Rz. 44
Man spricht von nachträglichen Lücken, weil in der Zeit zwischen Testamentserrichtung und Eintritt des Erbfalls Veränderungen eingetreten sind, die der Erblasser nicht vorhergesehen oder erwogen hatte.[194] Hat der Erblasser Vor-/Nacherbschaft angeordnet, liegt eine nachträgliche Lücke auch dann vor, wenn Veränderungen zwischen Erb- und Nacherbfall eintreten.[195] Ziel der ergänzenden Testamentsauslegung ist es insbesondere, derartige nachträglich auftretende Lücken im Testament zu schließen.[196] Diese nachträglichen Änderungen können verschiedener Art sein. Zum einen kann es sich um Änderungen rein tatsächlicher Art handeln. Hierunter fällt z.B., dass der Bedachte vorverstirbt, dass es zu Veränderungen im Hinblick auf den vermachten Gegenstand kommt oder auch zu Veränderungen in Bezug auf die Vermögenslage des Erblassers. Es ist aber auch möglich, dass sich ein Gesetz ändert (z.B. Einführung der Zugewinngemeinschaft oder der Erbberechtigung nichtehelicher Kinder), oder aber, dass es zu Änderungen im Hinblick auf die Rechts- und Wirtschaftsordnung kommt (z.B. Währungsreform). Hierunter fällt auch die negative Entwicklung der Beziehung zu einem Begünstigten.[197] Kommt es zu einer Änderung wesentlicher Umstände nach Testamentserrichtung, kann dieser Änderung grundsätzlich nur mit den Mitteln der ergänzenden Auslegung Rechnung getragen werden. Die Regeln über eine Störung der Geschäftsgrundlage (§§ 313 ff. BGB) sind hier nicht anwendbar, da es sich um eine unentgeltliche Zuwendung handelt und nicht um einen gegenseitigen Leistungsaustausch, wie dies im Schuldrecht der Fall ist.[198]
Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?
Jetzt kostenlos 4 Wochen testen
Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen