Entscheidungsstichwort (Thema)

Erbausschlagung. Kettenerbausschlagung. Berechtigter. schädigende Maßnahme. Rückübertragung von Grundstücken

 

Leitsatz (amtlich)

Im Fall der sogenannten Kettenerbausschlagung (§ 1 Abs. 2 VermG) ist grundsätzlich der erstausschlagende Erbe Berechtigter im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG.

 

Normenkette

VermG § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 1 S. 1, § 3 Abs. 1 S. 1; ZGB DDR § 369; ZGB DDR § 404; BGB §§ 1936, 1953

 

Verfahrensgang

VG Weimar (Urteil vom 16.12.1992; Aktenzeichen 1 K 173/92)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen die Urteile des Verwaltungsgerichts Weimar vom 16. Dezember 1992 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Revisionsverfahrens jeweils zur Hälfte.

 

Tatbestand

I.

Die Kläger erstreben die Rückübertragung des Eigentums an mehreren bebauten Grundstücken nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (VermögensgesetzVermG). Die Grundstücke gehörten Frau Ottilie R. Nach ihrem Tod im Jahre 1951 schlugen zunächst ihr Ehemann, sodann ihre Söhne Klaus-Dieter und Lothar R. und anschließend eine danach als Erbin berufene Angehörige die Erbschaft aus, so daß die Grundstücke in Volkseigentum gelangten. Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Lothar R., während Klaus-Dieter R. seine Rückübertragungsansprüche an den Kläger abgetreten hat.

Der Beklagte lehnte durch getrennte Bescheide vom 2. Dezember 1991 die Anträge auf Rückübertragung mit der Begründung ab, Berechtigter im Sinne des Vermögensgesetzes sei der letztausschlagende Erbe; nur dessen Ausschlagung habe unmittelbar Volkseigentum begründet. Den nach erfolglosen Widersprüchen erhobenen Klagen gab das Verwaltungsgericht Weimar mit Urteilen vom 16. Dezember 1992 (ZOV 1993, 131) statt und verpflichtete den Beklagten zur erneuten Bescheidung der Anträge. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, im Fall der „Kettenerbausschlagung” sei der erstberufene Erbe Berechtigter gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG.

Mit den vom Verwaltungsgericht zugelassenen Revisionen verfolgt der Beklagte seinen bisherigen Standpunkt weiter; die beigeladene Verfügungsberechtigte schließt sich dem an. Die Kläger und der Oberbundesanwalt halten die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts für zutreffend.

Der Senat hat die beiden Revisionsverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet. Das angegriffene Urteil beruht auf der Erwägung, daß die Kläger als Rechtsnachfolger der Erben, die als erste die Erbschaft ausgeschlagen haben, Berechtigte im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG sein können. Die gegen diese Rechtsauffassung gerichteten Angriffe der Revision greifen nicht durch. Die Revision geht davon aus, daß eine Schädigungsmaßnahme gemäß § 1 Abs. 2 VermG gegenüber den Klägern nicht vorliege und schon aus diesem Grunde deren Berechtigung ausscheide. Diese Ansicht ist unzutreffend.

Eine Schädigungsmaßnahme im Sinne von § 1 Abs. 2 VermG ist gegeben, wenn ein bebautes Grundstück oder ein Gebäude aufgrund nicht kostendeckender Mieten und infolgedessen eingetretener oder unmittelbar bevorstehender Überschuldung durch Enteignung, Eigentumsverzicht, Schenkung oder Erbausschlagung in Volkseigentum übernommen wurde. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, wird grundsätzlich der vor der Schädigungsmaßnahme bestehende Zustand wiederhergestellt, das heißt, der frühere Eigentümer oder seine Rechtsnachfolger erhalten auf Antrag das Eigentum an dem Vermögenswert zurückübertragen (§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG). Dabei verlangt die Vorschrift des § 1 Abs. 2 VermG, daß der Verlust des Eigentums ohne Zwischenerwerb durch einen Dritten zur Begründung von Volkseigentum geführt hat. In den Fällen der Enteignung, des Eigentumsverzichts zugunsten des Volkseigentums und der Schenkung an den Staat liegt ein solcher „unmittelbarer” Eigentumsübergang auf der Hand. Nicht anders verhält es sich auch bei der Erbausschlagung. Volkseigentum wurde begründet, wenn alle zuvor berufenen Erben die Erbschaft ausgeschlagen hatten (§§ 1936, 1953 BGB, seit dem 1. Januar 1976 vgl. §§ 369, 404 ZGB). Schlug ein Erbe aus, galt der Anfall der Erbschaft an ihn als nicht erfolgt (§ 1953 Abs. 1 BGB, § 404 Satz 1 ZGB); der Erwerb der Erbschaft war rückwirkend aufgehoben und der nächstberufene Erbe rückte in die Erbenstellung ein. Mit der Ausschlagung des letztberufenen Erben wurde also der Staat kraft Gesetzes Erbe unmittelbar nach dem Erblasser, ohne daß es zu einem Zwischenerwerb der Erbschaft durch die zuvor berufenen Erben gekommen wäre.

In den Fällen der Erbausschlagung ist somit der rückabzuwickelnde Schädigungsvorgang der Anfall der Erbschaft an den Staat. Daraus folgt, daß die Erben, die aus den Gründen des § 1 Abs. 2 VermG ausgeschlagen haben, so gestellt werden müssen, als ob sie nicht ausgeschlagen hätten. Damit bestimmt sich die Berechtigung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG nach Maßgabe des Erbrechtes und der sich daraus im konkreten Fall ergebenden Rangfolge. Der von der Schädigungsmaßnahme betroffene Berechtigte ist folglich der erstausschlagende Erbe (bzw. sein Rechtsnachfolger). Nachfolgende Erben sind nur dann von der Schädigungsmaßnahme betroffen und gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG berechtigt, wenn es die vor ihnen berufenen Erben bei den Rechtswirkungen ihrer Ausschlagung belassen, indem sie keinen Antrag nach § 3 Abs. 1 Satz 1, § 30 VermG stellen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine Ausschlagungskette infolge der Annahme der Erbschaft durch einen nachberufenen Erben unterbrochen und erst später an einem zum Nachlaß gehörenden Vermögenswert Volkseigentum begründet wird. In derartigen Fällen fehlt es hinsichtlich der vor der Erbschaftsannahme erfolgten Ausschlagungen an der von § 1 Abs. 2 VermG vorausgesetzten Kausalbeziehung zwischen Rechtsverlust und Übergang in Volkseigentum (vgl. auch Erl. der Bundesregierung zum VermG, BT-Drucks. 11/7831, S. 3).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 100 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Franßen, Dr. Paetow, Die Richter Dr. Bardenhewer und Dr. Bertrams sind wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben. Dr. Franßen, Kley

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1210945

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