Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleichstellungsbeauftragte. Beteiligung. aktive Teilnahme. Mitwirkung. wesentlicher Mangel des Disziplinarverfahrens. gesetzliche Aufgaben der Gleichstellungsbeauftragten. Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Leitprinzip. zulässiges Verteidigungsverhalten. dienstrechtliche Wahrheitspflicht. Anlastung der Resonanz in den Medien. Schuldprinzip. unangemessen lange Dauer des Disziplinarverfahrens. überlange Verfahrensdauer als mildernder Umstand. konventionskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Mitwirkung der Gleichstellungsbeauftragten bei der Erhebung der Disziplinarklage setzt voraus, dass die gegen den Beamten erhobenen Vorwürfe einen Bezug zu ihren gesetzlichen Aufgaben aufweisen. Nur eine Verletzung des Mitwirkungsrechts der Gleichstellungsbeauftragten nach § 19 Abs. 1 Satz 2 BGleiG, nicht aber ihres Rechts auf frühzeitige Beteiligung kann einen wesentlichen Mangel des Disziplinarverfahrens im Sinne von § 55 BDG begründen.
2. Die Grenze der dienstrechtlichen Wahrheitspflicht eines Beamten im Disziplinarverfahren orientiert sich an den Grenzen des zulässigen Verteidigungsverhaltens im Strafverfahren. Das Verhalten des betroffenen Beamten im Disziplinarverfahren stellt nur dann eine weitere Dienstpflichtverletzung dar, wenn der Beamte im Disziplinarverfahren wider besseres Wissen Dritte diffamiert oder sonst vorsätzlich gegen Strafbestimmungen verstößt.
3. Bei der Bemessungsentscheidung darf dem Beamten die Resonanz, die sein Dienstvergehen in den Medien hervorgerufen hat, nicht angelastet werden.
4. Die unangemessen lange Dauer des Disziplinarverfahrens im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ist nicht als mildernder Umstand zugunsten des Beamten zu berücksichtigen, wenn die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist. Wegen der nach § 13 Abs. 2 Satz 2 BDG gebotenen fiktiven Vergleichsbewertung gelten diese Grundsätze auch für Beamte, die nach dem Dienstvergehen in den Ruhestand getreten sind.
5. Zu den bemessungsrelevanten Umständen, die in die prognostische Gesamtwürdigung einzustellen sind, gehören auch die Beweggründe des betroffenen Beamten.
Normenkette
BGleiG § 2 S. 2, § 18 Abs. 1, § 19 Abs. 1, § 20 Abs. 2; BDG § 13 Abs. 1-2, §§ 55, 57, 60 Abs. 2; BBG a.F. § 54 Sätze 2-3, § 70 S. 1, § 77 Abs. 1 S. 1; EMRK Art. 6 Abs. 1
Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 28.10.2010; Aktenzeichen 82 D 1.09) |
VG Berlin (Urteil vom 23.03.2009; Aktenzeichen 85 A 3.08) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Oktober 2010 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Rz. 1
Der 1949 geborene Beklagte wurde mit Ablauf des Monats Juli 2009 auf seinen Antrag hin in den Ruhestand versetzt. Zuletzt hatte er das Amt eines Direktors und Professors (BesGr B 1 BBesO) beim …Instituts inne. Dort war er im Bereich der Datenerhebung und -bewertung beschäftigt. Beim Beklagten ist ein Grad der Behinderung von 60 festgestellt.
Rz. 2
Der Beklagte war zugleich alleiniger Gesellschafter einer GmbH, die im Bereich der Sozialforschung tätig war. Diese gewerbliche Tätigkeit war der Leitung des Instituts bekannt. Im November 1998 gründeten Mitarbeiter dieser GmbH eine BGB-Gesellschaft mit demselben Geschäftszweck. In den vom Beklagten als Privatperson angemieteten Räumen der GmbH war die BGB-Gesellschaft Untermieterin. Im Zeitraum vom November 1998 bis zum August 2000 schloss das Institut mit der BGB-Gesellschaft mehrere Werkverträge über die Erstellung von Studien mit einem Auftragsvolumen von mehr als 870 000 DM. Die BGB-Gesellschaft zahlte an die GmbH des Beklagten für die Nutzung der Büroräume und der Telefonanlage Nutzungsentgelt sowie Honorare für projektbezogene wissenschaftliche und fachliche Mitarbeit in Höhe von mehr als 200 000 DM.
Rz. 3
Im Februar 2006 wurde der Beklagte wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Beklagte im November 1998 10 000 DM Bargeld von einer früheren Beschäftigten beider Gesellschaften für die Auftragsvergabe des Instituts an die BGB-Gesellschaft angenommen hatte.
Rz. 4
Gegenstand der nach Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils erhobenen Disziplinarklage ist zum einen der dort abgeurteilte Vorwurf. Zum anderen wird dem Beklagten vorgeworfen, er habe in sechs weiteren Fällen durch seine Tätigkeit beim Institut veranlasst, dass zwischen diesem und der BGB-Gesellschaft Werkverträge geschlossen worden seien. Diese Verträge seien für ihn mittelbar wirtschaftlich vorteilhaft gewesen, weil diese Firma aufgrund des Untermietvertrages an die GmbH, deren Alleingesellschafter er gewesen sei, Zahlungen zu entrichten gehabt habe.
Rz. 5
Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Im Berufungsverfahren ist die Schwerbehindertenvertretung nachträglich beteiligt worden. Das Oberverwaltungsgericht hat den Beklagten hinsichtlich eines Vertrages von dem ihm gegenüber erhobenen Vorwurf freigestellt. Es hat die Berufung des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass ihm das Ruhegehalt aberkannt wird. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 6
Die Gleichstellungsbeauftragte habe vor der Erhebung der Disziplinarklage nicht beteiligt werden müssen. Die Vorwürfe, die Gegenstand der gegen den Beklagten erhobenen Disziplinarklage seien, ließen keinen Bezug zu den Aufgaben der Gleichstellungsbeauftragten erkennen. In Bezug auf die Entgegennahme des Barbetrages von 10 000 DM sei das Gericht an die Feststellungen im strafgerichtlichen Urteil gebunden. In fünf weiteren Fällen habe der Beklagte als Projektleiter Vergabevermerke abgefasst und diese zum Zweck der Erteilung der Aufträge an die BGB-Gesellschaft an seine Vorgesetzten weitergeleitet, ohne seine persönliche und wirtschaftliche Verflechtung mit dieser Firma offenzulegen.
Rz. 7
Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten, mit der er beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Oktober 2010 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. März 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Rz. 8
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 9
Die Revision des Beklagten ist mit der Maßgabe begründet, dass das angefochtene Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Das Berufungsurteil verletzt § 13 BDG. Der Senat kann aber nicht abschließend über die Disziplinarklage entscheiden, weil die Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht ausreichen, um die Disziplinarmaßnahme zu bestimmen.
Rz. 10
1. Nach § 85 Abs. 1 Satz 1 BDG ist das Disziplinarverfahren nach diesem Gesetz fortzuführen. Denn vor dem 1. Januar 2002 ist zwar disziplinarisch gegen den Beklagten ermittelt worden. Ein förmliches Disziplinarverfahren im Sinne von § 33 BDO, auf das es nach § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG ankommt, ist vor dem 1. Januar 2002 jedoch nicht eingeleitet worden (Beschluss vom 18. Juli 2006 – BVerwG 1 DB 4.06 – Buchholz 235.1 § 85 BDG Nr. 12 Rn. 5 ff.).
Rz. 11
Der Beklagte ist zwar wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Seinen Beamtenstatus hat er hierdurch aber nicht verloren, sodass die Disziplinarklage nicht unzulässig geworden ist. Denn die Regelung des § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BBG in der Fassung des Dienstrechtsneuordnungsgesetz vom 5. Februar 2009 (– BBG n.F. – BGBl I S. 160) ist nicht auf Verurteilungen anwendbar, die bei Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung bereits rechtskräftig waren.
