Entscheidungsstichwort (Thema)
Feueralarmsirene. Abwehranspruch gegen hoheitlich verursachte Immissionen. Grundrechtsverletzung durch Lärmeinwirkungen eines Hoheitsträgers. Bedeutung des privaten Nachbarrechts. wesentliche Beeinträchtigung im Sinne des § 906 Abs. 1 BGB. Anwendbarkeit des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. schädliche Umwelteinwirkungen. erhebliche Belästigung. Zumutbarkeit von Lärm. VDI-Richtlinie (2058) zur Beurteilung von Arbeitslärm. Geldausgleich für passiven Lärmschutz
Leitsatz (amtlich)
Für die Klage auf Abwehr von Lärm einer Feueralarmsirene ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
§§ 4 ff., 22 ff. BImSchG begründen keine Duldungspflichten und Abwehransprüche im unmittelbaren Nachbarschaftsverhältnis zwischen Störer und Gestörten.
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Immissionen hoheitlich betriebener Anlagen sind – mangels anderweitiger spezialgesetzlicher Regelung – die Maßstäbe des Bundes-Immissionsschutzgesetzes für die Schädlichkeit von Umwelteinwirkungen (§ 3 Abs. 1 BImSchG) anzuwenden.
Sie stellen den Emittenten nicht günstiger, als § 906 Abs. 1 BGB ihn im privaten Nachbarschaftsverhältnis mit dem Maßstab der – unzulässigen – wesentlichen Beeinträchtigung der Benutzung des Nachbargrundstücks stellt.
Die Zumutbarkeit des Lärms einer Feueralarmsirene reicht nicht bis zur Grenze der Gesundheitsgefahr oder des schweren und unerträglichen Eingriffs in das Eigentum. Unzumutbar ist bereits eine erhebliche Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG. Bei der Beurteilung der Erheblichkeit darf der Alarmzweck der Sirene nicht unberücksichtigt bleiben.
Der durch hoheitlich verursachte Immissionen unzumutbar Betroffene hat einen Anspruch auf einen für Maßnahmen des passiven Immissionsschutzes zweckgebundenen Geldausgleich, wenn Maßnahmen des aktiven Immissionsschutzes ohne Beeinträchtigung des Zwecks der öffentlichen.
Einrichtung nicht möglich sind oder wenn sie im Verhältnis zum Schutzzweck unangemessen aufwendig wären.
Zur Bedeutung von Richtwerten in Regelwerken privater Institutionen für die Beurteilung der Erheblichkeit von Lärmbelästigungen.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 2, Art. 14 Abs. 1; BImSchG § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 22 Abs. 1; BGB §§ 906, 1004; VwGO § 40 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 02.07.1986; Aktenzeichen 4 B 82 A. 1155) |
VG Augsburg (Entscheidung vom 16.03.1982; Aktenzeichen 1 K 80 A. 1061) |
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. Juli 1986 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Kläger wehrt sich gegen den Lärm einer Feueralarmsirene, die auf dem Dach eines Feuerwehrgerätehauses schräg gegenüber seinem Wohnhaus in einem Abstand von 15 m angebracht ist. Sie liegt in etwa gleicher Höhe wie die Fenster des Wohnzimmers, des Schlafzimmers und des Kinderzimmers des Wohnhauses und erzeugt vor den Fenstern einen Lärm von bis zu 110 dB(A). Der Kläger macht einen dauerhaften Nervositätszustand und eine Nervenzerrüttung bei sich und seiner Familie geltend, weil sie in ständiger Angst vor dem Aufheulen des überraschend ausgelösten Alarms lebten, durch den akute Schmerzen und Nachwirkungen bis zu einem Tage hervorgerufen würden. Der Kläger hält die Sirene für nicht erforderlich, weil es eine zweite Sirene im Ort gebe. Darüber hinaus sei eine erhebliche Minderung des Lärms dadurch möglich, daß die Sirene auf den 5 m höheren Schlauchtrockenturm des Feuerwehrgerätehauses verlegt werde. Weiter kämen technische Maßnahmen der Lärmminderung, wie ein Reflektor oder eine Abschirmwand auf dem Dach in Betracht oder auch Einschränkungen des Betriebs, nämlich auf die Tageszeit und auf Fälle eines notwendigen Großalarms, sowie Einschränkungen des Probealarms.
