Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Der am 19. Mai 1971 in der Türkei geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, möchte durch Einbürgerung deutscher Staatsangehöriger werden.
Der Kläger, der in der Zeit von 1973 bis 1983 in Deutschland aufgewachsen und dann in die Türkei zurückgekehrt ist, lebt seit dem 7. September 1990 ununterbrochen in Deutschland und ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis.
Mit Urteil vom 12. Februar 1998 ordnete das Landgericht Hamburg seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Der Kläger hatte am 14. Juli 1997 einer jungen Frau mit einem Messer Stichwunden beigebracht. Nach den Feststellungen des Landgerichts geschah die Tat, die wegen Rücktritts nicht als versuchter Totschlag, sondern als gefährliche Körperverletzung beurteilt wurde, im Zustand einer schuldaufhebenden endogenen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. In Gesamtwürdigung der Person und der Tat des Klägers stellte das Landgericht fest, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.
Der Kläger, der bereits am 14. Juli 1997 festgenommen und am 18. Juli 1997 vorläufig in einem Klinikum untergebracht worden war, ist am 8. Januar 1999 aus dem psychiatrischen Krankenhaus entlassen worden. Mit Beschluss vom 21. August 2002 hat das Landgericht Hamburg die mit seinem Beschluss vom 19. Oktober 1998 festgelegte Führungsaufsicht von fünf Jahren um ein Jahr verkürzt; die Führungsaufsicht endete am 23. Oktober 2002.
Den Antrag des Klägers vom 4. Januar 2001 auf Einbürgerung lehnte das Landratsamt entsprechend einer Stellungnahme des Bayerischen Innenministeriums mit der Begründung ab, die Anordnung der Maßregel der Besserung und Sicherung komme einer Verurteilung wegen einer Straftat im Sinne des § 85 Abs. 1 Nr. 5 AuslG gleich. Es sei dann zwar gemäß § 88 Abs. 1 Satz 2 AuslG im Ermessenswege zu entscheiden, ob die angeordnete Maßregel außer Betracht bleiben könne, doch habe es sich um eine Maßregel von nicht geringem Gewicht gehandelt. Auch könne dem Einbürgerungsantrag nicht stattgegeben werden, solange die Maßregel in das Bundeszentralregister eingetragen sei. Über die Maßregel könne auch nicht im Hinblick auf die günstige Prognose und die Verkürzung der Führungsaufsicht hinweggesehen werden. Offensichtlich nehme der Bewerber noch Medikamente; vor der Begehung seiner Tat 1997 habe er ebenfalls Medikamente eingenommen. Da er sie seinerzeit abgesetzt habe, sei es auch zur Tat gekommen. Eine endgültige Sicherheit sei deshalb noch nicht gegeben. Nach alledem komme auch eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG nicht in Betracht, da der Bewerber einen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG erfülle (Bescheid vom 17. März 2003). Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung hatte in erster Instanz Erfolg (Urteil vom 21. April 2004); das Verwaltungsgericht vertrat die Auffassung, die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB bei Schuldunfähigkeit sei nicht als Verurteilung wegen einer Straftat im Sinne des § 85 Abs. 1 Nr. 5 AuslG einzustufen.
