Leitsatz (amtlich)
"Andere Maßnahmen der Innenentwicklung" nach § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB müssen nach Ziel und Inhalt der Entwicklung der überplanten Fläche dienen.
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 14.05.2019; Aktenzeichen 1 KN 14/17) |
Tenor
Auf die Revision der Antragstellerin wird das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. Mai 2019 aufgehoben. Die 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 4 - Gewerbegebiet Dorfstraße-Nordost - vom 9. November 2016, bekannt gemacht am 1. Dezember 2016, ist unwirksam.
Das Verfahren über die Anschlussrevision der Antragsgegnerin wird eingestellt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Rz. 1
Gegenstand des Rechtsstreits ist die im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB beschlossene 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 4 "Gewerbegebiet Dorfstraße-Nordost".
Rz. 2
Der Bebauungsplan Nr. 4 "Gewerbegebiet Dorfstraße-Nordost" aus dem Jahr 2005 (Ausgangsbebauungsplan) umfasst ein ca. 6,48 ha großes Gebiet im Nordosten der Ortslage der Antragsgegnerin. Er setzt im Süden des Plangebiets an der K... eine Fläche für ein Dorfgebiet fest und darauf nach Norden folgend zwei Gewerbegebiete (GE1 und GE2), die sich vor allem hinsichtlich des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung unterscheiden. Nach der textlichen Festsetzung Nr. 1 sind in den Gewerbegebieten Anlagen nach Spalte 1 der 4. BImSchV unzulässig, ebenso Vergnügungsstätten sowie bestimmte Einzelhandelsbetriebe.
Rz. 3
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des im Norden des Plangebiets gelegenen Grundstücks Flurstück.../1. Auf der Grundlage einer Baugenehmigung vom 24. Mai 2012 hat die Antragstellerin dort eine Photovoltaikanlage errichtet, die nahezu das gesamte Grundstück ausfüllt.
Rz. 4
Mit der angegriffenen 1. Änderung, die am 9. November 2016 beschlossen und am 1. Dezember 2016 bekannt gemacht wurde, wird der Ausgangsbebauungsplan u.a. im Bereich des Flurstücks.../1 geändert (Änderungsbebauungsplan). Der Plan setzt für die durch die Solaranlage genutzte Fläche ein Sondergebiet "Photovoltaikanlagen" fest. Nach der textlichen Festsetzung Nr. 1 dient das Sondergebiet der Erzeugung von elektrischer Energie aus Sonnenlicht; weitere textliche Festsetzungen betreffen die Überdeckung des Bodens durch die Solarpaneele sowie Differenzierungen zur Höhe der baulichen Anlagen. Das GE 2 des Ausgangsbebauungsplans entfällt, das GE 1 wird in seinem westlichen Teil bis zum Flurstück.../3 (Weg) dem Sondergebiet zugeschlagen, bleibt im Übrigen aber ebenso unberührt wie das festgesetzte Dorfgebiet.
Rz. 5
Das Oberverwaltungsgericht hat den am 17. Januar 2017 erhobenen Normenkontrollantrag mit Urteil vom 14. Mai 2019 abgelehnt. Der Normenkontrollantrag sei zulässig, insbesondere stehe § 47 Abs. 2a VwGO a.F. nicht entgegen. Er sei jedoch unbegründet. Die Wahl des beschleunigten Verfahrens nach § 13a BauGB sei nicht zu beanstanden, denn bei dem Änderungsbebauungsplan handle es sich um einen Bebauungsplan der Innenentwicklung. Das Plangebiet liege im Siedlungsbereich der Antragsgegnerin. Die Umplanung stelle sich als andere Maßnahme der Innenentwicklung dar. Auch in materieller Hinsicht begegne der Änderungsbebauungsplan keinen Bedenken, insbesondere sei er gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB erforderlich, Abwägungsfehler lägen nicht vor.
Rz. 6
Die Antragstellerin hat die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Nach ihrer Auffassung verstößt der Bebauungsplan gegen § 13a BauGB.