Der Kläger hat nach mehrfach erfolglosem Ersuchen um Verlegung der Sirene Klage erhoben mit dem Ziel, der beklagten Gemeinde aufzugeben, die Sirene stillzulegen oder ihren Lärm durch Verlegung oder sonstige technische Maßnahmen um 15 dB(A) zu senken, zusätzlich den Betrieb einzuschränken und darüber hinaus die Kosten für Lärmschutzfenster zu übernehmen.
Die Beklagte ist Klage und Berufung mit dem Hinweis auf die relative Seltenheit eines Ernstfall-Alarms, auf die Kosten einer Verlegung oder von sonstigen technischen Maßnahmen, auf brandschutzorganisatorische Schwierigkeiten, auf die Beeinträchtigung der Alarmfunktion der Sirene und auf Bezugsfälle in anderen Ortsteilen entgegengetreten.
Klage und Berufung blieben erfolglos. Das Berufungsurteil (BayVBl. 1986, 690) ist im wesentlichen damit begründet, der Lärm der Sirene erreiche nicht die Grenze der Gesundheitsschädlichkeit und sei dem Kläger auch wegen der nur seltenen Auslösung des Alarms, nämlich in den Jahren 1980/81 nur durchschnittlich einmal vierteljährlich und wegen der Voraussehbarkeit des zu festgelegten, allgemein bekannten Zeitpunkten stattfindenden Probealarms zumutbar.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.
Der Oberbundesanwalt hält das Berufungsurteil jedenfalls im Ergebnis für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO). Das Berufungsurteil verletzt nämlich Bundesrecht; die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen erlauben dem Senat keine Entscheidung in der Sache.
Der Kläger macht einen öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch geltend, für den der Verwaltungsrechtsweg (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und als zulässige Klageart die allgemeine Leistungs-(Unterlassungs-)Klage gegeben ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 1983 – 7 C 44.81 – BVerwGE 68, 62).
Das Berufungsgericht hat für die Beurteilung der Frage, ob der auf das Wohnhaus des Klägers treffende Lärm der Sirene zumutbar und daher vom Kläger als rechtmäßig hinzunehmen sei, zutreffend § 22 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) herangezogen. Die Anwendbarkeit des Bundes-Immissionsschutzgesetzes scheitert nicht daran, daß die Sirene gerade in der Lärmerzeugung ihren Zweck erfüllt. Das Bundes-Immissionsschutzgesetz unterscheidet nicht zwischen Anlagen, „bei denen nach ungewollten oder gewollten Emissionen Immissionen ungewollt entstehen”, und solchen, bei denen „Immissionen gewollt” sind (so aber Ziegler, UPR 1986, 170, 173). Zwar lassen sich die Immissionen einer Sirene, weil sie „gewollt” in Wahrnehmung einer gesetzlichen Aufgabe erzeugt werden, nicht vermeiden. Vermeiden oder beschränken lassen sich aber, und darum geht es dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, schädliche, nämlich die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft erheblich belästigende Immissionen (vgl. § 3 Abs. 1 BImSchG). Das ist auch bei Sirenen nicht ausgeschlossen, wie übrigens die vom Berufungsgericht angestellten Überlegungen über einen möglichen anderen Standort und über mögliche Abschirmungen, notfalls durch Schallschutzfenster, zeigen.
Auch die von der Revision mit dem Hinweis auf § 906 BGB erhobenen Einwände gegen die Anwendung des § 22 BImSchG greifen nicht durch. Das Berufungsgericht hat § 22 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 BImSchG nur zur Beurteilung der Frage herangezogen, welches Maß an Lärmbelästigung dem Kläger zumutbar sei. Dem Berufungsurteil liegt nicht die Annahme zugrunde, im Falle hoheitlicher Beeinträchtigung des Eigentums oder der Gesundheit durch Lärmimmissionen gewähre § 22 Abs. 1 BImSchG dem Gestörten einen gegen den störenden Hoheitsträger gerichteten Unterlassungsanspruch. Dies besagt auch nicht die gelegentlich dahin mißverstandene (vgl. z. B. Sachs, NVwZ 1988, 127; ferner Roth in Staudinger, BGB, 12. Aufl. 1987, Rn. 60 zu § 906) Senatsentscheidung vom 7. Oktober 1983 (a.a.O.) zum kirchlichen Glockengeläut. Die §§ 22 ff., wie auch die §§ 4 ff. BImSchG, begründen Rechte (Befugnisse) und Pflichten im Verhältnis einerseits zwischen der für die Genehmigung und Überwachung emittierender Anlagen zuständigen Behörde und dem Errichter und Betreiber der Anlage andererseits sowie – soweit die Vorschriften drittschützend sind – zwischen Behörde und und Drittbetroffenen. Sie begründen keine Duldungspflichten und Abwehransprüche im unmittelbaren Nachbarschaftsverhältnis zwischen Störer und Gestörten, auch dann nicht, wenn der Störer ein öffentlicher Hoheitsträger ist.
