Entscheidungsstichwort (Thema)

Einzelne Erschließungsanlage. natürliche Betrachtungsweise. Abschnittsbildung. rechtmäßige Herstellung. Bebauungsplan und abweichender Planfeststellungsbeschluß. erschließungsrechtliches Planerfordernis. planungsrechtliche Bindung

 

Leitsatz (amtlich)

Ob ein aus zwei unterschiedlich benannten Teilsrecken bestehender Straßenzug als eine einzelne beitragsfähige Erschließungsanlage anzusehen ist, hängt von dem Gesamteindruck eines unbefangenen Beobachters bei natürlicher Betrachtungsweise ab; die gebotene Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse setzt nicht zwingend eine Augenscheinseinnahme voraus (wie Urteil vom 7. Juni 1996 – BVerwG 8 C 30.94 – Buchholz 406.11 § 130 BauGB Nr. 41 S. 11 ff.).

Privilegierte Fachplanungen gemäß § 38 BauGB schließen inhaltlich abweichende, dieselbe Fläche betreffende Festsetzungen in nachfolgenden Bebauungsplänen aus (im Anschluß an Urteil vom 16. Dezember 1988 – BVerwG 4 C 48.86 – BVerwGE 81, 111 ff.); derartige Bebauungspläne vermögen deshalb nicht – ebensowenig wie die in ihrer Genehmigung ggf. zu sehende Zustimmung im Sinne von § 125 Abs. 2 Satz 1 BauGB – die Rechtmäßigkeit der Straßenherstellung gemäß § 125 BauGB zu begründen.

 

Normenkette

BauGB §§ 125, 127 Abs. 2 Nr. 1, § 130 Abs. 2 S. 1, § 133 Abs. 2, § 38 S. 2

 

Verfahrensgang

VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 28.11.1994; Aktenzeichen 2 S 2752/92)

VG Stuttgart (Entscheidung vom 23.10.1992; Aktenzeichen 11 K 2122/90)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerinnen wird das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28. November 1994 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerinnen wenden sich gegen ihre Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für den aus der Straße “Im Alten See” und einem Teilstück des Schönbuchwegs bestehenden Straßenzug. Sie sind Eigentümerinnen des Grundstücks Nr. 3809, das im Westen an den Schönbuchweg und im Osten an die Talstraße grenzt.

Der Schönbuchweg und die Straße “Im Alten See” bilden eine halbkreisförmige Straßenverbindung zwischen der Hohewartstraße im Nordosten und der Stuttgarter Straße im Südosten. Der nordöstliche Teil des Schönbuchwegs zwischen der Hohewartstraße und der Filderstraße ist bereits in den sechziger Jahren auf der Grundlage des vom Landratsamt B… am 27. Juli 1959 genehmigten Bebauungsplans “Industriegebiet” ausgebaut und zusammen mit der Filderstraße abgerechnet worden. Die restliche Strecke des Schönbuchwegs und die Straße “Im Alten See” wurden in den Jahren 1979 bis 1984 fertiggestellt; sie sind Gegenstand der hier streitigen Veranlagung. Das nördliche Teilstück dieses Straßenzugs zwischen Filderstraße und Vaihinger Straße wird – ebenso wie das Grundstück der Klägerinnen – von dem in seiner zweiten Änderung und Erweiterung am 20. Dezember 1984 genehmigten Bebauungsplan “Kegelsklinge” vom 19. Dezember 1979 erfaßt. Der südöstliche Teil der Straße “Im Alten See” zwischen der Vaihinger Straße und der Stuttgarter Straße ist – in geringerer Breite – in dem Bebauungsplan “Schafgartenäcker” aus dem Jahre 1960 ausgewiesen. Vor der Planung und dem Ausbau des jetzt abgerechneten Straßenzugs hatte ein Planfeststellungsbeschluß des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 16. Mai 1977 über den “Ausbau der Stuttgarter Straße mit Anschluß an die B 27” den südöstlichen Teil des veranlagten Straßenzugs bis zur Abzweigung des Schönbuchwegs nach Norden mit einer Breite von ca. 12 m für die – seinerzeit geplante – “Teilumgehungsstraße Steinenbronn” vorgesehen. Der Ausbau der Teilstrecke zwischen der Vaihinger Straße und der Stuttgarter Straße ist an den Festsetzungen des bezeichneten Planfeststellungsbeschlusses ausgerichtet. Das Landratsamt B… stimmte mit Bescheid vom 11. Mai 1989 insoweit gemäß § 125 Abs. 2 BauGB dem inzwischen erfolgten Ausbau dieser Teilstrecke zu. Im übrigen wurde der Planfeststellungsbeschluß – wie auch dessen gesamte Konzeption einer Ortsumgehung – nicht umgesetzt. Der später erlassene Bebauungsplan “Kegelsklinge” schränkte vielmehr die Verkehrsfläche der Straße “Im Alten See” gegenüber der Planfeststellung erheblich ein und wies größere Teilflächen der planfestgestellten Straßentrasse als Verkehrsgrün bzw. als Spielplatz aus.

