Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
Rz. 15
Unmittelbar sind die Vorschriften über die Anfechtung gem. §§ 2078 ff. BGB nur auf testamentarische Bestimmungen anzuwenden. Unterlässt es der Erblasser, ein Testament zu errichten, in der irrigen Annahme, in der Regelung des § 2269 BGB sei die gesetzliche Erbfolge zu sehen, scheidet eine Anfechtung aus. Es sind stets nur einzelne Verfügungen anfechtbar, nicht hingegen das gesamte Testament. Der Anfechtung unterliegen alle denkbaren Zuwendungen und Anordnungen des Erblassers, die testamentarisch verfügt werden können (Erbeinsetzung, Enterbung, Einsetzung von Vor- und Nacherben, Einsetzung als Ersatzerbe, Anordnung eines Vermächtnisses oder einer Auflage, Anordnung der Testamentsvollstreckung, Teilungsanordnung, familienrechtliche Anordnung, Widerruf).
Rz. 16
Wie bereits unter Rdn 1 ff. ausgeführt, finden diese Vorschriften über die Vorschrift des § 2279 Abs. 1 BGB auch auf vertragsmäßige Verfügungen Anwendung, wobei die §§ 2281–2285 BGB insoweit Sondervorschriften darstellen. Abweichend sind hier das Anfechtungsrecht des Erblassers, die Form sowie die Frist geregelt. Im Übrigen finden sich in § 2282 Abs. 1 u. 2 BGB Sondervorschriften im Hinblick auf die Höchstpersönlichkeit. Diese Sondervorschriften hinsichtlich der Anfechtung von Erbverträgen finden auch auf die Anfechtung bindend gewordener wechselbezüglicher Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten Anwendung. Insoweit werden die §§ 2078 ff. BGB verdrängt.
Im Einzelnen:
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§ 2281 Abs. 1 BGB: Danach ist eine Anfechtung auch durch den Erblasser möglich (während beim einfachen Testament dem Erblasser aufgrund der jederzeitigen freien Widerrufbarkeit kein Anfechtungsrecht zusteht). |
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§ 2285 BGB: Danach ist die Anfechtung Dritter ausgeschlossen, wenn das Anfechtungsrecht des Erblassers im Zeitpunkt der Anfechtung erloschen ist (während beim einfachen Testament ein solcher Ausschluss nicht möglich ist, da schon dem Erblasser kein Anfechtungsrecht zusteht). |
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§ 2281 Abs. 1 und § 2282 Abs. 3 BGB: Danach bedarf die Anfechtung durch den Erblasser der notariellen Form, während die Anfechtung durch Dritte auch beim Erbvertrag formlos erfolgen kann (die Anfechtungserklärung beim einfachen Testament ist an keine besondere Form gebunden, ist also formlos möglich). |
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§ 2282 Abs. 1 und Abs. 2 BGB: Danach kann die Anfechtung nicht durch einen Vertreter des Erblassers erfolgen. |
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§ 2283 BGB: Danach gibt es für die Anfechtung eines Erbvertrages durch den Erblasser eine eigene Fristenregelung (im Unterschied zu § 2082 BGB enthält § 2283 BGB keine 30-jährige Ausschlussfrist; weiterhin beginnt nach § 2283 BGB im Fall der Drohung die Frist mit dem Zeitpunkt, in dem die Zwangslage aufhört. Bei § 2082 BGB kommt es hingegen im Fall der Drohung nicht auf die Beendigung der Zwangslage an, weil der Erklärende hier nicht mit dem Anfechtenden identisch ist und eine Zwangslage gegenüber dem Erblasser als Erklärendem deshalb nicht die Anfechtung durch den Anfechtungsberechtigten hindern kann). |
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§ 2284 BGB: Danach ist eine Bestätigung durch den Erblasser – und zwar nur durch den Erblasser persönlich – möglich (beim einfachen Testament ist nach der Rspr. eine Bestätigung durch den Erblasser nicht möglich, da ihm auch kein Anfechtungsrecht zusteht). |
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Diese Sonderregelungen des Erbvertrages gelten für die Selbstanfechtung von bindend gewordenen wechselbezüglichen Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments durch den Erblasser entsprechend und verdrängen insoweit die §§ 2078 ff. BGB. |
Rz. 17
Wird ein Testament aus der amtlichen Verwahrung genommen, gilt dies als Widerruf desselben. Dieser Widerruf unterliegt ebenfalls der Anfechtung gem. §§ 2078 ff. BGB. Bei einem Irrtum über die Rechtswirkungen der Rücknahme kann die Anfechtung begründet sein. Es ist allerdings von Bedeutung, ob eine ordnungsgemäße Belehrung gem. § 2256 Abs. 1 S. 2 BGB erfolgt ist. Desgleichen unterliegt der Widerruf durch Vernichtung der Anfechtung.
Auch ein Schenkungsversprechen auf den Todesfall unterliegt, sofern es von § 2301 BGB erfasst wird, der Anfechtung. Es darf jedoch nicht unter Lebenden vollzogen worden sein. Ein derartiges Versprechen ist daher wie eine Verfügung von Todes wegen zu behandeln.
Rz. 18
Ob auf unentgeltliche Zuwendungen durch einen Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall die Anfechtungsvorschriften angewendet werden können, ist umstritten. Nach einer Ansicht kommt eine direkte Anwendung zwar nicht in Betracht, jedoch eine analoge Anwendung. Dies wird damit begründet, dass derartige Rechtsgeschäfte aufgrund der Interessenlage mit Verfügungen von Todes wegen verglichen werden können. Nach a.A. kommt eine analoge Anwendung nicht in Betracht, da der Schutz des Vertragspartners der Rechtsgeschäfte unter Lebenden, die im Deckungs-, aber auch im Valutaverhältnis geschlossen werden, einer Erweiterung der sich aus §§ 119 ff. BGB ergebenden Anfechtungsmöglichkeiten entgegenstehe und somit auch einer analogen Anwendung des § 2078 BGB entgegenstehe.