmakologische Wirkung. Funktionsarzneimittel. Präsentationsarzneimittel. Bakterienkulturen. probiotische Lebensmittel
Leitsatz (amtlich)
1. Die Anwendung eines Produkts beeinflusst die physiologischen Funktionen des menschlichen Körpers im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Arzneimitteldefinition nur, wenn sie zu einer erheblichen Veränderung der Funktionsbedingungen des Organismus führt und Wirkungen hervorruft, die außerhalb der normalen im menschlichen Körper ablaufenden Lebensvorgänge liegen.
2. Die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel setzt voraus, dass die ihm zugeschriebenen Wirkungen durch belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse belegt sind.
Normenkette
LFGB §§ 2, 6, 54 Abs. 1; Richtlinie 2001/83/EG Art. 1 Nr. 2; Richtlinie 2004/27/EG; VO (EG) 178/2002 Art. 2
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 17.03.2006; Aktenzeichen 13 A 1977/02) |
VG Köln (Entscheidung vom 27.02.2002; Aktenzeichen 9 K 5765/97) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. März 2006 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Klägerin vertreibt seit dem Frühjahr 1997 in Deutschland das in den Niederlanden hergestellte und als Nahrungsergänzungsmittel im Verkehr befindliche Produkt “Lactobact omni FOS” als Nahrungsergänzungsmittel und probiotisches Lebensmittel. Nach der Produktbeschreibung handelt es sich um ein Pulver, das aus Kohlehydraten (87 %), Oligofructose (= FOS, 5 %), Bakterien sechs verschiedener Arten sowie weiteren Zutaten besteht. In einem Gramm Pulver sind 1 Milliarde gefriergetrocknete lebende bzw. lebensfähige Bakterien (Keime) enthalten. Bei dem Produkt handelt es sich laut Beschreibung um ein “Nahrungsergänzungsmittel zur gezielten Versorgung mit Bakterienkulturen und Ballaststoffen”. Es soll in Wasser eingerührt (zwei Gramm Pulver entsprechend zwei mal ein Dosierlöffel in ein halbes Glas) möglichst täglich morgens und abends getrunken oder aber mittels eines Joghurtbereiters zur Herstellung eines probiotischen Joghurts (vier mal ein Dosierlöffel auf einen Liter Milch) benutzt werden. Die Eigenschaften des Produkts werden u.a. dahingehend beschrieben, dass es zur Stärkung einer ausgewogenen Darmflora beitrage und die natürliche Darmflora in ihren Funktionen z.B. bei der Verdauung und der Verdrängung von unerwünschten Keimen unterstütze.
Im Juni 1996 hatte die Klägerin bei dem damals zuständigen Bundesgesundheitsministerium einen Antrag auf Erlass einer Allgemeinverfügung nach § 47a des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (LMBG) gestellt. Dazu wies sie darauf hin, dass es in Deutschland eine Reihe von weiteren probiotischen Nahrungsergänzungsmitteln gebe und die in dem Produkt enthaltenen Bakterienkulturen sowohl im Darm vorkämen als auch sonst bei der Lebensmittelherstellung Verwendung fänden.
Das vom Ministerium beteiligte seinerzeitige Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin äußerte, bei dem Produkt handele es sich um ein Arzneimittel, weil die zugeführten Stoffe überwiegend zu anderen Zwecken als zur Ernährung oder zum Genuss dienten und die Bakterienkulturen vor allem als Einzelstoffe oder in Kombination in Magen-Darm-Mitteln verwendet würden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte schloss sich dieser Auffassung an und bestätigte, dass Präparate mit Lactobacillus-Arten oder Enterococcus faecalis als Arzneimittel zugelassen seien oder als zugelassen gälten.
Mit Bescheid vom 2. Juni 1997 lehnte die Beklagte die Erteilung der beantragten Allgemeinverfügung unter Hinweis auf die eingeholten Stellungnahmen mit der Begründung ab, dass es sich bei dem Produkt um ein Arzneimittel handele.
