Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
Rz. 8
Bei einseitigen Verfügungen von Todes wegen (d.h. beim Einzeltestament, bei einseitigen Verfügungen im Erbvertrag und bei Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament, die nicht wechselbezüglich sind) ist auf den Vertrauensschutz eines Erklärungsempfängers keine Rücksicht zu nehmen. Für die Auslegung ist daher der tatsächliche (reale), subjektive Wille des Erblassers maßgeblich. Entscheidend ist die Auffassung des Erblassers, seine Vorstellung und innere Meinung über den Sinn der Erklärung, aber auch sein subjektiver Sprachgebrauch zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Nicht maßgebend ist insoweit die verkehrsübliche Bedeutung, d.h. die objektive Erklärungsbedeutung der abgegebenen Willenserklärung, sondern nur der Horizont des Erklärenden ist zu berücksichtigen. Auch ein Bedachter genießt keinen Vertrauensschutz im Hinblick auf die objektive Bedeutung der abgegebenen Erklärung.
Rz. 9
Daraus folgt, dass die Auslegung eines Testaments lediglich von der Vorschrift des § 133 BGB bestimmt wird, nicht hingegen von den Vorschriften gem. §§ 157, 242 BGB. Der entscheidende Unterschied zwischen Testamentsauslegung und Vertragsauslegung liegt darin, dass bei der Testamentsauslegung § 133 BGB wörtlich zu nehmen ist, da sich die Auslegung eines Testaments nicht an einem Empfängerhorizont zu orientieren hat. Einen Empfänger testamentarischer Verfügungen gibt es nicht. Das Problem ist darin zu sehen, dass nur durch Rückschlüsse aus äußeren Anhaltspunkten auf den inneren Willen des Erblassers geschlossen werden kann.
Rz. 10
Dass § 157 BGB für die Auslegung von Testamenten nicht anwendbar ist, bedeutet nicht, dass die enthaltenen Kriterien keine Bedeutung haben. Denn auch im Erbrecht ist eine Erklärung i.d.R. so zu verstehen, wie sie nach der Verkehrsauffassung üblicherweise gewertet wird. Der Empfängerhorizont ist bspw. ausnahmsweise dann zu berücksichtigen, wenn der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen eine Person zu einem bestimmten Verhalten veranlassen will. Dies ist insbesondere bei Zuwendungen unter einer (aufschiebenden oder auflösenden) Potestativbedingung, bei Teilungsanordnungen, Auflagen und Anweisungen an den Testamentsvollstrecker der Fall. Hier steht jedoch nicht der Vertrauensschutz im Vordergrund, sondern einzig und allein die Verwirklichung des Erblasserwillens. Dieser kann nur dann jemanden zu einem Verhalten veranlassen, wenn die bedachte Person die Anordnung auch versteht; daher muss er sie in solchen Fällen vernünftigerweise so wollen, wie sie vom Horizont des Betroffenen her auszulegen ist.
Nach Ansicht der Rspr. darf sich die Auslegung nicht auf eine bloße Analyse des Wortlauts beschränken. Für die Auslegung sind auch solche Umstände heranzuziehen, die außerhalb der Urkunde liegen. Dies gilt sowohl für solche Umstände, die vor der Testamentserrichtung liegen, als auch für nachträgliche Umstände.
Rz. 11
Heranzuziehende Umstände außerhalb der Testamentsurkunde können sein: örtliche Gebräuche; der persönliche Sprachgebrauch des Erblassers; das Vermögen des Erblassers, sowohl dessen Herkunft als auch dessen Höhe; mit welchen Mitteln ein bestimmter Gegenstand erworben wurde; die Bildung und berufliche Stellung des Erblassers und seine Geschäftsgewandtheit; die Eigenheiten bzw. der Lebenszuschnitt des Erblassers; die Beziehungen des Erblassers zu den im Testament bedachten Personen (familiäre, persönliche oder berufliche Beziehungen, wobei hierzu sowohl gute als auch feindselige Beziehungen heranzuziehen sind); Aussagen von solchen Personen, die bei der Testamentserrichtung beteiligt waren; Schriftstücke des Erblassers und seine widerrufenen oder formungültigen Testamente, soweit es um die Auslegung einer Verfügung geht und nicht um Ergänzung einer in einem formgültigen Testament fehlenden Verfügung. Geht es lediglich um die Verdeutlichung des Willens des Erblassers, der auch in einer späteren letztwilligen Verfügung Anklang gefunden hat, so kann die frühere, auch formungültige Verfügung für die Auslegung jederzeit herangezogen werden. Es ist hingegen nicht möglich, eine frühere letztwillige Verfügung, welche nicht mehr gültig ist, dafür zu benutzen, um die später errichtete letztwillige Verfügung durch eine darin nicht enthaltene Anordnung zu ergänzen. Auch nach Testamentserrichtung erstellte Schriftstücke können zur Ermittlung des Willens herangezogen werden. Als solche kommen bspw. Testamentszusätze oder nachträglich errichtete, formunwirksame Testamente in Betracht. Auch allgemeine Schreiben oder Begleit- oder Erläuterungsschreiben zum Testament können herangezogen werden. Weiter kann das persönliche Verhältnis des Erblassers zu den Bedachten und die Intensität der Kontakte zu diesen herangezogen werden, des Weiteren die äußere Gestaltung der Testamentsurkunde. Es kann für die Auslegung wichtig sein, ob es sich um ein eigenhändiges oder ein notarielles Testament handelt. Wegen der Beratungspflichten des Notars spri...