Auf die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage mit im Wesentlichen folgender Begründung abgewiesen:
Die gerichtliche Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus unterfalle als Maßregel der Besserung und Sicherung gemäß § 63 StGB dem Begriff der “Verurteilung wegen einer Straftat” im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG. Liege mit der Maßregel der Besserung und Sicherung eine Verurteilung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG vor, die mangels Strafmaßbezugs nicht von Gesetzes wegen bei der Prüfung des Einbürgerungsanspruchs gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1 StAG außer Betracht bleibe, sei der Staatsangehörigkeitsstelle in erweiternder Auslegung des § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG die fakultative Nichtberücksichtigung im Einzelfall eröffnet. Dabei habe die Behörde mit Blick auf das für eine Einbürgerung vorauszusetzende Maß an Integration die öffentlichen und privaten Interessen umfassend zu würdigen. Abwägungsrelevant seien insbesondere die Umstände sowie die Schwere der Tat, ihre Qualität als Vorsatz oder Fahrlässigkeitsdelikt, die Dauer des Freiheitsentzugs, der seither verstrichene Zeitraum, frühere Verfehlungen des Antragstellers, die Persönlichkeit des Betreffenden sowie die (Wiederholungs-) Gefahr. Allein auf die mangelnde Tilgung der strafgerichtlichen Verurteilung gemäß § 46 bzw. § 49 BZRG könne die Nichtberücksichtigung allerdings nicht gestützt werden, da nach erfolgter bzw. bei anstehender Tilgung die Tat und die Verurteilung dem Einbürgerungsbewerber gemäß § 51 Abs. 1 BZRG ohnehin nicht mehr entgegengehalten werden dürfen. Wollte man für die nach § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG zu treffende Ermessensentscheidung allein auf die fehlende Tilgung der Tat im Bundeszentralregister abstellen, würde dieser Vorschrift der Anwendungsbereich entzogen sein. Im vorliegenden Fall hätten Ausgangs- und Widerspruchsbehörde dennoch eine den Anforderungen gerecht werdende Ermessensentscheidung getroffen. Die Ausführungen in der Begründung der Bescheide zum Fortbestand des Eintrages der Maßregel im Bundeszentralregister seien als Quintessenz der Abwägung zu verstehen; durch die mangelnde Tilgung gemäß § 49 BZRG hätten sich die Behörden nicht etwa an einer Abwägung der Einzelfallumstände gehindert gesehen, wie die im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid im Einzelnen dargelegten Ermessensgesichtspunkte belegten. Trotz der günstigen Sozialprognose für den Kläger habe der Beklagte angesichts der Schwere der Tat und der nach wie vor bestehenden Notwendigkeit regelmäßiger Medikation die – beendete – Maßregel in nicht zu beanstandender Weise gewichtet. Ihre fortgesetzte Berücksichtigung begegne im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides keinen Bedenken, zumal selbst bei geringer Wiederholungsgefahr das Nichtberücksichtigungsermessen nicht allein deswegen zugunsten des Bewerbers reduziert sei. Eine Einbürgerung des Klägers komme schließlich auch nicht gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG in Betracht; denn mit der Tat habe der Kläger einen Ausweisungsgrund erfüllt.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 10 Abs.1 Satz 1 Nr. 5 und § 12a Abs. 1 StAG und begehrt die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Berufungsgericht ist im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) davon ausgegangen, dass die gegen den Kläger 1998 als Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine Verurteilung wegen einer Straftat im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG ist, und hat zutreffend erkannt, dass der Beklagte die in entsprechender Anwendung des § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG zu treffende Entscheidung, ob die der Maßregel zugrunde liegende Straftat außer Betracht bleiben kann, ermessensfehlerfrei getroffen hat.
In seinem zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung bestimmten Urteil vom heutigen Tage (BVerwG 5 C 33.05) hat der Senat zur Auslegung und Anwendung der §§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und 12a Abs. 1 Satz 2 StAG folgendes ausgeführt:
“1. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG setzt für einen Anspruch auf Einbürgerung voraus, dass der Ausländer ‘nicht wegen einer Straftat verurteilt worden ist’. Aus dem Wortlaut ergibt sich nicht, ob unter einer Verurteilung wegen einer Straftat auch die Anordnung einer selbständigen Maßregel der Besserung und Sicherung wegen einer ohne Schuld begangenen rechtswidrigen Tat zu verstehen ist. Schon die Worte ‘Straftat’ und ‘Verurteilung’ sind – jedes für sich genommen – nicht eindeutig, lassen aber Raum für eine Auslegung, nach der sie auch die durch Urteil erfolgte Anordnung einer selbständigen Maßregel der Besserung und Sicherung erfassen.
Unter Straftat kann man eine vom Täter begangene strafbare Tat verstehen; dann setzt sie dessen Schuldfähigkeit voraus. Unter Straftat kann man aber auch eine generell mit Strafe bedrohte Tat (vgl. § 12 Abs. 1 und 2 StGB) verstehen, also eine rechtswidrige Tat im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, und zwar unabhängig von individueller Schuld (§§ 25 ff., § 29 StGB) und damit unabhängig von der Strafbarkeit eines individuellen Täters oder anderen Beteiligten.