Mit ihrer Verpflichtungsklage hat die Klägerin ergänzend vorgetragen, das Produkt enthalte lebensmitteltypische Mikroorganismen (Joghurtkulturen), die in Milchprodukten, Käse und Wurst vorkämen. Bei der empfohlenen Verzehrmenge sei die Anzahl der aufgenommenen Bakterien nicht größer als bei dem Verzehr eines probiotischen Joghurts. Die enthaltenen Organismen seien lebensnotwendig und müssten mit der täglichen Ernährung zugeführt werden, weil der Körper sie nicht selbst bilden könne. Sie wirkten ernährungsphysiologisch, nicht aber pharmakologisch, und seien damit Nährstoffe.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 27. Februar 2007 abgewiesen mit der Begründung, bei dem Produkt handele es sich um ein Arzneimittel.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihr Begehren auf die Feststellung umgestellt, dass das Produkt “Lactobact omni FOS” nach § 54 Abs. 1 Satz 1 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) nach Deutschland verbracht und hier in Verkehr gebracht werden darf. Hilfsweise hat sie den Verpflichtungsantrag weiter verfolgt.
Das Berufungsgericht hat dem Europäischen Gerichtshof verschiedene Fragen zur Auslegung der ursprünglichen Fassung der Arzneimittelrichtlinie 2001/83/EG zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Gerichtshof hat durch Urteil vom 9. Juni 2005 – Rs. C-211/03 u.a., HLH und Orthica – (Slg. I-5141, 5230 f.) wie folgt geantwortet:
“…
3. Auf ein Erzeugnis, das sowohl die Voraussetzungen eines Lebensmittels als auch diejenigen eines Arzneimittels erfüllt, sind nur die speziell für Arzneimittel geltenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden.
4. Die pharmakologischen Eigenschaften eines Erzeugnisses sind der Faktor, aufgrund dessen die mitgliedstaatlichen Behörden ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten dieses Erzeugnisses zu beurteilen haben, ob es im Sinne des Artikels 1 Nummer 2 Absatz 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel dazu bestimmt ist, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden. Die Gesundheitsgefahr, die die Verwendung eines Erzeugnisses nach sich ziehen kann, ist ein eigenständiger Faktor, den die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen der Einstufung dieses Erzeugnisses als Arzneimittel ebenfalls zu berücksichtigen haben.
5. Ein Erzeugnis, das ein Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/83 darstellt, kann nur dann in einen anderen Mitgliedstaat eingeführt werden, wenn eine gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen erwirkt wurde, und zwar auch dann, wenn das Erzeugnis in einem anderen Mitgliedstaat als Lebensmittel in zulässiger Weise vertrieben wird.
6. Dem Begriff der ‘sicheren Höchstmengen’ in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2002/46 kommt für die Zwecke der Unterscheidung zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln keine Bedeutung zu.”
Das Berufungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil durch Urteil vom 17. März 2006 geändert und der Feststellungsklage stattgegeben. Dazu hat es ausgeführt, das streitige Produkt sei nach der Definition des § 2 Abs. 2 LFGB i.V.m. Art. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl Nr. L 31 S. 1) – BasisVO – ein Lebensmittel. Die Ausschlussregelung des Art. 2 Satz 3 Buchst. d der Verordnung greife nicht ein, weil es kein Arzneimittel im Sinne der dort in Bezug genommenen Richtlinie sei. Für die erforderliche Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln seien die in Art. 1 Nr. 2b der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl Nr. L 311 S. 67) in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31. März 2004 (ABl Nr. L 136 S. 34) verwendeten Begriffe der Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen und der pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Wirkung unergiebig. Der Senat stelle daher für die Einordnung als Funktionsarzneimittel entscheidend darauf ab, ob das Produkt geeignet sei, einen therapeutischen Zweck zu erfüllen. Dies könne nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft nicht angenommen werden. Nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft sei bereits eine Eignung der in dem streitigen Produkt enthaltenen Bakterien zur Erfüllung eines therapeutischen Zwecks nicht festzustellen. Dabei könne nicht generell auf probiotische Bakterien abgestellt werden, sondern es seien – soweit bekannt – jeweils die einzelnen Stämme der in Rede stehenden Bakterienart in den Blick zu nehmen. Nach den einschlägigen Publikationen könne hier weder für einen Stamm noch für eine Kombination mehrerer Stämme der in dem Produkt enthaltenen Bakterienarten eine Eignung zur Erfüllung eines therapeutischen Zwecks im Hinblick auf eine bestimmte medizinische Indikation angenommen werden. Regulär zugelassene Arzneimittel, die als Wirkstoff ausschließlich eine oder mehrere der in dem Produkt enthaltenen Bakterienarten aufwiesen, seien nicht ersichtlich. Auch die übrigen Umstände sprächen nicht für, sondern gegen eine Arzneimitteleigenschaft. Insbesondere gebe es auf dem deutschen Markt eine große Zahl weitgehend gleicher Produkte, die als Lebensmittel vertrieben würden. Risiken, die mit dem Verzehr verbunden sein könnten, seien nicht ersichtlich.
Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin das Ziel der Klageabweisung. Sie meint, das Berufungsgericht habe die Definition des Arzneimittels verkannt, indem es ein Arzneimittel nur bei Eignung zur Erfüllung eines therapeutischen Zwecks angenommen habe. Stattdessen hätte die pharmakologische Wirkung des streitigen Produkts geprüft werden müssen. Diese Prüfung hätte zu einer Bejahung der pharmakologischen Wirkung geführt, da das streitige Produkt die Darmflora durch die Ansiedlung zusätzlicher Bakterien verändere. Diese Einwirkung sei auch nennenswert.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet. Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass das Produkt “Lactobact omni FOS” nach Deutschland verbracht und hier in den Verkehr gebracht werden darf, verletzt kein Bundesrecht.
1. Unmittelbare Grundlage für die Beurteilung des Begehrens der Klägerin ist § 54 Abs. 1 Satz 1 LFGB. Danach dürfen Lebensmittel, kosmetische Mittel oder Bedarfsgegenstände, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum rechtmäßig hergestellt oder rechtmäßig in den Verkehr gebracht werden, in das Inland verbracht und hier in den Verkehr gebracht werden, auch wenn sie den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Vorschriften für Lebensmittel, kosmetische Mittel oder Bedarfsgegenstände nicht entsprechen. Lebensmittel, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union rechtmäßig im Verkehr sind, sind danach grundsätzlich auch in der Bundesrepublik Deutschland verkehrsfähig, ohne dass es auf die Übereinstimmung mit den hier geltenden Bestimmungen ankäme.
Das von der Klägerin vertriebene Erzeugnis “Lactobact omni FOS” wird unstreitig in den Niederlanden mit Billigung der dortigen Behörden als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebracht. Es handelt sich auch um ein Lebensmittel im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 LFGB. § 2 Abs. 2 LFGB verweist für den Begriff “Lebensmittel” auf die Definition in Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002. Das deutsche Recht übernimmt also uneingeschränkt diese gemeinschaftsrechtliche Definition. Art. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl Nr. L 31 S. 1) – BasisVO – bestimmt, dass Lebensmittel im Sinne dieser Verordnung alle Stoffe oder Erzeugnisse sind, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Dieser außerordentlich weiten Definition entspricht das streitige Produkt, da es dazu bestimmt ist, von Menschen verzehrt zu werden.
2. Art. 2 Satz 3 Buchst. d BasisVO schränkt den Begriff des Lebensmittels aber dahin ein, dass Arzneimittel im Sinne der Richtlinien 65/65/EWG und 92/73/EWG nicht zu den Lebensmitteln gehören. Ein Produkt, das die für Arzneimittel geltende Definition der genannten Richtlinien erfüllt, ist mithin kein Lebensmittel. Zwar sind die in Bezug genommenen Richtlinien 65/65/EWG und 92/73/EWG durch Art. 128 Satz 1 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl Nr. L 311 S. 67) aufgehoben worden. Satz 2 dieser Vorschritt bestimmt aber, dass Bezugnahmen auf die aufgehobenen Richtlinien als Bezugnahme auf die vorliegende Richtlinie gelten. Art. 2 Satz 3 Buchst. d der BasisVO verweist folglich nunmehr wegen der Arzneimitteldefinition auf Art. 1 Nr. 2 des Gemeinschaftskodexes in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31. März 2004 (ABl Nr. L 136 S. 34).
Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG enthält für den Begriff des Arzneimittels alternativ zwei Definitionen. Zum einen sind (a) Arzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind. Zum anderen sind (b) Arzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen. Diese zweifache Definition nimmt die seit langem das Gemeinschaftsrecht kennzeichnende Unterscheidung zwischen den sog. Präsentationsarzneimitteln (Arzneimittel nach Bezeichnung) und den Funktionsarzneimitteln (Arzneimittel nach Funktion) auf. In diesem Sinne bezeichnet die Ausgangsfassung der Richtlinie 2001/83/EG als Arzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet werden, sowie alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden. Die nunmehr geltende Definition enthält zwar in ihrer ersten Alternative nicht mehr das Merkmal des Bezeichnens, sondern verwendet stattdessen den Ausdruck “Bestimmen”. Der ansonsten weitgehend übereinstimmende Wortlaut und die beibehaltene Systematik zweier unterschiedlicher Arzneimitteldefinitionen legen aber den Schluss nahe, dass damit weiterhin das Präsentationsarzneimittel gemeint ist. Aus denselben Gründen findet sich in der zweiten Definition das bekannte Funktionsarzneimittel wieder (Urteil vom 14. Dezember 2006 – BVerwG 3 C 40.05 – Buchholz 418.710 LFGB Nr. 2 Rn. 18).
3. Zu Unrecht meint die Beklagte, das Erzeugnis Lactobact omni FOS sei wegen seines Gehalts an Bakterien als Funktionsarzneimittel anzusehen. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines Funktionsarzneimittels zu Recht verneint. Dabei hat es allerdings auf eine Subsumtion unter die gemeinschaftsrechtliche Arzneimitteldefinition – die Definitionen des § 2 Abs. 1 AMG spielen nach der oben wiedergegebenen Normenkette hier keine Rolle – mit der Begründung verzichtet, für die Abgrenzung von Arzneimitteln und Lebensmitteln seien die dort verwendeten Begriffe unergiebig. Stattdessen hat es auf das Vorliegen eines therapeutischen Zwecks abgestellt. Der Revision ist zuzugeben, dass dieses Vorgehen rechtssystematisch bedenklich ist. Es ist auch inhaltlich nicht gerechtfertigt. Es verkennt, dass die in der gemeinschaftsrechtlichen Definition des Arzneimittels vorkommenden Begriffe vom Europäischen Gerichtshof wiederholt zur Abgrenzung der Arzneimittel von anderen Produkten wie Vitaminpräparaten herangezogen worden sind. So sind die pharmakologischen Eigenschaften eines Stoffes im Sinne seiner Wirkmöglichkeiten seit 1983 in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs das wichtigste Kriterium für die Einordnung eines Stoffes als Arzneimittel (vgl. Urteile vom 30. November 1983 – Rs. 227/82, van Bennekom – Slg. S. 3883, 3903 und vom 16. April 1991 – Rs. C-112/89, Upjohn – Slg. I-1703, 1742). Dies hat der Europäische Gerichtshof gerade auch in der vom Berufungsgericht eingeholten Vorabentscheidung (Urteil vom 9. Juni 2005 – Rs. C-211/03 u.a., HLH und Orthica – Slg. I-5186, 5217) noch einmal ausdrücklich betont. Darauf bauen die in Rede stehenden Vorschriften bewusst auf. Die Änderungsrichtlinie 2004/27/EG hat die pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung ausdrücklich in die Definition des Arzneimittels einbezogen. Nach der 7. Begründungserwägung ist dies geschehen, um zu vermeiden, dass Zweifel an den anzuwendenden Rechtsvorschriften auftreten, wenn ein Produkt, das vollständig von der Definition des Arzneimittels erfasst wird, möglicherweise auch unter die Definition anderer regulierter Produkte fällt. Auch im deutschen Recht findet der Begriff der pharmakologischen Wirkung Verwendung (vgl. § 10 LFGB). Die Rechtsordnung geht mithin davon aus, dass es sich um einen Begriff handelt, der für einen bestimmten Inhalt steht und der die Abgrenzung zu Stoffen ermöglicht, die nicht zu den Arzneimitteln zählen. Die Entscheidung, ob ein bestimmtes Erzeugnis ein Funktionsarzneimittel ist, kann mithin – abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Mitteln zur Diagnoseerstellung – nicht auf die Prüfung verzichten, ob es im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden kann, um die menschlichen physiologischen Funktionen wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen, und ob dies durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung erreicht wird. Das schließt die Möglichkeit ein, diese Begriffe unter Umständen einschränkend auszulegen, soweit dies nach dem Sinn und Zweck der Regelung oder aus anderen Gründen geboten ist.