Rz. 12
2. Es stellt keinen Mangel des Disziplinarverfahrens im Sinne von § 55 BDG dar, dass die Gleichstellungsbeauftragte vor der Erhebung der Disziplinarklage an dem gegen den Beklagten geführten Disziplinarverfahren nicht beteiligt worden ist. Ein Verstoß gegen die Rechte und Befugnisse der Gleichstellungsbeauftragten nach dem Bundesgleichstellungsgesetz, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom 14. August 2006 (– BGleiG –, BGBl I S. 1897), kann nur dann einen wesentlichen Mangel im Sinne von § 55 BDG begründen, wenn ihr Mitwirkungsrecht nach § 19 Abs. 1 Satz 2 BGleiG verletzt worden ist.
Rz. 13
Der Begriff des Mangels des behördlichen Disziplinarverfahrens ist nicht auf Vorschriften des Bundesdisziplinargesetzes beschränkt, sondern erfasst auch die Verletzung von Verfahrensregeln außerhalb des Regelungsbereichs dieses Gesetzes. Diese weite Auslegung des Begriffs entspricht dem gesetzlichen Auftrag des Gerichts, zum Schutz der Rechte des betroffenen Beamten den gesamten behördlichen Verfahrensabschnitt vor Erhebung der Disziplinarklage, soweit nicht ohnehin gerügt, von Gerichts wegen (§ 55 Abs. 3 Satz 1 BDG) auf Mängel und deren Folgen zu überprüfen (Urteil vom 20. Oktober 2005 – BVerwG 2 C 12.04 – BVerwGE 124, 252 ≪254≫ = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 Rn. 13). Ein Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens ist wesentlich im Sinne von § 55 BDG, wenn sich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt, dass er sich auf das Ergebnis des Disziplinarverfahrens ausgewirkt haben kann (Urteil vom 24. Juni 2010 – BVerwG 2 C 15.09 – BVerwGE 137, 192 = Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 6 jeweils Rn. 19). Danach kann auch bei einem Verstoß gegen Vorschriften des Bundesgleichstellungsgesetzes ein wesentlicher Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens gegeben sein.
Rz. 14
Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 BGleiG gehört die Gleichstellungsbeauftragte der Personalverwaltung an. Hierdurch kommt zum Ausdruck, dass die Beauftragte dem Gemeinwohl verpflichtete Sachwalterin der im Bundesgleichstellungsgesetz festgelegten Ziele ist und nicht lediglich Vertreterin der Interessen der Wählerinnen ihrer Dienststelle. Im Unterschied zu Personalräten nimmt sie Sachaufgaben der Personal- und Organisationsarbeit wahr und ist über eine bloß nachvollziehende Kontrolle hinaus in die Willensbildung der Dienststellenleitung unmittelbar eingebunden (Urteile vom 27. Juni 2007 – BVerwG 6 A 1.06 – Buchholz 272 GleichstellungsR Nr. 3 Rn. 36 und vom 8. April 2010 – BVerwG 6 C 3.09 – BVerwGE 136, 263 = Buchholz 272 GleichstellungsR Nr. 8 jeweils Rn. 21).
Rz. 15
Nach Wortlaut und Systematik des Bundesgleichstellungsgesetzes sind die Befugnisse der Gleichstellungsbeauftragten unterschiedlich ausgestaltet.
Rz. 16
Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 BGleiG wirkt die Gleichstellungsbeauftragte zum einen bei allen personellen, organisatorischen und sozialen Maßnahmen ihrer Dienststelle mit, die die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit sowie den Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betreffen (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 2 bis 4 BGleiG).
Rz. 17
Die Mitwirkung setzt eine Maßnahme voraus, die den Rechtsstand des Bediensteten berührt, und bezieht sich auf eine beim Leiter der Dienststelle bereits abgeschlossene Willensbildung. Dieses Mitwirkungsrecht wird regelmäßig durch ein schriftliches Votum ausgeübt, das zu den Akten zu nehmen ist.
Rz. 18
Zum anderen hat die Gleichstellungsbeauftragte regelmäßig (“soll”) das Recht zur aktiven Teilnahme an allen Entscheidungsprozessen zu personellen, organisatorischen und sozialen Angelegenheiten (§ 20 Abs. 1 Satz 3 BGleiG). Diese Befugnis knüpft systematisch an das Recht der Gleichstellungsbeauftragten auf frühzeitige Beteiligung (§ 19 Abs. 1 Satz 3 BGleiG) sowie auf unverzügliche und umfassende Unterrichtung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 BGleiG) an und verlagert ihre Einflussnahme im Verhältnis zur Mitwirkung zeitlich und sachlich vor. Art und Weise der Teilnahme der Gleichstellungsbeauftragten an diesem durch vorläufige Überlegungen gekennzeichneten Vorbereitungsstadium sind im Gegensatz zur Mitwirkung im gewissen Umfang der Beauftragten und der Dienststellenleitung überlassen. Das für die Mitwirkung gesetzlich vorgeschriebene Instrument des schriftlichen Votums der Beauftragten scheidet hier aus, weil in diesem früheren Stadium die Leitung der Dienststelle gerade noch keine Entscheidung getroffen hat, zu der die Gleichstellungsbeauftragte Stellung nehmen könnte (Urteil vom 8. April 2010 a.a.O. Rn. 20 f.).
Rz. 19
Im behördlichen Disziplinarverfahren können nur Verstöße gegen das Mitwirkungsrecht der Gleichstellungsbeauftragten nach § 19 Abs. 1 Satz 2 BGleiG einen Mangel im Sinne von § 55 BDG begründen, nicht dagegen die Verletzung ihres Rechts auf vorgelagerte Beteiligung. Diese frühzeitige Beteiligung an der Willensbildung der Dienststellenleitung, die im Verfahren nach dem Bundesdisziplinargesetz bei einer Vielzahl von einzelnen Verfahrensschritten nach den Vorschriften der §§ 17 ff. BDG in Betracht kommt, ist nicht in einer Weise vom Gesetzgeber ausgestaltet worden, dass bei Verstößen ein Fall des § 55 BDG mit seinen weitreichenden Folgerungen angenommen werden könnte.
Rz. 20
Im Disziplinarverfahren kommen als Maßnahme, d.h. als abschließende Sachentscheidung, die Einstellung des Verfahrens (§ 32 BDG), der Erlass einer Disziplinarverfügung (§ 33 BDG) und die Erhebung der Disziplinarklage (§ 34 BDG) in Betracht. Auf diese abschließenden Sachentscheidungen bezieht sich das Recht der Gleichstellungsbeauftragten auf Mitwirkung im behördlichen Disziplinarverfahren nach dem Bundesdisziplinargesetz. Allerdings ist ihre Mitwirkung nach dem Wortlaut des § 19 Abs. 1 Satz 2 BGleiG nur geboten, wenn die Maßnahme einen Bezug zu den gesetzlichen Aufgaben der Beauftragten aufweist. Dies setzt voraus, dass das Verfahren Aspekte der Gleichstellung von Frauen und Männern, der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit sowie des Schutzes vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betrifft. Dies ist auch dann der Fall, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei der Aufklärung und Ahndung von Dienstpflichtverletzungen, die unmittelbar nichts mit dem Zweck des Bundesgleichstellungsgesetzes zu tun haben, die Ermittlungsmethoden oder die Sanktionen je nach Geschlecht oder nach anderen individuellen Verhältnissen, die die Aufgabentrias des § 19 Abs. 1 Satz 2 BGleiG berühren, wie zum Beispiel Familienstand oder Unterhaltspflichten, differieren.
Rz. 21
Aus den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ergeben sich keine Anhaltspunkte für die Annahme, das gegen den Beklagten geführte Disziplinarverfahren weise einen Bezug zu den Tatbeständen des § 19 Abs. 1 Satz 2 BGleiG auf, die die Mitwirkung der Gleichstellungsbeauftragten im Verfahren erforderlich machen.