Rz. 7
Die Antragsgegnerin hält den Normenkontrollantrag mit Blick auf § 47 Abs. 2a VwGO a.F. bereits für unzulässig. Ihre insoweit eingelegte Anschlussrevision hat sie zurückgenommen. Im Übrigen verteidigt sie das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die Revision ist begründet. Die Sachentscheidungsvoraussetzungen liegen vor (A). Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verstößt gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Änderungsbebauungsplan ist unwirksam (B).
Rz. 9
A. Die in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu prüfenden Sachentscheidungsvoraussetzungen liegen vor.
Rz. 10
1. Die Antragstellerin ist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt.
Rz. 11
Als Eigentümerin eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks, das von den angegriffenen bauplanerischen Festsetzungen unmittelbar betroffen ist, kann sie eine Verletzung ihres Eigentumsrechts geltend machen (stRspr, zuletzt BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2020 - 4 CN 5.18 - BVerwGE 169, 29 Rn. 15 m.w.N.).
Rz. 12
2. Der Antrag ist nicht gemäß § 47 Abs. 2a VwGO a.F. unzulässig. Die Norm, die durch Art. 5 des Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben vom 29. Mai 2017 (BGBl. I S. 1298) mit Wirkung zum 2. Juni 2017 aufgehoben worden ist, steht der Zulässigkeit eines Normenkontrollantrags nicht entgegen, über den ab dem 2. Juni 2017 entschieden wird. Dies gilt auch, wenn der Antrag - wie hier - vor dem 2. Juni 2017 gestellt worden ist (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2020 - 4 CN 3.19 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 220).
Rz. 13
B. Der Normenkontrollantrag ist begründet. Der Änderungsbebauungsplan leidet an formellen Fehlern (1.), die nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beachtlich sind und zur Unwirksamkeit des Änderungsbebauungsplans führen (2.).
Rz. 14
1. Der Änderungsbebauungsplan durfte nicht im beschleunigten Verfahren aufgestellt werden; die Voraussetzungen des § 13a Abs. 4, Abs. 1 Satz 1 BauGB liegen nicht vor.
Rz. 15
Nach § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB kann ein Bebauungsplan für die Wiedernutzbarmachung von Flächen, die Nachverdichtung oder andere Maßnahmen der Innenentwicklung (Bebauungsplan der Innenentwicklung) im beschleunigten Verfahren aufgestellt werden. Dies gilt entsprechend für die Änderung und Ergänzung eines Bebauungsplans gemäß § 13a Abs. 4 BauGB in der hier maßgeblichen Fassung durch das Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts vom 11. Juni 2013 (BGBl. I S. 1548).
Rz. 16
Nach Auffassung der Vorinstanz erfasst der Änderungsbebauungsplan eine Fläche im Siedlungsbereich der Antragsgegnerin und stellt sich als andere Maßnahme der Innenentwicklung dar. Die Innenentwicklung müsse bereits mit dem Plan nach § 13a BauGB bewirkt werden. Lediglich mittelbare Vorteile für die Innenentwicklung reichten nicht aus. Daraus folge aber nicht, dass nur dem Planbereich unmittelbar zugutekommende Vorteile die Anwendung des § 13a BauGB rechtfertigten. Vielmehr könnten auch Vorteile außerhalb des Planumgriffs eine andere Maßnahme der Innenentwicklung darstellen, wenn sie nur hinreichend nah zum Plangebiet einträten und hierdurch die Ausnutzbarkeit benachbarter Siedlungsflächen verbessert werde. Diese Auslegung verstößt gegen revisibles Recht. Die "andere Maßnahme der Innenentwicklung" muss nach Ziel und Inhalt der Entwicklung der überplanten Fläche dienen.
