Gesetzestext
Vor der Annahme der Erbschaft kann ein Anspruch, der sich gegen den Nachlass richtet, nicht gegen den Erben gerichtlich geltend gemacht werden.
A. Allgemeines
Rz. 1
Der vorläufige Erbe ist mit dem Anfall der Erbschaft bereits Träger von Rechten und Pflichten aus der Erbschaft, obwohl er diese im Laufe der für ihn geltenden Ausschlagungsfrist noch ausschlagen kann. Materiellrechtlich zählt das Nachlassvermögen daher schon zum Vermögen des vorläufigen Erben und macht ihn grundsätzlich insoweit auch aktiv- und passivlegitimiert (vgl. § 2014 BGB). Bereits aus Gründen der strukturellen Vermögenszuordnung (vgl. § 1942 Rdn 3) ist die Erbschaft aber den Zugriffen persönlicher Gläubiger des vorläufigen Erben entzogen. Die Norm des § 1958 BGB hat deswegen vor allem verfahrensrechtliche Bedeutung und schützt den vorläufigen Erben vor Passivprozessen wegen Ansprüchen gegen den Nachlass, um dem vorläufigen Erben die Ausschlagungsfrist auch als Überlegungsfrist zu sichern. § 1958 BGB hat jedoch auch prozessökonomische Bedeutung und soll im öffentlichen Interesse Prozesse gegen ggf. falsche Parteien vermeiden.
B. Tatbestand
Rz. 2
Gem. § 1958 BGB ist Klageerhebung eines Nachlassgläubigers gegen den vorläufigen Erben unzulässig. Die aktive Aufnahme eines durch den Tod des Erblassers gem. § 239 Abs. 1 ZPO unterbrochenen Verfahrens wird dagegen durch § 239 Abs. 5 ZPO i.V.m. § 1958 BGB untersagt. Die Unterbrechung des Prozesses kann demnach durch den Erben erst nach Annahme der Erbschaft beendet werden. Allerdings dürfte die Aufnahme eines Prozesses durch den vorläufigen Erben regelmäßig als Annahme der Erbschaft zu werten sein (vgl. § 1943 Rdn 3). Wurde der Erblasser jedoch durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten, so tritt nicht einmal Unterbrechung ein (§ 246 ZPO). Vielmehr besteht die Prozessvollmacht über den Tod des Erblassers hinaus fort (§ 86 ZPO), sodass der Prozessbevollmächtigte das Verfahren für und gegen den endgültigen Erben fortführt.
Rz. 3
§ 1958 schützt den vorläufigen Erben vor Leistungs-, Feststellungs-, Gestaltungs- und Widerklagen. Einstweilige Maßnahmen zum Schutz absoluter Rechte, wie sie gegenüber jedem Dritten zulässig wären, der das Recht zu achten hätte, werden durch § 1958 BGB aber nicht gehindert. Gem. § 2213 Abs. 2 und § 1960 Abs. 3 BGB findet § 1958 BGB im Falle der Testamentsvollstreckung oder Nachlasspflegschaft keine Anwendung; dem Kläger (Gläubiger) steht es frei, die Nachlasspflegschaft gem. § 1961 BGB zu beantragen, wenn er die Annahme der Erbschaft nicht abwarten möchte oder der Erbe unbekannt ist (§ 246 ZPO). Wegen der formalisierten Zwangsvollstreckung wird jedoch der Titel später auf die bekannten Erben nach §§ 727 f. ZPO umgeschrieben werden müssen.
Rz. 4
Die Norm des § 1958 BGB stellt nach ganz h.M. eine im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung von Amts wegen zu beachtende Prozessvoraussetzung dar. Dagegen hält ein Teil der Lit. § 1958 BGB für dispositiv und will den vorläufigen Erben auf diesen Schutz verzichten lassen können. Diese Auffassung überzeugt nicht, da der Schutz des Nachlasses auch dem Schutz des endgültigen Erben dient und nutzlose Prozesse nicht vermieden werden (Prozessökonomie).
C. Sonderregelungen
I. Verjährung
Rz. 5
Da § 1958 BGB es den Nachlassgläubigern auch verwehrt, einen Neubeginn der Verjährungsfrist (§ 212 BGB) herbeizuführen, hemmt § 211 BGB (vgl. § 1954 Rdn 8) für die Schwebezeit die Verjährung.
II. Zwangsvollstreckung
Rz. 6
Im Zwangsvollstreckungsverfahren wird der Schutz des vorläufigen Erben vor Zugriffen aufgrund von Nachlassverbindlichkeiten (§ 1967 Abs. 2 BGB) durch § 778 ZPO gewährt, soweit die Vollstreckung gegen den Erblasser noch nicht begonnen hatte. Der Nachlassgläubiger muss in diesem Fall zunächst eine Nachlasspflegschaft beantragen sowie Titelumschreibung auf den Nachlasspfleger (§ 1961 BGB) oder – soweit ein verwaltender Testamentsvollstrecker vorhanden ist – auf diesen (§§ 749, 727 ZPO) beantragen. Hat die Vollstreckung gegen den Erblasser aber bereits zu dessen Lebzeiten begonnen, so wird das Zwangsvollstreckungsverfahren fortgesetzt (§ 779 Abs. 1 ZPO). Die Eigengläubiger des vorläufigen Erben können vor Annahme der Erbschaft nicht in den Nachlass vollstrecken, sie sind insoweit auf das Eigenvermögen des vorläufigen Erben beschränkt (§ 778 Abs. 2 ZPO). Gegen danach unzulässige Zwangsvoll...