Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
Rz. 4
Von der Bedingung ist der Beweggrund, das Motiv der letztwilligen Verfügung, zu unterscheiden. Es ist daher durch Auslegung zu ermitteln, ob es sich lediglich um ein Motiv handelt oder ob eine Bedingung vorliegt. Wenn die Rechtswirkungen nicht vom Eintritt eines bestimmten Umstandes abhängig sind, sondern lediglich deren Beweggrund darstellen, handelt es sich lediglich um ein Motiv und nicht um eine Bedingung. Dies bedeutet, dass lediglich vom Vorliegen eines Beweggrundes auszugehen ist, wenn eine unmittelbare Verknüpfung zwischen dem Vorliegen bzw. dem Eintritt des motivierenden Umstandes und der Rechtswirkung nicht bestehen soll. Die bloße Motivangabe ist jedoch nicht ohne rechtliche Bedeutung. Mit einer Auslegung dahingehend, dass eine Bedingung vorliegt, sollte dabei äußerst restriktiv umgegangen werden. Entscheidend ist einzig und allein der Wille des Erblassers. Formulierungen wie "wenn ich während dieses Urlaubs, auf dieser Reise, bei dieser Operation versterbe" stellen i.d.R. keine Bedingungen, sondern lediglich Motive dar. Dies gilt auch für die Formulierung "im Falle eines plötzlichen Todes des Ehegatten". Der Nichteintritt des Ereignisses, wie die Rückkehr aus dem Urlaub usw., ändert nichts an der Geltung der letztwilligen Verfügung bzw. der Übereinstimmung der letztwilligen Verfügung mit dem Willen des Erblassers. Ordnet der Erblasser an, dass die Zuwendung für die Aufnahme bei Krankheit oder Pflegefall erfolgt, ist im Wege der Auslegung zu klären, ob eine Bedingung vorliegt oder es sich nur um die Angabe des Beweggrundes handelt. Im Falle, dass der Erblasser ein bestimmtes Verhalten vom Bedachten erwartet, kann es sich ebenfalls lediglich um die Angabe eines Motivs handeln. Auch wenn seitens des Erblassers ein bestimmtes Verhalten nach dem Erbfall erwartet wird bzw. er den Bedachten zu einem bestimmten Verhalten veranlassen will, ist eingehend zu überprüfen, ob tatsächlich eine Bedingung vorliegt oder der Erblasser lediglich einen Wunsch oder eine Erwartung geäußert bzw. eine Empfehlung ausgesprochen hat. Es kommt darauf an, ob die Auslegung ergibt, ob der Erblasser die Rechtswirkung sofort bzw. nur dann eintreten lassen will, wenn der Bedachte sich entsprechend verhält, oder ob der Erblasser den Bedachten unbedingt bedenken will, weil er (irrtümlich) von einem bestimmten Verhalten bzw. Eintritt eines Umstandes in der Zukunft oder Vergangenheit ausgeht. Bei der Bedingung hat der Erblasser den Fall, dass der erwartete Umstand nicht eintritt, bereits einkalkuliert und will hiervon die Rechtsfolge (Bedenken des Bedachten) abhängig machen, beim Motiv ist dies nicht der Fall. Je mehr das erwartete Verhalten von der Entschließungsfreiheit der bedachten Person abhängig ist, desto eher ist von einem Beweggrund auszugehen, da man bei Annahme einer Bedingung der Sittenwidrigkeit nahe kommt. Selbst wenn das vom Erblasser angegebene Motiv für ihn von entscheidender Bedeutung ist, ist es nicht erforderlich, von einer Bedingung auszugehen, da das Gesetz eine Anfechtbarkeit gem. § 2078 Abs. 2 BGB im Falle des Motivirrtums vorsieht.
Rz. 5
Nach a.A. kann der angegebene Beweggrund kein Motiv i.S.v. § 2078 Abs. 2 BGB sein, sondern lediglich Bedingung. Dies wird darauf gestützt, dass die Auslegung Vorrang hat vor der Anfechtung und der Erblasserwille bei der Auslegung genauso berücksichtigt wird wie bei der Anfechtung. Bei der Erwartung, die der Erblasser in seinem Testament ausgedrückt hat, handelt es sich daher entweder um eine Bedingung oder einen unverbindlichen Wunsch. Nur für den Fall, dass eine Erwartung nicht ausgedrückt worden ist, liegt ein Motiv i.S.d. § 2078 BGB vor. Der letztgenannten Ansicht ist jedoch nicht zu folgen, da die Annahme eines Motivs bzw. eines Motivirrtums flexibler ist als die Annahme einer Bedingung. Es ist hier anhand der Gesamtumstände zu prüfen, ob der Erblasser die letztwillige Verfügung auch ohne den Motivirrtum errichtet hätte.