Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
Rz. 48
Auch wenn der Erblasser im Wege der widerrechtlichen Drohung zu einer Verfügung bestimmt worden ist, ist gem. Abs. 2 eine Anfechtung möglich. Drohung ist die Ankündigung eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt oder Nichteintritt der Drohende behauptet einwirken zu können, und das verwirklicht werden soll, wenn der Bedrohte nicht die von dem Drohenden gewünschte Willenserklärung abgibt. Die Drohung muss dabei nicht ausdrücklich ausgesprochen werden, sie kann vielmehr auch versteckt oder durch schlüssiges Verhalten erfolgen.
Für die Annahme der Ernsthaftigkeit der Drohung kommt es nicht auf die Meinung des Drohenden, sondern auf die Sicht des Bedrohten an. Das Vorliegen einer Zwangslage und sogar das Ausnutzen einer solchen ist nicht ausreichend, um eine Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung zu begründen.
Ob diese Drohung rechtswidrig ist, richtet sich nach dem angewandten Mittel, dem verfolgten Zweck oder der Mittel-Zweck-Relation. Hierunter fällt bspw. die Drohung mit einer Strafanzeige. Es ist dabei unerheblich, ob diese Drohung von der bedachten oder einer dritten Person ausgeht. Fordert der Bedachte oder ein Dritter den Erblasser auf, auch jenseitige Folgen zu bedenken, liegt hierin keine Drohung. Die Drohung setzt nämlich wirkliche oder zumindest vorgebliche Beherrschbarkeit des in Aussicht gestellten Übels durch den Drohenden selbst voraus. Ein fehlender Rechtsanspruch auf die erzwungene Willenserklärung allein macht die Drohung aber noch nicht widerrechtlich. Vielmehr ist zu prüfen, ob der Drohende an der Erreichung des erstrebten Erfolges ein berechtigtes Interesse hat und ob die Drohung nach der Auffassung aller billig und gerecht Denkenden ein angemessenes Mittel darstellt.
Droht der Ehegatte damit, sich das Leben zu nehmen, wenn ein gemeinschaftliches Testament nicht vom Erblasser mit unterschrieben wird, ist diese Drohung rechtswidrig.
Rz. 49
Eine widerrechtliche Drohung liegt dann nicht vor, wenn der Erblasser durch ein fortgesetztes aufdringliches Bitten beeinflusst wird. Wenn eine Person den Erblasser davon abbringt, in einer bestimmten Art und Weise zu verfügen, dadurch, dass sie dieser Verfügung widerspricht, ist dies für sich gesehen nicht rechtswidrig. Es kann jedoch ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegen. Hierfür müssen jedoch weitere Umstände vorliegen, z.B. dass die Willensschwäche des Erblassers oder eine Zwangslage ausgenutzt werden.
Rz. 50
Eine Anfechtung kommt weiter dann in Betracht, wenn ein Familienangehöriger oder ein Dritter dem Erblasser damit droht, ihn zu verlassen, obwohl dieser hilfsbedürftig ist, wenn er nicht in einer bestimmten Art und Weise sein Testament errichtet. Wurde der Erblasser arglistig getäuscht und hat er daraufhin in einer bestimmten Art und Weise testiert, liegt ein Motivirrtum vor, der eine Anfechtung gem. Abs. 2 rechtfertigt. Es kommt auch eine Anfechtung wegen §§ 2339, 2345 BGB (Erb- und Vermächtnisunwürdigkeit) in Betracht. Aber es ist erforderlich, dass die Zwangslage, die durch die widerrechtliche Drohung hervorgerufen wurde, während der Testamentserrichtung besteht. Liegt zwischen der ausgesprochenen Drohung und der Errichtung der Verfügung von Todes wegen ein nicht unerheblicher Zeitraum, sieht es die Rspr. als fraglich an, ob Kausalität gegeben ist.
Moralische oder religiöse Vorhaltungen, um die Todesnot auszunutzen, rechtfertigen keine Anfechtung, allenfalls dann, wenn hiermit eine Drohung verbunden ist. Im Jahre 1953, als § 48 Abs. 3 TestG aufgehoben wurde, ist ausdrücklich darauf verzichtet worden, als besonderen Anfechtungsgrund die Ausnutzung der Todesnot aufzunehmen. Diesen Tatbestand enthielt § 48 TestG als Nichtigkeitsgrund.