Entscheidungsstichwort (Thema)
Enteignung eines Verstorbenen. „Enteignung an den, den es angeht”. SMAD-Befehle Nr. 124 und 64. Enteignung auf besatzungshoheitlicher Grundlage. Irrtum der enteigneten Behörde über den Rechtsinhaber. nicht fristgerechte Umsetzung des SMAD-Befehls Nr. 64 durch deutsche Behörden
Leitsatz (amtlich)
Eine Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage im Sinne des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß sich die Maßnahme gegen einen bereits Verstorbenen richtete.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 8 Buchst. a
Verfahrensgang
VG Dresden (Urteil vom 15.01.1993; Aktenzeichen II K 123/92) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 15. Januar 1993 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt die Rückgabe eines Grundstücks nach den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz – VermG –).
Der Kläger war zusammen mit seiner Mutter Erbe seines am 21. September 1945 in einem sowjetischen Internierungslager verstorbenen Vaters. Dieser war Eigentümer eines Grundstücks in Z. gewesen. Das Grundstück wurde mit Beschluß der Deutschen Wirtschaftskommission – DWK – vom 21. September 1948 in Volkseigentum überführt. Eine entsprechende Grundbucheintragung wurde am 11. April 1949 auf Ersuchen des Kreisrates vorgenommen. Einwendungen der Mutter des Klägers, die sich darauf berufen hatte, daß ihr Ehemann verstorben sei, und dies mit einer eidesstattlichen Versicherung eines Mithäftlings belegt hatte, blieben erfolglos. Die Abwicklungsstelle des SMAD-Befehls Nr. 64 verlangte von ihr die Vorlage einer Sterbeurkunde, wozu sie seinerzeit nicht in der Lage war.
Im Jahre 1990 beanspruchte der Kläger, der alleiniger Erbe seiner inzwischen verstorbenen Mutter ist, die Rückgabe des enteigneten Grundstücks. Er berief sich darauf, daß die gegen seinen Vater wegen dessen Mitgliedschaft in der NSDAP gerichtete Enteignung erst drei Jahre nach dessen Tod durchgeführt worden sei; sie sei daher nach damals geltenden Richtlinien des Landes Sachsen nicht mehr zulässig gewesen. Der Landkreis Z. lehnte den Antrag ab, weil die Enteignung auf einem Beschluß der DWK beruhe und eine Rückgabe daher nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ausgeschlossen sei.
Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat der Kläger das Verwaltungsgericht angerufen, das seiner Klage stattgegeben hat. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Zwar gebe es Anhaltspunkte dafür, daß die Umschreibung des Grundstücks in das Eigentum des Volkes auf die SMAD-Befehle Nr. 124 und Nr. 64 und den Beschluß der DWK vom 21. September 1948 zurückzuführen sei. Dennoch finde § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG keine Anwendung, weil der Vater des Klägers bereits vor Erlaß beider Befehle verstorben sei. Eine Enteignung, nach diesen besatzungsrechtlichen Bestimmungen setze voraus, daß dem bisherigen Berechtigten die Verfügungsgewalt über die Sache entzogen werde. Die Enteignung eines Toten sei daher auf etwas objektiv Unmögliches gerichtet und infolgedessen rechtlich wirkungslos gewesen. Die Anwendung des Vermögensgesetzes auf derartige Fälle widerspreche auch nicht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; denn es sei kein Fall von Exzeß oder Willkür, wenn lediglich der Anschein einer Enteignung erzeugt werde. Der Wortlaut des Befehls Nr. 64 und der zu seiner Umsetzung erlassenen Mitteilungen deutscher Behörden machten deutlich, daß nur das Vermögen habe enteignet werden sollen, das sich zum Stichtag im Eigentum des durch den Enteignungsbeschluß Betroffenen befunden habe, nicht aber das Vermögen der Ehefrau oder das durch Erbgang den Kindern zugefallene Vermögen. Selbst wenn man davon ausgehe, daß in Fällen schwerer Schuld des zu Enteignenden auch dessen Angehörige gleichsam in Sippenhaft hätten genommen werden sollen, so liege hier kein Hinweis dafür vor, daß der Vater des Klägers in diese Kategorie gefallen sei. Der Anspruch des Klägers auf Grundstücksrückgabe ergebe sich somit aus § 1 Abs. 3 VermG. Die unlautere Machenschaft liege darin, daß eine Grundbuchumschreibung ohne vorherige wirksame Enteignung veranlaßt worden sei. Die Behörden hätten der Ehefrau des Verstorbenen keine Gelegenheit gegeben, durch Vorlage eines Totenscheins die Unrechtmäßigkeit der Grundbuchumschreibung nachzuweisen, und selbst keine Ermittlungen zum Tod des zu Enteignenden angestellt, weil ihnen die Rechtswidrigkeit einer gegen Familienangehörige eines Kriegsverbrechers gerichteten Enteignung bewußt gewesen sei.