Es kann hier dahinstehen, welches die Grundlage ist für den gegen einen Hoheitsträger als Störer gerichteten Anspruch auf Unterlassung von – ein noch zu bestimmendes Maß überschreitenden – Immissionen, nämlich die analog anzuwendenden §§ 1004, 906 BGB oder die Art. 2 Abs. 2 und 14 Abs. 1 GG. Daß ein Abwehranspruch besteht, ist unbestritten. Unbestritten ist auch, daß das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) mit der Folge eines entsprechenden Abwehranspruchs verletzt sind, wenn eine in Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betriebene Einrichtung Immissionen hervorruft, die die Gesundheit schädigen oder schwer und unerträglich in das Eigentum eingreifen. Damit ist jedoch für denjenigen nichts gewonnen, der – wie nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der Kläger – unterhalb dieser Grenze durch Immissionen beeinträchtigt wird, aber möglicherweise in einem Maße, das er gemäß § 906 BGB von einem Nachbarn nicht hinzunehmen hätte und gegen das er sich auch im Falle der Genehmigung einer Anlage unter Berufung auf die drittschützende Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 1 oder des § 22 Abs. 1 BImSchG mit einer Klage vor den Verwaltungsgerichten erfolgreich wehren könnte (vgl. hierzu z. B. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1982 – 7 C 42.80 – BVerwGE 65, 313; Urteil vom 30. September 1983 – 4 C 74.78 – BVerwGE 68, 58; Urteil vom 4. Juli 1986 – 4 C 31.84 – BVerwGE 74, 315, 327); denn § 906 BGB und auch §§ 5 Abs. 1 Nr. 1 und 22 BImSchG setzen die Grenze, ab der Immissionen nicht mehr zu dulden und deshalb rechtswidrig sind, unterhalb der Gesundheitsschädigung und unterhalb des schweren und unerträglichen Eingriffs in das Eigentum an.
Demgemäß ist der durch Immissionen einer öffentlichen Einrichtung Gestörte, auch wenn der Abwehranspruch gegen den Hoheitsträger seine Grundlage in den Grundrechten hat, nicht zur Duldung bis an die Grenze der Gesundheitsschädigung oder des schweren und unzumutbaren Eigentumseingriffs verpflichtet. Die allgemeinen Gesetze, die die Zumutbarkeit von Immissionen bestimmen, gelten grundsätzlich auch für die Errichtung und den Betrieb öffentlicher Einrichtungen. Das schließt nicht aus, daß der Gesetzgeber innerhalb der durch die Grundrechte gesetzten Grenzen die Zumutbarkeit der Immissionen öffentlicher Einrichtungen im Hinblick auf deren besondere Zweckbestimmung und den Vorrang öffentlicher Interessen anders bestimmen darf. Soweit das nicht geschehen ist, ist die Zumutbarkeit auch hoheitlich verursachter Immissionen grundsätzlich nach den allgemein geltenden Maßstäben zu bestimmen.
