Entscheidungsstichwort (Thema)

Erziehungsurlaub. Maßgeblichkeit der Bewilligung von Erziehungsgeld für den Anspruch auf Erziehungsurlaub

 

Leitsatz (amtlich)

Für den Anspruch auf Gewährung von Erziehungsurlaub nach der Erziehungsurlaubsverordnung für das Land Schleswig-Holstein ist die Bewilligung von Erziehungsgeld – sei es durch Verwaltungsakt oder durch sozialgerichtliches Urteil – maßgebend.

 

Normenkette

BErzGG Fassung 1985 § 13; BErzGG Fassung 1985 § 16 Abs. 5; ErzUVO Schleswig-Holstein §§ 1, 3 Abs. 4; SGG § 141

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 21.11.1991; Aktenzeichen 3 L 193/91)

VG Schleswig-Holstein (Gerichtsbescheid vom 18.10.1989; Aktenzeichen 11 A 159/89)

 

Tenor

Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 21. November 1991, der Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 18. Oktober 1989, der Bescheid des Beklagten zu 1 vom 8. Juni 1988 und der Bescheid der Beklagten zu 2 vom 15. Juli 1988, soweit er die Zeit vom 1. August 1988 bis 2. Mai 1989 betrifft, beide in der Form des Widerspruchsbescheides der Beklagten zu 2 vom 7. März 1989 werden aufgehoben.

Die Beklagten werden verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 1. August 1988 bis 2. Mai 1989 Erziehungsurlaub zu gewähren.

Die Beklagten tragen die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin ist Lehrerin im Dienst des Landes Schleswig-Holstein. Sie beantragte beim Beklagten zu 1, dem Schulamt des Kreises, die Gewährung von Erziehungsurlaub nach dem Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (BundeserziehungsgeldgesetzBErzGG –) vom 6. Dezember 1985 (BGBl I S. 2154) und führte zur Begründung aus, sie beabsichtige zusammen mit ihrem Ehemann ein am 25. August 1987 geborenes Kind zu adoptieren, das sich voraussichtlich ab dem 3. Mai 1988 zur Pflege in ihrem Haushalt befinden werde. Mit Bescheid vom 8. Juni 1988 lehnte der Beklagte zu 1 diesen Antrag mit der Begründung ab, nach § 1 der Landesverordnung über den Erziehungsurlaub der Beamten vom 26. Juni 1986 (GVOBl S. 151) habe ein Beamter mit Dienstbezügen nur dann Anspruch auf Erziehungsurlaub ohne Bezüge, wenn gleichzeitig ein Anspruch auf Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz bestehe. Anspruch auf Erziehungsgeld bestehe nach § 4 dieses Gesetzes für ein Kind, das vor dem 31. Dezember 1987 geboren wurde, nur bis zur Vollendung seines 10. Lebensmonats. Das von der Klägerin adoptierte Kind vollende den 10. Lebensmonat am 24. Juni 1988, so daß ab 1. August 1988 weder Erziehungsgeld noch Erziehungsurlaub gewährt werden könne. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein. Außerdem beantragte sie unter Bezugnahme auf ihren Antrag auf Erziehungsurlaub hilfsweise, ihr für den Zeitraum vom 1. August 1988 bis zum 31. Juli 1989 Urlaub nach § 88 a LBG zu gewähren. Daraufhin gewährte die Beklagte zu 2, damals die Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, der Klägerin mit Bescheid vom 15. Juli 1988 gemäß § 88 a Abs. 1 Nr. 3 LBG Urlaub unter Fortfall der Dienstbezüge für die Zeit vom 1. August 1988 bis zum 31. Juli 1989. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin ebenfalls Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 7. März 1989 hat die Beklagte zu 2 die Widersprüche der Klägerin gegen die Bescheide vom 8. Juni und 15. Juli 1988 zurückgewiesen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat Berufung eingelegt und zur Begründung geltend gemacht: Das Sozialgericht Kiel habe das Land Schleswig-Holstein durch ein rechtskräftiges Urteil vom 9. Oktober 1990 – S 4 E 17/89 – verpflichtet, ihr unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide Erziehungsgeld für das Kind vom 1. August bis 2. November 1988 zu gewähren. Die Beschränkung bis zum 2. November 1988 ergebe sich daraus, daß die Gewährung von Erziehungsgeld ab dem 7. Monat einkommensabhängig sei. Bei niedrigeren Einkünften wäre ihr bis zum 2. Mai 1989 ein Anspruch auf Erziehungsgeld zuerkannt worden. Entsprechend sei auch Erziehungsurlaub zu gewähren. Das Berufungsgericht hat die Berufung im wesentlichen mit folgender Begründung zurückgewiesen: Durch das Gesetz zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften vom 30. Juni 1989 werde Erziehungsgeld nunmehr auch für angenommene Kinder im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 von der Inobhutnahme an für die jeweils geltende Bezugsdauer, längstens bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres gewährt, wenn das Kind nach dem 30. Juni 1989 geboren sei (§ 4 Abs. 1 Satz 3 BErzGG). Diese inhaltliche Änderung des BErzGG mache deutlich, daß nicht nur nach dem eindeutigen Wortlaut des § 4 Abs. 1 BErzGG a.F., sondern auch nach dem Willen des Gesetzgebers Stichtag für die Gewährung des Erziehungsgeldes nach altem Recht der Tag der Geburt des Kindes sei. Die diesbezüglichen Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts teile der Senat nicht. Sie widersprächen dem klaren Wortlaut des § 4 Abs. 1 BErzGG a.F. Das Urteil des Sozialgerichts entfalte auch keine Bindungswirkung für den vorliegenden Rechtsstreit. Beteiligte des sozialgerichtlichen Rechtsstreits seien die Klägerin und das Land Schleswig-Holstein, vertreten durch das Landesversorgungsamt Schleswig-Holstein gewesen. Nur diese Beteiligten seien an die vom Sozialgericht getroffene Entscheidung gebunden (§ 141 Abs. 1 SGG).