Mit seiner durch den Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter und macht dazu geltend: Nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG sei das damalige Enteignungsverständnis maßgebend. Der NSDAP- Mitglieder betreffende Enteignungsausspruch habe sich daher auch gegen den Rechtsnachfolger des Verstorbenen richten sollen; denn neben der Verhängung von Sühnemaßnahmen sei eine Wiedergutmachung gegenüber der Allgemeinheit bezweckt gewesen. Es habe sich um eine „Enteignung an den, den es angeht” gehandelt. Solche Enteignungen seien der Besatzungsmacht bekanntgewesen, wie § 2 Abs. 2 der Richtlinie Nr. 3 zum Befehl Nr. 64 zeige, der die Revision solcher Enteignungen aus Billigkeitsgründen zugelassen habe. Da dies hier nicht geschehen sei, habe auch kein der Enteignung entgegenstehender Wille der Besatzungsmacht vorgelegen. Daß der Vater des Klägers bereits vor Erlaß des SMAD-Befehls Nr. 124 verstorben sei, sei wegen Nummer 7 der Instruktionen zu diesem Befehl unerheblich. Aber selbst wenn man mit dem Verwaltungsgericht eine „Enteignung, an den, den es angeht” ablehne, lägen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG vor; denn die Enteignung beruhe auf einem Verwaltungsakt der DWK nach Abschnitt 4 des Befehls Nr. 64 zugunsten des Volkseigentums, der gegenüber dem bisherigen Rechtsinhaber Drittwirkung habe.
Der Kläger verteidigt demgegenüber die Ausführungen des angegriffenen Urteils. Er trägt vor: Sein Vater sei von den SMAD-Befehlen Nr. 124 und Nr. 64 nicht erfaßt worden; diese Befehle hätten sich nur gegen führende NSDAP-Mitglieder gerichtet. Daran sei auch der vom Beklagten erwähnte Wiedergutmachungszweck orientiert gewesen. Soweit der Beklagte sich auf den in der Grundbucheintragung erwähnten Beschluß der DWK vom 21. September 1948 berufe, habe er bis jetzt nicht nachgewiesen, wann und ob das Grundstück überhaupt unter Sequester gestellt worden sei. Es fehle auch an einem besonderen Enteignungsbeschluß für das Grundstück, der notwendig gewesen sei, um es in die Enteignungslisten über sonstiges Vermögen aufzunehmen. Wäre eine Enteignung im Sinne der SMAD-Befehle durchgeführt worden, hätte nach § 7 der Richtlinie Nr. 3 zum Befehl Nr. 64 dem Erblasser oder der Erbengemeinschaft eine die Enteignung feststellende Urkunde zugestellt werden müssen. Auch dies sei nicht geschehen. Liege demnach eine Enteignung im Sinne der SMAD-Befehle nicht vor, sei das „Ersuchen des Kreisrates”, das die Grundbucheintragung bewirkt habe, ein zweckwidriger Einsatz staatlicher Machtmittel, der unter die Bestimmungen des Vermögensgesetzes falle.
Der Oberbundesanwalt vertritt die Auffassung, § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG gelte auch für Enteignungen, die gegen einen im Zeitpunkt der Maßnahme toten Adressaten gerichtet gewesen seien. Da der Gesetzgeber bei der Abfassung dieser Vorschrift dem Wunsch der Sowjetunion nach einem umfassenden Ausschluß der Restitution bei Maßnahmen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitsrechtlicher Grundlage habe Rechnung tragen müssen, habe er nicht danach differenzieren können, ob eine Enteignung im Rechtssinne oder lediglich eine faktische Vermögensentziehung vorgelegen habe. Abgesehen davon dürfte die sowjetische Besatzungsmacht keinen Unterschied zwischen Enteignungen im Rechtssinne und der faktischen Entziehung des Vermögens eines Toten gemacht haben.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben; denn dem Restitutionsbegehren des Klägers steht die Vorschrift des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG entgegen.