Rz. 22
3. Die tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Strafurteils, die die Verurteilung des Beklagten wegen Bestechlichkeit tragen, sind im gerichtlichen Disziplinarverfahren bindend (§ 57 Abs. 1 Satz 1 BDG). Diese Feststellungen sind der Entscheidung über die Disziplinarklage ungeprüft zugrunde zu legen. Daher steht für das vorliegende Verfahren fest, dass der Beklagte von einer Mitarbeiterin der BGB-Gesellschaft für seine Mitwirkung an der Vergabe eines Auftrags durch das Institut an die BGB-Gesellschaft mit einem Auftragsvolumen von 396 000 DM im November 1998 einen Barbetrag von 10 000 DM erhalten hat.
Rz. 23
In fünf weiteren Fällen hat der Beklagte als der im Institut für die Vorbereitung und Durchführung von Ausschreibungen öffentlicher Aufträge zuständige Projektleiter Vergabevermerke abgefasst und diese zum Zweck der Erteilung der Zuschläge an die BGB-Gesellschaft an seine Vorgesetzten weitergeleitet, ohne seine mittelbare wirtschaftliche Verflechtung mit dieser Gesellschaft offenzulegen. Die hierzu getroffenen tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts sind, weil nicht mit Verfahrensrügen angegriffen, nach § 137 Abs. 2 VwGO bindend.
Rz. 24
Der Beklagte hat sich hierdurch eines aus mehreren Pflichtverletzungen bestehenden, einheitlich zu würdigenden innerdienstlichen Dienstvergehens nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG a.F. schuldig gemacht.
Rz. 25
Durch das Verfassen und die Vorlage der Vergabevermerke an seine Vorgesetzten zum Zwecke der Erteilung der Aufträge an die BGB-Gesellschaft, ohne seine mittelbare wirtschaftliche Verflechtung mit dieser Gesellschaft mitzuteilen, hat der Beklagte seine Pflicht aus dem zur Tatzeit geltenden § 54 Satz 3 BBG a.F. zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten innerhalb des Dienstes vorsätzlich verletzt. Zugleich hat er hierdurch vorsätzlich gegen seine Pflicht aus § 54 Satz 2 BBG a.F. zu uneigennütziger Amtsausübung verstoßen. Durch die Annahme von 10 000 DM für die Vergabe des Auftrags vom November 1998 an die BGB-Gesellschaft hat der Beklagte vorsätzlich das Verbot nach § 70 Satz 1 BBG a.F. verletzt, in Bezug auf sein Amt keine Belohnungen oder Geschenke anzunehmen.
Rz. 26
Inhalt und Reichweite des beamtenrechtlichen Verbots der Vorteilsannahme sind nach dem Zweck der Dienstpflicht zu bestimmen. Die uneigennützige, nicht auf einen privaten Vorteil bedachte Amtsführung der Beamten stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Sie ist unverzichtbar, um das notwendige Vertrauen der Bevölkerung darauf zu erhalten, dass sich die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung ausschließlich an Recht und Gesetz orientiert. Dieses Vertrauen wird beeinträchtigt, wenn der Anschein entsteht, ein Beamter nutze seine Amtsstellung oder seine dienstliche Tätigkeit aus, um private Vorteile zu erzielen. Er muss jeden Eindruck vermeiden, dienstliche Tätigkeit oder Auftreten könnten beeinflusst werden. Daher darf sich ein Beamter nicht für einen Vorteil offen zeigen, wenn sich ein dienstlicher Bezug nicht ausschließen lässt (Urteile vom 14. Dezember 1995 – BVerwG 2 C 27.94 – BVerwGE 100, 172 ≪175≫ = Buchholz 236.1 § 19 SG Nr. 1 S. 3, vom 20. Januar 2000 – BVerwG 2 C 19.99 – Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 9 S. 11 und vom 23. November 2006 – BVerwG 1 D 1.06 – Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12 Rn. 29; Beschluss vom 29. Januar 2009 – BVerwG 2 B 34.08 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 8 Rn. 9).
Rz. 27
Dabei ist unter Vorteil jeder wirtschaftliche Wert zu verstehen, der dem Beamten oder einem von ihm bestimmten Dritten von anderer Seite als dem Dienstherrn zugewandt werden soll (Urteile vom 14. Dezember 1995 a.a.O. S. 175 bzw. S. 3; vom 20. Januar 2000 a.a.O. S. 12 und vom 20. Februar 2002 – BVerwG 1 D 19.01 – Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 11 S. 18). Die Spende des Vorteils für einen gemeinnützigen Zweck kann allenfalls bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme mildernd berücksichtigt werden (Urteile vom 21. September 1988 – BVerwG 1 D 140.87 – BVerwGE 86, 74 ≪77≫; vom 1. September 1998 – BVerwG 1 D 63.97 – Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 7 S. 6 und vom 19. Juni 2008 – BVerwG 1 D 2.07 – juris Rn. 71).
Rz. 28
Der Vorteil weist den erforderlichen Bezug zu dem Amt des Beamten auf, wenn er nach den erkennbaren Vorstellungen des Vorteilsgebers im Zusammenhang mit der Amtsstellung des Beamten gewährt oder versprochen wird. Anknüpfungspunkt können sowohl das Amt im statusrechtlichen Sinne als auch das Amt im konkret-funktionellen Sinn, d.h. der dienstliche Aufgabenbereich des Beamten, sein. Der Vorteil kann sich auf eine ganz bestimmte dienstliche Handlung, auf das dienstliche Verhalten, auf die Aufgabenerfüllung als solche, aber auch auf den Status des Beamten oder auf die Beamteneigenschaft beziehen. Es ist nicht erforderlich, dass ein Beziehungsverhältnis zwischen Vorteil und dienstlichem Verhalten besteht. Vielmehr reicht es aus, dass der Vorteil gefordert, gewährt oder in Aussicht gestellt wird, um den Beamten bei seinem dienstlichen Verhalten wohlwollend zu stimmen (“Pflege der Landschaft”). Private Kontakte zwischen Vorteilsgeber und Beamten schließen die Amtsbezogenheit des Vorteils nur dann aus, wenn er ausschließlich wegen der persönlichen Beziehungen gewährt wird (Urteile vom 14. Dezember 1995 a.a.O. S. 176 bzw. S. 4; vom 20. Januar 2000 a.a.O. S. 12; vom 20. Februar 2002 a.a.O. Rn. 18 f.; vom 8. Juni 2005 – BVerwG 1 D 3.04 – juris Rn. 18 und vom 19. Juni 2008 – BVerwG 1 D 2.07 – juris Rn. 30).
Rz. 29
Der Beklagte hat zum einen eine erhebliche Geldsumme als Belohnung dafür angenommen, dass er im November 1998 die Vergabe eines Auftrags durch das Institut an die BGB-Gesellschaft mit einem Auftragsvolumen von 396 000 DM mit veranlasst hat. Zum anderen hat er Vergabevermerke erstellt und diese zum Zweck der Erteilung der Zuschläge an die BGB-Gesellschaft an seine Vorgesetzten weitergeleitet, ohne seine mittelbare wirtschaftliche Verflechtung mit dieser Gesellschaft offen zu legen. Diese Verhaltensweisen sind als schwerwiegender Verstoß gegen die Pflicht zur uneigennützigen Amtsführung zu werten.
Rz. 30
4. Die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme durch das Oberverwaltungsgericht genügt nicht den Anforderungen des § 13 BDG.