Rz. 17
a) Mit dem Tatbestandsmerkmal der Innenentwicklung beschränkt § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB seinen räumlichen Anwendungsbereich. Innenentwicklung ist nur innerhalb des Siedlungsbereichs zulässig; das gilt ausweislich der Gesetzesbegründung auch für die Änderung oder Anpassung von Bebauungsplänen (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2020 - 4 CN 5.18 - BVerwGE 169, 29 Rn. 28 mit Verweis auf BT-Drs. 16/2496 S. 12). Die äußeren Grenzen des Siedlungsbereichs dürfen durch den Bebauungsplan nicht in den Außenbereich erweitert werden (BVerwG, Urteile vom 4. November 2015 - 4 CN 9.14 - BVerwGE 153, 174 Rn. 22 f. und vom 27. August 2020 - 4 CN 4.19 - BVerwGE 169, 219 Rn. 15). § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB beschränkt den Anwendungsbereich des beschleunigten Verfahrens indessen nicht nur räumlich, sondern auch inhaltlich. Begünstigt werden nur Bebauungspläne für die Wiedernutzbarmachung von Flächen, die Nachverdichtung oder eine andere Maßnahme der Innenentwicklung. Dabei kommt es nicht darauf an, wie die Gemeinde die von ihr mit dem Bebauungsplan beabsichtigten Maßnahmen bezeichnet, sondern allein darauf, dass sie mit diesen "Innenentwicklung" i.S.d. Vorschrift betreibt (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2020 - 4 CN 5.18 - a.a.O. Rn. 27).
Rz. 18
Der unbestimmte Rechtsbegriff der "anderen Maßnahme der Innenentwicklung" dient nach der Konzeption des § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB als Auffangtatbestand (Gierke/Scharmer, in: Brügelmann, BauGB, § 13a Rn. 61, Stand Oktober 2018; Krautzberger, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand Februar 2021, § 13a Rn. 30; Jaeger, in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, Stand 1. Februar 2021, § 13a Rn. 6; Dillmann, BauR 2019, 1546 ≪1552≫). Er umfasst alle Maßnahmen der Innenentwicklung, die nicht als Wiedernutzbarmachung von Flächen oder als Nachverdichtung zu beurteilen sind. Aus den genannten Beispielsfällen folgt jedoch eine inhaltliche Begrenzung zulässiger Maßnahmen. Die benannten Fälle bezeichnen städtebauliche Maßnahmen in dem Gebiet, welches überplant wird, und bringen damit zum Ausdruck, dass die maßgeblichen Ziele der Innenentwicklung (vornehmlich) im Geltungsbereich des Bebauungsplans erreicht werden müssen (Gierke/Scharmer, in: Brügelmann, BauGB, § 13a Rn. 55, Stand Oktober 2018). Das gilt auch für "andere Maßnahmen der Innenentwicklung". Diese müssen nach Ziel und Inhalt der Entwicklung der überplanten Fläche dienen (siehe etwa Kerkmann, EurUP 2019, 206 ≪210≫; VGH Mannheim, Urteil vom 7. Mai 2018 - 3 S 2041/17 - BeckRS 2018, 10322 Rn. 35), ein Bebauungsplan nach § 13a BauGB muss mithin die bauplanungsrechtliche Grundlage für Maßnahmen der Innenentwicklung selbst schaffen. Es reicht daher nicht aus, wenn aufgrund eines nur mittelbaren Ursachenzusammenhangs die Innenentwicklung in anderen Teilen des Siedlungsbereichs positiv beeinflusst wird (Krautzberger, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand Februar 2021, § 13a Rn. 33). Die Ausrichtung auf die städtebauliche Entwicklung nach innen schließt des Weiteren die alleinige Verfolgung anderer Zielsetzungen aus, wie z.B. solche des Umweltschutzes (Gierke/Scharmer, in: Brügelmann, BauGB, § 13a Rn. 55, Stand Oktober 2018).