Nach dieser Vorschrift gilt das Vermögensgesetz vorbehaltlich seiner Bestimmungen über Zuständigkeiten und Verfahren nicht für Enteignungen von Vermögenswerten auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage. Um eine solche Maßnahme auf besatzungshoheitlicher Grundlage handelte es sich aber bei dem Zugriff auf das Grundstück, das dem Vater des Klägers gehört hatte. Darunter sind solche Enteignungen zu verstehen, die zwar nicht – wie die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher Grundlage – auf Beschluß der sowjetischen Besatzungsmacht vorgenommen wurden, die aber auf deren Wünsche oder Anregungen zurückgingen oder sonst ihrem generellen oder im Einzelfall geäußerten Willen entsprachen (vgl. Urteil des Senats vom 30. Juni 1994 – BVerwG 7 C 58.93 – m.w.N.). So verhielt es sich hier. Die Enteignung des Grundstücks wurde durch Beschluß der Deutschen Wirtschaftskommission – DWK – ausgesprochen, der seinerseits seine Grundlage in Abschnitt 4 des SMAD-Befehls Nr. 64 fand. Dieser nahm wiederum Bezug auf die im SMAD-Befehl Nr. 124 angeordnete Sequestrierung. Diese besatzungshoheitliche Grundlage der getroffenen Maßnahme wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Vater des Klägers bereits gestorben war, als der Enteignungsbeschluß erging. Zwar begründete dieser keine „Enteignung an den, den es angeht” in dem Sinne, wie der Beklagte sie versteht (1.), und es gibt gewichtige Anhaltspunkte dafür, daß der Entzug des Grundstücks durch das Besatzungsrecht nicht gedeckt war (2.); das ändert jedoch nichts an der Anwendbarkeit des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG (3.).
1. Die Auffassung des Beklagten, der der Enteignung vorausgehende Tod des Vaters des Klägers schließe schon deswegen die Anwendung des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG nicht aus, weil sich der Enteignungsausspruch nach damaligem Verständnis nicht ausschließlich gegen das namentlich genannte NSDAP- Mitglied, sondern gegebenenfalls auch gegen dessen Rechtsnachfolger richten sollte, wird den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht gerecht. Wäre der enteignenden Behörde der Tod des Belasteten wirklich gleichgültig gewesen, weil die Enteignung sich in diesem Falle ohne weiteres gegen seinen Rechtsnachfolger (also den, den es jetzt anging) richten sollte, ist nicht erklärlich, warum die Abwicklungsstelle des SMAD-Befehls Nr. 64 auf dem Nachweis des Todes durch eine Sterbeurkunde bestanden hat. Dieses Verlangen belegt, daß der Hinweis der Mutter des Klägers auf den Tod ihres Ehemanns durchaus als erheblich angesehen wurde. Aus dem Umstand, daß der Tod des Belasteten als nicht hinreichend nachgewiesen betrachtet wurde, ergibt sich gleichzeitig zwingend, daß sein und nicht das auf seine Erben übergegangene Vermögen enteignet werden sollte. Von einer gewollten Enteignung gegenüber dem, den es anging, kann daher schon aus tatsächlichen Gründen keine Rede sein.
2. Es spricht auch vieles dafür, daß der Zugriff auf das Vermögen des Verstorbenen durch das seinerzeit gültige Besatzungsrecht nicht gedeckt war. Die Sequestrierung aufgrund des SMAD-Befehls Nr. 124 wurde ausdrücklich für das Vermögen angeordnet, das dem in Abschnitt 1 a – f genannten Personenkreis „gehört”. An diese Sequestration schloß – soweit hier von Belang – der SMAD-Befehl Nr. 64 an, dessen Abschnitt 4 der DWK und – entsprechend ihren Anweisungen – den Landesregierungen die Pflicht auferlegte, bis zum 15. Mai 1948 eine Entscheidung über den sonstigen sequestrierten Besitz zu treffen. Die Richtlinie Nr. 3 der DWK zur Ausführung dieses Befehls regelte in ihrem § 2 Abs. 1 Satz 1, daß sich die Enteignung der sonstigen Vermögen auf das gesamte Vermögen erstreckte, das sich zum Zeitpunkt der Beschlußfassung durch die Landesregierung im Eigentum der durch den Enteignungsbeschluß Betroffenen befunden hatte.