Mit je einem Bescheid vom 18. Dezember 1987 zog die Beklagte die Klägerinnen gesamtschuldnerisch zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von (zunächst) 9 909,87 DM heran. Der nach erfolglosen Widerspruchsverfahren erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 23. Oktober 1992 stattgegeben, nachdem die Beklagte zuvor ihre Beitragsforderung um 125,40 DM reduziert und der Rechtsstreit sich insoweit in der Hauptsache erledigt hatte. Während des Berufungsverfahrens widmete der Gemeinderat der Beklagten mit Beschlüssen vom 16. März 1993 und 14. Juni 1994 das vom Verwaltungsgericht insoweit beanstandete Teilstück der Straße “Im Alten See” zwischen der Bebauungsplangrenze “Kegelsklinge” und der Einmündung in die Stuttgarter Straße dem öffentlichen Verkehr und stufte es als Gemeindestraße ein; die Widmung wurde am 30. Juni 1994 öffentlich bekanntgemacht. Am 14. Juni 1994 beschloß der Gemeinderat der Beklagten die Bildung eines Abschnitts im Bereich der Einmündung der Filderstraße. Mit Bescheid vom 16. Juni 1994 stimmte das Landratsamt B… gemäß § 125 Abs. 2 BauGB dem bereits in den sechziger Jahren erfolgten Ausbau des Schönbuchwegs zwischen der Hohewartstraße und der Filderstraße zu und bestätigte “für den Fall, daß – wider Erwarten – der Bebauungsplan ‘Industriegebiet’ … für nichtig erklärt wird”, dessen Lage innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile.

