Entscheidungsstichwort (Thema)
Ortszuschlagsstufe für in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Beamten
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Beamter, der in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft lebt, hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Zahlung des Ortszuschlages der Stufe 2.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1; BBesG § 40 Abs. 2 Nr. 4 S. 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Entscheidung vom 01.08.1991; Aktenzeichen 3 L 143/91; NJW 1992, 258) |
VG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 04.04.1990; Aktenzeichen 11 A 346/89) |
Tatbestand
Der Kläger ist als Polizeimeister bei der Grenzschutzverwaltung tätig. Seit Juni 1986 lebte er zusammen mit seiner jetzigen Ehefrau und damaligen Verlobten in von ihm gemieteten Wohnungen. Er beantragte die Gewährung des Ortszuschlags der Stufe 2 für die Zeiten, in denen seine Verlobte arbeitslos war (1. Juni 1986 bis 1. Mai 1987; 13. Oktober 1987 bis 30. April 1988 und 1. November 1988 bis 26. April 1989). Mit Bescheid vom 4. August 1989 lehnte die Beklagte diesen Antrag mit der Begründung ab, der Kläger sei seiner Verlobten weder gesetzlich noch sittlich zum Unterhalt verpflichtet.
Der vom Kläger nach erfolglos durchgeführtem Vorverfahren erhobenen Klage mit dem Begehren, die Beklagte zu verpflichten, ihm für den geltend gemachten Zeitraum den Ortszuschlag der Stufe 2 zu gewähren, hat das Verwaltungsgericht in vollem Umfang stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das angefochtene Urteil teilweise geändert und die Klage insoweit abgewiesen, als der Kläger den erhöhten Ortszuschlag für die Zeit vom 1. Juni 1986 bis 30. April 1987 und vom 1. November 1988 bis 31. Januar 1989 begehrte; im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt (Urteil vom 1. August 1991 - 3 L 143/91 - ≪NJW 1992, 258≫ m. Anm. von Rüthers, NJW 1992, 879; Schröer, NJW 1992, 1605 und Meier/Schimmel, NVwZ 1993, 41):
Für die Zeit vom 1. November 1988 bis 31. Januar 1989 scheitere der Anspruch des Klägers auf Gewährung des erhöhten Ortszuschlags gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 BBesG daran, daß seiner Verlobten in dieser Zeit Mittel zur Verfügung standen, die das Sechsfache des Unterschiedsbetrags zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des Ortszuschlags überstiegen. Für die Zeit vom 1. Juni 1986 bis 30. April 1987 habe für den Kläger keine sittliche Verpflichtung zur Unterhaltsleistung bestanden, da eine solche Verpflichtung nicht schon dann eintrete, wenn zwei Partner eine gemeinsame Wohnung bezögen und wie Eheleute zusammenlebten, sondern erst dann, wenn sich diese Beziehung durch eine gewisse Dauer als derart beständig erwiesen habe, daß es nach dem Urteil aller billig und gerecht Denkenden gegen ein Gebot des Anstands verstieße, wenn der verdienende Partner dem hilfsbedürftigen Partner keinen Unterhalt gewährte. Eine solche sittliche Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung trete regelmäßig nach einjährigem eheähnlichem Zusammenleben ein. Denn anderenfalls bliebe dem verdienenden Partner nur die Möglichkeit, seinem unterhaltsbedürftigen Partner Unterkunfts- und Unterhaltsgewährung zu versagen, d.h., ihn aus der Wohnung zu weisen, um ihn auf diese Weise in den Genuß staatlicher Sozialleistungen kommen zu lassen. Ein solches Verhalten betrachte das Berufungsgericht indes als groben Verstoß gegen die Gebote menschlichen Anstands.
Die Beklagte hat die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 4. April 1990 und das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 1. August 1991 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Der Kläger tritt der Revision entgegen.
Er verteidigt im wesentlichen das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt unter entsprechender Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile zur vollständigen Abweisung der Klage.