Die Klägerin hat die vom Bundesverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt und beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagten zu verpflichten, ihr in der Zeit vom 1. August 1988 bis 2. Mai 1989 Erziehungsurlaub zu bewilligen.

Die Beklagten treten der Revision entgegen. Sie verteidigen im wesentlichen das angefochtene Urteil.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet.

Das Verpflichtungsbegehren der Klägerin ist trotz des inzwischen eingetretenen Zeitablaufs nach wie vor zulässig. Zwar kann die Klägerin den für die Zeit vom 1. August 1988 bis 2. Mai 1989 beantragten Erziehungsurlaub nicht mehr in Anspruch nehmen, wohl aber die Rechtswirkungen des ihr statt dessen von der Beklagten zu 2 nach § 88 a Abs. 1 Nr. 3 LBG i.d.F. vom 1. Juni 1987 gewährten Sonderurlaubs ohne Dienstbezüge auch für eine in der Vergangenheit liegende Zeit beseitigen (vgl. für den Fall eines beantragten Sonderurlaubs Urteil vom 23. Juni 1992 – BVerwG 2 C 14.90 – ≪Buchholz 232.4 § 1 Nr. 1≫ m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts). Im Hinblick auf die teilweise unterschiedliche beamtenrechtliche Behandlung von Erziehungsurlaub und Urlaub ohne Dienstbezüge nach § 88 a LBG (insoweit gleichzusetzen mit § 79 a BBG) ist ein Rechtsschutzinteresse der Klägerin nach wie vor gegeben.

Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch ist auch begründet. Die Revision führt unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen sowie der entgegenstehenden Bescheide zur Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin für die Zeit vom 1. August 1988 bis 2. Mai 1989 Erziehungsurlaub zu gewähren.

