Gesetzestext
(1)Der Erblasser kann einem Abkömmling den Pflichtteil entziehen, wenn der Abkömmling
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dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahe stehenden Person nach dem Leben trachtet, |
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sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine der in Nummer 1 bezeichneten Personen schuldig macht, |
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die ihm dem Erblasser gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht böswillig verletzt oder |
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wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist. 2Gleiches gilt, wenn die Unterbringung des Abkömmlings in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat rechtskräftig angeordnet wird. |
(2)Absatz 1 gilt entsprechend für die Entziehung des Eltern- oder Ehegattenpflichtteils.
A. Allgemeines
Rz. 1
Im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Pflichtteilsrechts, den Berechtigten eine bedarfsunabhängige Mindestteilhabe am Vermögen des Erblassers zu sichern, die der Dispositionsfreiheit des Erblassers entzogen sein soll, sind die Anforderungen, die das Gesetz und die Rspr. an die Gründe einer Pflichtteilsentziehung stellen, sehr hoch.
Rz. 2
Durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts wurden die Pflichtteilsentziehungsgründe für alle betroffenen Pflichtteilsberechtigten vereinheitlicht. Die zuvor bestehende Differenzierung zwischen den Gründen für die Entziehung des Pflichtteils eines Abkömmlings auf der einen Seite und für die Entziehung der Pflichtteile von Eltern bzw. Ehegatten/Lebenspartnern auf der anderen Seite ist hierdurch entfallen. Für Erbfälle nach dem 31.12.2009 regelt Abs. 1 nun explizit die Gründe, die die Entziehung des Pflichtteils eines Abkömmlings rechtfertigen. Abs. 2 erklärt die in Abs. 1 genannten Pflichtteilsentziehungsgründe auch in Fällen der Entziehung des Eltern- bzw. Ehegattenpflichtteils für entsprechend anwendbar.
Rz. 3
Der eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartner ist in § 2333 BGB zwar nicht genannt. Er ist aber durch § 10 Abs. 6 S. 2 LPartG einem Ehegatten gleichgestellt. Vor diesem Hintergrund rechtfertigen Verfehlungen gegenüber dem gleichgeschlechtlichen Lebenspartner des Erblassers die Pflichtteilsentziehung in der gleichen Weise wie die entsprechenden Verfehlungen gegenüber seinem Ehegatten. Dementsprechend ist auch in Abs. 2 der Ehegatte gleichzeitig als Synonym für den eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartner anzusehen.
Rz. 4
Das Recht zur Pflichtteilsentziehung ist ein Gestaltungsrecht höchstpersönlicher Natur. Es muss gem. § 2336 Abs. 1 BGB durch letztwillige Verfügung ausgeübt werden. Ein Verzicht auf dieses Gestaltungsrecht kommt nicht in Betracht, lediglich der Verlust durch Verzeihung (§ 2337 BGB).
B. Tatbestand
I. Grundsätzliches
Rz. 5
Der Katalog der Entziehungsgründe ist abschließend; die Tatbestände sind weder isoliert noch einer "Gesamtanalogie" zugänglich.
Unter Abkömmlingen sind die ehelichen und die nichtehelichen Kinder des Erblassers zu verstehen, ebenso adoptierte Kinder. Insoweit gilt dieselbe Definition wie i.R.d. § 2303 BGB.
Rz. 6
Traditionell setzt die Pflichtteilsentziehung in allen Fällen des § 2333 BGB ein Verschulden des Betroffenen voraus. Auch das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich das Bestehen eines Verschuldenserfordernisses festgehalten. Allerdings hat es zu Recht die früher durch die Zivilgerichte angewendete Auslegung des Verschuldensbegriffes nach strafrechtlichen Vorgaben für nicht mit dem GG vereinbar erklärt. Statt der strafrechtlichen Verantwortlichkeit muss ein vom Bundesverfassungsgericht so bezeichneter "natürlicher Vorsatz", mit dem der Pflichtteilsberechtigte den entsprechenden Tatbestand des Entziehungsgrundes verwirklicht hat, genügen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Pflichtteilsberechtigte im strafrechtlichen Sinne nicht voll schuldfähig ist, er aber dennoch zielgerichtet dem Erblasser oder einer anderen in den Schutzbereich des Abs. 1 einbezogenen Person für den Erblasser unerträgliche Misshandlungen zufügt. Der Gesetzgeber hat dem Petitum des Bundesverfassungsgerichts – unvollständig – dadurch Rechnung zu tragen versucht, dass der Pflichtteil nunmehr auch demjenigen...