Der Kläger erstrebt eine Ausgleichszahlung auf der Grundlage der Verordnung (EWG) Nr. 1765/92 des Rates vom 30. Juni 1992 zur Einführung einer Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen (ABl Nr. L 181/12), die in der Fassung der Änderungsverordnung (EG) Nr. 1624/98 für das Wirtschaftsjahr 1999/2000 noch galt (vgl. Art. 15 Abs. 3 der Nachfolgeverordnung ≪EG≫ Nr. 1251/1999 des Rates vom 17. Mai 1999, ABl Nr. L 160/1). Das Berufungsgericht hat angenommen, diesem Begehren stehe entgegen, dass der Kläger den Beihilfeantrag nicht bis zum 15. Mai 1999 beim Beklagten eingereicht hat. Diese Frist sei einer Wiedereinsetzung nicht zugänglich und auf höhere Gewalt könne der Kläger sich nicht berufen. Das verletzt europäisches Gemeinschaftsrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
a) Dem Berufungsgericht ist freilich darin zuzustimmen, dass der Beihilfeantrag bis zum 15. Mai 1999 beim Beklagten eingehen musste. Das ergibt sich allerdings nicht aus § 4 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über eine Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen (Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung) – KAVO – i.d.F. der Bekanntmachung vom 5. Mai 1999 (BGBl I S. 858). Nach dieser Vorschrift muss der Antrag bis zum 15. Mai des Jahres, für das der Antrag gestellt wird, bei der Landesstelle eingegangen sein, in deren Bereich der landwirtschaftliche Betrieb seinen Sitz hat. Der Regelungsgehalt der Vorschrift liegt allein in der Bestimmung der für die Entgegennahme des Antrags zuständigen Stelle. Hinsichtlich der Frist ist die Vorschrift hingegen bloß deklaratorisch. Die Frist ergibt sich bereits aus Art. 10 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1765/92. Hiernach sind anspruchsberechtigt Erzeuger, die bis spätestens an dem der Ernte vorausgehenden 15. Mai einen Antrag gestellt haben. Diese Bestimmung ist europäisches Verordnungsrecht und gilt in allen Mitgliedstaaten unmittelbar.
b) Richtig ist auch, dass in diese Antragsfrist Wiedereinsetzung nach § 32 VwVfG bzw. der entsprechenden jeweiligen landesrechtlichen Vorschrift nicht gewährt werden kann.
Die in Rede stehende Frist ist keine Verfahrensfrist, sondern eine materielle Frist. Sie soll nicht lediglich das (Verwaltungs-)Verfahren ordnen, vielmehr ist ihre Einhaltung Tatbestandsvoraussetzung des Beihilfeanspruchs selbst. Das ergibt sich aus dem einschlägigen Gemeinschaftsrecht. Auf die Beihilfe (Ausgleichszahlung) nach der Verordnung (EWG) Nr. 1765/92 finden die Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 3508/92 des Rates vom 27. November 1992 zur Einführung eines integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen (ABl Nr. L 355/1) – vgl. deren Art. 1 Abs. 1 Buchstabe a – sowie der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung (EWG) Nr. 3887/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 (ABl Nr. L 391/36) Anwendung. Nach Art. 8 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 3887/92 verringern sich – außer in Fällen höherer Gewalt – bei verspäteter Einreichung eines Antrags die von dem Antrag betroffenen Beihilfebeträge des Betriebsinhabers pro Werktag Verspätung um 1 % der Beträge, auf die der Betriebsinhaber im Falle rechtzeitiger Einreichung Anspruch hätte. Beträgt die Terminüberschreitung mehr als 20 Tage, so wird der Antrag abgelehnt und entfällt jeder Zahlungsanspruch. Das zeigt, dass die Nichteinhaltung der Einreichungsfrist Auswirkungen auf das (ungeschmälerte) Bestehen des Beihilfeanspruchs selbst hat.