Rz. 31
a) Nach § 60 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BDG kann das Verwaltungsgericht auf die erforderliche Disziplinarmaßnahme erkennen. Es ist nicht an tatsächliche Feststellungen oder disziplinarrechtliche Wertungen des Dienstherrn gebunden. Das Verwaltungsgericht klärt den Sachverhalt in Bezug auf die Handlungen, die dem Beamten in der Disziplinarklage zur Last gelegt werden, und in Bezug auf die bemessungsrelevanten Gesichtspunkte selbst umfassend auf und würdigt die Beweise (§ 58 Abs. 1 BDG sowie § 86 Abs. 1 und § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Hält das Verwaltungsgericht ein Dienstvergehen für erwiesen und steht dessen Sanktionierung kein rechtliches Hindernis entgegen, bestimmt es die Disziplinarmaßnahme nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG aufgrund einer eigenständigen Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden, d.h. aller erschwerenden und mildernden Umstände. Hierunter fallen alle Tatsachen, die im Einzelfall für die Schwere des nachgewiesenen Dienstvergehens, das Persönlichkeitsbild des Beamten und den Umfang der Beeinträchtigung des in ihn gesetzten Vertrauens bedeutsam sind. Demnach ist die Gesamtwürdigung rechtsfehlerhaft, wenn das Verwaltungsgericht einen bemessungsrelevanten Gesichtspunkt nicht oder nicht mit dem ihm zukommenden Gewicht berücksichtigt hat. Darüber hinaus ist sie rechtsfehlerhaft, wenn das Verwaltungsgericht einen bemessungsneutralen Gesichtspunkt einbezogen, d.h. erschwerend oder mildernd berücksichtigt hat (Urteile vom 20. Oktober 2005 – BVerwG 2 C 12.04 – BVerwGE 124, 252 ≪255 f.≫ = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 Rn. 16 und vom 28. Juli 2011 – BVerwG 2 C 16.10 – BVerwGE 140, 185 = Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 18 Rn. 18).
Rz. 32
Ein Verstoß gegen das Gebot umfassender Sachaufklärung führt zwangsläufig dazu, dass die Bemessungsentscheidung unvollständig und damit rechtswidrig ist (Urteile vom 3. Mai 2007 – BVerwG 2 C 9.06 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 17 und vom 28. Juli 2011 a.a.O. Rn. 30). Bei der Gewichtung der be- und entlastenden Gesichtspunkte sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Schuldprinzip zu beachten (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 258 f. bzw. Rn. 22, vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 20 und vom 28. Juli 2011 a.a.O. Rn. 29).
Rz. 33
In Bezug auf bemessungsrelevante Gesichtspunkte, die nach erschöpfender gerichtlicher Sachaufklärung im Ungewissen bleiben, findet der Grundsatz Anwendung, dass im Zweifel zugunsten des Beamten zu entscheiden ist (“in dubio pro reo”). Dieser Grundsatz, der im Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1 und 3 GG und im Gebot freier richterlicher Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verankert ist, fordert, dass nur solche den Beamten belastenden Umstände bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden, an denen nach der gerichtlichen Überzeugung kein vernünftiger Zweifel besteht. Dies bedeutet, dass ein bemessungsrelevanter Gesichtspunkt, der den Beamten belastet, mit dem für ihn günstigsten Sachverhalt in die Gesamtwürdigung einzustellen ist, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen: Zum einen muss das Verwaltungsgericht die Möglichkeiten der Sachaufklärung erschöpft haben, ohne zu der Überzeugung zu gelangen, dass eine Sachverhaltsvariante zutrifft. Zum anderen müssen für die dem Beamten günstigste Variante hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte sprechen. Auch gilt der Grundsatz nicht für einzelne Elemente der Beweiswürdigung zu einem bemessungsrelevanten Gesichtspunkt (Urteile vom 13. Dezember 1979 – BVerwG 1 D 104.78 – BVerwGE 63, 319 ≪321≫, vom 30. September 1992 – BVerwG 1 D 32.91 – BVerwGE 93, 294 ≪297≫, vom 4. Mai 2006 – BVerwG 1 D 13.05 – juris Rn. 19, vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 17 und vom 28. Juli 2011 a.a.O. Rn. 30; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08 – NStZ-RR 2009, 90).
Rz. 34
Das gesetzliche Gebot der Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände trägt dem Zweck der Disziplinarbefugnis Rechnung. Dieser besteht nicht darin, begangenes Unrecht zu vergelten. Vielmehr geht es darum, die Integrität des Berufsbeamtentums und die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung aufrechtzuerhalten. Daher ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, ob ein Beamter, der in vorwerfbarer Weise gegen Dienstpflichten verstoßen hat, nach seiner Persönlichkeit noch im Beamtenverhältnis tragbar ist und falls dies zu bejahen ist, durch welche Disziplinarmaßnahme auf ihn eingewirkt werden muss, um weitere Pflichtenverstöße zu verhindern (Urteile vom 5. Mai 1988 – BVerwG 1 D 12.97 – Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 16 und vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 16; Beschlüsse vom 6. Juli 1984 – BVerwG 1 DB 21.84 – BVerwGE 76, 176 ≪177 f.≫, vom 13. Oktober 2005 – BVerwG 2 B 19.05 – Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 5 und vom 16. Mai 2012 – BVerwG 2 B 3.12 – NVwZ-RR 2012, 609 Rn. 5).
Rz. 35
Im Berufungsverfahren stellt sich die Aufgabe der Gesamtwürdigung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG, d.h. der Sachverhaltsfeststellung und -würdigung sowie der Maßnahmebemessung, dem Oberverwaltungsgericht (§ 65 Abs. 1 BDG). Es muss sich insbesondere eine eigene Überzeugung vom Nachweis des Dienstvergehens und der bemessungsrelevanten Umstände bilden; ein Verweis auf die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts genügt nicht (Urteil vom 28. Februar 2013 – BVerwG 2 C 3.12 – Rn. 24 und Beschluss vom 20. Oktober 2011 – BVerwG 2 B 86.11 – juris Rn. 7).
Rz. 36
Die Gesamtwürdigung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG führt zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, wenn der Beamte ein schweres Dienstvergehen begangen hat und die Gesamtwürdigung ergibt, er werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen oder die von ihm zu verantwortende Ansehensschädigung sei bei einem Fortbestehen des Beamtenverhältnisses nicht wieder gutzumachen. Je schwerer das Dienstvergehen wiegt, desto näher liegt eine derartige Prognose. Dies wird durch § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG klargestellt (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. 258 f. bzw. Rn. 21 f. und vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 18).
Rz. 37
Für Ruhestandsbeamte hat der Gesetzgeber durch § 13 Abs. 2 Satz 2 BDG eine fiktive Vergleichsbewertung vorgeschrieben. Danach ist zu prüfen, wie das Dienstvergehen disziplinarrechtlich zu würdigen wäre, wäre der Beamte noch im aktiven Dienst. Diese Vorschrift nennt keine zusätzlichen Bemessungskriterien, stellt aber klar, dass das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit aufzulösen ist, wenn die Maßnahmebemessung nach § 13 Abs. 1 BDG zu dem Ergebnis führt, dass der Beamte untragbar geworden ist (Urteil vom 28. Juli 2011 – BVerwG 2 C 16.10 – a.a.O. Rn. 31).
Rz. 38
Bei einem Ruhestandsbeamten soll die Disziplinarmaßnahme der Aberkennung des Ruhegehalts sicherstellen, dass sich der Beamte der Sanktionierung eines schweren Dienstvergehens, das er im aktiven Dienst begangen hat, nicht durch den Eintritt in den Ruhestand entziehen kann. Sie findet ihre Rechtfertigung in der Wahrung der Integrität des Beamtentums und des Ansehens des öffentlichen Dienstes sowie in dem Gebot der Gleichbehandlung (BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. November 2001 – 2 BvR 2138/00 – NVwZ 2002, 467; BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2011 – BVerwG 2 C 16.10 – a.a.O. Rn. 32 und Beschluss vom 13. Oktober 2005 – BVerwG 2 B 19.05 – Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 6).
Rz. 39
Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG ist die Schwere des Dienstvergehens richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Das Dienstvergehen ist nach der festgestellten Schwere einer der im Katalog des § 5 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahme zuzuordnen. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beamten und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung nach § 13 Abs. 1 Satz 3 und 4 BDG im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere indizierte Maßnahme geboten ist (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 258 f. bzw. Rn. 22; vom 3. Mai 2007 Rn. 20 und vom 28. Juli 2011 Rn. 29).