Mit Urteil vom 28. November 1994 hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klage – soweit die Beitragsforderung noch streitig war – abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Bei den beiden Straßen Schönbuchweg und “Im Alten See” handle es sich bei natürlicher Betrachtungsweise – wie eine in der mündlichen Verhandlung übergebene Fotografie bestätige – um eine einzelne Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, da sie nach der Art und Weise ihrer Herstellung – durchgängiger zäsurloser Verlauf und gleiche Breite von Fahrbahn, Gehwegen und Grünstreifen – trotz der im südlichen Bereich vermehrt angelegten Straßengrünflächen und trotz der dort auf einem kurzen Teilstück erheblich größeren Fahrbahnbreite den Eindruck der Geschlossenheit und Einheitlichkeit vermittelten und sich deshalb als eine einzelne Erschließungsanlage darstellten. Die Beklagte habe der Abrechnung der Erschließungsanlage zu Recht nur die Straßenstrecke zwischen der Stuttgarter Straße und der Filderstraße zugrunde gelegt und den bereits Anfang der sechziger Jahre ausgebauten und abgerechneten nördlichen Teil des Schönbuchwegs außer Betracht gelassen. Es bedürfe unabhängig von der – wegen der späteren Zustimmung des Landratsamtes und der vorsorglichen Abschnittsbildung durch den Gemeinderat unerheblichen – Gültigkeit des Bebauungsplans “Industriegebiet” keiner Entscheidung, ob die jetzt abgerechnete Teilstrecke beitragsrechtlich als einzelne Erschließungsanlage oder als Abschnitt einer Gesamtanlage anzusehen sei, da in beiden Fällen dieselben sachlichen Beitragspflichten ausgelöst würden. Nach der förmlichen Widmung der außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans “Kegelsklinge” liegenden Strecke zwischen der Vaihinger Straße und der Stuttgarter Straße für den öffentlichen Verkehr durch die Gemeinderatsbeschlüsse vom 16. März 1993/14. Juni 1994 sei nunmehr für den gesamten Straßenzug das Merkmal der Öffentlichkeit erfüllt. Die angefochtenen Bescheide seien auch der Höhe nach rechtmäßig. Es hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die Beklagte nicht beitragsfähige Kosten in den beitragsfähigen Erschließungsaufwand einbezogen habe. Schließlich sei die Erschließungsanlage mit Blick auf den weiten Gestaltungsspielraum auch hinsichtlich des reichlich bemessenen Umfangs der Verkehrsfläche im Bereich der Einmündung in die Stuttgarter Straße aus Gründen der Verkehrssicherheit erforderlich im Sinne von § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerinnen, mit der sie die Verletzung materiellen und – im Zusammenhang mit der Auswertung der Fotografie durch den Verwaltungsgerichtshof – formellen Bundesrechts rügen und die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung begehren.

Die Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das Berufungsurteil.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerinnen hat Erfolg. Sie führt zur Zurückverweisung an den Verwaltungsgerichtshof (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht; eine abschließende Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide dem Grunde und der Höhe nach (§ 113 Abs. 1 VwGO) ist mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen nicht möglich.

1. Ohne Verstoß gegen Bundesrecht geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, die Beklagte habe der Veranlagung zu Recht nur die Teilstrecke der Verkehrsanlage zwischen der Filderstraße und der Stuttgarter Straße zugrunde gelegt.

a) In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. zuletzt Urteil vom 7. Juni 1996 – BVerwG 8 C 30.94 – Buchholz 406.11 § 130 BauGB Nr. 41, S. 11 ff.) nimmt das Berufungsgericht auf der Grundlage des Akteninhalts und einer ihm vorgelegten Fotografie an, die tatsächlichen Verhältnisse – in dem insoweit maßgebenden Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten – vermittelten einem unbefangenen Beobachter bei natürlicher Betrachtungsweise den Eindruck, bei der Straße “Im Alten See” und dem sich daran anschließenden Schönbuchweg (bis zur Filderstraße oder bis zur Hohewartstraße) handele es sich um eine einzelne Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB. Dagegen ist aus bundesrechtlicher Sicht weder mit Blick auf die angelegten Beurteilungsmaßstäbe noch auf die Verfahrensweise etwas einzuwenden. Zwar ist der Revision einzuräumen, daß es angesichts der gebotenen natürlichen Betrachtungsweise jedenfalls in Zweifelsfällen angezeigt sein kann, sich durch eine Augenscheinseinnahme einen Gesamteindruck von den tatsächlichen Verhältnissen im jeweiligen Einzelfall zu verschaffen. Das rechtfertigt jedoch nicht den Schluß, der Verzicht auf eine Ortsbesichtigung verletze stets § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB. Denn es kann von Fall zu Fall Gründe geben, die eine solche Augenscheinseinnahme entbehrlich erscheinen lassen. So hat der erkennende Senat bereits im Urteil vom 7. Juni 1996 (a.a.O., S. 15) entschieden, das materielle Recht verlange nicht stets die unmittelbare Gewinnung des Eindrucks vor Ort; vielmehr könnten hierfür auch andere Erkenntnisquellen ausreichen. So liegen die Dinge auch hier. Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht ausführliche Feststellungen über die tatsächlichen Verhältnisse getroffen. Auf der Grundlage dieser Feststellungen und des sonstigen Akteninhalts, insbesondere der in der mündlichen Verhandlung überreichten Fotografie, war dem Berufungsgericht auch ohne Ortsbesichtigung die vom materiellen Recht verlangte Einschätzung der tatsächlichen Verhältnisse möglich, so daß eine weitere Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht geboten war. Das ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden.