Der Kläger irrt allerdings in der Meinung, § 906 Abs. 1 BGB setze die Schwelle der Unzumutbarkeit von Lärmbeeinträchtigungen mit dem Maßstab der Wesentlichkeit für den Betroffenen günstiger, nämlich niedriger an als § 22 i.V.m. § 3 Abs. 1 BImSchG mit den Maßstäben der Schädlichkeit und der Erheblichkeit. Was für die Nachbarschaft erhebliche Geräuschbelästigungen und damit schädliche Umwelteinwirkungen i. S. der §§ 3 Abs. 1 und 22 Abs. 1 BImschG sind, sind auch Geräuscheinwirkungen, die i. S. des § 906 Abs. 1 BGB die Benutzung eines Nachbargrundstücks nicht nur unwesentlich beeinträchtigen. Umgekehrt sind Geräusche, die unerheblich und damit keine schädlichen Umwelteinwirkungen i. S. der §§ 3 Abs. 1 und 22 Abs. 1 BImSchG sind, auch unwesentlich i. S. des § 906 Abs. 1 BGB. Es besteht kein Anlaß, die grundlegenden Maßstäbe, mit denen das private und das öffentliche Immissionsschutzrecht die Grenze für eine Duldungspflicht gegenüber Immissionen und damit deren Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit gegenüber der „Nachbarschaft” im Ansatz bestimmen, nämlich einerseits die Wesentlichkeit und andererseits die Erheblichkeit, unterschiedlich auszulegen (vgl. schon Westermann in: Festschrift für Larenz 1973, S. 1003 f., 1005 ff.; ferner Roth in Staudinger, BGB, Kommentar, 12. Aufl. 1987, § 906 Rn. 37). Dies ist – im Hinblick auf die Nutzung von Grundstücken und deren grenzüberschreitende Wirkung – um so weniger gerechtfertigt, als öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht in geringerem Maße als solche des Zivilrechts Inhalt und Schranken des – privaten – Eigentums i. S. des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG bestimmen (BVerfGE 58, 300, 334 ff.). Folglich wird in der zivilrechtlichen Rechtsprechung zur Beurteilung der Wesentlichkeit von Beeinträchtigungen i. S. des § 906 Abs. 1 BGB Regelwerken wie der TA Lärm und einschlägigen VDI-Richtlinien in ähnlicher Weise indizielle Bedeutung beigemessen (vgl. z. B. BGH, Urteil vom 18. Juni 1958 – V ZR 49/57 – NJW 1958, 1393; Urteil vom 29. Juni 1966 – V ZR 91.65 – BGHZ 46, 35 ≪40≫; Urteil vom 16. Dezember 1977 – V ZR 91/75 – BGHZ 70, 102 ≪110≫; Urteil vom 17. Dezember 1982 – V ZR 55/82 – NJW 1983, 751; vgl. auch Hagen, UPR 1985, 192 f.), wie dies in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Beurteilung der Erheblichkeit und Schädlichkeit von Umwelteinwirkungen geschieht (vgl. z. B. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 1983 a.a.O. S. 68; Beschluß vom 6. August 1982 – 7 B 67.82 – NVwZ 1983, 155 = DÖV 1982, 906). Es gibt auch keinen Anlaß für die Annahme, das Bundes-Immissionsschutzgesetz als die neuere Kodifikation mit dem Anspruch einer Verbesserung der Umweltbedingungen – wenn auch mit den Mitteln des öffentlichen Rechts – habe in §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 Nr. 1 und 22 einen für Emittenten großzügigeren Maßstab setzen wollen als § 906 Abs. 1 BGB mit dem Wesentlichkeitsmaßstab. Eher wäre, wenn nicht von vornherein von einer inhaltlichen Identität der Begriffe auszugehen wäre, anzunehmen, daß das Bundes-Immissionsschutzgesetz einen strengeren Maßstab gesetzt hat, was wiederum nicht ohne Folge für die Auslegung des Begriffs der Wesentlichkeit in § 906 Abs. 1 BGB sein könnte; denn es kann kein Zweifel daran sein, daß Wesentlichkeit als ein wertend auszufüllender Begriff nicht ohne Rücksicht auf Bewertungen auch des öffentlichen Rechts auszulegen ist.
Das Berufungsgericht verletzt jedoch Bundesrecht mit der Annahme, der von der Sirene ausgehende Lärm sei dem Kläger zumutbar, weil er die Grenze, ab der die Gefahr von Gehörschäden oder weiterer gesundheitlicher Schäden bestehe, nicht erreiche. Das Maß dessen, was an Immissionen zu dulden ist, wird auch in bezug auf öffentliche Einrichtungen – wie schon ausgeführt – durch die allgemeinen Gesetze, nämlich hier §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 BImSchG, bestimmt. Schädliche Umwelteinwirkungen sind danach nicht nur Geräusche, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, für die Nachbarschaft Gefahren herbeizuführen, sondern auch schon solche, die geeignet sind, erheblich zu belästigen. Die Grenze der erheblichen Belästigung liegt unterhalb der Grenze der Gefahr von Gehörschäden oder sonstigen gesundheitlichen Schäden. Wo sie im Einzelfall verläuft, hängt von den jeweiligen Umständen ab, die das Tatsachengericht zu würdigen hat. Dabei kommt es bei Geräuschimmissionen unterhalb der Schwelle der Gesundheitsgefahr nicht allein auf die Höhe des Geräuschpegels an. Zutreffend hat das Berufungsgericht insofern als für die Erheblichkeit der Belästigung maßgebende Umstände berücksichtigt, daß die Alarmsirene ihren gesetzlichen, dem Gemeinwohl dienenden Zweck darin erfüllt, als Lärm empfundene Geräusche zu erzeugen, daß unvorhersehbarer Alarm nur selten ausgelöst wird und daß der monatliche Probealarm zu festgesetzten und allgemein bekannten Tageszeiten stattfindet.