Rz. 40
Für die Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens hat die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts generelle Maßstäbe für einzelne Fallgruppen entwickelt. Bestimmte innerdienstliche Pflichtenverstöße werden als so gewichtig eingestuft, dass grundsätzlich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis indiziert ist. Derartige Regeleinstufungen dürfen aber nicht schematisch angewandt werden. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Schuldprinzip folgt, dass es im Einzelfall stets möglich sein muss, die von einer Regeleinstufung ausgehende Indizwirkung zu entkräften. Hierfür können insbesondere Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beamten Anlass geben. Das Gewicht der mildernden Umstände muss umso höher sein, je schwerer der Pflichtenverstoß nach den dafür bedeutsamen Merkmalen wiegt (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. Rn. 22, vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 20 f.; vom 24. Mai 2007 – BVerwG 2 C 25.06 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 4 Rn. 22 und vom 28. Juli 2011 a.a.O. Rn. 29 f.).
Rz. 41
b) Dem Verbot der Vorteilsannahme in Bezug auf das Amt kommt als Bestandteil der Dienstpflicht zur uneigennützigen Amtsführung herausragende Bedeutung zu. Ein Beamter, der hiergegen verstößt, zerstört regelmäßig das Vertrauen, das für eine weitere Tätigkeit als Beamter, d.h. als Organ des Staates, erforderlich ist. Eine rechtsstaatliche Verwaltung ist auf die berufliche Integrität des Berufsbeamtentums zwingend angewiesen. Jeder Eindruck, ein Beamter sei für Gefälligkeiten offen oder käuflich, beschädigt das unverzichtbare Vertrauen in die strikte Bindung des Verwaltungshandelns an Recht und Gesetz und damit die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung. Diese kann ihre Aufgaben nur erfüllen, wenn kein Zweifel daran aufkommt, dass es bei der Aufgabenwahrnehmung mit rechten Dingen zugeht (Urteile vom 22. Oktober 1996 – BVerwG 1 D 76.95 – BVerwG 113, 4 ≪5≫, vom 24. Juni 1998 – BVerwG 1 D 23.97 – BVerwGE 113, 229 ≪232≫, vom 20. Februar 2002 – BVerwG 1 D 19.01 – Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 11 und vom 8. Juni 2005 – BVerwG 1 D 3.04 – juris Rn. 20).
Rz. 42
Aus der herausragenden Bedeutung des Verbots der Vorteilsannahme folgt, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann indiziert ist, wenn sich der Beamte wegen Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat. Im Falle der Bestechlichkeit wird das Verbot der Vorteilsannahme in besonders schwerer Weise missachtet. Der Beamte erklärt sich bereit, als Gegenleistung für einen Vorteil eine rechtswidrige Diensthandlung vorzunehmen. Der Straftatbestand des § 332 Abs. 1 StGB ist bereits dann vollendet, wenn die sogenannte Unrechtsvereinbarung (rechtswidrige Diensthandlung gegen Vorteil) zustande gekommen ist. Die Vereinbarung muss nicht “erfüllt” worden sein. Weder müssen der Beamte oder der von ihm bestimmte Dritte den vereinbarten Vorteil erhalten noch muss der Beamte rechtswidrig gehandelt haben.
Rz. 43
Der besonders schwere Unrechtsgehalt der Bestechlichkeit kommt im Strafrahmen des § 332 Abs. 1 StGB zum Ausdruck, der von Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen bis zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren reicht. Er wird zudem durch die Entscheidung des Gesetzgebers belegt, das Beamtenverhältnis nach der – hier allerdings nicht anwendbaren, weil zur Tatzeit noch nicht geltenden – Regelung des § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BBG n.F. bereits dann kraft Gesetzes zu beenden, wenn ein Beamter wegen Bestechlichkeit in Bezug auf eine Diensthandlung im Hauptamt rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wird.
Rz. 44
Darüber hinaus ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bei strafbarem Verhalten nach § 331 Abs. 1 StGB (Vorteilsannahme im strafrechtlichen Sinne) im Regelfall angezeigt, wenn ein Beamter als Inhaber eines hervorgehobenen Amtes oder einer dienstlichen Vertrauensstellung für die Dienstausübung einen mehr als unerheblichen Vorteil fordert oder annimmt. Auch in diesen Fällen muss eine Unrechtsvereinbarung zustande kommen, d.h. der Beamte muss eine Beziehung zwischen Vorteil und Dienstausübung herstellen. Seit der Erweiterung des Straftatbestandes des § 331 Abs. 1 StGB durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13. August 1997 (BGBl I S. 2038) muss sich diese Vereinbarung nicht mehr auf eine konkrete dienstliche Handlung beziehen. Es reicht aus, dass durch den Vorteil das allgemeine Wohlwollen des Beamten bei der Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erkauft werden soll. Dies gilt auch dann, wenn der Beamte keine Bereitschaft zur Missachtung von Recht und Gesetz hat erkennen lassen (Urteile vom 23. November 2006 – BVerwG 1 D 1.06 – Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12 Rn. 29 f. und vom 19. Juni 2008 – BVerwG 1 D 2.07 – juris Rn. 61 f.).
Rz. 45
Liegen die Voraussetzungen für die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als Regelmaßnahme vor, ist es unerheblich, ob es sich bei dem unerlaubten Vorteil um Geld- oder Sachleistungen handelt. Der unbedingt zu vermeidende Anschein der Käuflichkeit in Bezug auf das Amt entsteht unabhängig von der Art des Vorteils. Es muss jedem Beamten klar sein, dass er die Grenze der Sozialadäquanz auch dann überschreitet, wenn er in Bezug auf das Amt eine wie auch immer geartete Sachleistung von einigem Wert fordert, annimmt oder sich versprechen lässt (vgl. Zwiehoff, in: jurisPR-ArbR 45/2005 Nr. 2). Deshalb führt der Senat die Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts nicht weiter (vgl. Urteile vom 22. Oktober 1996 – BVerwG 1 D 76.95 – BVerwGE 113, 4 ≪6 f.≫ und vom 24. Juni 1998 – BVerwG 1 D 23.97 – BVerwGE 113, 229 ≪232 f.≫), wonach der Pflichtenverstoß schwerer wiegt, wenn eine Geldzuwendung in Rede steht (Urteil vom 28. Februar 2013 – BVerwG 2 C 3.12 – Rn. 32).
Rz. 46
Auch wenn der Verstoß gegen das Verbot der Vorteilsannahme der Regeleinstufung der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis unterfällt, gilt grundsätzlich, dass die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses davon abhängt, ob mildernde Umstände von einem Gewicht vorliegen, das die Schwere des Pflichtenverstoßes und sonstige belastende Umstände aufwiegt. Allerdings kann dies wegen der herausragenden Bedeutung der verletzten Dienstpflicht nur in Erwägung gezogen werden, wenn der Verstoß aufgrund erheblicher mildernder Umstände weniger schwer wiegt oder ein anerkannter Milderungsgrund wie etwa freiwillige Offenbarung eingreift. Liegt ein derartiger Grund nicht vor, kann von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur abgesehen werden, wenn dem Beamten lediglich ein einmaliger Pflichtenverstoß zur Last fällt, der aufgrund der besonders gelagerten Umstände des Einzelfalles eine großzügigere Bewertung rechtfertigt. Dies kann in Betracht kommen, wenn der Beamte kein hervorgehobenes Amt bekleidet und entweder der Wert des Vorteils eher gering ist oder der Vorteil dem Beamten aufgedrängt wird.
Rz. 47
Im Falle des Beklagten sind die Voraussetzungen der Regeleinstufung schon deshalb erfüllt, weil er sich wegen Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat. Erschwerend kommt hinzu, dass der Beklagte in fünf weiteren Fällen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge seine Pflichten zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten innerhalb des Dienstes sowie zur uneigennützigen Amtsausübung vorsätzlich verletzt hat.