Der Anspruch der Klägerin ergibt sich aus § 1 Abs. 1 der Erziehungsurlaubsverordnung – ErzUVO – vom 26. Juni 1986 (GVOBl Schl. – H. 1986, 151). Nach dieser Vorschrift haben Beamte mit Dienstbezügen Anspruch auf Erziehungsurlaub ohne Bezüge, wenn sie Anspruch auf Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz haben oder nur deshalb nicht haben, weil das Einkommen bestimmte Einkommensgrenzen übersteigt. Durch die Verweisung auf das Bundeserziehungsgeldgesetz wird gesetzessystematisch das Vorliegen eines Anspruchs auf Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz – BErzGG – (hier in der Fassung vom 6. Dezember 1985 – BGBl I S. 2154) zum anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmal für die Gewährung von Erziehungsurlaub gemacht. Aus der im Bundeserziehungsgeldgesetz geregelten förmlichen Art der Bewilligung ergibt sich, daß dieser Entscheidung Maßgeblichkeit für andere Behörden zukommt. So sieht § 16 Abs. 5 BErzGG vor, daß die Anspruchsvoraussetzungen für den Erziehungsurlaub von Arbeitnehmern durch Vorlage des Bewilligungsbescheides über das Erziehungsgeld dargelegt und bewiesen werden. Eine gleiche Regelung für Beamte des Landes findet sich in § 3 Abs. 4 ErzUVO, ebenso eine grundsätzliche Anknüpfung an die Gewährung des Erziehungsgeldes in § 2 Abs. 1 ErzUVO. Ferner regelt § 13 BErzGG, daß für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten über die Gewährung von Erziehungsgeld die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig sind. Daraus folgt, daß der Dienstherr bei Bewilligung des Erziehungsurlaubs sich nach einem von der zuständigen Behörde ergangenen Bescheid zu richten hat (so auch entschieden für den arbeitsrechtlichen Bereich: BAG, Urteil vom 22. Juni 1988 – 5 AZR 526/87 – ≪BAGE 59, 62 = AP § 15 BErzGG Nr. 1≫). Dies gilt sowohl hinsichtlich einer bestandskräftigen Bewilligung als auch einer Ablehnung. Zwar hat im Streitfalle die zuständige Behörde die Gewährung von Erziehungsgeld zunächst abgelehnt. Diese Ablehnung ist aber gegenstandslos geworden durch das rechtskräftige, den Anspruch zusprechende Urteil des Sozialgerichts. Dieses Urteil hat für die Bewilligung von Erziehungsurlaub für den Dienstherrn die gleiche Maßgeblichkeit wie ein bestandskräftiger Verwaltungsakt. Soweit die Rechtskraft der Entscheidung des Sozialgerichts reicht, war mithin der Dienstherr für die Gewährung von Erziehungsurlaub gebunden. Für den Zeitraum vom 1. August 1988 bis 2. November 1988 ergibt sich der Inhalt unmittelbar aus der Entscheidungsformel: Der Beklagte wird verurteilt, für diesen Zeitraum Erziehungsgeld zu gewähren. Damit sind die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 1. Alternative ErzUVO erfüllt. Die Klägerin hat insoweit einen Anspruch auf Erziehungsurlaub, weil sie einen Anspruch auf Erziehungsgeld hat.

