Rz. 25
Die böswillige Verletzung der Unterhaltspflicht setzt voraus, dass der Erblasser bedürftig, §§ 1602 Abs. 1, 1606 BGB, und der Pflichtteilsberechtigte leistungsfähig ist, § 1603 BGB. Darüber hinaus muss er Kenntnis von der Bedürftigkeit des Erblassers haben und ihm aus verwerflichen Gründen den Unterhalt verweigern. Nur wenn alle vier Voraussetzungen kumulativ vorliegen, kommt eine Pflichtteilsentziehung nach Nr. 3 in Betracht. Die bloße Nichterfüllung der Unterhaltspflicht trotz Kenntnis der Bedürftigkeit genügt nicht.
Rz. 26
In den Schutzbereich der Nr. 3 fällt ausschließlich der auf Verwandtschaft beruhende Unterhalt (§§ 528, 843, 844, 1966 BGB sind nicht Gegenstand von Nr. 3). Der Unterhalt wird grundsätzlich als Geldleistung geschuldet. Die Verweigerung persönlicher Pflege stellt daher keinen Entziehungsgrund dar. Eine Verletzung der Unterhaltspflicht gegenüber Großeltern ist im Hinblick auf § 91 Abs. 1 S. 3 SGB XII wohl noch nicht gegeben, wenn diese zunächst auf ihren Sozialhilfeanspruch verwiesen werden.
Rz. 27
Eine allgemeingültige Aussage darüber, wie lange die Unterhaltspflichtverletzung angedauert bzw. welches Ausmaß die darauf beruhende Beeinträchtigung des Erblassers gehabt haben muss, lässt sich nicht treffen. Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an, wobei insbesondere zu berücksichtigen ist, ob und inwieweit die Unterhaltsverweigerung den Erblasser materiell – bezogen auf seine konkrete Vermögenssituation – und moralisch schwer getroffen hat. Somit wird bei nur kurzer Unterhaltsverweigerung eine Pflichtteilsentziehung nur gerechtfertigt sein, wenn einer verzweifelten Notlage des Erblassers ein materieller Überfluss auf Seiten des Unterhaltspflichtigen gegenübersteht.
Rz. 28
Eine Pflichtteilsentziehung ist nur gerechtfertigt, wenn der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser den gesetzlich geschuldeten Unterhalt "böswillig" vorenthält. Hierfür genügt es nicht, dass der Unterhaltspflichtige seiner Verpflichtung in Kenntnis ihres Bestehens nicht nachkommt. Vielmehr muss er darüber hinaus auch verwerflich gehandelt haben. Angesichts der Konturlosigkeit der gesetzlichen Regelung, an der sich auch im Rahmen der Erbrechtsreform nichts geändert hat, muss im konkreten Einzelfall insbesondere nach dem moralischen Schaden für den Erblasser gefragt werden.
Rz. 29
Im Bereich der Entziehung des Elternpflichtteils ist zusätzlich zu beachten, dass Eltern gegenüber ihren unverheirateten Kindern grundsätzlich die Art der Unterhaltsgewährung nach § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB frei bestimmen dürfen. Somit kann eine Pflichtteilsentziehung beispielsweise nicht darauf gestützt werden, dass Eltern ausreichende Mittel für eine Heimunterbringung ihres Kindes zur Verfügung stellen, anstatt sich selbst um dessen Erziehung zu kümmern. Dies gilt selbst dann, wenn die Eltern gleichzeitig ihr Sorgerecht gröblich verletzen und eine Ersetzung ihrer Einwilligung in die Adoption nach § 1748 BGB gerechtfertigt wäre. Diese Situation ist mit heutigen Wertvorstellungen nicht in Einklang zu bringen. In Ausnahmefällen kann hier aber eine Pflichtteilsentziehung auf Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 170 StGB gestützt werden.
Der Unterhaltsanspruch eines Kindes umfasst auch die Ermöglichung einer angemessenen Ausbildung (§ 1610 Abs. 2 S. 1 BGB). Mithin kann auch in der Verweigerung dieser angemessenen Ausbildung eine Verletzung der Unterhaltspflicht i.S.v. Abs. 1 Nr. 3 liegen. Dabei genügt es allerdings nicht, dass der Abkömmling die Finanzierung einer Zusatzausbildung gerichtlich erstritten hat, nachdem seine Eltern zunächst die entsprechenden Zahlungen verweigert hatten.
Rz. 30
Eine zusätzliche Schwierigkeit bei der Entziehung des Elternpflichtteils liegt darin, dass diese stets nur den schuldigen Elternteil betreffen kann. Die Abgrenzung, wer für eine Unterhaltspflichtverletzung gegenüber dem Erblasser verantwortlich ist, kann aber mitunter nicht ohne Weiteres vorgenommen werden.
Rz. 31
Will der Erblasser seinem Ehegatten/Lebenspartner den Pflichtteil wegen einer böswilligen Verletzung der diesen treffenden gesetzlichen Unterhaltspflicht ihm gegenüber entziehen, stellt sich die Situation noch komplizierter dar. Dies liegt daran, dass die gesetzlichen Regelungen zum Ehegattenunterhalt eine einigermaßen komplexe Struktur aufweisen. Vor diesem Hintergrund ergeben sich nicht zu unterschätzende Schwierigkeiten bereits im Bereich des Nachweises, dass überhaupt eine Unterhaltspflicht bestand und der Unterhaltspflichtige zur Erfüllung seiner Verpflichtungen im Stande war. Der weitere Nachweis einer böswilligen und erheblichen Pflichtverletzung gestaltet sich umso schwieriger.
Rz. 32
Im Übrigen ist festzuhalten, dass der Pflichtteilsentziehung wegen Unterhaltsverletzung nur sehr geringe praktische Bedeutung zukommt. Dies liegt in erster Linie daran, dass die Pflichtteilsentziehung nur bei Vorhandensein eines ergiebigen Nachlasses wirklich sinnvoll ist und auch tatsächlich zum Tragen komme...