Rz. 48
c) Die dem Berufungsurteil zugrunde liegende Gesamtwürdigung des Oberverwaltungsgerichts genügt den dargestellten Anforderungen des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG nicht. Das Oberverwaltungsgericht hat dem Beklagten bei der Gesamtwürdigung zu Unrecht zum einen sein Verteidigungsverhalten im Disziplinarverfahren (aa) und zum anderen die beachtliche negative Resonanz in den Medien (bb) angelastet.
Rz. 49
(aa) und zum anderen die beachtliche negative Resonanz in den Medien (bb) angelastet. aa) Bei der Würdigung seines Persönlichkeitsbildes hat das Oberverwaltungsgericht dem Beklagten vorgehalten, sein Verhalten im Disziplinarverfahren habe nicht die Bereitschaft zur Aufklärung des gegen ihn aufgekommenen Verdachts der Pflichtverletzungen erkennen lassen. Er habe zudem versucht, sich den Vorwürfen durch den Hinweis auf die formaljuristische Trennung zwischen den beiden Gesellschaften zu entziehen.
Rz. 50
Macht ein Beamter im behördlichen Disziplinarverfahren von seinem Schweigerecht, auf das er nach § 20 Abs. 1 Satz 3 BDG ausdrücklich hinzuweisen ist, keinen Gebrauch, so hat es dennoch keine dienstrechtliche Pflicht, im Verfahren vollumfänglich und wahrheitsgemäß auszusagen. Eine derart weit reichende dienstrechtliche Wahrheitspflicht kann schon deshalb nicht angenommen werden, weil sie das Recht des Beamten auf angemessene Verteidigung gegen disziplinarische Vorwürfe unangemessen einschränkte. Der Beamte wäre in dem gegen ihn geführten Disziplinarverfahren vor die Wahl gestellt, entweder vollumfänglich zu schweigen oder das ihm vorgeworfene Dienstvergehen zu gestehen und sämtliche, auch ihn belastende und bisher unbekannte Umstände von sich aus offen zu legen. Eine Hervorhebung von den Beamten objektiv entlastenden Umständen oder auch eine lediglich verharmlosende Darstellung des eigenen Fehlverhaltens wäre danach als eine weitere Dienstpflichtverletzung bei der Maßnahmebemessung erschwerend zu berücksichtigen (Beschluss vom 20. November 2012 – BVerwG 2 B 56.12 – IÖD 2013, 38 Rn. 9 ff.).
Rz. 51
Für den Bereich des Strafprozesses ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass das Verteidigungsverhalten des Angeklagten bei der Strafzumessung nur dann strafschärfend berücksichtigt werden darf, wenn die Grenze angemessener Verteidigung eindeutig überschritten ist und sein Verhalten eine selbstständige Rechtsgutsverletzung enthält. Diese Grenze ist nicht erreicht, wenn der Angeklagte die Tat wahrheitswidrig leugnet, einen unzutreffenden Tathergang schildert oder die Tat und ihre Folgen beschönigt. Dem Angeklagten darf auch nicht zum Nachteil gereichen, dass er anderen die Schuld an der Tat zuschiebt und sich diese Vorwürfe als haltlos erweisen. Gleiches gilt, wenn er Belastungszeugen, insbesondere das Tatopfer, mit unzutreffenden Behauptungen angreift oder gar der Lüge bezichtigt, um ihre Glaubwürdigkeit oder die Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben zu erschüttern. Dagegen ist eine Herabwürdigung von Zeugen, die keinen Bezug zur Tat aufweist, von dem Recht auf Verteidigung nicht mehr gedeckt (BGH, Beschluss vom 7. März 2001 – 2 StR 21/01 – NStZ 2001, 419 ≪420≫; Urteil vom 8. April 2004 – 4 StR 576/03 – NStZ 2004, 616 ≪617≫; Beschluss vom 22. März 2007 – 4 StR 60/07 – NStZ 2007, 463, vom 6. Juli 2010 – 3 StR 219/10 – NStZ 2010, 692 und vom 15. Mai 2012 – 3 StR 121/12 – NStZ 2012, 626).
Rz. 52
Diese Grundsätze des Bundesgerichtshofs zur Grenze des zulässigen Verteidigungsverhaltens im Strafprozess sind auf die Bemessungsentscheidung nach § 13 BDG zu übertragen. Dies gilt unmittelbar für die Fallgestaltung, dass das zulässige Verteidigungsverhalten des Beklagten im Strafverfahren diesem nachträglich im Disziplinarverfahren angelastet werden soll. Hier schließt es der Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung aus, dass es dem Beamten im Disziplinarverfahren zum Nachteil gereicht, im Strafprozess die dort zulässigen Verteidigungsmöglichkeiten genutzt zu haben. Aber auch das Verhalten des Beamten im Disziplinarverfahren bei der Aufklärung des Dienstvergehens kann disziplinarisch nicht anders als sein Verhalten im Strafprozess gewürdigt werden.
Rz. 53
Orientiert sich die dienstrechtliche Wahrheitspflicht im Disziplinarverfahren grundsätzlich an den Grenzen des zulässigen Verteidigungsverhaltens im Strafverfahren, so ist die Grenze des dienstrechtlich Zulässigen erst überschritten, wenn der Beamte im Disziplinarverfahren wider besseres Wissen Dritte diffamiert oder sonst vorsätzlich gegen Strafbestimmungen verstößt (Beschluss vom 20. November 2012 – BVerwG 2 B 56.12 – Rn. 11; Müller, ZBR 2012, 331 ≪339 ff.≫). Dem entspricht, dass ein Beamter erst bei Überschreitung dieser Grenzen oder bei grob schuldhaftem Aufstellen unwahrer Behauptungen dienstlich gemaßregelt oder benachteiligt werden darf, wenn er von seinem Recht Gebrauch macht, Beschwerden vorzubringen oder Rechtsschutz zu beantragen (Urteil vom 15. Dezember 2005 – BVerwG 2 A 4.04 – NVwZ-RR 2006, 485 ≪486≫, insoweit nicht in Buchholz 235.1 § 24 BDG Nr. 1 abgedruckt).
Rz. 54
Ein solches Verhalten des Beklagten im Disziplinarverfahren hat das Oberverwaltungsgericht aber nicht festgestellt.
Rz. 55
bb) Es verstößt ferner gegen § 13 Abs. 1 BDG, dass das Oberverwaltungsgericht dem Beklagten bei der Gesamtwürdigung die erhebliche Medienresonanz seines Dienstvergehens in verschiedenen Phasen des Straf- und Disziplinarverfahrens angelastet hat.
Rz. 56
Die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit der Beamte durch sein Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG beeinträchtigt hat, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Entscheidend ist nicht die subjektive Einschätzung des jeweiligen Dienstvorgesetzten, sondern schon aus Gründen der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) die Frage, inwieweit der Dienstherr bei objektiver Gewichtung des Dienstvergehens auf der Basis der festgestellten belastenden und entlastenden Umstände noch darauf vertrauen kann, dass der Beamte in Zukunft seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird. Entscheidungsmaßstab ist insoweit, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen kann, wenn ihr das Dienstvergehen einschließlich der belastenden und entlastenden Umstände bekannt würde (Urteile vom 20. Oktober 2005 – BVerwG 2 C 12.04 – BVerwGE 124, 252 ≪260≫ und vom 25. August 2009 – BVerwG 1 D 1.08 – juris Rn. 78 insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 232.0 § 77 BBG Nr. 1; Beschluss vom 2. März 2012 – BVerwG 2 B 8.11 – juris Rn. 16). Für die danach gebotene objektive Bewertung der Beeinträchtigung des Vertrauens ist es unerheblich, inwieweit das Dienstvergehen im konkreten Einzelfall in der Öffentlichkeit bekannt geworden und inwieweit hierüber berichtet worden ist.
