Gesetzestext
(1)1Sind mehrere Erben in der Weise eingesetzt, dass sie die gesetzliche Erbfolge ausschließen, und fällt einer der Erben vor oder nach dem Eintritt des Erbfalls weg, so wächst dessen Erbteil den übrigen Erben nach dem Verhältnis ihrer Erbteile an. 2Sind einige der Erben auf einen gemeinschaftlichen Erbteil eingesetzt, so tritt die Anwachsung zunächst unter ihnen ein.
(2)Ist durch die Erbeinsetzung nur über einen Teil der Erbschaft verfügt und findet in Ansehung des übrigen Teils die gesetzliche Erbfolge statt, so tritt die Anwachsung unter den eingesetzten Erben nur ein, soweit sie auf einen gemeinschaftlichen Erbteil eingesetzt sind.
(3)Der Erblasser kann die Anwachsung ausschließen.
A. Normzweck
Rz. 1
Unter Anwachsung (Akkreszenz) versteht man die anteilige Erhöhung der Erbteile der übrigen eingesetzten Erben bei Wegfall eines Erben (vgl. im Gesellschaftsrecht § 38 Abs. 1 S. 1 BGB). Die gesetzliche Normierung der Anwachsung gründet sich auf den vom Gesetzgeber unter bestimmten Voraussetzungen vermuteten der gesetzlichen Erbfolge entgegenstehenden Willen des Erblassers. Deshalb bestimmt Abs. 3 auch, dass die Anwachsung nicht eintritt, wenn der Erblasser sie ausgeschlossen hat.
Rz. 2
Wenn also mehrere Erben in der Weise eingesetzt sind, dass sie die gesetzliche Erbfolge ausschließen, so ist davon auszugehen, dass dies nach dem Willen des Erblassers selbst dann so bleiben soll, wenn einer der Erben wegfällt. Es treten dann also nicht die gesetzlichen Erben an die Stelle des Weggefallenen (§ 2088 BGB), sondern es tritt infolge des Wegfalls eines der Miterben die Vergrößerung des einem anderen Miterben zugewandten Erbteils ein. Die Anwachsung kann dabei allen Miterben gem. Abs. 1 S. 1 oder nur einem Teil gem. Abs. 1 S. 2 zugutekommen. Gegenüber der Einsetzung eines Ersatzerben ist die Anwachsung subsidiär (§ 2099 BGB). Das "Pendant" zur Anwachsung ist im Bereich der gesetzlichen Erbfolge die Erbteilserhöhung gem. § 1935 BGB. Entsprechende Vorschriften für das Vermächtnis enthalten §§ 2158, 2159 BGB.
B. Tatbestand
I. Ausschluss der gesetzlichen Erbfolge
Rz. 3
Voraussetzung für die Anwachsung ist zunächst, dass die eingesetzten Erben nach dem Willen des Erblassers die alleinigen Erben sein sollen und die gesetzliche Erbfolge vollständig ausgeschlossen sein soll. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn die Erbteile den Nachlass erschöpfen (also kein Fall des § 2088 BGB), wenn ein Fall des § 2089 BGB vorliegt oder wenn im Falle der Zuwendung einzelner Nachlassgegenstände an mehrere Erben diese Nachlassgegenstände den gesamten Nachlass ausmachen und die Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB nicht greift (siehe dazu § 2087 Rdn 17 ff.). Eine Ausnahme besteht insoweit gem. Abs. 2 für den Fall, dass die Erben auf einen gemeinschaftlichen Erbteil i.S.d. § 2093 BGB eingesetzt sind. Dann findet die Anwachsung unter diesen Miterben auch dann statt, wenn der restliche Erbteil an die gesetzlichen Erben fällt. Es kommt dann also lediglich darauf an, dass der Erblasser die gesetzliche Erbfolge in Bezug auf den gemeinschaftlichen Erbteil ausgeschlossen hat.
Beispiel
Sind A, B und C zu je ¼ eingesetzt, so wird bei Wegfall des C keine Anwachsung stattfinden, weil es am vollständigen Ausschluss der gesetzlichen Erbfolge fehlt. So wie die gesetzlichen Erben das freigelassene Viertel von Anfang an erhalten (§ 2088 Abs. 2 BGB), erhalten sie auch das Viertel des weggefallenen C.
II. Wegfall eines oder mehrerer Erben
Rz. 4
Die Norm setzt weiter den Wegfall eines von mehreren eingesetzten Erben voraus, wobei der Wegfall vor oder nach dem Erbfall erfolgen kann, sofern der Wegfall auf den Erbfall zurückwirkt. Wegfallgründe vor dem Erbfall sind der Tod des eingesetzten Erben vor dem Erbfall gem. § 1923 Abs. 1 BGB, die Totgeburt einer Leibesfrucht gem. § 1923 Abs. 2 BGB (auch nach dem Erbfall) sowie der Zuwendungsverzicht gem. § 2352 BGB. Wegfallgründe nach dem Erbfall sind die Ausschlagung gem. § 1953 BGB, Erbunwürdigkeitserklärung gem. § 2344 BGB, Nichterleben einer aufschiebenden Bedingung gem. § 2074 BGB, Anfechtung gem. §§ 2078, 2079 BGB (für § 2094 BGB str., vgl. Rdn 5 und § 2088 Rdn 7 f.) sowie die Nichterteilung einer gem. Art. 86 EGBGB bzw. § 84 BGB erforderlichen staatlichen Genehmigung.
Rz. 5
Ob § 2094 BGB auch bei Unwirksamkeit oder Nichtigkeit der Erbeinsetzung anwendbar ist, ist umstritten. Der Verfasser seit der 2. Aufl. folgt hier der differenzierenden Betrachtung von Otte und Loritz (siehe ausführlich § 2088 Rdn 6 ff.; Stehlin in der 1. Aufl. für eine generelle Anwendbarkeit des § 2094 BGB).
III. Kein Ausschluss der Anwachsung (Abs. 3)
1. Durch Erblasseranordnung
Rz. 6
Als dritte Voraussetzung verlangt die Norm, dass der Erblasser keinen Ausschluss der Anwachsung gem. Abs. 3 vorgenommen hat. Ein solcher...