Nach der strafprozessualen Terminologie wird nur zu Strafe ‘verurteilt’ (vgl. § 465 Abs. 1 Satz 1 StPO mit der begrenzten Erweiterung durch § 465 Abs. 1 Satz 2 StPO) und wird eine Maßregel der Besserung und Sicherung ‘angeordnet’ (§§ 61 ff. StGB, § 465 Abs. 1 Satz 1 StPO). Diese Terminologie gilt aber nicht generell und für andere Rechtsgebiete. So zählt das Bundeszentralregistergesetz auch die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung zu den strafgerichtlichen Verurteilungen (§ 3 Nr. 1, § 4 Nr. 2 BZRG) und versteht man unter Verurteilung allgemein eine für den Betroffenen bzw. Unterlegenen negative (ihn belastende) gerichtliche Entscheidung. Das trifft auch auf die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung zu.
Auch in der Verknüpfung ‘Verurteilung wegen einer Straftat’ spricht der Wortlaut nicht gegen eine Erfassung auch von Maßregeln der Besserung und Sicherung. Damit kann nämlich sowohl eine Verurteilung wegen einer Straftat zu einer Strafe gemeint sein als auch eine Verurteilung (Anordnung durch Urteil) wegen einer Straftat zu einer Maßregel der Besserung und Sicherung. Auslösende Voraussetzung für die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung ist die vom Täter begangene Tat, die nach dem Strafgesetzbuch eine mit Strafe bedrohte Handlung gewesen sein muss (vgl. § 62 StGB).
2. Systematische Gründe sprechen eher für als gegen eine Einbeziehung der Maßregelfälle in den Regelungsbereich des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG. Bei einer Gegenüberstellung von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 12a StAG erscheint es naheliegend, § 12a Abs. 1 Satz 1 StAG so zu verstehen, dass ausschließlich die dort unter Nr. 1 bis 3 angeführten Verurteilungen außer Betracht bleiben, d.h. einem Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG nicht entgegenstehen, nicht jedoch alle anderen Verurteilungen, also auch solche zu einer Maßregel der Besserung und Sicherung. Der Bundesgesetzgeber zählt ferner – wie bereits erwähnt – auch an anderer Stelle (in § 3 Nr. 1 i.V.m. § 4 Nr. 2 BZRG) die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung zu den ‘strafgerichtlichen Verurteilungen’.
Dem steht schließlich auch das strafrechtliche Verständnis nicht entscheidend entgegen. Zwar setzt § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG voraus, dass der Ausländer nicht wegen einer Straftat verurteilt worden ist. Aber strafrechtliche Rechtsfolgen einer Tat können Strafen (§§ 38 ff. StGB) und/oder Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB) sein, wobei sie ihren unterschiedlichen Zwecken entsprechend unterschiedliche Voraussetzungen haben. Strafe ist eine repressive Übelzufügung als Reaktion auf rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten, die (funktional jedenfalls auch) dem Schuldausgleich dient (BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01 – BVerfGE 109, 133); Grundlage für ihre Zumessung ist die Schuld des Täters (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Maßregeln der Besserung und Sicherung dienen demgegenüber ohne Rücksicht auf die Schuldfähigkeit des Täters insbesondere der Individualprävention, also der Verhinderung zukünftiger, vom Täter zu erwartender, erheblicher rechtswidriger Taten (§§ 61 ff. StGB). Da im Strafrecht beide Rechtsfolgen eine strafrechtswidrige Tat voraussetzen, lässt sich dem Strafrecht gerade nicht entnehmen, dass der Begriff ‘Verurteilung wegen einer Straftat’ in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG nur die Verurteilung zu Strafe, aber nicht auch die selbständige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als Maßregel der Besserung und Sicherung (§ 71 Abs. 1 StGB) erfasst.
3. Für die Einbeziehung der Maßregeln in den Begriff der Verurteilung wegen einer Straftat sprechen maßgeblich der Sinn und Zweck von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 12a StAG.