Der Kläger hat gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 BBesG auch für den im Revisionsverfahren noch streitigen Zeitraum vom 1. Oktober 1987 bis 30. April 1988 keinen Anspruch auf Zahlung des erhöhten Ortszuschlags der Stufe 2. Die Höhe des Ortszuschlags bestimmt sich gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 BBesG nach der Tarifklasse, der die Besoldungsgruppe des Beamten zugeteilt ist, und nach der Stufe, die seinen Familienverhältnissen entspricht. Zur Stufe 2 gehören neben verheirateten, verwitweten und geschiedenen, aus der Ehe zum Unterhalt verpflichteten Beamten gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 BBesG Beamte, die eine andere Person nicht nur vorübergehend in ihre Wohnung aufgenommen haben und ihr Unterhalt gewähren, weil sie gesetzlich oder sittlich dazu verpflichtet sind oder aus beruflichen oder gesundheitlichen Gründen ihrer Hilfe bedürfen. Das Erfordernis der gesetzlichen oder sittlichen Verpflichtung im Sinne dieser Vorschrift bezieht sich nur auf die Unterhaltsgewährung, nicht auch auf die Aufnahme in die Wohnung des Beamten (Urteil vom 31. Mai 1990 - BVerwG 2 C 43.88 - ≪Buchholz 240 § 40 Nr. 19≫).
Eine gesetzliche Verpflichtung des Klägers zur Unterhaltsgewährung gegenüber seiner früheren Lebensgefährtin scheidet aus, weil nach bürgerlichem Recht, das insoweit mangels eigenständiger Regelung im Bundesbesoldungsrecht für die Beurteilung dieser Frage maßgebend ist (vgl. BVerwGE 70, 264 ≪265 ff.≫; Urteile vom 29. Januar 1987 - BVerwG 2 C 6.85 - ≪Buchholz 239.1 § 50 Nr. 2≫ und vom 13. September 1990 - BVerwG 2 C 4.88 - ≪Buchholz 240 § 40 Nr. 21≫), eine Unterhaltsverpflichtung zwischen Verlobten nicht besteht (§§ 1601, 1606 ff. BGB).
Der Kläger war aber auch sittlich nicht verpflichtet, seiner Verlobten in der fraglichen Zeit Unterhalt zu gewähren. Das Berufungsgericht ist insoweit von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgegangen. Wie der erkennende Senat mehrfach entschieden hat, kommt es in diesem Zusammenhang nicht entscheidend darauf an, ob und gegebenenfalls welche gegenseitigen Verpflichtungen während des Zusammenlebens nicht verheirateter Partner bestehen. Es geht auch nicht um die rechtliche Einordnung nichtehelicher Lebensgemeinschaften. Maßgebend ist vielmehr allein, ob der E n t z u g von Leistungen (Unterkunft und Unterhalt) nach dem Urteil aller billig und gerecht Denkenden gegen ein Gebot des Anstandes verstieße und damit moralisch anstößig wäre, d.h. wenn aufgrund der persönlichen Bindungen der Partner einer solchen Gemeinschaft nach der Verkehrsauffassung eine Pflicht zum Helfen besteht (Beschluß vom 4. August 1982 - BVerwG 2 B 101.81 - ≪Buchholz 235 § 62 Nr. 1≫ im Anschluß an das Urteil vom 19. Dezember 1968 - BVerwG 8 C 30.67 - ≪Buchholz 448.0 § 12 Nr. 36≫ und Urteil vom 13. September 1990 - BVerwG 2 C 4.88 - ≪a.a.O.≫). Das aber ist bei einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht der Fall. Das individualisierende gesetzliche Merkmal der sittlichen Verpflichtung ist seiner Natur nach ungeeignet, Anwendung auf ganze Personengruppen zu finden. Es entspricht dem augenfälligen Sinn der eheähnlichen Gemeinschaft als einer Erscheinungsform des sozialen Lebens, ihren Fortbestand vom freien Entschluß der Beteiligten abhängig zu machen. Keiner der Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist deshalb grundsätzlich sittlich verpflichtet, das Zusammenleben und die damit etwa verbundene Unterkunfts- und Unterhaltsgewährung - und sei es auch nur vorübergehend - aufrechtzuerhalten (Beschluß vom 4. August 1982 - BVerwG 2 B 101.81 - ≪a.a.O.≫; Urteil vom 13. September 1990 - BVerwG 2 C 4.88 - ≪a.a.O.≫; vgl. auch BVerfGE 87, 234 ≪265≫). Es steht ihm vielmehr frei, jederzeit - unabhängig von der bisherigen Dauer der eheähnlichen Gemeinschaft - und ohne rechtlich geregeltes Verfahren sein bisheriges Verhalten zu ändern und sein Einkommen ausschließlich zur Befriedigung eigener Bedürfnisse oder zur Erfüllung eigener Verpflichtungen zu verwenden (BVerfGE 87, 234 ≪265≫).