b) Das Berufungsgericht läßt offen, ob der Straßenzug von der Stuttgarter Straße bis zur Filderstraße oder – darüber-hinausgehend – bis zur Hohewartstraße als eine einzelne Erschließungsanlage zu qualifizieren ist. Auch das steht mit Bundesrecht in Einklang. Trifft nämlich ersteres zu, so hat die Beklagte ihrer Abrechnung ohnehin zu Recht die entsprechende Straßenstrecke zugrunde gelegt. Träfe hingegen letzteres zu, wäre die Abrechnung nur der Teilstrecke zwischen der Stuttgarter Straße und der Filderstraße ebenfalls rechtens, weil die Beklagte für diesen Fall (jedenfalls) durch den Beschluß ihres Gemeinderats vom 14. Juni 1994 eine wirksame Abschnittsbildung vorgenommen hätte. Denn am 14. Juni 1994 – unterstellt, es handele sich bei dem Straßenzug zwischen der Stuttgarter Straße und der Hohewartstraße um eine einzelne (Gesamt-)Erschließungsstraße – wären für diese Gesamtanlage die sachlichen Erschließungsbeitragspflichten noch nicht entstanden gewesen, so daß eine Abschnittsbildung von Rechts wegen noch erfolgen konnte. Vor dem 14. Juni 1994 konnte diese Anlage nämlich mangels Widmung für den öffentlichen Verkehr in voller Länge noch keine beitragsfähige Erschließungsanlage gewesen sein. Dies hat das Berufungsgericht nach dem einschlägigen – irrevisiblen – Landesstraßenrecht angenommen, weil die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans “Kegelsklinge” liegende Teilstrecke zwischen der Vaihinger Straße und der Stuttgarter Straße erst durch die Gemeinderatsbeschlüsse vom 16. März 1993/14. Juni 1994 für den öffentlichen Verkehr gewidmet worden und erst dadurch für diese Teilstrecke das Merkmal “öffentlich” erfüllt worden sei. Der Widmungsbeschluß des Gemeinderats der Beklagten vom 14. Juni 1994 ist erst am 30. Juni 1994 bekanntgemacht worden und damit erst nach dem Erlaß des Abschnittsbildungsbeschlusses vom 14. Juni 1994 wirksam geworden. Aus bundesrechtlicher Sicht bestehen hiergegen ebenso wenig Bedenken wie – auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts – gegen die Wirksamkeit der Abschnittsbildung im übrigen. Die Teilstrecke zwischen der Filderstraße und der Hohewartstraße ist deshalb im Rahmen der hier streitigen Veranlagung zu Recht unberücksichtigt geblieben.

2. Das Berufungsurteil verstößt jedoch gegen Bundesrecht, soweit es davon ausgeht, die abgerechnete Straßenstrecke sei rechtmäßig im Sinne des § 125 BauGB hergestellt worden. Diese Annahme trifft – wie die Revision zu Recht geltend macht – auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen nicht zu.

a) Die Rechtmäßigkeit eines Erschließungsbeitragsbescheids dem Grunde nach hängt vom Entstehen der entsprechenden sachlichen Erschließungsbeitragspflichten ab; dieses wiederum setzt eine nach Maßgabe des § 125 BauGB rechtmäßige Herstellung der beitragsfähigen Erschließungsanlage bzw. eines Abschnitts davon voraus. Das hat der erkennende Senat im Urteil vom 21. Oktober 1994 – BVerwG 8 C 2.93 – (BVerwGE 97, 62 ff.) im einzelnen begründet; daran wird festgehalten. § 125 BauGB regelt danach – erstens – das erschließungsrechtliche Planerfordernis (§ 125 Abs. 1 und 2 BauGB) und – zweitens – die planungsrechtliche Bindung (§ 125 Abs. 3 BauGB). Gemäß § 125 Abs. 1 BauGB setzt die (erschließungsrechtlich rechtmäßige) Herstellung einer beitragsfähigen Erschließungsanlage einen (wirksamen) Bebauungsplan voraus; fehlt es an einem solchen Bebauungsplan, kann eine beitragsfähige Erschließungsanlage – vorbehaltlich der Regelung des § 125 Abs. 2 Satz 2 BauGB – nach § 125 Abs. 2 Satz 1 BauGB nur mit Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde rechtmäßig hergestellt werden. Bebauungsplan bzw. Zustimmung müssen – soll die Herstellung einer beitragsfähigen Erschließungsanlage von Anfang an erschließungsrechtlich rechtmäßig sein – vorliegen, bevor mit der Herstellung begonnen wird. Allerdings können Bebauungsplan bzw. Zustimmung einer Herstellung auch nachfolgen. Tritt ein Bebauungsplan erst nachträglich in Kraft bzw. wird eine Zustimmung erst nachträglich erteilt, wird die Herstellung im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans bzw. des Wirksamwerdens der Zustimmung rechtmäßig; ein zuvor ergangener und mangels Erfüllung der Anforderung des § 125 Abs. 1 und 2 BauGB rechtswidriger Erschließungsbeitragsbescheid wird in diesem Zeitpunkt geheilt (vgl. einerseits Urteil vom 21. Oktober 1968 – BVerwG IV C 94.67 – Buchholz 406.11 § 127 BBauG Nr. 4 S. 8 ≪12≫ und andererseits u.a. Urteil vom 27. September 1982 – BVerwG 8 C 145.81 – Buchholz 406.11 § 130 BBauG Nr. 26 S. 1 ≪3 f.≫).

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts werden drei verschiedene Teilstrecken des Straßenzugs “Im Alten See/Schönbuchweg” von drei verschiedenen Bebauungsplänen erfaßt: Die nordöstliche Teilstrecke zwischen der Hohewartstraße und der Filderstraße liegt im Bereich des vom Landratsamt B… am 27. Juli 1959 genehmigten Bebauungsplans “Industriegebiet”; diese Teilstrecke kann – wie oben dargelegt (s.o. zu II.1.b) – außer Betracht bleiben. Die sich anschließende Strecke zwischen der Filderstraße und der Vaihinger Straße wird vom Bebauungsplan “Kegelsklinge” erfaßt, und die südöstliche Teilstrecke zwischen der Vaihinger Straße und der Stuttgarter Straße ist mit einer Teilbreite im Bebauungsplan “Schafgartenäcker” ausgewiesen; im übrigen hat das Landratsamt B… mit Bescheid vom 11. Mai 1989 der Herstellung dieser südlichsten Teilstrecke gemäß § 125 Abs. 2 BauGB zugestimmt.