Außerhalb des Regelungsbereichs von Art. 16 Abs. 1 und 116 GG obliegt es allein dem Gesetzgeber, die Voraussetzungen für die Einbürgerung eines Ausländers festzulegen. Mit der Regelung in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG, dass ein Anspruch auf Einbürgerung entfällt, wenn der Ausländer wegen einer Straftat verurteilt worden ist, bringt der Gesetzgeber zweierlei zum Ausdruck. Zum einen will er demjenigen keinen Anspruch auf Einbürgerung einräumen, der ein Rechtsgut verletzt hat, das die Bundesrepublik Deutschland als der Staat, in den er eingebürgert werden will, für so wesentlich hält, dass dessen Verletzung mit Strafe bewehrt ist. Zum anderen stellt er damit klar, dass es nicht Aufgabe der Einbürgerungsbehörde ist, selbst festzustellen, ob der Ausländer eine Straftat begangen, gegen ein Strafgesetz verstoßen hat. Vielmehr muss der Verstoß gegen ein Strafgesetz in einer strafgerichtlichen Entscheidung festgestellt sein. Dem entspricht es, dass nach § 12a Abs. 3 StAG dann, wenn gegen einen Ausländer wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt wird, die Entscheidung über die Einbürgerung bis zum Abschluss des Verfahrens, im Fall der Verurteilung bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils, auszusetzen ist.
Demgemäß liegt eine Verurteilung wegen einer Straftat im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG vor, wenn eine strafgerichtliche Entscheidung ergangen ist, aufgrund deren feststeht, dass der Ausländer eine mit Strafe bedrohte Tat begangen hat. Das kann nach dem Strafgesetzbuch – wie dargelegt – eine Verurteilung zu Strafe, das kann aber auch, wie im Streitfall, eine Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als selbständige Maßregel der Besserung und Sicherung sein. Auf Schuldfähigkeit kommt es nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG nicht an, weil der Gesetzgeber mit dem staatsangehörigkeitsrechtlichen Ausschluss eines Anspruchs auf Einbürgerung nicht an eine strafrechtlich Schuld voraussetzende Strafe anknüpft, sondern nur daran, ob der Ausländer eine mit Strafe bedrohte Tat begangen hat, die ein strafrechtlich geschütztes Rechtsgut wesentlich verletzt hat und strafgerichtlich festgestellt ist. Die Rechtsfolge des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG ist nicht auf repressive Übelzufügung gerichtet, sondern lediglich auf das Vorenthalten eines andernfalls erlangten Rechtsvorteils. Sie dient nicht den mit Kriminalstrafe verfolgten Zwecken, sondern der rechtlichen Reaktion auf eine im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt gescheiterte Integration in Staat und Gesellschaft; ob sie auch aktuelle oder potenzielle Gefahren für die Allgemeinheit abwehren oder vermindern soll, kann offen bleiben.
Im Ergebnis ist deshalb davon auszugehen, dass § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG als anspruchsschädliche Verurteilung wegen einer Straftat auch die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus – wie hier im Falle des Klägers – als strafrechtliche Rechtsfolge für eine zwar nicht schuldhafte, aber rechtswidrige Straftat erfasst.
4. Eine nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG den Einbürgerungsanspruch ausschließende selbständige Maßregel der Besserung und Sicherung kann jedoch in entsprechender Anwendung des § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG im Einzelfall außer Betracht bleiben.
Zwar ist der Anwendungsbereich von § 12a Abs. 1 StAG nicht unmittelbar eröffnet, da er sich ausdrücklich nur auf die Verhängung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel nach dem Jugendgerichtsgesetz (Satz 1 Nr. 1) sowie auf Verurteilungen zu Strafen, die bestimmte Höhen nicht überschreiten (Satz 1 Nr. 2 und 3), bezieht und auch Satz 2 eine Einzelfallentscheidung nur bei höheren, nicht unter Satz 1 Nr. 2 und 3 fallenden Strafen vorsieht. Doch ist § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG auf Maßregeln der Besserung und Sicherung jedenfalls entsprechend anzuwenden, da § 12a Abs. 1 StAG eine verhältnismäßige Begrenzung für alle Anwendungsfälle des Anspruchsausschlusses nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG bezweckt, keine der gesetzlichen Ausnahmen in Satz 1 Nr. 1 bis 3 eingreift und daher nur Satz 2 als Auffangsregelung für die nach Art oder Maß von Satz 1 nicht erfassten Verurteilungen eine verhältnismäßige Gesetzesanwendung ermöglicht. Die Einbürgerungsbehörde ist danach befugt und verpflichtet, im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob eine Maßregel außer Betracht bleiben kann.
