Rz. 16
Die Norm des Abs. 2 findet häufig für den praxisrelevanten Fall der gegenseitigen Erbeinsetzung der Ehegatten unter Berufung der gemeinsamen Kinder zu Schlusserben Anwendung.
Rz. 17
Beim ersten Erbfall greift, wenn die Auslegung zu keinem Ergebnis führt, die Auslegungsregel des Abs. 2 Alt. 1 ein, so dass Wechselbezüglichkeit anzunehmen ist für die gegenseitige Erbeinsetzung. Damit können diese Verfügungen zu Lebzeiten der Ehegatten nur nach § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB widerrufen werden und zudem stehen und fallen diese Verfügungen mit der Wirksamkeit/Unwirksamkeit einer dieser Verfügungen gem. Abs. 1.
Rz. 18
Tritt der zweite Erbfall ein, besteht kein Erfahrungssatz dahingehend, dass jeder Ehegatte die gemeinsamen Kinder nur deshalb bedenkt, weil auch der andere dies tut. Anders gewendet, wird hier auch davon gesprochen, dass jeder der beiden Ehegatten die gemeinsamen Kinder auch unabhängig voneinander eingesetzt hätte. Demnach gelangt man mit der h.M. in Lit. und Rspr. zu einer Anwendung des Abs. 2. Danach ist wechselbezüglich jeweils sowohl die Erbeinsetzung der Ehegatten untereinander (gem. Abs. 2 Alt. 1) als auch jeweils die Erbeinsetzung des anderen Ehegatten zu der Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder (Abs. 2 Alt. 2). Im Verhältnis der jeweiligen Einsetzung der Kinder zu Schlusserben ist Abs. 2 seinem Wortlaut nach jedoch nicht anwendbar.
Rz. 19
Teilweise wird dennoch für eine entsprechende Anwendung des Abs. 2 auf diese Verfügungen zueinander plädiert. Der von den Ehegatten verfolgte Bindungszweck gebiete eine entsprechende Anwendung der Vorschrift des Abs. 2. Werde von einem Ehegatten die gegenseitige Erbeinsetzung widerrufen, so wäre nach Abs. 1 S. 1 auch die damit im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit stehende Erbeinsetzung der Kinder des anderen Ehegatten unwirksam. Dies könne weittragende Konsequenzen haben, wenn die Schlusserbeneinsetzung desjenigen, dem gegenüber widerrufen wurde, von der gesetzlichen Erbfolge bewusst abwich. Dies vermag allerdings nicht zu überzeugen. Der Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung hat nach Abs. 1 S. 1 BGB in der Form des § 2296 BGB zu geschehen und muss dem anderen Ehegatten zugehen. Dieser kann dann auf die neue Situation angemessen reagieren und sein Testament entsprechend neu gestalten. Die vorstehend aufgeführte Auffassung übersieht, dass kein Ehegatte zu Lebzeiten Anspruch darauf hat, dass der gemeinsame Nachfolgeplan aufrechterhalten bleibt, wenn lediglich ein gemeinsames Testament verfasst wurde. Dazu müssten sich die Ehegatten des Erbvertrags bedienen, ohne einen Rücktrittsvorbehalt zu vereinbaren nach § 2293 BGB.