Rz. 57
Bei der disziplinarischen Ahndung eines Dienstvergehens sind das Schuldprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Aus dem Zusammenspiel von Art. 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip sowie der wertsetzenden Entscheidung des Art. 1 Abs. 1 GG folgt, dass jede Strafe, nicht nur die Strafe für kriminelles Unrecht, sondern auch die strafähnliche Sanktion für sonstiges Unrecht Schuld voraussetzt. Die Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und dem Verschulden des Täters stehen (BVerfG, Beschlüsse vom 7. Mai 1974 – 2 BvR 276/71 – BVerfGE 37, 167 ≪185≫ und vom 4. Oktober 1977 – 2 BvR 80/77 – BVerfGE; 46, 17 ≪27≫; Kammerbeschlüsse vom 19. Februar 2003 – 2 BvR 1413/01 – NVwZ 2003, 1504 juris Rn. 28 und vom 18. Januar 2008 – 2 BvR 313/07 – NVwZ 2008, 669 f., juris Rn. 10). Mit dem Schuldprinzip wäre es nicht zu vereinbaren, die Schwere der Sanktionierung eines Dienstvergehens von der Zufälligkeit abhängig zu machen, ob die Medien den gegen einen Beamten erhobenen Vorwurf eines Dienstvergehens als so bedeutsam ansehen, dass sie darüber berichten.
Rz. 58
Die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts, die beachtliche Medienresonanz habe das Ansehen des …Instituts konkret geschädigt, geben Anlass zu dem Hinweis, dass Schutzgut der Vorschriften des Beamtengesetzes und des Bundesdisziplinargesetzes über die Sanktionierung von Verstößen gegen die Dienstpflichten von Beamten nicht das Ansehen einer ganz konkreten Behörde in der Öffentlichkeit ist. Vielmehr geht es generell um die Integrität des Berufsbeamtentums und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes.
Rz. 59
5. Zwar ist der Beklagte während des gerichtlichen Verfahrens auf seinen Antrag hin in den Ruhestand versetzt worden. Die unangemessen lange Dauer des Disziplinarverfahrens im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2002 (BGBl II S. 1055) stellt aber keinen bemessungsrelevanten Umstand dar, der es bei einem Ruhestandsbeamten rechtfertigt, von der sachlich gebotenen Aberkennung des Ruhegehalts abzusehen. Nach der gesetzlichen Bestimmung des § 13 Abs. 2 Satz 2 BDG ist dies der Fall, wenn der Ruhestandsbeamte als noch im Dienst befindlicher Beamter aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen.
Rz. 60
Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK hat jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.
Rz. 61
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat, entnimmt Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK einen Anspruch auf abschließende gerichtliche Entscheidung innerhalb angemessener Zeit. Die Angemessenheit der Dauer des Verfahrens ist aufgrund einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der Schwierigkeit des Falles, des Verhaltens der Parteien, der Vorgehensweise der Behörden und Gerichte sowie der Bedeutung des Verfahrens für die Parteien zu beantworten. Dies gilt auch für Disziplinarverfahren. Sie müssen innerhalb angemessener Zeit, d.h. ohne schuldhafte Verzögerungen, unanfechtbar abgeschlossen sein. Dabei sind behördliches und gerichtliches Verfahren als Einheit zu betrachten (vgl. nur EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 – 8453/04 – NVwZ 2010, 1015 ≪1017≫).
Rz. 62
Die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zur Gesamtdauer des Disziplinarverfahrens unter Einschluss des Strafverfahrens lassen auf dessen Annahme schließen, es sei zulässig, hinsichtlich der Frage der überlangen Dauer des Verfahrens zwischen der Verantwortung der Klägerin für die Dauer des eigentlichen Disziplinarverfahrens und der des Landes Berlin für das Strafverfahren zu unterscheiden. Aus Sicht der Konvention werden die Vertragsstaaten jedoch mit der Folge als Einheit angesehen, dass sich der Staat hinsichtlich eines Verstoßes gegen die Konvention nicht mit dem Hinweis auf die Verantwortung einer seiner Untergliederungen entlasten kann.
Rz. 63
Die Konvention gilt als völkerrechtlicher Vertrag innerstaatlich nicht unmittelbar; sie genießt – im Gegensatz zum Unionsrecht – keinen Anwendungsvorrang vor dem abweichenden innerstaatlichen Recht. Die Konvention überlässt es den Vertragsparteien, in welcher Weise sie ihrer Pflicht zur Beachtung der Vertragsvorschriften genügen (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 – 2 BvR 1481/04 – BVerfGE 111, 307 ≪316≫). Der Bundesgesetzgeber hat die Konvention und ihre Zusatzprotokolle mit dem Rang eines Bundesgesetzes in die deutsche Rechtsordnung transformiert (Gesetz vom 7. August 1952, BGBl II S. 685; neue Bekanntmachung der EMRK in der Fassung des 11. Zusatzprotokolls, BGBl II 2002, S. 1054).
Rz. 64
Darüber hinaus ist die Bundesrepublik völkervertragsrechtlich verpflichtet sicherzustellen, dass die bundesdeutsche Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit mit der Konvention übereinstimmt. Das innerstaatliche Recht muss im Konfliktfall an die Konvention angepasst werden (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 – a.a.O. S. 322). Auch folgt aus dem Verfassungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit, dass Verwaltung und Gerichte verpflichtet sind, das innerstaatliche Recht in Einklang mit der Konvention auszulegen, soweit dies nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation vertretbar erscheint (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 a.a.O. S. 323 f.; Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a. – BVerfGE 128, 326 = NJW 2011, 1931 jeweils Rn. 93).
Rz. 65
Es liegt nahe, dass für die konventionskonforme Auslegung diejenigen Regeln Anwendung finden, die für die verfassungskonforme Auslegung entwickelt worden sind. Demnach findet diese Auslegung ihre Grenze in dem eindeutigen Wortlaut der Norm sowie in dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers; sie darf Wortlaut und gesetzgeberischem Willen nicht widersprechen (BVerfG, Beschlüsse vom 24. Mai 1995 – 2 BvF 1/92 – BVerfGE 93, 37 ≪81≫ und vom 15. Oktober 1996 – 1 BvL 44, 48/92 – BVerfGE 95, 64 ≪93≫; BVerwG, Urteile vom 28. April 2005 – BVerwG 2 C 1.04 – BVerwGE 123, 308 ≪316≫ und vom 26. Juni 2008 – BVerwG 2 C 22.07 – BVerwGE 131, 242 Rn. 25).
Rz. 66
Für die innerstaatlichen Rechtsfolgen einer unangemessen langen Verfahrensdauer im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ist zu beachten, dass diese Bestimmung nur Verfahrensrechte einräumt. Diese dienen der Durchsetzung und Sicherung des materiellen Rechts; sie sind aber nicht darauf gerichtet, das materielle Recht zu ändern. Daher kann eine unangemessen lange Verfahrensdauer nicht dazu führen, dass den Verfahrensbeteiligten eine Rechtsstellung zuwächst, die ihnen nach dem innerstaatlichen materiellen Recht nicht zusteht. Vielmehr kann sie für die Sachentscheidung in dem zu lange dauernden Verfahren nur berücksichtigt werden, wenn das materielle Recht dies vorschreibt oder zulässt. Ob diese Möglichkeit besteht, ist durch die Auslegung der entscheidungserheblichen materiellrechtlichen Normen und Rechtsgrundsätze zu ermitteln. Bei dieser Auslegung ist das Gebot der konventionskonformen Auslegung im Rahmen des methodisch Vertretbaren zu berücksichtigen (Urteil vom 28. Februar 2013 – BVerwG 2 C 3.12 Rn. 50 und Beschluss vom 16. Mai 2012 – BVerwG 2 B 3.12 – NVwZ-RR 2012, 609 Rn. 12).