Der Senat hat schon im Urteil zum liturgischen Glockengeläut (BVerwGE 68, 62) zum Ausdruck gebracht, daß die Erheblichkeit und damit die Zumutbarkeit von Geräuschimmissionen von wertenden Elementen wie solchen der Herkömmlichkeit, der sozialen Adäquanz und einer allgemeinen Akzeptanz (vgl. hierzu schon Urteile des 4. Senats vom 21. Mai 1976 – 4 C 80.74 – BVerwGE 51, 15 ≪34≫ und vom 22. Mai 1987 – 4 C 33-35.83 – BVerwGE 77, 285 ≪289 f.≫ zum Straßenverkehrslärm) mitgeprägt wird. Die Beurteilung der Erheblichkeit von Lärm setzt eine Wertung voraus, die im Sinne einer „Güterabwägung” die konkreten Gegebenheiten zum einen der emittierenden Nutzung, zum anderen der immissionsbetroffenen Nutzung in Betracht zieht (BVerwGE 51, 15 ≪29≫). Bei dieser „Güterabwägung” sind auch gesetzliche Wertungen zu berücksichtigen, wie hier diejenigen in den Landesfeuerwehrgesetzen, die den Gemeinden die Errichtung und den Betrieb von Feueralarmanlagen aufgeben. Die öffentliche Aufgabe des vorbeugenden Brandschutzes, in deren Wahrnehmung herkömmlicherweise Alarmsirenen aufgestellt und betätigt werden, kann wirksam nur erfüllt werden, wenn gewährleistet ist, daß die Alarmanlage jederzeit zuverlässig und gleichmäßig funktioniert. Abwehransprüche können deshalb grundsätzlich nicht damit begründet werden, der Alarm könne bei den heutigen technischen Möglichkeiten auch ohne Lärm, nämlich z. B. über Funk („stille Alarmierung”), ausgelöst werden. Welche Art der Alarmierung die Gemeinde wählt, steht in ihrem Ermessen. Bei den von ihr anzustellenden Zweckmäßigkeitserwägungen haben indes nicht nur Gesichtspunkte der Wirksamkeit des Alarms und der Gewährleistung eines schnellen Einsatzes der Feuerwehr, sondern auch Kostengesichtspunkte einen berechtigten Platz. Daß insbesondere in ländlichen Gemeinden und für den Einsatz der freiwilligen Feuerwehr eine Alarmierung mittels Sirenen nicht ermessensfehlerhaft ist, liegt auf der Hand. Das Berufungsgericht hat deshalb zu Recht eine Verpflichtung der beklagten Gemeinde auf Einführung der sog. stillen Alarmierung abgelehnt.