Ausnahmen von dieser Rechtsfolge können sich ebenfalls nur aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben, sei es durch unmittelbare gemeinschaftsrechtliche Bestimmung, sei es im Wege der Ermächtigung der Mitgliedstaaten. Das Gemeinschaftsrecht sieht hier nur die Ausnahme der höheren Gewalt vor. Andere Ausnahmen – etwa die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung – kennt es daneben nicht.
c) Der Kläger kann sich jedoch auf höhere Gewalt berufen. Das hat das Berufungsgericht verkannt.
aa) Der Begriff der höheren Gewalt ist ein allgemeiner Begriff des Gemeinschaftsrechts, dessen Funktion es ist, Härten aus der Anwendung von Präklusions- und Sanktionsvorschriften in besonders gelagerten Fällen zu vermeiden und damit dem Gebot der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall zu entsprechen. Er setzt voraus, dass der Nichteintritt der fraglichen Tatsache auf Umständen beruht, die vom Willen desjenigen, der sich hierauf beruft, unabhängig, ungewöhnlich (anomal) und unvorhersehbar sind und deren Folgen trotz aller Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können (stRspr; vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juli 1968 – Rs. 4/68 – Schwarzwaldmilch, Slg. 1968, 562; Urteil vom 13. Oktober 1993 – Rs. C-124/92 – An Bord Bainne Co-operative, Slg. 1993, I-5087 ≪Rn. 11≫; Urteil vom 29. September 1998 – Rs. C-263/97 – First City Trading, Slg. 1998, I-5556; ≪Rn. 38≫; Urteil vom 17. Oktober 2002 – Rs. C-208/01 – Parras Medina, Slg. 2002, I-8965 ≪Rn. 19≫; BVerwG, Urteil vom 8. Oktober 1976 – BVerwG VII C 43.75 – juris; Urteil vom 3. August 1989 – BVerwG 3 C 52.87 – BVerwGE 82, 278 ≪284 f.≫). Auch im deutschen Recht wurde und wird unter höherer Gewalt – in Anlehnung an den Begriff des “unabwendbaren Zufalls” (§ 233 ZPO a.F.) – ein Ereignis außerhalb der Sphäre des Betroffenen verstanden, das nicht vorhersehbar ist und dessen Eintritt oder dessen Folgen selbst durch äußerste Sorgfalt nicht vermieden werden können (BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1966 – BVerwG II C 45.64 – Buchholz 310 § 76 VwGO Nr. 1 ≪S. 5≫; Urteil vom 30. Oktober 1997 – BVerwG 3 C 35.96 – BVerwGE 105, 288 ≪300≫; vgl. RGZ 158, 357 ≪360 f.≫; BGHZ 17, 199 ≪201 f.≫; 81, 353 ≪355≫; 129, 282 ≪289≫).
Der Begriff der höheren Gewalt hat in den verschiedenen Rechtsgebieten des Gemeinschaftsrechts nicht völlig den gleichen Inhalt, weshalb seine Bedeutung nach dem rechtlichen Rahmen zu bestimmen ist, in dem er jeweils seine Wirkung entfalten soll. Maßgebend ist insofern die Zweckbestimmung der jeweiligen Verordnung (EuGH, Urteil vom 11. Juli 1968, Slg. 1968, 562 ≪574≫; Urteil vom 13. Oktober 1993, Slg. 1993, I-5087 ≪Rn. 10≫; Urteil vom 29. September 1998, Slg. 1998, I-5556 ≪Rn. 41≫; Urteil vom 17. Oktober 2002, Slg. 2002, I-8965 ≪Rn. 18≫). Die Besonderheit des jeweiligen Rechtsgebiets beeinflusst vor allem die Anwendung – nach gemeinschaftsrechtlicher Terminologie: die Auslegung – des Begriffs im Einzelfall (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Januar 1986 – Rs. 266/84 – Denkavit France, Slg. 1986, 164 ≪Rn. 27≫). Im vorliegenden Zusammenhang bietet die Eigenart des Landwirtschaftsrechts keinen Anlass für Besonderheiten im Begriff der höheren Gewalt. Jedoch belegt der Zweck der Antragsfrist in Art. 10 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1765/92, dass der Ausnahmetatbestand der höheren Gewalt eng auszulegen und streng anzuwenden ist, namentlich hinsichtlich der Anforderungen an seinen Nachweis im Einzelfall. Die Antragsfrist dient nämlich der Ermöglichung der Kontrolle, wie sich insbesondere aus dem 8. Erwägungsgrund zu der Verordnung (EWG) Nr. 3508/92 ergibt. Tatsächlich würde bei einer deutlich verspäteten Einreichung die Kontrolle vereitelt; denn die Kontrolle findet zum einen als Verwaltungskontrolle – vor allem zur Vermeidung einer doppelten Beihilfegewährung – und zum anderen durch stichprobenartige Vorortkontrollen, ggfs. ergänzt durch satellitengestützte Fernerkundung, statt, letztere aber jedenfalls während der Aufwuchszeit, also bei Sommerfrüchten im Mai und Juni und damit spätestens sieben Wochen nach dem Ablauf der Antragsfrist am 15. Mai.
bb) Der Verlust einer Briefsendung auf dem Postwege kommt als höhere Gewalt in Betracht und ist auch im vorliegenden Fall als höhere Gewalt anzuerkennen.