Richtig ist an den Ausführungen des Berufungsgerichts allerdings, dass ein Erzeugnis, das geeignet ist, therapeutische Zwecke zu erfüllen, in jedem Fall ein Arzneimittel ist. Dies ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs seit langem anerkannt (vgl. Urteile vom 30. November 1983, van Bennekom a.a.O. Rn. 27 und vom 29. April 2004 – Rs. C-150/00, Kommission/Österreich Slg. I-3887, 3912 Rn. 63) und entspricht auch der Auffassung des Senats (Urteil vom 14. Dezember 2006 a.a.O. Rn. 23). Fehlt diese Eignung, so ist nicht ausgeschlossen, dass es sich dennoch um ein Funktionsarzneimittel handelt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2002 – I ZR 34/01 – BGHZ 151, 286).
4. a) Die hiernach gebotene Prüfung ergibt, dass es sich bei Lactobact omni FOS nicht um ein Funktionsarzneimittel handelt. Zwar ist es dazu bestimmt, von Menschen eingenommen zu werden; dies geschieht aber nicht zu dem Zweck deren physiologische Funktionen wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen.
Die menschlichen physiologischen Funktionen sind die normalen Lebensvorgänge, die im menschlichen Körper ablaufen (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Aufl., “Physiologie”; Duden, Das Wörterbuch medizinischer Fachausdrücke, 7. Aufl. 2003, “Physiologie”; Brockhaus, Enzyklopädie, 21. Aufl., Bd. 29 “Physiologie”). Diese müssen durch die Anwendung des Mittels wiederhergestellt, korrigiert oder beeinflusst werden. Das Berufungsgericht hält diesem Merkmal insbesondere im Hinblick darauf, dass schon eine Beeinflussung ausreicht, eine konturenlose Weite vor. Geht man allein vom gewöhnlichen Wortsinn aus, so ist dem schwerlich zu widersprechen (vgl. auch Urteil vom 16. Mai 2007 – BVerwG 3 C 34.06 – Rn. 28). Schon die Tatsache, dass der Begriff “beeinflussen” in einem Atemzug neben “wiederherstellen” und “korrigieren” verwendet wird, lässt jedoch erkennen, dass damit nicht jede beliebige und noch so geringfügige Veränderung, die sich innerhalb der Spannweite des Normalen abspielt, erfasst sein soll. Die Wiederherstellung der physiologischen Funktionen setzt voraus, dass die normalen Lebensvorgänge nicht mehr ordnungsgemäß ablaufen. Auch von einer Korrektur kann nur bei einer Abweichung vom normgemäßen – normalen – Funktionieren des Organismus die Rede sein. Da die Beeinflussung der physiologischen Funktionen diesen beiden Vorgängen ergänzend hinzugefügt und damit gleichgestellt wird, muss auch sie zu einer Veränderung führen, die außerhalb der normalen im menschlichen Körper ablaufenden Lebensvorgänge liegt. Das entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Im Urteil vom 16. April 1991, Upjohn (a.a.O. Rn. 22) hat er ausgeführt, das in Rede stehende Kriterium erlaube es nicht, Stoffe einzubeziehen, die – wie bestimmte Kosmetika – zwar auf den menschlichen Körper einwirken, sich aber nicht nennenswert auf den Stoffwechsel auswirken und somit dessen Funktionsbedingungen nicht wirklich beeinflussen. Der Gerichtshof lässt es mithin nicht genügen, dass die Einnahme eines Stoffes Einfluss auf die menschliche Physiologie hat. Das geschieht in der Tat mit jeder Nahrungsaufnahme. Er verlangt vielmehr eine wirkliche Veränderung der Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers und eine nennenswerte Auswirkung auf den Stoffwechsel. Das legt es nahe, schon auf dieser Ebene die Einschränkungen vorzunehmen, die nötig sind, um Arzneimittel sinnvoll von Lebensmitteln abgrenzen zu können.