Rz. 19
b) Diese enge Auslegung ist auch unionsrechtlich geboten. Nach § 2 Abs. 4 BauGB bedarf im Grundsatz jede Bebauungsplanung einer Umweltprüfung; das gilt über § 1 Abs. 8 BauGB auch für die Änderung, Ergänzung oder Aufhebung eines Bebauungsplans. Mit dieser Vorgabe setzt der nationale Gesetzgeber die Vorgaben aus dem Unionsrecht um, insbesondere aus der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. L 197 S. 30 vom 21. Juli 2001). Das beschleunigte Verfahren nach § 13a BauGB versteht sich dazu als Ausnahme, weil hier auf die Durchführung einer Umweltprüfung (§ 13a Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB) verzichtet werden kann. Das ist unionsrechtlich zwar zulässig (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2020 - 4 CN 5.18 - BVerwGE 169, 29 Rn. 30). Eine extensive Auslegung des Tatbestandsmerkmals der "anderen Maßnahme der Innenentwicklung", die dazu führt, dass das beschleunigte Verfahren ohne Umweltprüfung im Siedlungsbereich der Gemeinden zum Regelverfahren würde (vgl. schon Jachmann/Mitschang, BauR 2009, 913 ___LT_Ξ_GT___; ferner Krautzberger, DVBl 2014, 270 ≪271≫), wäre hiermit jedoch nicht vereinbar.
Rz. 20
c) Danach liegen hier die Voraussetzungen nach § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht vor. Das Oberverwaltungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, dass das Plangebiet, das auf der Grundlage eines Bebauungsplans baulich genutzt wird, zum Siedlungsbereich der Antragsgegnerin gehört. Bei der angegriffenen Planung handelt es sich jedoch nicht um eine "andere Maßnahme der Innenentwicklung". Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) soll der Änderungsbebauungsplan zur Verbesserung des Ortsbildes sowie vor allem zur Reduktion der zulasten der benachbarten Wohnbevölkerung gehenden Emissionsträchtigkeit beitragen. Die Planänderungen habe mithin die Ursprungsplanung zum Vorteil dieses Ortsteils wieder einfangen sollen, nachdem die Antragstellerin keine Anstalten getroffen hatte, in dem zulässigen Maße eine Biogasanlage betreiben oder andere gewerblichen Aktivitäten entfalten zu wollen (UA S. 11). Der Antragsgegnerin ging es danach mit dem Änderungsbebauungsplan nicht um die Entwicklung der überplanten und im Eigentum der Antragstellerin stehenden Fläche, sondern ausschließlich um mittelbare Folgewirkungen zugunsten ihres Siedlungsbereichs. Sie verfolgte damit ausschließlich Ziele, die außerhalb des Plangebiets liegen. Das genügt nicht für die Annahme, es liege eine andere Maßnahme der Innenentwicklung vor.
Rz. 21
2. Der Änderungsbebauungsplan leidet aufgrund der Wahl des beschleunigten Verfahrens an beachtlichen Mängeln, weil die Antragsgegnerin - insoweit folgerichtig - weder eine Umweltprüfung vorgenommen (§ 2 Abs. 4 BauGB) noch einen Umweltbericht (§ 2a Satz 2 Nr. 2 BauGB) erstellt hat. Der Fehler ist nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB beachtlich (BVerwG, Urteile vom 4. November 2015 - 4 CN 9.14 - BVerwGE 153, 174 Rn. 29 und vom 25. Juni 2020 - 4 CN 5.18 - BVerwGE 169, 29 Rn. 34). Der Mangel wurde von der Antragstellerin innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB gerügt. Er führt zur Gesamtunwirksamkeit des Änderungsbebauungsplans.
Rz. 22
Soweit die Antragsgegnerin ihre Anschlussrevision zurückgenommen hat, ist das Verfahren nach § 92 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO mit der Kostenfolge aus § 155 Abs. 2 VwGO einzustellen. Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Fundstellen
BVerwGE 2022, 70 |
BauR 2021, 1914 |
DÖV 2021, 1133 |
JZ 2021, 733 |
ZfBR 2021, 873 |
DVBl. 2021, 1626 |
NJW-Spezial 2021, 654 |
UPR 2021, 490 |
BBB 2021, 56 |
FuB 2021, 240 |