Dass ein Beihilfeantrag auf dem Postwege verloren geht, ist vom Willen des Postkunden unabhängig. Es ist ihm auch nicht zuzurechnen. Allerdings obliegt dem Antragsteller, seinen Antrag bei der Behörde einzureichen; insofern liegt eine “Bringschuld” und keine “Schickschuld” vor, und wenn er sich eines Dritten für die Übermittlung bedient, so wird dieser Dritte in seiner Sphäre tätig. Der Verlust des Antrags beim Übermittler ist dem Antragsteller deshalb dann zuzurechnen, wenn er sich eines individuellen Boten oder Kuriers bedient. Ob dasselbe für private Postdienstleistungsunternehmen zu gelten hat, stehe dahin. Für die Deutsche Post AG gilt aber Besonderes. Zwar ist auch sie privatrechtlich organisiert. Sie hat jedoch bis zum 31. Dezember 2005 – und hatte damit auch im Jahre 1999 – die gesetzliche Exklusivlizenz zur Beförderung von Briefsendungen bis 100 Gramm (§ 51 Abs. 1 PostG) und war und ist im Gegenzuge zur Beförderung verpflichtet (§ 52 i.V.m. § 11 Abs. 2 PostG). Der Kläger war daher zwar nicht rechtlich, wohl aber faktisch auf ihre Dienste angewiesen, wollte – oder konnte – er den Antrag denn nicht persönlich oder vermittels eines eigenen Boten überbringen; und die Deutsche Post AG war rechtlich zur ordnungsgemäßen Beförderung verpflichtet. Insofern liegt die Sache noch ähnlich wie zur Zeit des Bestehens der Deutschen Bundespost, deren Handeln behördliches Verwaltungshandeln war. Der Europäische Gerichtshof hat aber bereits mehrfach entschieden, dass einem Antragsteller das Handeln einer staatlichen Behörde nicht zuzurechnen ist (Urteil vom 18. März 1993 – Rs. C-50/92 – Molkerei-Zentrale Süd, Slg. 1993, I-1053 ≪Rn. 13≫ – dort zur Vorhersehbarkeit und Ungewöhnlichkeit; Urteil vom 7. Dezember 1993, Slg. 1993, I-6406 ≪Rn. 34≫; EuG, Urteil vom 6. März 2003 – Rs. T-61/00 u. T-62/00 – Slg. 2003, II-635 ≪Rn. 81≫; ebenso BVerwG, Urteil vom 8. Oktober 1976 – BVerwG VII C 43.75 –).
Der Verlust einer Briefsendung im Bereich der Deutschen Post AG war 1999 auch im Rechtssinne unvorhersehbar und ungewöhnlich (anomal). Der Europäische Gerichtshof hält Regelwidrigkeiten im Bereich der staatlichen Verwaltung generell für unvorhersehbar und ungewöhnlich (Urteil vom 18. März 1993 – Rs. C-50/92 – Molkerei-Zentrale Süd, Slg. 1993, I-1053 ≪Rn. 13≫). Grund hierfür ist ersichtlich der Gedanke, dass die Verwaltung verpflichtet ist, gesetzmäßig zu handeln (vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts, Slg. 1993, I-1044 ≪Rn. 24, 26≫). Das lässt sich auf die Universaldienstleistungen der Deutschen Post AG übertragen. Sie ist zwar, wie erwähnt, keine Behörde (mehr), ist jedoch wie eine Behörde im Rahmen ihres Monopols zur Briefbeförderung verpflichtet. Auch tatsächlich kommen Verluste von Briefsendungen zwar vor, sind aber doch nach wie vor so selten, dass sie – anders als etwa das Überschreiten der gewöhnlichen Postlaufzeiten – als ungewöhnlich und im Rechtssinne als unvorhersehbar gelten müssen. Das ist in der Rechtsprechung weithin anerkannt (BGH, Beschluss vom 11. Februar 1957 – VII ZB 3/57 – VersR 1957, 203; Beschluss vom 28. September 1972 – IV ZB 8/72 – VersR 1973, 81 ≪82≫; Beschluss vom 19. November 1991 – VI ZB 40/91 – VersR 1992, 899; BVerwG, Beschluss vom 25. November 2002 – BVerwG 8 B 112.02 – Buchholz 310 § 92 VwGO Nr. 17). Aus dem vom Berufungsgericht angeführten Beschluss des Senats vom 31. Januar (nicht März) 2002 (BVerwG 3 B 106.01) ergibt sich nichts anderes; dort wird zu der Frage nicht Stellung genommen. Lediglich der Bundesfinanzhof hat im Beschluss vom 30. Oktober 2001 (X B 55/01 – BFH/NV 2002, 503 = juris) das Abhandenkommen einer Postsendung nicht als “außergewöhnlichen Umstand” ansehen wollen, hat jedoch seine Entscheidung hilfsweise darauf gestützt, dass der dortige Kläger die rechtzeitige Aufgabe des Schriftstücks zur Post nicht nachgewiesen habe.