Für den Zeitraum vom 3. November 1988 bis 2. Mai 1989 ist im Sinne der 2. Anspruchsalternative des § 1 Abs. 1 ErzUVO im Urteil des Sozialgerichts ebenfalls rechtskräftig entschieden, daß der Klägerin Erziehungsgeld nur deshalb nicht zusteht, weil das Einkommen (§ 6 BErzGG) die Einkommensgrenze des § 5 Abs. 2 BErzGG übersteigt. Aus der Urteilsformel in Verbindung mit dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen des Urteils ergibt sich, daß ein Anspruch auf Erziehungsgeld ab 3. November lediglich wegen Überschreitens der Einkommensgrenzen (§ 5 Abs. 2 und § 6 BErzGG) nicht besteht. Damit ist auch über die 2. Anspruchsalternative des § 1 Abs. 1 ErzUVO für die Gewährung von Erziehungsurlaub verbindlich entschieden, daß der Klägerin dieser Anspruch bis zum 2. Mai 1989 zusteht. Da keine sonstigen Gründe, die gegen die Gewährung von Erziehungsurlaub vorgetragen und auch nicht ersichtlich sind, sind die Beklagten zur Gewährung zu verpflichten.

Da sich der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten schon aus der Maßgeblichkeit der Bewilligung von Erziehungsgeld ergibt, kommt es auf die in der Revision erörterte Frage, ob das angefochtene Urteil zudem gegen § 141 Abs. 1 SGG verstoße, weil es das rechtskräftige Urteil des Sozialgerichts vom 9. Oktober 1990 nicht beachtet habe, nicht an. Im übrigen wäre aber ein Verstoß gegen § 141 Abs. 1 SGG zu bejahen. Nach § 141 Abs. 1 SGG binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten. Die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung – gleichgültig auf welchem Rechtsweg sie ergangen ist – steht einer erneuten Entscheidung unter denselben Beteiligten entgegen (vgl. z.B. BSG Urteil vom 22. Januar 1986 – 8 RK 59/84 – ≪SozR 1500 § 55 Nr. 31 = SGB 1986, 570 ff.≫). Im Streitfall ist das Urteil des Sozialgerichts zwischen denselben Beteiligten ergangen, die auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beteiligt waren und sind. Dem steht nicht entgegen, daß im sozialgerichtlichen Verfahren Beklagter das Land Schleswig-Holstein war, vertreten durch das Landesversorgungsamt, und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als Beklagte zu 1 eine Behörde gemäß § 61 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 6 des Ausführungsgesetzes zur VwGO des Landes Schleswig-Holstein und als Beklagte zu 2 die Ministerin für Frauen, Bildung, Weiterbildung und Sport des Landes Schleswig-Holstein. Soweit Landesbehörden aufgrund eines Ausführungsgesetzes zur VwGO befähigt sind, am Verfahren beteiligt zu sein, handeln diese Landesbehörden nur in Prozeßstandschaft für die Körperschaft, der sie angehören, hier das Land Schleswig-Holstein. Eine gerichtliche Entscheidung betrifft daher das Land als Träger des materiellen Rechts, nicht aber eine ihm ebenfalls angehörende Behörde (Schulamt) und auch nicht das Ministerium (vgl. Urteil vom 25. August 1988 – BVerwG 2 C 62.85 – ≪BVerwGE 80, 127, 128 = Buchholz 237.6 § 8 Nr. 4≫).

Der Hinweis der Beklagten, das Sozialgericht sei nach § 17 Abs. 2 GVG a.F., der über § 173 VwGO auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anzuwenden sei, nicht mehr zur Entscheidung über die Gewährung von Erziehungsgeld befugt gewesen, nachdem die Klage auf Erziehungsurlaub – und damit zwangsläufig auch der Anspruch auf Erziehungsgeld – beim Verwaltungsgericht anhängig gewesen sei, ist unbeachtlich. Da ein rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts vorliegt, gilt dieses – auch unabhängig von dem behaupteten Verstoß gegen § 17 Abs. 2 GVG a.F. Im übrigen blieb es der Klägerin unbenommen, den für die Geltendmachung ihres Anspruchs auf Erziehungsgeld vorgesehenen Rechtsweg zu den Sozialgerichten (§ 13 BErzGG) zu beschreiten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Franke, Dr. Lemhöfer, Dr. Müller, Dr. Maiwald, Dr. Haas

 

Fundstellen

BVerwGE, 94

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