Das Argument der Beklagten, § 2 Abs. 2 der Richtlinie zeige, daß die Besatzungsmacht auch Enteignungen Verstorbener gebilligt habe, trägt nicht. Diese Vorschrift erlaubte die Rückgabe des enteigneten Gegenstandes an den Enteigneten oder einen nächsten Verwandten, wenn die Enteignung gegenüber dem Betroffenen, seinen nahen Angehörigen oder Hinterbliebenen eine besondere Härte dargestellt hätte, die Schuld des Enteigneten nicht besonders schwer war und die Rückgabe sozial und wirtschaftlich gerechtfertigt erschien. Zur Frage, ob das Vermögen eines Verstorbenen enteignet werden durfte, besagte dies nichts; denn die Regelungen waren im vollen Umfange auch dann sinnvoll, wenn der Enteignete erst nach der behördlichen Maßnahme verstorben war. Allerdings gab es daneben auch „Richtlinien für Verfügungen von Todes wegen und Rechtsgeschäfte unter Lebenden” der Zentralen Deutschen Kommission für Sequestrierung und Beschlagnahme, die darauf hindeuten, daß Enteignungen trotz des Todes des Belasteten durchgeführt wurden.
Betrachtet man die genannten Rechtsquellen im Zusammenhang, scheint die rechtliche Ausgangslage wie folgt gewesen zu sein: Enteignet werden sollte nach dem hier maßgeblichen Besatzungsrecht grundsätzlich das Vermögen des Belasteten. Die Maßnahme sollte ihn persönlich treffen. War er verstorben, konnte unter qualifizierten Voraussetzungen der Nachlaß enteignet werden. Dabei waren, wenn der Tod bereits vor der Beschlagnahme eingetreten war, die Erben Adressaten des Verfahrens. Eine sogenannte „Enteignung an den, den es angeht”, die hier – wie dargelegt – schon tatsächlich nicht stattgefunden hat, scheint unter den gegebenen Voraussetzungen auch rechtlich nicht vorgesehen gewesen zu sein.
3. Eine eingehendere besatzungsrechtliche Beurteilung des Sachverhalts ist jedoch nicht erforderlich. Die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 8 Buchst. a VerrnG entfiele selbst dann nicht, wenn der Zugriff auf das Vermögen des Verstorbenen durch das Besatzungsrecht nicht gedeckt war.
Das in § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG enthaltene Tatbestandsmerkmal „auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage” weist keinen unmittelbaren Bezug zur Rechtmäßigkeit der Enteignung nach damaligem Recht auf. Von Belang kann vielmehr nur sein, auf welche Rechtsnormen oder Hoheitsakte der Enteignende seine Maßnahme gründete und ob sie in den Verantwortungsbereich der Besatzungsmacht fiel. Das folgt aus dem Zweck des Restitutionsausschlusses, die Sowjetunion hinsichtlich der von ihr zu verantwortenden Enteignungen von dem die Restitution begleitenden Unrechtsvorwurf freizustellen (vgl. dazu näher Urteil des Senats vom 29. April 1994 – BVerwG 7 C 47.93 –).
Daß der Zugriff der deutschen Behörde auf das Vermögen des Verstorbenen sich hier auf Besatzungsrecht gründete, steht außer Zweifel. Zwar hat der Kläger erstmals in der Revisionsinstanz geltend gemacht, eine Enteignung aufgrund der SMAD-Befehle sei nicht hinreichend belegt. Dieser Vortrag geht jedoch am Inhalt der Verwaltungsvorgänge vorbei, auf den das angegriffene Urteil verweist. Die Nennung des DWK- Beschlusses in der Grundbucheintragung, der Schriftverkehr der Mutter des Klägers mit der Abwicklungsstelle des Befehls Nr. 64 und ein ebenfalls in den Akten enthaltenes Schreiben des Leiters des Amtes zum Schütze des Volkseigentums vom 19. Oktober 1949 an die Mutter des Klägers, in dem ihr Einspruch unter Hinweis auf den genannten Beschluß der DWK zurückgewiesen wird, zwingen zu dem Schluß, daß die Enteignung auf der Grundlage von Hoheitsakten der Besatzungsmacht ausgesprochen wurde.
