Leitsatz
- Ist es einem Gebäudeeigentümer nicht zuzumuten, ein auf dem Dach überhängendes Schneebrett selbst zu entfernen, so ist die Gemeinde verpflichtet, die hierdurch drohende Gefahr zu beseitigen.
- Handelt der hierzu von der Gemeinde Beauftragte (hier: Feuerwehr) fahrlässig und entsteht hierdurch ein Schaden, so haftet die Gemeinde nach den Grundsätzen der Amtshaftung.
(Leitsätze der Redaktion)
Normenkette
BGB §§ 535, 839; GG Art. 34
Kommentar
Der entschiedene Fall betrifft ein zweigeschossiges Geschäftshaus in Potsdam, in dessen Erdgeschoss der Gebäudeeigentümer ein Ladengeschäft betreibt. Im Januar 2010 bildete sich auf dem Dach des Hauses ein verharschtes Schneebrett, das die Dachkante deutlich überragte. Da der Gebäudeeigentümer befürchtete, dass durch eventuell herabfallende Schneemassen Passanten verletzt werden könnten, informierte er die Feuerwehr. Einer der Feuerwehrleute begab sich mittels einer Drehleiter in die Nähe der Gefahrenstelle und schlug das Schneebrett ab. Ein Teil der Schneemasse fiel auf eine über dem Ladeneingang befindliche Leuchtreklame, wodurch diese beschädigt wurde. Es war zu klären, ob die Gemeinde Potsdam als Dienstherr der Feuerwehr für den Schaden haftet.
Dies wird vom Gericht bejaht: Der Eigentümer kann die Gemeinde aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung in Anspruch nehmen (Art. 34 GG, § 839 BGB). Das Gericht vertritt die Ansicht, dass die Pflicht, Dritte vor Schäden durch Dachlawinen zu bewahren, nur dann dem Hauseigentümer obliegt, wenn "besondere Umstände" gegeben sind. Dies setzt zweierlei voraus: Zum einem muss die Durchführung von Sicherheitsmaßnahmen aufgrund gesetzlicher Vorschriften oder der allgemeinen Verkehrssitte unter Berücksichtigung der allgemeinen Wetterlage und der Beschaffenheit des Gebäudes erforderlich sein. Zum anderen können von dem Eigentümer nur solche Maßnahmen verlangt werden, die diesem möglich und zumutbar sind.
Das Gericht führt aus, es sei dem Eigentümer eines mehrgeschossigen Hauses nicht zuzumuten, ein überhängendes Schneebrett selbst zu beseitigen. Deshalb treffe die Verkehrssicherungspflicht in einem solchen Fall die Gemeinde. Wird die Feuerwehr für die Gemeinde tätig, erfüllt sie eine hoheitliche Aufgabe. Für Sorgfaltspflichtverletzungen bei der Erfüllung dieser Aufgabe muss die Gemeinde nach Amtshaftungsgrundsätzen einstehen. Insofern genügt einfache Fahrlässigkeit. Hierzu meint das Gericht, dass die Feuerwehr verpflichtet gewesen sei, die Leuchtreklame vor dem Abschlagen des Schneebretts durch geeignete Maßnahmen zu schützen.
Absperren oder Beseitigen des Schneebretts im Einzelfall prüfen
Nach der Rechtsprechung des BGH ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (BGH, Urteil v. 6.2.2007, VI ZR 274/05, NJW 2007 S. 1683).
Geht die Gefahr – wie hier – vom Zustand eines Gebäudes aus, so trifft die Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich den Gebäudeeigentümer (BGH, Urteil v. 19.12.1989, VI ZR 182/89, NJW 1990 S. 1236). Ob dem Eigentümer die nach der Sachlage erforderliche Maßnahme zugemutet werden kann, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.
Besteht die Möglichkeit, den Passantenstrom an der Gefahrenstelle vorbeizuschleusen, ist es dem Eigentümer zuzumuten, für eine Absperrung zu sorgen. Ist zur Beseitigung der Gefahr die Beseitigung des Schneebretts erforderlich, so kann man die Ansicht vertreten, dass diese Maßnahme in die Zuständigkeit der Behörden fällt; zwingend erscheint dies allerdings nicht.
Link zur Entscheidung
Brandenburgisches OLG, Urteil vom 23.08.2011, 2 U 55/10