Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
Rz. 46
Ein beachtlicher Irrtum liegt u.a. in folgenden Fällen vor: Die Ehegatten gehen irrig davon aus, dass der beiderseitige Nachlass auf die gemeinschaftlichen Abkömmlinge übergehen wird, was infolge der Wiederverheiratung des Längerlebenden dann nicht eintrat; die Erwartung des Erblassers bezüglich des zukünftigen "Wohlverhaltens des Bedachten" gegenüber dem Erblasser wird enttäuscht bzw. der Erblasser hat die Erwartung, dass künftig Unstimmigkeiten zwischen ihm und dem Bedachten ausbleiben bzw. dass sich die Beziehung zum Bedachten harmonisch und frei von Störungen entwickeln wird; der Erblasser hat falsche Vorstellungen über die Größe des Nachlasses, als er den Überrest zuwendet; der Erblasser geht davon aus, dass dem Erben trotz Vorhandensein von nichtehelichen Abkömmlingen der Nachlass ungekürzt verbleibt; aufgrund des Gleichberechtigungsgesetzes geht der Erblasser von der unzutreffenden Erwartung aus, er habe dem Ehegatten ein Vermächtnis in Höhe seines Pflichtteils zugewendet; der Erblasser nimmt fälschlicherweise an, das von seiner Ehefrau erwartete Kind werde lebend geboren; der Erblasser hat die irrige Vorstellung, dass er unverheiratet sterben wird. Unter Umständen könnte hier eine Irrtumsanfechtung nach § 2079 BGB möglich sein.
Weitere Beispiele sind: Der Erblasser unterliegt einem Irrtum über die Dauerhaftigkeit des Streits zwischen ihm und seinem Sohn; der Erblasser sieht nicht voraus, dass die wegen Überschuldung durch eine Bürgschaft auf den Pflichtteil gesetzte Tochter einen Forderungsverzicht der Gläubiger erreichen würde; der Erblasser geht irrigerweise davon aus, dass ein Verwandtschaftsverhältnis zum Bedachten besteht; der Erblasser geht irrigerweise davon aus, dass demnächst die Ehe geschlossen werde; die unrichtige Annahme seitens des Erblassers, dass der Erbe ein bürgerliches Leben führt, der Erbe dann aber einer religiösen Sekte beitritt; der Erblasser nimmt unzutreffend an, die Ehe werde sich harmonisch entwickeln; der Erblasser hegt die irrige Erwartung, zwei Personen, die sich als Ehegatten bezeichnet haben, seien verheiratet, wenn sich der Erblasser gegen ein "Zusammenleben ohne Trauschein" ablehnend geäußert hat; der Erblasser hat eine falsche Vorstellung dahingehend, das Vermögen sei unbelastet oder habe einen bestimmten Wert; der Erblasser geht von der Annahme aus, einzelne Abkömmlinge lebten in besseren wirtschaftlichen Verhältnissen als andere; der Erblasser geht unrichtigerweise davon aus, eine letztwillige Verfügung werde einen bestimmten rechtlichen Erfolg haben; die Erblasserin geht davon aus, dass die bedachte Stiftung Trägerin eines Heimes sei, in das sie gehen wollte; die falsche Annahme, jemand würde seine Ausbildung erfolgreich durchlaufen.