Gesetzestext

 

Der Erblasser kann von einer vertragsmäßigen Verfügung zurücktreten, wenn sich der Bedachte einer Verfehlung schuldig macht, die den Erblasser zur Entziehung des Pflichtteils berechtigt oder, falls der Bedachte nicht zu den Pflichtteilsberechtigten gehört, zu der Entziehung berechtigen würde, wenn der Bedachte ein Abkömmling des Erblassers wäre.

A. Allgemeines

 

Rz. 1

§ 2293 BGB gewährt dem Erblasser ein Rücktrittsrecht, wenn er sich dieses im Erbvertrag vorbehalten hat. §§ 2294, 2295 BGB enthalten gesetzliche Rücktrittsrechte. Nach § 2294 BGB kann der Erblasser zurücktreten, wenn sich der vertragsmäßig Bedachte einer Verfehlung i.S.d. Pflichtteilsrechts schuldig gemacht hat, §§ 2333 ff. BGB.

B. Tatbestand

I. Verfehlung

 

Rz. 2

Nach § 2294 BGB kann der Erblasser zurücktreten, wenn sich der vertragsmäßig Bedachte (der bedachte Vertragspartner oder auch ein Dritter) einer Verfehlung i.S.d. Pflichtteilsrechts nach § 2333 BGB schuldig gemacht hat. Gehört der Bedachte nicht zu den Pflichtteilsberechtigten, dann wird er wie ein Abkömmling behandelt, Hs. 2; § 2294 BGB gilt dagegen nicht bei Verfehlungen des nichtbedachten Vertragspartners.[1] Der Rücktritt kann nur aufgrund von Verfehlungen erklärt werden, die nach dem Errichten des Erbvertrages begangen worden sind. Anders als bei § 2297 BGB wird nämlich gerade nicht auf § 2336 Abs. 2 und 3 BGB verwiesen. Verfehlungen vor Abschluss des Erbvertrages können dann allenfalls ein Anfechtungsrecht begründen, §§ 2078, 2281 BGB, und anders auch, wenn der vertragsmäßig Bedachte die Verfehlungen nach der Errichtung des Erbvertrages fortsetzt, dann ist ein Rücktritt möglich.[2] Entscheidend ist auch, ob der Rücktrittsgrund zum Zeitpunkt des Rücktritts noch vorliegt; das ist dann nicht der Fall, wenn der Erblasser dem Bedachten die Verfehlung verziehen hat, vgl. § 2337 S. 1 BGB. Eine Verzeihung kann z.B. darin gesehen werden, dass der Erblasser im Hinblick auf eine zurückliegende Verfehlung auf sein Rücktrittsrecht verzichtet.[3] Dagegen findet § 2337 S. 2 BGB keine Anwendung. Hat also der Erblasser den Rücktritt erklärt, dann kann die "nachträgliche" Verzeihung an der Wirksamkeit des Rücktritts nichts mehr ändern.[4] Der Erblasser muss dann die vertragsmäßige Verfügung erneut treffen; ein Widerruf des Rücktritts ist auch nicht möglich, weil der Rücktritt ein Gestaltungsrecht ist.

[1] Staudinger/Kanzleiter, § 2294 Rn 2.
[2] BayObLGZ 1963, 271.
[3] Staudinger/Kanzleiter, § 2294 Rn 7.
[4] MüKo/Musielak, § 2294 Rn 5.

II. Berechtigter

 

Rz. 3

§ 2294 BGB sieht den Rücktritt nur für den Erblasser höchstpersönlich, nicht für seine Erben, auch nicht für den Vertragspartner, vor. Er kann auf dieses Recht im Voraus nicht verzichten, § 2302 BGB.

III. Ausübung des Rücktrittsrechts

 

Rz. 4

Der Erblasser kann vom gesamten Erbvertrag, aber auch nur von einzelnen vertragsmäßigen Verfügungen zurücktreten. Rücktrittsgründe brauchen nicht angegeben zu werden, weil auf § 2336 Abs. 2 BGB anders als in § 2297 BGB (Rücktritt durch Testament nach dem Tod des Vertragspartners) nicht verwiesen wird.[5]

[5] BGH NJW 1952, 700.

C. Rechtsfolgen

 

Rz. 5

Das Rücktrittsrecht kann nur zu Ungunsten desjenigen ausgeübt werden, der sich der Verfehlung schuldig gemacht hat, nicht dagegen gegenüber den übrigen Bedachten; die vertragsmäßigen Verfügungen bleiben insoweit bestehen.[6] Tritt der Erblasser vom gesamten Erbvertrag zurück, dann werden alle vertragsmäßigen, im Zweifel auch die einseitigen Verfügungen (vgl. § 2299 Abs. 3 BGB) aufgehoben. Beim Rücktritt von einzelnen vertragsmäßigen Verfügungen richtet sich die Wirksamkeit der übrigen Verfügungen nach §§ 2085, 2279 Abs. 1 BGB; beim zweiseitigen Erbvertrag ist aber § 2298 Abs. 2 S. 1 BGB zu beachten, wonach durch den Rücktritt im Zweifel der gesamte Erbvertrag als aufgehoben gilt. War der Erbvertrag mit anderen Verträgen verbunden, z.B. mit einem Ehevertrag, dann beurteilt sich die Wirksamkeit des anderen Vertrages beim Rücktritt vom Erbvertrag nach § 139 BGB; i.d.R. wird aber der Ehevertrag durch den Rücktritt vom Erbvertrag nicht beeinflusst.[7] § 2294 BGB lässt das Recht des Erblassers nach §§ 2289 Abs. 2, 2338 BGB (sog. Beschränkung in guter Absicht) unberührt, ebenso die Bestimmungen über die Erbunwürdigkeit, §§ 2339 ff. BGB.[8]

[6] Vgl. MüKo/Musielak, § 2294 Rn 2.
[7] BGHZ 29, 129 = NJW 1959, 625.
[8] Staudinger/Kanzleiter, § 2294 Rn 12.

D. Verfahrensfragen

 

Rz. 6

Eine Feststellungsklage über die Wirksamkeit des Erbvertrages oder einer vertragsmäßigen Verfügung ist zulässig (vgl. die Erläuterungen zu § 2286 BGB und § 2293 BGB). Zwar verweist § 2294 BGB nicht auf § 2336 Abs. 3 BGB; nach den allg. Beweislastgrundsätzen hat aber derjenige den Rücktritt zu beweisen, der sich darauf beruft. Der Erblasser ist daher beweispflichtig für das Vorliegen des Tatbestands, der die Pflichtteilsentziehung begründet, z.B. die schuldhafte Begehung eines Verbrechens oder schweren vorsätzlichen Vergehens gegenüber einer nahestehenden Person, § 2333 Abs. 1 Nr 3 BGB; entsprechend den allg. Beweistragungsregeln hat der Bedachte aber die Möglichkeit, Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe darzulegen und zu beweisen, di...

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