Ein wesentliches Kriterium für oder gegen das Außerbetrachtbleiben nach § 12a Abs. 1 StAG ist die Schwere des Rechtsverstoßes, wie sie bei einer Verurteilung zu Strafe in der Strafzumessung zum Ausdruck kommt. Gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StAG bleiben deshalb Verurteilungen zu Strafen bis zu dem dort genannten Strafmaß kraft Gesetzes außer Betracht. Bei einer Verurteilung zu höherer Strafe, wenn der Rechtsverstoß also schwerer wiegt, sieht § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG vor, dass im Einzelfall entschieden wird, ob die Strafe außer Betracht bleiben kann. Das erfordert eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse gegen und dem privaten Interesse des Ausländers für einen Anspruch auf Einbürgerung trotz eines schweren Strafrechtsverstoßes.
Die Differenzierung in § 12a Abs. 1 StAG nach der Strafhöhe ist auf Maßregeln der Besserung und Sicherung allerdings nicht anwendbar. Denn die Höhe einer Geldstrafe (§ 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG) ist ebenso wie die Höhe einer Freiheitsstrafe (§ 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG) mit der Dauer einer Maßregel der Besserung und Sicherung nicht vergleichbar. Die Dauer einer Maßregel der Besserung und Sicherung wird anders als die Strafzumessung nicht nach der Schwere des begangenen Rechtsverstoßes, sondern danach bemessen, wie lange eine Besserungsmaßnahme und wie lange eine Sicherungsmaßnahme erforderlich ist, um die Gefahren für die Allgemeinheit künftig auszuschließen. Auch ist es nicht möglich, dass die Einbürgerungsbehörden oder die Verwaltungsgerichte selbst eine fiktive Strafe bilden, falls der Ausländer schuldfähig gewesen wäre, und ihrer Beurteilung zugrunde legen.
Bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung obliegt es der Einbürgerungsbehörde vielmehr entsprechend § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG, im Einzelfall zu entscheiden, ob die begangene Straftat außer Betracht bleiben kann (vgl. BayVGH, Urteil vom 6. Dezember 2005 – 5 BV 04.1561 – ≪Gegenstand des parallelen Revisionsverfahrens BVerwG 5 C 31.05≫). Für die erforderliche Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse gegen und dem privaten Interesse des Ausländers für einen Anspruch auf Einbürgerung trotz einer wegen einer Straftat angeordneten Maßregel der Besserung und Sicherung ist maßgeblich die Schwere der durch die begangene Tat bewirkten Rechtsverletzung und die Gefahr und das Gewicht etwaiger künftig erneut drohender Rechtsverstöße. Danach bemisst sich, ob einem Ausländer mit seit acht Jahren rechtmäßigem Aufenthalt im Inland trotz Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung ein Anspruch auf Einbürgerung zustehen kann.”
Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze, die auch in dem vorliegenden Verfahren Geltung beanspruchen, ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden. Der Verwaltungsgerichtshof ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine selbständige Maßregel der Besserung und Sicherung eine Verurteilung wegen einer Straftat im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG ist und dass insoweit die Einbürgerungsbehörde entsprechend § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG im Einzelfall nach ihrem Ermessen zu entscheiden hat, ob die Straftat für § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG außer Betracht bleiben kann. Ebenfalls zutreffend hat der Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass diese Ermessensentscheidung angesichts der Schwere der Tat und eines als fortbestehend angenommenen Restrückfallrisikos rechtsfehlerfrei zu Lasten des Klägers getroffen worden ist. Auch die Versagung einer Einbürgerung nach § 8 StAG ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Hund, Dr. Franke, Dr. Brunn, Prof. Dr. Berlit
RiBVerwG Schmidt ist wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben.
Hund
Fundstellen