Die Maßnahme fiel auch nicht deswegen aus dem Verantwortungsbereich der Besatzungsmacht, weil die maßgeblichen Befehle die Enteignung Verstorbener möglicherweise nicht oder nur unter qualifizierten Voraussetzungen zuließen. Da der Sowjetunion in der Besatzungszone die oberste Hoheitsgewalt zukam, konnte sie bei der Verwirklichung der von ihr angeordneten Maßnahmen jederzeit lenkend und korrigierend eingreifen. Infolgedessen erstreckt sich ihre Verantwortung grundsätzlich auch auf die von den deutschen Stellen geübte Enteignungspraxis, selbst wenn die einschlägigen Rechtsgrundlagen exzessiv ausgelegt oder nach rechtsstaatlichen Grundsätzen willkürlich angewendet wurden (BVerfGE 84, 90). Etwas anderes kann nur dann angenommen werden, wenn die Besatzungsmacht das Handeln generell oder im Einzelfall ausdrücklich mißbilligt und ein entsprechendes Verbot verhängt hatte mit der Folge, daß dem widersprechende Maßnahmen keine Rechtsgeltung zeitigen sollten. Unter solchen Voraussetzungen widerspräche die Anwendung des Vermögensgesetzes nicht dem Zweck des § 1 Abs. 8 Buchst a VermG; die Restitution würde im Gegenteil dem seinerzeit ausgesprochenen Verbot Rechnung tragen. Von einem solchen Verstoß gegen ein von der Besatzungsmacht verhängtes Verbot kann aber bei dem hier in Rede stehenden Zugriff auf das Vermögen eines Verstorbenen keine Rede sein, selbst wenn die SMAD-Befehle den konkreten Enteignungsakt nicht zugelassen haben sollten. Es hätte sich nur um einen Rechtsanwendungsfehler gehandelt, der die Besatzungsmacht nicht von ihrer Verantwortung entband.
Die Anwendung des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG auf die Enteignung eines Verstorbenen läßt sich auch nicht mit der Begründung des Verwaltungsgerichts verneinen, eine solche Maßnahme sei auf etwas objektiv Unmögliches gerichtet und damit rechtlich wirkungslos gewesen. Diese Auffassung geht an den seinerzeit eingetretenen Folgen der Maßnahme vorbei. Die Enteignung richtete sich gegen das sonstige Vermögen des Vaters des Klägers, wobei jedenfalls keinerlei Unklarheit oder Streit darüber bestand, daß das umstrittene Grundstück dazugehörte. Insoweit ging die Maßnahme daher auch nicht ins Leere. Sie war zwar nicht als „Enteignung an den, den es anging” gewollt, sie sollte aber eine Rechtsbeziehung zwischen dem neuen Eigentümer und dem Vermögensgegenstand begründen und mußte damit zwangsläufig zugleich die Rechtsstellung des bisherigen Eigentümers zerstören, gleichgültig wer dies war. Insoweit beschwerte sie in der Tat denjenigen, den es anging. Ob der Irrtum des Enteignenden über den Rechtsinhaber nach heutigem Rechtsverständnis zur Nichtigkeit der Maßnahme führen würde, ist für die Anwendung des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG nicht von Belang. Entscheidend ist vielmehr, daß der Verwaltungsakt Wirkungen äußerte, weil der Gegenstand, der in Beschlag genommen und schließlich weggenommen wurde und auch werden sollte, unzweifelhaft vorhanden war und daher auch in Volkseigentum überführt werden konnte. Das es den Adressaten der Maßnahme nicht mehr gab, änderte daran nichts.
Die Annahme, es habe sich um eine Maßnahme auf besatzungshoheitlicher Grundlage gehandelt, scheitert schließlich auch nicht daran, daß – wie der Kläger geltend macht – der Enteignungsbeschluß der DWK nicht bis zum 15. Mai 1948 getroffen worden ist, wie es Abschnitt 4 des SMAD-Befehls Nr. 64 vorschreibt. Auch dies ist kein Rechtsverstoß, der die Enteignung aus der Verantwortung der Besatzungsmacht entläßt. Da der Beschluß der DWK sämtliches in den Enteignungslisten zusammengefaßtes sonstiges Vermögen betraf, handelte es sich um eine Fristüberschreitung, die der Besatzungsmacht nicht verborgen geblieben sein kann. Schon deswegen kann nicht angenommen werden, diese Enteignungen hätten nicht dem Willen der Besatzungsmacht entsprochen. Da diese das Ziel verfolgte, belastetes Vermögen entsprechend der von ihr angestrebten gesellschaftlichen Umgestaltung in Volkseigentum überführen zu lassen, wäre es im übrigen widersinnig anzunehmen, sie hätte den Bestand der Enteignungen von dem fristgerechten Handeln der deutschen Behörden abhängig machen wollen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Dr. Franßen, Dr. Paetow Richter Dr. Bardenhewer ist wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben., Dr. Franßen, Kley, Herbert
Fundstellen
Haufe-Index 1210938 |
BVerwGE, 253 |
ZIP 1994, 1480 |