Die Gemeinde ist allerdings, wenn sie für den Feueralarm Sirenen einsetzt, nicht befugt, diese unabhängig von den Anforderungen des Immissionsschutzes an jedem beliebigen Standort im Gemeindegebiet aufzustellen. Zwar muß ein Standort gewählt werden, der eine möglichst gleichmäßige und ausreichend laute „Beschallung” der bebauten Ortslagen, insbesondere auch der Wohnbereiche, sicherstellt; es können auch, je nach der räumlichen Ausdehnung und Verteilung der Bebauung, mehrere Standorte in Betracht kommen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß das nur kurze Sirenengeräusch auf jeden Fall auch in der Nachbarschaft in Wohnhäusern einen Pegel erreichen darf, den ein durchschnittlich geräuschempfindsamer Mensch, ohne daß er seine Aufmerksamkeit darauf richtet, auch in einem Raum mit geschlossenen Fenstern noch deutlich als Alarmsignal wahrnimmt. Dies liegt innerhalb der Grenzen der Zumutbarkeit; denn die Sirene erfüllt ihren Alarmzweck nur dann, wenn die Angehörigen der Feuerwehr in ihren Wohnhäusern oder an ihrem Arbeitsplatz von ihr alarmiert werden, und zwar auch zur Nachtzeit. Zumutbar ist es aber nicht mehr, einer Lautstärke der Sirene ausgesetzt zu sein, die über die Alarmierung und über das Aufwecken zur Nachtzeit hinaus bei durchschnittlich lärmempfindlichen Menschen ausgeprägte Schreckreaktionen, Schmerz und deutlich spürbare Nachwirkungen wie Einschlafschwierigkeiten auslösen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß diese Schwelle bei einer Sirene, die in nur 15 m Abstand von den Wohn- und Schlafzimmerfenstern eines Wohnhauses aufgestellt ist und dort einen Geräuschpegel (Außenpegel) von 110 dB(A) erzeugt, erreicht sein kann. Dies zu ermitteln, ist jedoch Aufgabe des Tatsachengerichts. Ist eine Aufstellung der Sirene ohne Beeinträchtigung ihrer Alarmfunktion an einem anderen Standort möglich, an dem keine derart erheblichen Belästigungen hervorgerufen werden, so kann die Gemeinde dies nicht allein mit der Begründung ablehnen, es entstünden dadurch Mehrkosten oder ein Mehraufwand bei Wartungsarbeiten, oder es seien besondere betriebliche oder organisatorische Maßnahmen zu treffen.
Das Berufungsgericht meint demgegenüber, eine Verlegung der Sirene komme nicht in Betracht, weil nach einschlägigen Verwaltungsvorschriften und nach technischen Richtlinien für den Alarmdienst Sirenen aus Gründen der Kostenersparnis, der Erleichterung von Wartungsarbeiten und der Vermeidung der Inanspruchnahme privaten Eigentums auf öffentlichen Gebäuden, und zwar möglichst auf den Feuerwehrgerätehäusern selbst, aufgestellt werden sollten. Damit wird verkannt, daß diese Gesichtspunkte es nicht rechtfertigen, jegliche Rücksichtnahme auf den Schutz der Nachbarschaft vor Lärmbelästigungen beiseite zu lassen. Zwar darf die Gemeinde auch diese Gesichtspunkte bei der Wahl des Sirenenstandorts berücksichtigen, jedoch nicht unter Mißachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Gemeinde darf einen in Betracht kommenden anderen Standort für die Aufstellung der Sirene erst ausschlagen, wenn der dafür erforderliche Aufwand zu dem Zweck, nämlich die Nachbarschaft vor unzumutbaren Lärmbelästigungen zu schonen, außer Verhältnis steht. Damit ist jedoch der vom Lärm der Sirene erheblich Belästigte nicht schutzlos gestellt. Er kann vielmehr in derartigen Fällen vom Betreiber der erheblich belästigenden Anlage einen Geldausgleich für Maßnahmen des passiven Lärmschutzes, nämlich für den Einbau von Schallschutzfenstern, verlangen. Dieser Anspruch ergibt sich aus einem allgemeinen Rechtssatz, der das Nachbarschaftsverhältnis zwischen störender und gestörter Nutzung im Falle unangemessen hohen Aufwandes für Maßnahmen der Vermeidung oder Minderung der Immissionen auf ein zumutbares Maß beherrscht. Im privaten Nachbarrecht ist er von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelt und schließlich in § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB niedergelegt worden. Im öffentlich-rechtlich gestalteten Nachbarschaftsverhältnis hat er in § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG und in den entsprechenden Vorschriften der Landesverwaltungsverfahrensgesetze sowie für spezielle öffentliche Anlagen in § 41 Abs. 2 BImSchG, in § 17 Abs. 4 FStrG und in anderen Fachgesetzen Ausdruck gefunden. Im öffentlich-rechtlichen Nachbarschaftsverhältnis besteht ein Anspruch nur auf einen für Maßnahmen des passiven Immissionsschutzes zweckgebundenen Geldausgleich, weil nur die Zweckbindung den vom öffentlichen Recht geforderten Immissionsschutz gewährleistet.
