Rz. 222
In Rechtsprechung und Betriebswirtschaftslehre ist anerkannt, dass mit der Bewertung kleinerer und mittlerer Betriebe ebenso wie mit der von freiberuflichen Praxen einige Sonderprobleme verbunden sein können, die – auch bei Anwendung einer der hier beschriebenen Methoden – besonderer Berücksichtigung bedürfen.
Rz. 223
Das IDW hat auf diese Besonderheiten im Jahr 2014 reagiert und die aus seiner Sicht zu beachtenden Besonderheiten bei der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts kleiner und mittelgroßer Unternehmen in einem Praxishinweis zusammengefasst. Dabei werden als wesentliche qualitative Unterscheidungsmerkmale folgende Spezifika kleiner und mittlerer Unternehmen gegenüber (nach IDW S 1 typischerweise zu bewertenden) (Groß-)Unternehmen genannt:
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Zusammenfallen von Eigentum und Geschäftsführung, |
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Überschneidungen zwischen betrieblicher und privater Sphäre, |
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fehlende oder nicht dokumentierte Unternehmensplanung, |
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geringe Diversifikation, |
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Rechtsformspezifika sowie |
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mangelnde oder eingeschränkte Fungibilität. |
Rz. 224
Die Besonderheiten beginnen bereits mit der Notwendigkeit einer exakten Abgrenzung des Bewertungsobjekts (vom übrigen Vermögen des/der Inhaber). Im Vordergrund steht dabei, die der übertragungsgegenständlichen unternehmerischen Einheit innewohnende Ertragskraft zu erfassen. Allein die rechtliche Eigentumszuordnung spielt insoweit keine entscheidende Rolle (Stichwort: Sonderbetriebsvermögen). Ebenso ist auch auf eine klare Trennung betrieblicher und privater Ausgaben zu achten, da sich auch diese Faktoren oft ganz erheblich auf die Planungsrechnungen (die vielfach allein zum Zweck der Bewertung erstellt werden) auswirken. Gleiches gilt auch für Aufwendungen, die bei näherer Betrachtung eher privat veranlasst sind (Pensionszusagen an mitarbeitende Angehörige, unangemessene Miet- und Pachtzinsen, private Nutzung betrieblichen Vermögens), sowie – spiegelbildlich – für entsprechende ersparte Aufwendungen (insbesondere Unternehmerlohn bzw. unangemessen niedrige Vergütungen mitarbeitender Familienangehöriger). Soweit derartige (auch ersparte) Aufwendungen voraussichtlich auch nach dem Bewertungsstichtag dauerhaft in gleicher Weise fortgeführt werden, ist dies im Rahmen der Bewertung (für die zu erwartende Dauer) ebenfalls zu berücksichtigen.
Gerade bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen bilden oft das persönliche Engagement des Unternehmers sowie seine persönlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Beziehungen einen (wenn nicht den) kritischen Erfolgsfaktor. Der Wegfall dieser Person ist daher auch bei der Prognose der künftigen finanziellen Überschüsse angemessen zu berücksichtigen.
Rz. 225
Kleinere und mittlere Unternehmen zeichnen sich mitunter durch eine höhere Verschuldung aus. I.d.R. sind die Verbindlichkeiten durch den Unternehmer oder seine Familie mit privatem Vermögen besichert; auch persönliche Haftungszusagen/Bürgschaften und mitunter sogar Nachschusspflichten sind verbreitet. Auch diese Besonderheiten müssen bei der Bewertung berücksichtigt werden, beispielsweise durch den Ansatz angemessener Provisionen (Aval- bzw. Bürgschaftsprovisionen) im Rahmen der Unternehmensplanung.
Rz. 226
Weitere Besonderheiten bestehen hinsichtlich der Bestimmung des Kapitalisierungszinssatzes, da vielfach die erforderliche Vergleichbarkeit des Bewertungs-Unternehmens mit dem Kapitalmarkt nicht gegeben ist. Daher sollten zum Vergleich vor allem Unternehmen herangezogen werden, deren Geschäftsmodell mit dem des zu bewertenden Unternehmens vergleichbar ist, hilfsweise solche, deren Geschäftsmodell durch vergleichbare Risikofaktoren gekennzeichnet ist. Dies können auch Unternehmen vor- oder nachgelagerter Wertschöpfungsstufen sein. Als Maßstab für die Vergleichbarkeit kommen sowohl qualitative (Diversifikationsgrad, Stellung im Produktlebenszyklus, regionale Absatzverteilung etc.) als auch quantitative Merkmale (Umsatz, Marge, Wachstumsraten, Unternehmensgröße) in Betracht. Soweit börsennotierte Vergleichsunternehmen gar nicht ausgemacht werden können, ist Aufgabe des Gutachters, einen angemessenen Risikozuschlag zu bestimmen, wobei die konkrete Risikosituation des Bewertungsobjekts individuell berücksichtigt werden muss. Pauschale Zu- oder Abschläge sind prinzipiell nicht sachgerecht.
Rz. 227
Nach IDW S 1 wird für die Bewertung grundsätzlich eine unbegrenzte Lebensdauer des Unternehmens zugrunde gelegt. Erweist sich diese Prämisse, beispielsweise wegen der Personenabhängigkeit des Geschäftsmodells, im Hinblick auf zu bewertende Unternehmen als unrealistisch, ist dessen objektivierter Wert auf den Barwert der künftigen finanziellen Überschüsse bis zur Einstellung des Betriebs zuzüglich des Barwerts der zu erwartenden finanziellen Überschüsse aus der dann erfolgenden Aufgabe begrenzt.