Dass der Kläger schließlich die Folgen des Verlusts der Postsendung bei Anspannung aller gebotenen Sorgfalt nicht hätte vermeiden können, liegt auf der Hand. Vorbeugende Gegenmaßnahmen waren bei fehlender Vorhersehbarkeit nicht veranlasst, und spätere Maßnahmen zur Folgenabwendung – etwa die rasche Übersendung einer Zweitschrift – hätten vorausgesetzt, dass der Kläger Kenntnis vom Verlust der Postsendung gehabt hätte.
cc) Nach allem kommt der Verlust einer Briefsendung auf dem Postwege als ein Fall höherer Gewalt im Sinne des Gemeinschaftsrechts in Betracht. Dagegen kann nicht eingewandt werden, dass dies nicht “auf der Linie” der in Art. 11 Abs. 3 VO (EWG) Nr. 3887/92 bzw. in Art. 48 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2419/2001 beispielhaft aufgeführten Fälle liege. Diese Beispielsfälle haben sämtlich nicht die Überschreitung der Antragsfrist (Art. 8 VO ≪EWG≫ Nr. 3887/92), sondern das Zurückbleiben der bei der Kontrolle festgestellten beihilfefähigen Flächen bzw. Tiere hinter den Angaben im Antrag (Art. 9 und 10 VO ≪EWG≫ Nr. 3887/92) im Blick. In diesen Fällen spricht eine Vermutung dafür, dass der Antragsteller im Antrag übertrieben hat, dass also eine Unregelmäßigkeit im Sinne des Gemeinschaftsrechts vorliegt; diese Vermutung kann durch den Nachweis späterer unvorhergesehener Ereignisse (wie Tod oder Berufsunfähigkeit des Betriebsinhabers, Enteignungen, schwere Naturkatastrophen, Zerstörung von Stallgebäuden oder Seuchenbefall der Herde) entkräftet werden. Hieraus lässt sich für die Anforderungen an höhere Gewalt, die eine Überschreitung der Antragsfrist sanktionslos stellt, nichts gewinnen. Die Überschreitung der Antragsfrist ist keine Unregelmäßigkeit im Sinne des Gemeinschaftsrechts (vgl. den 32. und die weiteren Erwägungsgründe zur VO ≪EG≫ Nr. 2419/2001), der Verlust des Beihilfeanspruchs dementsprechend auch keine – repressive – Sanktion, sondern ein – präventives – Druckmittel (vgl. den 15. Erwägungsgrund zur VO ≪EG≫ Nr. 2419/2001 sowie EuGH, Urteil vom 22. Januar 1986 – Rs. 266/84 – Denkavit France, Slg. 1986, I-164 ≪Rn. 21≫).
dd) Einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof bedarf es nicht. Der Begriff der höheren Gewalt ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hinreichend geklärt. Die Befugnis zur Anwendung dieses Begriffs im Einzelfall hat der Europäische Gerichtshof den nationalen Gerichten zuerkannt (Urteil vom 11. Juli 1968, Slg. 1968, 562 ≪576≫). So erfordert auch die Entscheidung des vorliegenden Falles nicht die weitere Klärung des Begriffs der höheren Gewalt als vielmehr die Würdigung des gegebenen Einzelfalles und hierbei namentlich die Einschätzung der Zuverlässigkeit der Deutschen Post AG. Dies aber betrifft allein die mitgliedstaatliche Sphäre Deutschlands; aus der Entscheidung können sich Rückschlüsse auf die Beurteilung eines Briefverlusts in anderen Mitgliedstaaten – mit anderer Postverfassung – nicht ergeben.