Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
Rz. 93
Die Umdeutung kann sich zum einen auf eine einzelne Anordnung des Testaments beschränken. Sie kann aber auch das Testament im Ganzen betreffen. Ist ein öffentliches Testament formungültig, kann es dann, wenn die Formvoraussetzungen für ein eigenhändiges Testament erfüllt sind, in ein solches umgedeutet werden. Auch ein gemeinschaftliches Testament, das nicht den Formvorschriften entspricht und daher formunwirksam ist, kann in ein formgültiges Einzeltestament umgedeutet werden.
Die Frage, ob ein gemeinschaftliches Testament oder einzelne Anordnungen eines solchen gemeinschaftlichen Testaments in Einzeltestamente umgedeutet werden können, wird in Rspr. und Lehre nicht einheitlich beantwortet.
Unstreitig ist, dass zumindest nicht wechselbezügliche Verfügungen in Einzeltestamente umgedeutet werden können (wobei eine solche Umdeutung natürlich nur möglich ist, wenn die Formerfordernisse an ein Einzeltestament, insbesondere die Eigenhändigkeit, gewahrt sind).
Rz. 94
In der Lit. wird die Möglichkeit der Umdeutung auch für wechselbezügliche Verfügungen anerkannt. Bei der Prüfung des hypothetischen Erblasserwillens ist dann aber zu berücksichtigen, dass die Lebenserfahrung im Allg. dagegen spricht, dass der Erblasser seine wechselbezügliche Verfügung bei Unwirksamkeit der entsprechenden Verfügung des Partners auch isoliert in einem Einzeltestament stehenlassen würde.
Dieser Erfahrungssatz muss nach dieser Auffassung im Einzelfall aufgrund nachweisbarer, besonderer Umstände widerlegt werden.
In der Rspr. wird die Möglichkeit der Umdeutung wechselbezüglicher Verfügungen in Einzeltestamente teilweise abgelehnt, weil es gerade im Wesen der Wechselbezüglichkeit liege, dass die jeweilige Verfügung von der Gültigkeit der anderen abhängig sei.
Beispiel
Ernst und seine spätere Ehefrau Frieda errichteten ein Jahr vor ihrer Heirat ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Ernst hatte dabei den gesamten Text des Testaments eigenhändig geschrieben, darunter hatten er und Frieda unterschrieben. Ernst stirbt. Die gesetzlichen Erben von Ernst und Frieda streiten um den Nachlass.
Rz. 95
Das OLG Hamm hat zunächst festgestellt, dass es sich bei diesem Testament nicht um ein wirksames gemeinschaftliches Testament handelt, da die Testierenden im Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch nicht verheiratet waren. Weiterhin ist das OLG davon ausgegangen, dass die gegenseitigen Erbeinsetzungen der Testierenden im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit standen. Sicher ist, dass die Verfügung der überlebenden Ehegattin nicht in ein Einzeltestament umgedeutet werden kann, weil es dazu an der notwendigen Eigenhändigkeit fehlt.
Nach Ansicht des OLG Hamm ist es auch nicht möglich, die Verfügung des Verstorbenen im Wege der Umdeutung als einseitige letztwillige Verfügung aufrechtzuerhalten, da diese im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zu der unwirksamen Verfügung seiner Lebensgefährtin gestanden habe. Es würde sich widersprechen, eine Wechselbezüglichkeit und gleichzeitig einen Aufrechterhaltungswillen anzunehmen. Damit sei von der gesetzlichen Erbfolge auszugehen.
Rz. 96
Nach hier vertretener Ansicht hat Kanzleiter in seiner Besprechung dieser Entscheidung zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Ansicht des OLG Hamm zu sehr an eine begriffliche Dogmatik gebunden ist und den Erblasserwillen nicht ausreichend berücksichtigt. Denn allein nach dem Erblasserwillen entscheidet sich der Umfang einer möglichen Wechselbezüglichkeit. Im vorliegenden Fall hätte also durch Auslegung genauer ermittelt werden müssen, ob Ernst seine Verfügung nicht auch bei einer Nichtigkeit der Verfügung von Frieda wegen des fehlenden Formerfordernisses aufrechterhalten wollte. Ist dies der Fall, dann wäre auch von der Möglichkeit einer Umdeutung in ein einseitiges Testament auszugehen.
Bei gemeinschaftlichen Testamenten von Nichtehegatten wurde in der Rspr. aber auch vertreten, dass das gemeinschaftliche Testament lediglich als Hülle zweier selbstständiger Testamente anzusehen sei und deshalb bei Wegfallen dieser Hülle zwei Testamente fortbestehen könnten (wenn sie als Einzeltestamente formgültig sind), ohne dass eine Umdeutung notwendig sei. Diese Ansicht kann m.E. nicht überzeugen, da sie zu sehr auf die äußeren Formalien abstellt und nicht berücksichtigt, dass die Besonderheit eines gemeinschaftlichen Testaments gerade auch auf dem gemeinschaftlichen Willen der Testierenden beruht. Ein gemeinschaftliches Testament kann deshalb nicht nur als die Verbindung von zwei Einzeltestamenten angesehen werden.
Praxishinweis
Bei der Umdeutung gemeinschaftlicher in Einzeltestamente muss unabhängig vom Meinungsstreit natürlich immer darauf geachtet werden, dass die Einzeltestamente den Formerfordernissen entsprechen, also insbesondere eigenhändig geschrieben sein müssen.