1 Leitsatz
Lädt der Verwalter die Wohnungseigentümer mit dem Hinweis, kein Wohnungseigentümer dürfe zur Versammlung erscheinen und alle Wohnungseigentümer müssten ihm eine Vollmacht erteilen, sind die Wohnungseigentümer im Kernbereich ihres Wohnungseigentums verletzt. Dennoch gefasste Beschlüsse sind auf Anfechtung hin für ungültig zu erklären.
2 Normenkette
§§ 23 Abs. 1, 24 Abs. 1 WEG
3 Das Problem
Der Verwalter lädt die Wohnungseigentümer am 27.4.2020 für den 6.5.2020 zu einer außerordentlichen Versammlung ein. Das Einladungsschreiben enthält den Hinweis, im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie und ein damit einhergehendes Versammlungsverbot dürfe kein Wohnungseigentümer persönlich erscheinen, so dass es wichtig sei, dass jeder Wohnungseigentümer eine beiliegende Vollmacht verwende, um seine Weisung geltend zu machen. In der Versammlung wird dann beschlossen, namens der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer Rechtsanwälte gegen Wohnungseigentümer K zu beauftragen. Gegen diesen Beschluss geht K vor. Er meint u. a., die Versammlung sei nicht ordnungsmäßig einberufen worden, da den Wohnungseigentümern der Sache nach die Teilnahme an der Versammlung verboten worden sei.
4 Die Entscheidung
Die Klage hat Erfolg! Das AG erklärt den Beschluss für ungültig. Die Wohnungseigentümer seien durch die Formulierungen im Ladungsschreiben an ihrer Teilnahme und an einer Stimmabgabe gehindert und damit im Kernbereich ihrer Rechte verletzt worden. Die COVID-19-Pandemie ändere daran nichts. Im Übrigen hätte der Verwalter die Versammlung verschieben können. Denn es sei absehbar gewesen, dass die bayerischen Corona-Einschränkungen in den folgenden Wochen abgemildert werden würden.
5 Hinweis
Problemüberblick
Herrscht eine Pandemie, muss sich die Verwaltung fragen, ob und wenn ja auf welche Weise sie eine Versammlung organisieren kann.
Öffentliches Recht lässt Versammlungen nicht zu
Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer muss sich stets an das öffentliche Recht halten und dieses 1:1 umsetzen. Verbietet das öffentliche Recht die Abhaltung von Versammlungen, muss die Verwaltung daher für alle Maßnahmen nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 WEG vorgehen und Entscheidungen selbst treffen. Wird dennoch eine Versammlung anberaumt, sind alle dort gefassten Beschlüsse anfechtbar. Es ist sogar vorstellbar, dass der Verstoß gegen das öffentliche Recht eine Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse nach sich zieht. Jedenfalls ist kein Wohnungseigentümer gezwungen, zu so einer Versammlung zu erscheinen.
Öffentliches Recht lässt Versammlungen zu
Erlaubt das öffentliche Recht Versammlungen, sind diese abzuhalten. Die COVID-19-Pandemie ist kein Grund, keine Versammlung abzuhalten. Bei der Abhaltung der Versammlung sind allerdings die örtlich geltenden Bestimmungen einzuhalten. Die Verwaltung muss vor allem eine Versammlungsstätte wählen, die es ermöglicht, dass der notwendige Mindestabstand zwischen den Versammlungsteilnehmern und den Mitarbeitern sowie die weiteren Hygienemaßnahmen wie das Händewaschen und eine Desinfektion eingehalten werden können. Wird eine ungeeignete Versammlungsstätte gewählt, dürfte kein Wohnungseigentümer verpflichtet sein, an der Versammlung teilzunehmen, und dürften – sind Wohnungseigentümer wegen der Ungeeignetheit der Versammlungsstätte der Versammlung ferngeblieben – dennoch gefasste Beschlüsse einer ordnungsmäßigen Verwaltung widersprechen. Sie sind zwar nicht nichtig, aber anfechtbar.
Die Pflicht, für die Einhaltung des öffentlichen Rechtes während der Versammlung zu sorgen, ist ein Teil der Versammlungsleitung. Der Verwaltung obliegt es z. B., für den Mindestabstand zwischen den Teilnehmern zu sorgen und auch auf die Hygiene zu achten. Was im Einzelnen gilt, ist eine Frage des Infektionsschutzes und der aktuellen Bestimmungen. Die Wohnungseigentümer sind berechtigt, durch Beschluss Weisungen zu erteilen. Am Verwalter als geborenem Versammlungsleiter ist es auch, zu entscheiden, ob eine Versammlung aus hygienischen Gründen unterbrochen, verlegt oder vertagt wird. Die Wohnungseigentümer sind auch insoweit berechtigt, durch Beschluss Weisungen zu erteilen, und können Beschlüsse zur Geschäftsordnung fassen. Insoweit gelten die allgemeinen Regelungen.
Vollmachts-Versammlung
Sämtliche Wohnungseigentümer können der Verwaltung vorab und ohne Einladung eine Vollmacht erteilen. In diesem Fall ist die Verwaltung berechtigt und verpflichtet, aufgrund der Vollmachten mit sich selbst eine Versammlung abzuhalten. Dieser Weg ist für die Wohnungseigentümer gefahrlos, wenn sie die Verwaltung vorher und im Einzelnen angewiesen haben, wie abzustimmen ist. Einen Zwang, eine Vollmacht zu erteilen, gibt es allerdings nicht. Auch in Zeiten der COVID-19-Pandemie besteht ein Anspruch der Wohnungseigentümer auf eine persönliche Teilnahme an Versammlungen. Es ist unzulässig, Versammlungen dahingehend zu beschränken, dass lediglich eine Teilnahme einzelner Personen gewährleistet wird und die übrigen Eigentümer Vollmachten zu erteilen haben oder gar von vornherein lediglich zu Vertreterversammlungen geladen wird, bei denen sich die ...