b) Die Beklagte möchte die Arzneimitteleigenschaft des streitigen Stoffes hingegen am Merkmal der pharmakologischen Wirkung festmachen. Fehlt es schon an einer Beeinflussung der physiologischen Funktionen, so kommt es auf dieses Merkmal nicht mehr an. Das bedarf hier jedoch keiner weiteren Erörterung, weil die Rechtsprechung bisher den Begriff der pharmakologischen Wirkung in demselben Sinne einschränkend ausgelegt hat, wie es vorstehend im Blick auf die Beeinflussung der physiologischen Funktionen geschehen ist. In seinem Urteil vom 14. Dezember 2006 – BVerwG 3 C 40.05 – (a.a.O. Rn. 22) hat der Senat ausgeführt, die pharmakologische Wirkung stelle eine gezielte Steuerung von Körperfunktionen von außen dar; sie sei nicht mit der unspezifischen Aufnahme von Nährstoffen über natürliche Nahrungsmittel vergleichbar, bei der der Körper die benötigten Bestandteile selbst identifiziere und modifiziere. Dies korrespondiere mit der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte, eine pharmakologische Wirkung liege vor, wenn die Wirkungen eines Produkts über dasjenige hinausgingen, was physiologisch auch durch Nahrungsaufnahme im menschlichen Körper ausgelöst werde. Im Urteil vom 16. Mai 2007 – BVerwG 3 C 34.06 – (Rn. 29) hat er hinzugefügt, dass pharmakologische oder metabolische Wirkungen eines Stoffes nur dann dessen Zuordnung zu den Arzneimitteln rechtfertigen, wenn sie die Erheblichkeitsschwelle überschreiten.
c) Die erhebliche Beeinflussung der Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers und das Vorliegen erheblicher pharmakologischer Wirkungen müssen durch belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse belegt sein. Das ist hier nicht der Fall.
Nach Auffassung der Beklagten reicht es zur Bejahung der Arzneimitteleigenschaft aus, wenn es wissenschaftliche Aussagen gibt, die bestimmte Wirkungen des Produkts nahe legen. Das Berufungsgericht betont hingegen, es sei zwar kein positiver Wirksamkeitsnachweis erforderlich, wie er Voraussetzung einer Arzneimittelzulassung sei; es müsse aber zumindest ein halbwegs gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisstand vorliegen, der einen tragfähigen Rückschluss auf die Wirkungen des Produkts erlaube.
Die Auffassung des Berufungsgerichts trifft zu. Es geht nicht an, zum Verzehr bestimmte Produkte “auf Verdacht” den Arzneimitteln zuzurechnen. Anderenfalls würde vielen Produkten ohne hinreichenden Grund endgültig die Verkehrsfähigkeit genommen, weil wegen fehlender Nachweisbarkeit der therapeutischen Wirksamkeit eine Arzneimittelzulassung in aller Regel nicht in Betracht kommt. Durch die abweichende Praxis der Beklagten wird insbesondere bei aus anderen Mitgliedstaaten der EU eingeführten Produkten das für Lebensmittel gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebene Verfahren der Einigung zwischen den Mitgliedstaaten bei unterschiedlicher Auffassung über die Verkehrsfähigkeit umgangen (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed in der Sache HLH und Orthica, Slg. 2005 I-5147, 5167 Rn. 49).
In seinen Schlussanträgen zu der vom Berufungsgericht eingeholten Vorabentscheidung hat der Generalanwalt deshalb ausdrücklich vor einer zu extensiven Auslegung und Anwendung der Definition des Arzneimittels gewarnt (a.a.O. Rn. 35, 36). Er hat gefordert, es müsse eine ausreichende Sicherheit dafür bestehen, dass Produkte, die angeblich eine Wirkung als Arzneimittel haben, diese Wirkung auch tatsächlich aufweisen. Sowohl für die besonderen Gefahren als auch für die Wirkung als Arzneimittel gelte, dass ihr Vorliegen anhand von Informationen zu prüfen sei, die auf soliden wissenschaftlichen Untersuchungen beruhten.
Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Schon im Urteil vom 30. November 1983, van Bennekom (a.a.O. Rn. 29) hat er ausgesprochen, die Qualifizierung eines Vitamins als Funktionsarzneimittel müsse unter Berücksichtigung der beim jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse feststehenden pharmakologischen Eigenschaften eines jeden Vitamins vorgenommen werden. Ebenso heißt es im Urteil vom 16. April 1991, Upjohn (a.a.O. Rn. 23), das nationale Gericht habe bei der erforderlichen Qualifizierung die pharmakologischen Eigenschaften des betreffenden Erzeugnisses, so wie sie beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse festgestellt werden könnten, zu berücksichtigen. In zwei Urteilen vom 29. April 2004 (– Rs. C-150/00, Kommission/Österreich – Slg. I-3887, 3912 Rn. 65 und – Rs. C-387/99, Kommission/Deutschland – Slg. I-3773, 3791 Rn. 58) hat der Europäische Gerichtshof gefordert, die Behörden müssten sich “vergewissern”, dass das Produkt zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen bestimmt sei und somit Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen haben könne.
Erwägungen des Gesundheitsschutzes können die extensive Praxis der Beklagten nicht rechtfertigen. Soweit tatsächlich gesundheitliche Risiken bestehen, bietet das in Art. 7 BasisVO festgelegte Vorsorgeprinzip eine geeignete Handhabe, ihnen bei der Einordnung eines Produkts als Lebensmittel effektiv zu begegnen. Selbst solche Risiken wären daher kein Grund, der zwingend für die Einstufung als Arzneimittel spräche.
d) Geht man von diesen Grundsätzen aus, so ist für die Annahme, das streitige Produkt sei ein Arzneimittel, kein Raum. Wie oben dargelegt verlangt der Begriff des Arzneimittels eine erhebliche Veränderung der Funktionsbedingungen des Organismus; es muss Wirkungen hervorrufen, die außerhalb der normalen im menschlichen Körper ablaufenden Lebensvorgänge liegen. Daran fehlt es, wenn das Produkt nicht über das hinausgeht, was auch mit der normalen Nahrungsaufnahme an Einwirkungen auf den Körper erzielt werden kann. In diesem Zusammenhang ist es als allgemeinkundig anzusehen und auch vom Berufungsgericht festgestellt, dass eine große Zahl von Joghurtprodukten mit starker Bakterienanreicherung auf dem Markt ist. Die Beklagte bestreitet nicht, dass das streitige Produkt sich nicht anders auf den Organismus auswirkt als die genannten Produkte. Allein der Hinweis, dass bestimmte Bakterienstämme auch in zugelassenen Arzneimitteln Verwendung fänden, vermag unter diesen Umständen den Charakter des Produkts nicht zu verändern, zumal Risiken seiner Verwendung nicht ersichtlich sind.
Die abweichende Beurteilung der Beklagten beruht zum einen auf der früheren Definition des Lebensmittels, die voraussetzte, dass das Produkt überwiegend zu Ernährungs- oder Genusszwecken eingenommen werde. Damit war jedes Produkt, das diese beiden Zwecke nicht oder jedenfalls nicht überwiegend aufwies, automatisch ein Arzneimittel. Inzwischen hat der Gesetzgeber die Systematik grundlegend geändert, so dass nunmehr das Schwergewicht auf der positiven Feststellung der Arzneimitteleigenschaft liegt. Zum anderen war bei Beginn der Auseinandersetzungen der Markterfolg vergleichbarer Produkte wie etwa “Actimel” noch nicht erkennbar. Auch insoweit haben sich die Beurteilungsgrundlagen entscheidend verändert.
5. Fehl geht auch die Auffassung der Beklagten, jedenfalls sei das streitige Produkt als Präsentationsarzneimittel zu betrachten. Sie meint, nach seiner Bezeichnung sei es ein Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten. Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das streitige Produkt ausdrücklich als Nahrungsergänzungsmittel angeboten werden soll. Der Bundesgerichtshof hat mehrfach betont, ein verständiger Durchschnittsverbraucher werde im Allgemeinen nicht annehmen, dass ein als Nahrungsergänzungsmittel angebotenes Produkt tatsächlich ein Arzneimittel sei, wenn es in der empfohlenen Dosierung keine pharmakologischen Wirkungen habe (Urteile vom 10. Februar 2000 – I ZR 97/98 – ZLR 2000, 375 = LRE 38 S. 157 und vom 11. Juli 2002 – I ZR 273/99 – ZLR 2002, 660 = LRE 44 S. 253). Dem ist zuzustimmen. Es kommt hinzu, dass die zahlreichen Produkte mit Bakterienkulturen die öffentliche Einschätzung dahin prägen, dass solche Kulturen das Produkt noch nicht zu einem Arzneimittel machen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Kley, van Schewick, Dr. Dette, Liebler, Prof. Dr. Rennert
Fundstellen
ZLR 2007, 772 |
PharmaR 2008, 78 |
LMuR 2008, 47 |