Es kann allerdings über die in Nr. 40.2.10 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesbesoldungsgesetz vom 23. November 1979 (GMBl 1980, 3) angeführten Beispiele hinaus Fälle geben, in denen die Frage der sittlichen Verpflichtung anders zu beurteilen ist, etwa bei einer schweren Erkrankung oder einer durch Pflege des Beamten oder die Betreuung gemeinsamer Kinder bedingten Bedürftigkeit eines der Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft (vgl. hierzu auch BFH, Urteil vom 27. Oktober 1989 - III R 205/82 - ≪BB 1990, 685 (686)≫; BGHZ 91, 273 ≪277≫ m.w.N.). Das Vorliegen derartiger oder vergleichbarer Umstände hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Das bloße Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft für mindestens ein Jahr reicht für sich genommen nicht aus, um eine Ausnahmesituation und damit eine sittliche Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung anzunehmen. Für eine Verlobung kann insoweit nichts anderes gelten; sie ist ebenfalls jederzeit und ohne Begründung auflösbar (§ 1297 Abs. 1 BGB). Auch der Umstand, daß der Kläger mit seiner Verlobten später die Ehe geschlossen hat, ändert an dieser Beurteilung nichts, da gemäß § 3 Abs. 5 BBesG die Dienstbezüge, zu denen auch der Ortszuschlag zählt (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BBesG), im voraus gezahlt werden. Daß der Kläger sich in der fraglichen Zeit sittlich für verpflichtet gehalten hat, seiner Verlobten Unterhalt zu gewähren, ist rechtlich ohne Belang (vgl. Urteil vom 13. September 1990 - BVerwG 2 C 4.88 - ≪Buchholz 240 § 40 Nr. 21≫).
Diese Auslegung des Besoldungsrechts ist mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Dieser gebietet nicht, Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft besoldungsrechtlich verheirateten, verwitweten oder geschiedenen, zum Unterhalt aus der Ehe verpflichteten Beamten gleichzustellen (vgl. auch BVerfG, Beschluß vom 15. November 1989 - 1 BvR 171/89 - ≪FamRZ 1990, 364 (365)≫; BVerfGE 87, 234 ≪266 f.≫ sowie BSG, Urteil vom 6. August 1992 - 10 Rkg 7/91 - ≪ZBR 1993, 268 (269)≫). - Auch die grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte Freiheit, in eheähnlicher Gemeinschaft zu leben, wird durch die Versagung des erhöhten Ortszuschlags weder unangemessen erschwert noch gar unmöglich gemacht; im übrigen schließt diese Freiheit keinen Anspruch auf besondere Besoldungsleistungen ein.
Daß die Einkommen der Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft hinsichtlich der Prüfung der Voraussetzungen und des Umfangs der Sozialhilfe nach § 122 BSHG bzw. der Prüfung der Bedürftigkeit nach § 137 Abs. 2 a AFG einer anderen rechtlichen Regelung unterliegen (vgl. BSGE 63, 120 ≪122 ff.≫ m.w.N.), ist besoldungsrechtlich ohne ausschlaggebende Bedeutung. Die Vorschriften im Bundessozialhilfe- und Arbeitsförderungsgesetz verfolgen einen anderen Regelungszweck; sie wollen entsprechend dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art. 6 Abs. 1 GG sicherstellen, daß Ehepaare bei der Prüfung der Bedürftigkeit im Rahmen von Fürsorgeleistungen und bei der Gewährung von Arbeitslosenhilfe nicht schlechter gestellt werden als nichteheliche Lebensgemeinschaften (BVerfGE 67, 186 ≪196 f.≫; 87, 234 ≪267≫).
Fundstellen
Haufe-Index 543773 |
NJW 1994, 1168 (LT) |
Buchholz 240 § 40 BBesG, Nr 28 (L,ST) |
BVerwGE 94, 253-257 (LT) |
BVerwGE, 253 |
DokBer B 1994, 71-73 (LT) |
FamRZ 1994, 1318 (L) |
NVwZ 1994, 584 (L) |
ÖD 1994, 92-3 (LT) |
Quelle 1995, Nr 5, 27 (LT) |
ZAP, EN-Nr 615/94 (L) |
ZBR 1994, 184-185 (LT) |
ZTR 1994, 174-175 (LT) |
BWGZ 1994, 678 (LT) |
BayVBl 1994, 280-281 (LT) |
DÖD 1994, 285-287 (LT) |
DÖV 1994, 303-304 (LT) |
DVBl 1994, 584-586 (LT) |
EzBAT § 29 BAT, Nr 19 (ST) |
FuL 1994, 353 (K) |
JuS 1994, 1070 (L) |
PersV 1994, 132 (L) |
RiA 1995, 28-30 (LT) |
Schütz BeamtR ES/C I 1.1, Nr 53 (LT) |