Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
Rz. 3
Zentrales Problem ist häufig, dass zwischen der getätigten Erklärung und dem tatsächlichen Willen eine Diskrepanz besteht und es schwierig ist, Wille und Erklärung in Einklang zu bringen. Um dieses Problem zu lösen, sind allg. Erfahrungssätze heranzuziehen, um aus einem äußeren Verhalten auf den dahinterstehenden wirklichen Willen zu schließen. Nach der sog. Willenstheorie wird der subjektive Wille bevorzugt. Die Erklärungstheorie hingegen stellt einseitig auf den Empfängerhorizont ab. Nach einer vermittelnden Theorie wird die Willenserklärung als Regelungsakt gesehen. Diese Ansicht spricht von einer Geltungserklärung. Den Vorschriften des BGB liegt die Willenstheorie zugrunde. Bei der Auslegung von Willenserklärungen soll nach der Vorschrift des § 133 BGB der wirkliche Wille erforscht werden. Hierbei soll jedoch nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks gehaftet werden. Verträge hingegen sollen gem. § 157 BGB nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte ausgelegt werden. Nach allg. Ansicht ist die Vorschrift des § 133 BGB auch auf Verträge anwendbar. Obwohl § 157 BGB den Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers zum Inhalt hat, ist diese Vorschrift auch für empfangsbedürftige Willenserklärungen unter Lebenden, also für einseitige Willenserklärungen, heranzuziehen. Da bei § 157 BGB der Schutz des Erklärungsempfängers im Vordergrund steht, kommt dessen Anwendung bei letztwilligen Verfügungen grundsätzlich nicht in Betracht.
Rz. 4
Nach den allg. Vorschriften der §§ 133, 157 BGB ist es somit möglich, im Wege der Auslegung den Sinn einer Äußerung, die den Willen des Äußernden nur entstellt wiedergibt, zu ermitteln. Eine Willenserklärung auslegen heißt somit, den Willen des Erklärenden mit Hilfe von Erfahrungssätzen aus Indizien, die bei formbedürften Erklärungen auch außerhalb der Urkunde liegen können, zu ermitteln, und zwar dadurch, dass von einem beobachteten äußeren Verhalten des Erklärenden auf seinen dahinterstehenden Willen geschlossen wird. Da der rechtsgeschäftliche Wille lediglich über Indizien ermittelt wird, kann es sich beim Ergebnis lediglich um ein Wahrscheinlichkeitsurteil handeln. Der rechtsgeschäftliche Wille ist gerade nicht unmittelbar zu ermitteln.
Rz. 5
Die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen unter Lebenden wird gem. § 157 BGB dahingehend eingeschränkt, dass aus Gründen des Vertrauensschutzes nur der Willensinhalt maßgeblich ist, der für den Empfänger bei Beachtung der verkehrserforderlichen Sorgfalt erkennbar sein musste (= objektive Erklärungsbedeutung unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts). Stimmt der im Wege der Auslegung ermittelte objektive Erklärungsinhalt nicht mit dem subjektiven Willen des Erklärenden überein, hat der Erklärende bei Vorliegen der jeweiligen weiteren Voraussetzungen der §§ 119, 120, 2078, 2281 BGB die Möglichkeit, seine Willenserklärung durch Anfechtung zu vernichten.
Rz. 6
Hat die Auslegung dazu geführt, die Erklärungsbedeutung der Willenserklärung zu ermitteln, ist in einem zweiten Schritt zu fragen, sofern es sich um ein formbedürftiges Rechtsgeschäft handelt, ob der Wille auch formgültig erklärt worden ist. Zur Lösung dieses Problems, auf der einen Seite die Formbedürftigkeit zu berücksichtigen und auf der anderen Seite bestrebt zu sein, den Willen der erklärenden Person zu berücksichtigen, fordert die Rspr. lediglich, dass der rechtsgeschäftliche Wille des Erklärenden, der aus Umständen außerhalb der Urkunde ermittelt worden ist, in der Urkunde selbst irgendwie – wenn auch nur andeutungsweise oder versteckt (Anhalts- oder Andeutungstheorie) – zum Ausdruck gekommen sein muss. Hat der Erblasser eine Verfügung von Todes wegen unterlassen oder schlichtweg vergessen, kann eine solche Verfügung nicht im Wege der einfachen Auslegung geschaffen werden. Aber auch eine Erbeinsetzung muss nicht ausdrücklich erfolgt sein. Im Wege der Auslegung kann diese aus anderen Verfügungen zu schließen sein. Beispiel hierfür: Ein Erbvertrag enthält ausdrücklich nur die gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten sowie eine Pflichtteilsstrafklausel und Klausel in Bezug auf eine Wiederverheiratung. Hieraus kann eine stillschweigende Einsetzung der Abkömmlinge zu Schlusserben zu entnehmen sein. Dies gilt auch für das gemeinschaftliche Testament. Nach Ansicht des BGH ist ein in der Urkunde nicht zum Ausdruck kommender Erblasserwille dann zu berücksichtigen, wenn der Erblasser aufgrund außergewöhnlicher politischer Umstände daran gehindert war, seinen wahren Willen offenzulegen.
Rz. 7
Einer Andeutung in der Urkunde bedarf es dann nicht, wenn die Parteien das, was sie übereinstimmend wollten, so nicht beurkundet haben (falsa demonstratio). Nach geltender Rspr. ist auch dann ein Anhaltspunkt in der Urkunde nicht erforderlich, wenn der Erblasser aufgrund außergewöhnlicher, insbesondere politischer Gründe, gezwungen war, seinen wahren Willen zu verbergen. In diesem Falle ist der übereinstimmende...