Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Beschluss vom 29.10.1991; Aktenzeichen 4 I 561/91) |
AG Wiesbaden (Aktenzeichen 41 VI 300/76) |
Tenor
Dem Beteiligten zu 1. wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten, Rechtsanwalt ratenfreie Prozeßkostenhilfe bewilligt.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Prüfung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde, an das Landgericht Wiesbaden zurückverwiesen.
Wert: 5000,00 DM.
Gründe
Die zulässige weitere Beschwerde hat vorerst Erfolg. Der angefochtene Beschluß ist nicht rechtsfehlerfrei ergangen. Das Landgericht hat zwar zutreffend das Erbrecht des BGB herangezogen, weil wegen des Erbfalls vor dem 01.01.1976 keine Nachlaßspaltung bezüglich der in der früheren DDR gelegenen Grundstücke nach Art. 3 III EGBGB, § 25 II RAG-DDR eingetreten ist (OLG Frankfurt Rpfleger 91, 368). Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht die Voraussetzungen für die Anfechtung des Testaments vom 26.12.1972 mangels eines beachtlichen Motivirrtums der Erblasserin für nicht gegeben erachtet.
Das Landgericht hat zwar unterlassen, vor der Prüfung der Anfechtung die vorrangige Frage zu beurteilen, ob nicht im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung der hypothetische Wille der Erblasserin festgestellt werden kann, nämlich wie sie testiert hätte, wenn sie vorausschauend die spätere politische und rechtliche Entwicklung (Einigungsvertrag, Vermögensgesetz) bedacht hätte (vgl. zur ergänzenden Auslegung BGH LM § 2084 BGB Nr. 5; OLG Köln OLG Z 69, 290; OLG Karlsruhe OLG Z 81, 399/407). In dieser Unterlassung liegt aber kein zur Aufhebung zwingender Rechtsfehler. Denn bei der ergänzenden Auslegung muß wie bei jeder Auslegung der Wille des Erblassers im Testament wenigstens andeutungsweise enthalten sein (BayObLG NHJW 88, 2744), was hier nicht der Fall ist. Insbesondere hat die Erblasserin nicht, wie das Landgericht angenommen hat, testamentarisch über die Grundstücksrechte verfügt. Die Lastenausgleichszahlungen stellten lediglich einen Ausgleich für die entgangene Nutzung dar, sie sollten nicht die Eigentumsansprüche abgelten.
Rechtsfehlerhaft ist es dagegen, daß das Landgericht die Anfechtung wegen eines Motivirrtums im Sinne des S 2078 II BGB mit der Begründung verneint, aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit lasse sich entnehmen, daß nur die Veränderung von Umständen bis zum Erbfall berücksichtigt werden könnten (so für mit dem Erbfall wirksame Verfügungen: Grunewald NJW 91, 1208/1211; MüKo-Leipold, BGB; 2. Aufl. § 2078 Rn 35). Im Hinblick auf die lange Anfechtungsfrist (§ 2082 III BGB) kommt dem Vertrauensschutz für den Erben nicht die Bedeutung zu, die das Landgericht annehmen möchte. Die Rechtssprechung (offengelassen vom BGH NJW-RR 87, 1412) hat daher auch bisher die Anfechtung daran nicht scheitern lassen (BayObLG JFG 3, 144; OLG München NJW 83, 2577; RGJW 22, 1344; RGZ 86, 206/210; BGH DB 66, 379; NJW 85, 2025 = WM 85, 896; NJW 86, 1812 = WM 86, 567). Der Senat hat schon in seinem Beschluß vom 19.01.1993 (20 W 59/92 = 7 T 251/91 LG Gießen = FamRZ 92, 603) für den vergleichbaren Fall der ergänzenden Testamentsauslegung die Auffassung vertreten, daß Umstände nach dem Erbfall berücksichtigungsfähig sind. Dem steht die zur Anfechtung der Ausschlagung ergangene Entscheidung des Senats (Rpfleger 91, 368) nicht entgegen, weil sie sich mit der Anfechtung nach § 119 II BGB befaßt, während nach § 2078 BGB der Motivirrtum des Erblassers in einem weiteren Umfang zu berücksichtigen ist.
Das Landgericht wird daher nunmehr unter Berücksichtigung auch der nach dem Erbfall liegenden Umstände aufzuklären und zu ermitteln (§ 12 FGG) haben, ob die Voraussetzungen der Irrtumsanfechtung (vgl. dazu BGH NJW-RR 87, 1412), insbesondere die Kausalität zwischen Irrtum und Verfügung gegeben sind. Soweit das Landgericht aus dem umfangreichen Briefwechsel zwischen dem Beteiligten zu 1. und seiner Mutter, der Erblasserin, entnehmen wollte, sie habe nur ihre Tochter letztwillig sichern wollen, spricht viel dafür, daß dies nur für das Vermögen gelten soll, das für sie bei Testamentserrichtung verfügbar war. Im übrigen wird das Landgericht sich auch die Schriftstücke vorlegen lassen müssen, die im Schriftsatz der Beteiligten zu 1. vom 25.05.1992 aufgeführt sind.
Dem Prozeßkostenhilfeantrag des Beteiligten zu 1. konnte nur für die Rechtsbeschwerde Instanz entsprochen werden (§§ 14 FGG, 119 ZPO).
Bei der Wertfestsetzung ist der Senat der landgerichtlichen Festsetzung gefolgt, weil der Wert zur Zeit des Erbfalls maßgebend ist, für den sich andere Anhaltspunkte nicht ergeben haben (Hartmann, Kostengesetze, 24. Aufl., S 108 KostO Anm. 3).
Fundstellen
Haufe-Index 1102148 |
FamRZ 1993, 613 |