Rz. 67
Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, einen inhaltlichen Bezug zwischen der überlangen Dauer eines Verfahrens und den geltend gemachten materiellrechtlichen Positionen herzustellen. Er hat die Verfahrensbeteiligten auf Entschädigungsansprüche nach Maßgabe der §§ 198 ff. GVG in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) verwiesen. Diese Vorschriften finden nach § 173 Satz 2 VwGO auch für Disziplinarverfahren Anwendung (Urteil vom 29. März 2012 – BVerwG 2 A 11.10 – juris Rn. 85; Beschlüsse vom 16. Mai 2012 a.a.O. Rn. 14 und vom 1. Juni 2012 – BVerwG 2 B 123.11 – ThürVBl 2012, 146 f.).
Rz. 68
Die durch § 13 Abs. 2 Satz 2 BDG vorgeschriebene Gleichstellung eines Ruhestandsbeamten mit einem aktiven Beamten gilt auch für die Frage, ob und inwieweit die überlange Dauer des Disziplinarverfahrens bei der Bemessungsentscheidung zu berücksichtigen ist (Beschluss vom 1. Juni 2012 a.a.O. Rn. 8; das BVerfG hat die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, Kammerbeschluss vom 28. Januar 2013 – 2 BvR 1912/12 –). Die in § 13 Abs. 2 Satz 2 BDG geregelte Gleichstellung stellt sicher, dass sich der Ruhestandsbeamte der Sanktionierung eines schweren Dienstvergehens, das er im aktiven Dienst begangen hat, nicht durch den Eintritt in den Ruhestand entziehen kann. Sie findet ihre Rechtfertigung in der Wahrung der Integrität des Beamtentums und des Ansehens des öffentlichen Dienstes sowie in dem Gebot der Gleichbehandlung (BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. November 2001 – 2 BvR 2138/00 – NVwZ 2002, 467; BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2011 – BVerwG 2 C 16.10 – BVerwGE 140, 185 = Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 18 jeweils Rn. 32 und Beschluss vom 13. Oktober 2005 – BVerwG 2 B 19.05 – Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 6).
Rz. 69
Für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme nach einem unangemessen lange dauernden Disziplinarverfahren gelten bei einem aktiven Beamten folgende, nach § 13 Abs. 2 Satz 2 BDG auch für Ruhestandsbeamte maßgebliche Grundsätze:
Rz. 70
Ergibt die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG, dass wegen eines schwerwiegenden Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist, so lässt sich der Verbleib im Beamtenverhältnis allein aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer nicht mit dem Zweck der Disziplinarbefugnis, nämlich dem Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, vereinbaren. Diese Schutzgüter und der Grundsatz der Gleichbehandlung schließen es aus, dass ein Beamter, der durch gravierendes Fehlverhalten im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist, weiterhin Dienst leisten und als Repräsentant des Dienstherrn hoheitliche Befugnisse ausüben kann, weil das gegen ihn geführte Disziplinarverfahren unangemessen lange gedauert hat. Das von dem Beamten zerstörte Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf und damit auch nicht durch eine verzögerte disziplinarrechtliche Sanktionierung schwerwiegender Pflichtenverstöße wiederhergestellt werden.
Rz. 71
Ergibt die Gesamtwürdigung dagegen, dass eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme ausreichend ist, steht fest, dass der Beamte im öffentlichen Dienst verbleiben kann. Hier kann das disziplinarrechtliche Sanktionsbedürfnis gemindert sein, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen beruflichen und wirtschaftlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben. Unter dieser Voraussetzung kann eine unangemessen lange Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildernd berücksichtigt werden (zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1977 – 2 BvR 80/77 – BVerfGE 46, 17 ≪28 f.≫; Kammerbeschluss vom 9. August 2006 – 2 BvR 1003/05 – DVBl. 2006, 1372 ≪1373≫; BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2005 – BVerwG 1 D 30.03 – juris Rn. 80, vom 8. Juni 2005 – BVerwG 1 D 3.04 – juris Rn. 27 und vom 29. März 2012 – BVerwG 2 A 11.10 – juris Rn. 84 f.; Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 – BVerwG 2 B 19.05 – Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 8, vom 26. August 2009 – BVerwG 2 B 66.09 – juris Rn. 11 und vom 16. Mai 2012 a.a.O. Rn. 9 f.).
Rz. 72
6. Das Revisionsgericht hat bei der Anwendung des revisiblen Rechts auf den festgestellten Sachverhalt (§ 137 Abs. 2 VwGO, § 69 BDG) grundsätzlich dieselben Befugnisse und Entscheidungsmöglichkeiten, die das Berufungsgericht im Falle einer Zurückverweisung hätte (Urteil vom 6. Juli 1994 – BVerwG 11 C 12.93 – Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 271). Die Regelung des § 60 Abs. 2 Satz 2 BDG, die den Verwaltungsgerichten die Befugnis zur Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme überträgt, gilt gemäß § 70 Abs. 1 und § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG auch für das Revisionsverfahren (Urteile vom 3. Mai 2007 – BVerwG 2 C 9.06 – a.a.O. Rn. 26 f. und vom 24. Mai 2007 – BVerwG 2 C 25.06 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 4 Rn. 28).
Rz. 73
Der Senat kann von dieser Befugnis jedoch nur Gebrauch machen, wenn er aufgrund der gemäß § 137 Abs. 2 VwGO, § 69 BDG bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils eine gesetzeskonforme, d.h. den Anforderungen gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG genügende Bemessungsentscheidung treffen kann. Er kann weder Tatsachen berücksichtigen, die nicht festgestellt sind, noch die Richtigkeit der festgestellten Tatsachen nachprüfen. Die tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts reichen für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme jedoch nicht aus.
Rz. 74
Zu den bemessungsrelevanten Umständen, die in die prognostische Gesamtwürdigung einzustellen sind, gehört auch die Motivlage des betroffenen Beamten. Die Prognoseentscheidung setzt die Ermittlung der Beweggründe voraus, die den betroffenen Beamten zu seinem Verhalten veranlasst haben (Urteile vom 28. Juli 2011 – BVerwG 2 C 16.10 – a.a.O. Rn. 29 und vom 23. Februar 2012 – BVerwG 2 C 38.10 – NVwZ-RR 2012, 479 sowie Beschlüsse vom 23. Januar 2013 – BVerwG 2 B 63.12 juris Rn. 7 und vom 6. September 2012 – BVerwG 2 B 31.12 – juris Rn. 14). Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen getroffen.
Rz. 75
Hier liegt die Annahme nahe, dass der Beklagte durch seine dienstliche Tätigkeit beim Institut der BGB-Gesellschaft Aufträge verschafft hat, damit diese ihrerseits für Miete, Telefon, Nebenkosten und für projektbezogene wissenschaftliche und fachliche Mitarbeit Zahlungen an seine GmbH leisten konnte, um schließlich den Beklagten, den Alleingesellschafter der GmbH, bei der Erfüllung der ihm als Privatperson obliegenden monatlichen Mietzinszahlungen zu unterstützen. Im Herbst 1998 war der Beklagte mit dem Versuch gescheitert, den bis Ende 2002 laufenden Mietvertrag, der von ihm als Privatperson monatliche Mietzinszahlungen von mehr als 9300 DM verlangte, aufzulösen. Ob dies (oder ein anderes Motiv) der maßgebliche Beweggrund für das Fehlverhalten des Beklagten war, hat das Oberverwaltungsgericht nicht untersucht; das Fehlen diesbezüglicher Feststellungen hindert den Senat, selbst von der Befugnis des § 60 Abs. 2 Satz 2 BDG Gebrauch zu machen.
Unterschriften
Domgörgen, Dr. Heitz, Dr. von der Weiden, Dr. Hartung, Dr. Kenntner
Fundstellen
Haufe-Index 4366623 |
RDV 2013, 201 |
BayVBl. 2013, 3 |
DVBl. 2013, 3 |
NPA 2014 |