Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
Rz. 27
Die Anfechtung kann auch auf solche Umstände gestützt werden, die erst nach dem Erbfall eintreten. Abs. 2 gibt insoweit keine zeitliche Grenze vor. Es wird in der Lit. teilweise die Auffassung vertreten, dass solche Umstände, die erst nach dem Erbfall eintreten, nicht berücksichtigt werden können, und zwar aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Von der Rspr. jedoch wird es nicht von vornherein abgelehnt, auch solche erst nach dem Erbfall eintretende Umstände für eine Anfechtung zuzulassen. Eine Einschränkung erfolgt bei der Prüfung der Erheblichkeit.
Rz. 28
Aufgrund des Wandels der Verhältnisse ist es mehr als verständlich, die Entwicklungen zu berücksichtigen. Dies hat jedoch zur Konsequenz, dass eine Fülle von Anfechtungsmöglichkeiten eröffnet werden, was wiederum dazu führt, dass man sich fragen muss, ob nicht die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes dagegen sprechen. Diesem Argument kann allerdings nicht entgegengehalten werden, dass auch in den anderen Fällen eine Anfechtung zu einer rückwirkenden Vernichtung des Rechtsgrundes führen würde. In derartigen Fällen ist nämlich die Verfügung bereits im Zeitpunkt des Erbfalls mit einem Mangel behaftet, nämlich dem Anfechtungsgrund.
Rz. 29
Im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung erhält diese Frage besondere Bedeutung. Die fehlende Vorstellung des Erblassers über die mit der politischen Wende in der ehemaligen DDR und der Wiedervereinigung verbundenen grundlegenden Veränderungen, die sich in einer entsprechenden Wertsteigerung, aber auch in einer Verfügbarkeit über den Immobilienbesitz zeigten, kommt hier als Anfechtungsgrund in Betracht. Die Anfechtung kann hier nach einer Ansicht darauf gestützt werden, dass der Erblasser als selbstverständliche Vorstellung davon ausgegangen ist, dass die Teilung nach wie vor besteht. Nach a.A. kommt eine Anfechtung unter dem Gesichtspunkt in Betracht, dass der Erblasser in Unkenntnis der späteren Veränderungen gehandelt hat.
Rz. 30
Im Hinblick auf solche Erbfälle, die vor der Wende bzw. der Wiedervereinigung bereits eingetreten sind, stellt sich die Frage, ob Verfügungen, die bereits dann mit dem Erbfall wirksam geworden sind, noch nachträglich wegen Veränderung der Verhältnisse anfechtbar sind. Diese Frage ist, wie bereits erwähnt, umstritten. Die Tendenz der Rspr. geht dahin, in den DDR-Fällen auch diejenigen Entwicklungen zu berücksichtigen, die erst nach dem Erbfall eingetreten sind. Nach a.A. scheidet eine Anfechtung aus. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn aufgrund der künftigen politischen Entwicklung sich eine Wertsteigerung ergibt, die sich erst nach dem Tod des Erblassers ereignet, d.h. eine künftige Tatsache darstellt. In diesem Fall wird dies als nicht mitbestimmend angesehen. Um die Anfechtbarkeit jedoch einzuschränken, sollten an den Kausalitätsnachweis besonders strenge Anforderungen gestellt werden. Dieser Rspr., wonach auch solche Umstände, die erst nach dem Erbfall eintreten, zu berücksichtigen sind, ist zu folgen. Die Gedanken der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutz müssen in derartigen Fällen zurücktreten, da die Entwicklung der Verhältnisse nach dem Erbfall bei der Willensbildung des Erblassers sicherlich entscheidend war.
Rz. 31
Auch das Konkurrenzverhältnis zwischen der Vorschrift des § 2078 BGB zu den Bestimmungen des Vermögensgesetzes ist hier zu berücksichtigen. Nach geltender Rspr. gehen jedoch die Regelungen des VermG über die Restitution von Vermögensrechten den allg. zivilrechtlichen Rückabwicklungs- und Ausgleichsansprüchen im Rang vor. Dies bedeutet, dass eine Testamentsanfechtung dann ausscheidet, soweit Tatbestände durch das Vermögensgesetz geregelt sind.