b) Hinsichtlich der Teilstrecke zwischen der Filderstraße und der Vaihinger Straße sieht das Berufungsgericht offenbar das erschließungsrechtliche Planerfordernis durch den Bebauungsplan “Kegelsklinge” als erfüllt an, ohne insoweit auf den Planfeststellungsbeschluß des Regierungspräsidiums S… vom 16. Mai 1977 und die Frage einzugehen, welche Bedeutung er für die Wirksamkeit des Bebauungsplans “Kegelsklinge” hat. Das verletzt Bundesrecht.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts weicht der Bebauungsplan “Kegelsklinge” – soweit es um die Straßentrasse geht – von den Festsetzungen des Planfeststellungsbeschlusses inhaltlich erheblich ab. Die Fahrbahnbreite ist auf der hier erörterten Teilstrecke deutlich zurückgenommen und durch Verkehrsgrün bzw. einen Spielplatz ersetzt worden. Das wirft die vom Verwaltungsgerichtshof nicht beantwortete Frage nach der Gültigkeit dieses Bebauungsplans auf. Sie wäre ohne weiteres zugunsten der Wirksamkeit des Bebauungsplans zu beantworten, wenn der – früher erlassene – Planfeststellungsbeschluß seinerseits von Anfang an oder bei Inkrafttreten des Bebauungsplans nicht wirksam gewesen sein sollte; dies richtet sich nach irrevisiblem Landesrecht. Die danach gebotene Zurückverweisung wäre allerdings entbehrlich, wenn auch ein wirksamer Planfeststellungsbeschluß die Gültigkeit des Bebauungsplans nicht berühren würde oder – falls doch – die Genehmigung des Bebauungsplans als Zustimmung im Sinne von § 125 Abs. 2 BauGB anstelle des – unterstellt – nichtigen Bebauungsplans sich gegen den Planfeststellungsbeschluß durchsetzen und die Rechtmäßigkeit der Herstellung bewirken könnte. Beides ist nicht der Fall.

aa) Sollte der Planfeststellungsbeschluß wirksam ergangen und nicht – wie die Beklagte unter Hinweis auf baden-württembergisches Straßen- und Verfahrensrecht geltend macht – mangels Vollzugs kraft Gesetzes unwirksam geworden sein, so genösse er als bestandskräftiger Verwaltungsakt mit planerischen Festsetzungen gegenüber dem späteren Bebauungsplan Vorrang. Dies ergibt sich aus § 38 Satz 2 BauGB/BBauG, da der Planfeststellungsbeschluß hier ein “Planfeststellungsverfahren für überörtliche Planungen auf den Gebieten des Verkehrs-, Wege- und Wasserrechts nach landesrechtlichen Vorschriften” zum Gegenstand hatte. Denn er setzte die Trasse einer Kreisstraße – d.h. einer überörtlichen Straße im Sinne von § 128 Abs. 3 Nr. 2 BauGB – als Teilumgehungsstraße und Anbindung an eine Bundesstraße fest. Zwar regelt § 38 BauGB unmittelbar nur den Vorrang der dort genannten Fachplanungsgesetze vor den Vorschriften des Dritten Teils (= §§ 29 – 44) des Baugesetzbuchs. Daraus folgt jedoch zugleich, daß derartige privilegierte Planfeststellungsbeschlüsse einer nachfolgenden gemeindlichen Planung insoweit entgegenstehen, als sie inhaltlich abweichende planerische Festsetzungen in einem späteren Bebauungsplan ausschließen (vgl. Bielenberg in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 38 Rn. 14; Löhr in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 5. Auflage, § 38 Rn. 7), sei es daß der abweichende Bebauungsplan insoweit “nicht vollziehbar” (Bielenberg, a.a.O.), sei es daß er insoweit “funktionslos” ist (Löhr, a.a.O.). Denn die Gemeinde darf planerische Aussagen nicht treffen, die sich mit einer wirksamen Planfeststellung inhaltlich nicht vereinbaren lassen. Insoweit tritt die gemeindliche Bauleitplanung hinter eine bereits vorhandene Fachplanung zurück; einander widersprechende Festsetzungen verschiedener Planungsträger in bezug auf ein und dieselbe Fläche sind rechtlich unzulässig (Urteil vom 16. Dezember 1988 – BVerwG 4 C 48.86 – BVerwGE 81, 111 ≪116 f.≫). Die einem wirksamen Planfeststellungsbeschluß nachfolgende Bauplanung muß daher entweder dessen Festsetzungen nachrichtlich übernehmen (Urteil vom 16. Dezember 1988, a.a.O.; Gaentzsch, Berliner Komm. zum BauGB, 2. Auflage, § 9 Rn. 31) oder – wenn sie davon abweichen will – regelmäßig die vorherige Änderung des Planfeststellungsbeschlusses abwarten (Bielenberg, a.a.O., Rn. 6).

