Rz. 70

Wenn sich der Erblasser bei Errichtung des Testaments unzutreffende Vorstellungen über seine Vermögensverhältnisse macht, die im Zeitpunkt des Erbfalls bestehen, kann hier ebenfalls die ergänzende Auslegung zum Zuge kommen.[269] Nach h.M. in der Lit. sowie nach geltender Rspr. ändert sich an der Erbeinsetzung bei ausdrücklicher Einsetzung von Erbquoten auch dann nichts, wenn der Erblasser nach Testamentserrichtung weiteres Vermögen erlangt.[270] Wendet der Erblasser hingegen Einzelgegenstände oder Vermögensgruppen zu, die den Nachlass im Zeitpunkt der Testamentserrichtung ausschöpfen, kann im Falle, dass der Erblasser später erhebliches Vermögen hinzuerwirbt, die ergänzende Auslegung dazu führen, dass der Erblasser sein Vermögen mit der Zuwendung nicht ausschöpfen wollte und deshalb lediglich eine Vermächtniszuwendung oder aber eine Teilerbeinsetzung verbunden mit der gesetzlichen Erbfolge vorliegt.[271] Grundsätzlich muss ein Vermächtnis bis zur völligen Ausschöpfung des Nachlasses erfüllt werden. Lediglich in Ausnahmefällen kann daher die ergänzende Testamentsauslegung einer Änderung der Vermögensverhältnisse des Erblassers nach der Testamentserrichtung Rechnung tragen.[272]

Ändern sich die Vermögensverhältnisse des Erblassers nach Testamentserrichtung dahingehend, dass weiteres Vermögen erworben wird, liegen jedoch Anhaltspunkte vor, dass der Erblasser den Bedachten auf den Gegenstand der Zuwendung beschränken wollte, verbleibt es bei der Zuwendung dieses Gegenstandes. Für eine ergänzende Auslegung ist kein Raum.[273]

[269] OLG Hamm FamRZ 1997, 121, 123; OLG Zweibrücken NJW-RR 1992, 587 = FamRZ 1992, 608 = Rpfleger 1992, 252 m. Anm. Gerken; Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rn 90.
[270] KG NJW 1971, 1992 = OLGZ 1972, 76; BGH FamRZ 1972, 561, 563; BayObLG Rpfleger 1980, 430 = FamRZ 1981, 100 Nr. 86; BayObLG FamRZ 1986, 835, 837; Bartz, NJW 1972, 1176.
[271] BayObLG Rpfleger 1983, 302; Bartz, NJW 1972, 1176; MüKo/Leipold, § 2084 Rn 121.
[272] BGH NJW 1993, 245 = FamRZ 1993, 422.
[273] Vgl. dazu auch BGH NJW-RR 2017, 1036 = ZEV 2017, 629 m. Anm. Leipold gegen OLG Düsseldorf ZEV 2017, 143 m. Anm. Otte, ZEV 2017, 146 f.

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