Das Berufungsgericht wird folglich bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung zu ermitteln haben, ob der vor den Wohn- und Schlafzimmern des Wohnhauses bei Betätigung der Sirene mit 110 dB(A) auftretende Lärm eine erhebliche Belästigung i. S. §§ 3 Abs. 1 und 22 Abs. 1 BImSchG darstellt und, wenn ja, wo die Grenze der Erheblichkeit und damit der Zumutbarkeit des Lärms für den Kläger liegt und ob eine Herabsetzung des Lärms unter die Zumutbarkeitsgrenze ohne Beeinträchtigung der Alarmfunktion der Sirene möglich ist und der dafür erforderliche Aufwand im Verhältnis zu dem Schutzzweck angemessen ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf bestimmte Maßnahmen, sondern nur darauf, daß Lärmbelästigungen oberhalb der Zumutbarkeitsschwelle unterbleiben. Wie die Beklagte dies erreicht, sei es durch eine Verlegung der Sirene oder durch andere technische Vorkehrungen, obliegt allein ihrer Entscheidung. Insofern können die im Klagantrag bezeichneten Maßnahmen allenfalls als Vorschläge an den Beklagten für die Art der von ihm zu treffenden Maßnahmen verstanden werden. Das Berufungsgericht kann nur auf eine Verpflichtung der Beklagten erkennen, Lärmbelästigungen oberhalb der zu ermittelnden Zumutbarkeitsschwelle zu unterlassen oder, falls dies nicht ohne Beeinträchtigung der Alarmfunktion oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich ist, dem Kläger einen Geldausgleich für Schallschutzfenster zu leisten, die die Geräuscheinwirkungen im Inneren der Aufenthaltsräume auf ein zumutbares Maß mindern. Einen Anspruch auf Geldausgleich für Schallschutzfenster hat der Kläger allerdings – abweichend von der seinem Hilfsantrag zugrundeliegenden Auffassung – nicht zusätzlich, wenn der Schallpegel vor seinen Fenstern durch eine Verlegung der Sirene oder sonstige technische Vorkehrungen auf ein zumutbares Maß gemindert wird. Ebenso hat der Kläger dann keinen Anspruch auf die von ihm begehrten Beschränkungen des Betriebs der Sirene. Abgesehen davon würden solche Betriebseinschränkungen der Funktion der Alarmsirene überhaupt entgegenstehen. Diese muß auch bei Feuer in der Nacht und auch bei kleineren Ernstfällen funktionieren; überdies ist bei der gebotenen Eile im Brandfall kaum zuverlässig zu entscheiden, ob Anlaß zu Großalarm besteht oder nicht. Die Betriebseinschränkungen beim Probealarm hat das Berufungsgericht zutreffend mit der Begründung abgelehnt, der Kläger könne sich darauf vorher einstellen; die Erprobung der Zuverlässigkeit der Anlage in ihrer vollen Funktionsfähigkeit sei ein wichtiger Sicherheitsfaktor im vorbeugenden Brandschutz. Ein Anspruch auf Betriebseinschränkungen bestünde folglich auch dann nicht, wenn die Zumutbarkeit der Geräuscheinwirkung für den Kläger nur durch den Einbau von Schallschutzfenstern herzustellen wäre.
Zur Ermittlung der Zumutbarkeitsgrenze für die von der Sirene ausgehenden Geräuscheinwirkungen bemerkt der Senat, veranlaßt durch die Ausführungen im Berufungsurteil zur Heranziehung der VDI-Richtlinie 2058 – Blatt 2 – „Beurteilung von Arbeitslärm am Arbeitsplatz hinsichtlich Gehörschäden” (abgedruckt in VDI-Handbuch Lärmminderung) und durch die streitigen Erörterungen unter den Beteiligten über eine Heranziehung der VDI-Richtlinie 2058 – Blatt 1 – „Beurteilung von Arbeitslärm in der Nachbarschaft” (abgedruckt bei Feldhaus, BImSchG, Bd. 2, Anhang 4.1), folgendes:
Keine dieser Richtlinien liefert mit den in ihnen genannten Richtwerten brauchbare Anhaltspunkte für die Beurteilung der Erheblichkeit der Lärmbelästigung durch die Sirene. Zwar ist grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Gericht im Rahmen der gebotenen umfassenden Würdigung der Gegebenheiten des Einzelfalls auch die Überschreitung oder Unterschreitung von solchen Richtwerten als Indizien in seine Würdigung einbezieht, die von privaten Institutionen unter sachverständiger Beratung und unter Beteiligung der Fachöffentlichkeit aufgestellt werden, wie etwa VDI-Richtlinien, DIN-Normen oder sonstige Regelwerke. Eine weitergehende Bedeutung als die eines Indizes haben solche solche Richtlinien für die gerichtliche Beurteilung der Erheblichkeit von Immissionen aber nicht. Im zu entscheidenden Fall kommt ihnen nicht einmal indizielle Bedeutung zu: Die VDI-Richtlinie 2058 – Blatt 2 – stellt mit dem nur in einer Anmerkung und gleichsam am Rande erwähnten Spitzenwert von 120 dB(CF) für Einzelimpulse, und zwar gemessen am Arbeitsplatz in Ohrhöhe (vgl. 4.2 der Richtlinie), auf den Gesichtspunkt der Gesundheitsgefahr durch Gehörschädigung ab. Zu der darunterliegenden Zumutbarkeitsschwelle von Lärmbelästigungen (Erheblichkeit) sagt Blatt 2 nichts. Die Richtwerte von Blatt 1 sind Dauerschallpegel. Für kurzzeitige Geräuschspitzen wird allerdings die Aussage getroffen, daß sie die Richtwerte für zumutbare Dauerschallpegel am Tage um nicht mehr als 30 dB(A) und nachts um nicht mehr als 20 dB(A) überschreiten dürfen, um den Rahmen des Zumutbaren einzuhalten, also – wie hier – in einem Dorf- oder Mischgebiet tagsüber 90 dB(A) und nachts 65 dB(A) erreichen dürfen. Das ist aber für Feueralarmsirenen schon deshalb kein geeigneter Maßstab, weil der Feueralarm auch bei Nacht seine volle Lautstärke erreichen muß. Des weiteren ist zu berücksichtigen, daß der Feueralarm hier nur selten vorkommt. Der Annahme über die Zumutbarkeit kurzzeitiger Geräuschspitzen von tagsüber bis zu 90 und nachts bis zu 65 dB(A) in der VDI-Richtlinie 2058 – Blatt 1 – liegt die weitere Annahme zugrunde, daß solche Spitzen täglich und auch jede Nacht auftreten können, und zwar nicht nur einmalig, sondern mehrmals.
Auch die von der Revision erwähnten Maßstäbe für die Beurteilung der Zumutbarkeit von Einzelgeräuschen beim Sport liefern keine geeigneten Anhaltspunkte für die Beurteilung der Zumutbarkeit des Lärms von Feueralarmsirenen. In den vom Länderausschuß für Immissionsschutz herausgegebenen „Hinweisen zur Beurteilung von Freizeitlärm” (NVwZ 1988, 135) in der Nachbarschaft von Wohnbebauung wird die Zumutbarkeit von seltenen Störereignissen mit 70 dB(A) tagsüber und 55 dB(A) während der lautesten Stunde der Nachtzeit angegeben. Seltene Störereignisse, wie z. B. ein Fußballänderspiel über zwei Stunden oder ein Motorsportrennen über mehrere Stunden, dürfen danach an nicht mehr als 18 Tagen oder Nächten eines Jahres stattfinden. Auftretende Maximalpegel bei diesen seltenen Störereignissen sollen tagsüber 90 dB(A) und nachts 65 dB(A) nicht überschreiten. Zur Unbrauchbarkeit dieser Werte für die Beurteilung der Zumutbarkeit des Sirenenalarms kann auf das zu der VDI-Richtlinie 2058 – Blatt 1 – Gesagte verwiesen werden. Der Feueralarm unterscheidet sich überdies von den in den beiden erwähnten Regelwerken bewerteten Lärmarten noch dadurch, daß eine in dB(A)-Werten ausgedrückte Zumutbarkeitsschwelle nicht nur im Hinblick auf die Seltenheit des Alarms, sondern auch im Hinblick auf die gesetzlich gebotene Funktionsfähigkeit der Sirene höher anzusetzen ist. Insofern erscheint es nicht ausgeschlossen, daß der vom Bayerischen Landesamt für Umweltschutz dem Berufungsgericht genannte Wert von 95 dB(A) als Außenwert in einer Größenordnung liegt, bei der die Zumutbarkeitsschwelle für den Lärm der – selten betätigten – Feueralarmsirene anzusetzen ist.
Unterschriften
Prof. Dr. Sendler, Kreiling, Dr. Gaentzsch, Dr. Paetow, Dr. Bardenhewer
Fundstellen
Haufe-Index 845589 |
BVerwGE, 254 |
JZ 1989, 237 |
BRS 1988, 237 |
DVBl. 1988, 967 |