Die Wirksamkeit der die abgerechnete Straße betreffenden Festsetzungen des Bebauungsplans hängt deshalb von der nach irrevisiblem Landesrecht zu beurteilenden, zwischen den Beteiligten streitigen Frage ab, ob der Planfeststellungsbeschluß nach baden-württembergischem Landesrecht wirksam erlassen und ggf. bei Inkrafttreten des Bebauungsplans “Kegelsklinge” noch wirksam war.

bb) Diese Prüfung ist nicht deshalb entbehrlich, weil – bei unterstellter Nichtigkeit des Bebauungsplans – dessen Genehmigung als Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde gemäß § 125 Abs. 2 BauGB die Rechtmäßigkeit der Herstellung begründen könnte. Zwar ist die Umdeutung einer Plangenehmigung in eine solche Zustimmung grundsätzlich möglich (vgl. Urteil vom 10. Juni 1981 – BVerwG 8 C 15.81 – BVerwGE 62, 300 ≪306 f.≫). Beruht aber “die Nichtigkeit eines Bebauungsplans auf einem solchen Grunde …, der den bisher festgestellten Verlauf der Erschließungsanlage oder deren Grenzen rechtlich in Frage stellt und für die Gemeinde wie für die höhere Verwaltungsbehörde eine entsprechende neue Prüfung erforderlich macht”, so ist die Umdeutung rechtlich ausgeschlossen (Urteil vom 10. Juni 1981, a.a.O., S. 307). Ein solcher Fall ist hier gegeben. Es liegt auf der Hand, daß die Zustimmung nach § 125 Abs. 2 BauGB jedenfalls keine stärkere Durchsetzungskraft haben kann als ein Bebauungsplan mit gleichem Inhalt, sie also – wenn schon dieser an den vorrangigen Festsetzungen eines Planfeststellungsbeschlusses scheitert – ebenfalls diesen Vorrang nicht überwinden kann.

cc) Der Verwaltungsgerichtshof hat die sich aus § 125 BauGB ergebende Pflicht zur Prüfung der Wirksamkeit des Bebauungsplans mit Blick auf § 38 BauGB verkannt. Er wird in diesem Zusammenhang die Wirksamkeit des Planfeststellungsbeschlusses vom 16. Mai 1977 und seine Auswirkungen auf den Bebauungsplan “Kegelsklinge” zu untersuchen haben.

3. Die Zurückverweisung zur Prüfung der Gültigkeit des Bebauungsplans “Kegelsklinge” würde sich allerdings erübrigen, wenn feststünde, daß jedenfalls die südlichste Teilstrecke der abgerechneten Verkehrsanlage zwischen Vaihinger Straße und Stuttgarter Straße nicht rechtmäßig hergestellt (§ 125 BauGB) wäre. Wäre dies der Fall, müßte die Revision ohne weiteres durchgreifen und zur Aufhebung der Beitragsbescheide führen. Dies läßt sich jedoch mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen ebenfalls nicht abschließend beurteilen.

Diese Strecke ist mit einer Teilbreite in dem Bebauungsplan “Schafgartenäcker” aus dem Jahre 1960 ausgewiesen. Dem nach den Feststellungen des Berufungsgerichts an den Festsetzungen des Planfeststellungsbeschlusses vom 16. Mai 1977 “ausgerichteten” Ausbau dieser Teilstrecke stimmte das Landratsamt B… mit Bescheid vom 11. Mai 1989 zu (§ 125 Abs. 2 BauGB). Ob sich die Festsetzungen des Bebauungsplans “Schafgartenäcker” mit Blick auf die Straßenteilstrecke zwischen Vaihinger Straße und Stuttgarter Straße inhaltlich mit denen des Planfeststellungsbeschlusses vom 16. Mai 1977 decken, läßt sich diesen Feststellungen ebensowenig entnehmen wie eine verwertbare Angabe dazu, inwieweit der tatsächliche Ausbau dieser Teilstrecke, wie er der Zustimmungserklärung vom 11. Mai 1989 zugrunde liegt, den Festsetzungen des Bebauungsplans bzw. des Planfeststellungsbeschlusses entspricht. Ob der Planfeststellungsbeschluß vom 16. Mai 1977 im Zeitpunkt des Straßenausbaus (noch) wirksam war, ist – wie bereits dargelegt – ebenso wie die Frage der von der Revision in Zweifel gezogenen Wirksamkeit des von dem Planfeststellungsbeschluß vorgefundenen, eine andere Straßentrasse festsetzenden Bebauungsplans “Schafgartenäcker” sowie seine zwischen den Beteiligten streitige “Modifizierung” durch den Planfeststellungsbeschluß bisher weder in landesrechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht geprüft worden. Ob der Bebauungsplan “Schafgartenäcker” wirksam ist, läßt sich auf der Grundlage der insoweit nicht ausreichenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts deshalb nicht sagen.

Unterstellt man zugunsten der Revision seine Nichtigkeit oder nimmt man mit der Beklagten an, der Bebauungsplan sei insoweit durch den Planfeststellungsbeschluß aufgehoben worden, stellte sich die Frage, ob der Planfeststellungsbeschluß etwas zur erschließungsrechtlichen Rechtmäßigkeit der Herstellung dieser Teilstrecke beitragen kann. Bejaht man diese Frage – wofür in Fällen “privilegierter” Fachplanungen gemäß § 38 BauGB einiges sprechen mag (vgl. Löhr, a.a.O., § 125 Rn. 3) –, wäre die Herstellung dieser Teilstrecke mit Blick auf das Planerfordernis aus diesem Grunde erschließungsrechtlich rechtmäßig. Verneint man sie dagegen oder nimmt man an, der Planfeststellungsbeschluß sei – wie die Beklagte meint – im Zeitpunkt der Herstellung der in Rede stehenden Teilstrecke bereits außer Kraft getreten gewesen, würde die Zustimmung des Landratsamts B… das erschließungsrechtliche Planerfordernis erfüllen. Vor diesem Hintergrund ist insoweit im vorliegenden Fall die erschließungsrechtliche Rechtmäßigkeit hinsichtlich der südlichsten Teilstrecke unabhängig davon zu bejahen, ob der Bebauungsplan unwirksam ist oder nicht, ob er durch den Planfeststellungsbeschluß aufgehoben ist oder nicht und ob der Planfeststellungsbeschluß anstelle eines Bebauungsplans das erschließungsrechtliche Planerfordernis zu erfüllen in der Lage ist oder nicht.

Gleichwohl ist die Zurückverweisung aber auch hinsichtlich dieser Teilstrecke wegen der tatsächlich ungeklärten Frage einer beachtlichen oder unbeachtlichen Abweichung (vgl. § 125 Abs. 3 BauGB) von den maßgeblichen planerischen Festsetzungen unumgänglich (vgl. zur Heranziehung der Kriterien des § 125 Abs. 3 BauGB auch in Fällen einer Zustimmung nach § 125 Abs. 2 BauGB: Urteil vom 30. Mai 1997 – BVerwG 8 C 6.96 –).

 

Unterschriften

Dr. Kleinvogel, Dr. Honnacker, Sailer, Dr. Müller, Krauß

 

Fundstellen

ZKF 1998, 40

DÖV 1998, 212

DVBl. 1998, 46

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge