Rz. 172

Um eine verfassungsgerichtlich geforderte zielgenaue Begünstigung[451] zu erreichen und sog. Mitnahmeeffekte möglichst auszuschließen, regelt § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG eine Obergrenze für Verwaltungsvermögen.

 

Rz. 173

Betriebe, bei denen der Wert solcher Gegenstände des Verwaltungsvermögens (gemeint ist hier der Brutto-Wert vor Abzug von Schulden),[452] die nicht mittels Treuhandverhältnissen der Sicherung von Altersversorgungsverpflichtungen dienen, mehr als 90 % des Werts des begünstigungsfähigen Vermögens[453] ausmacht, sind vom Anwendungsbereich der Verschonungsregelungen insgesamt ausgeschlossen.[454] Bei ihnen kommt auch keine Verschonungsbedarfsprüfung in Betracht, vielmehr ist "der Wert des begünstigungsfähigen Vermögens vollständig nicht begünstigt".

 

Rz. 174

Die Zielrichtung der Regelung ist nachvollziehbar und im Prinzip nicht zu beanstanden. Sie soll Gestaltungen wie der aus früheren Zeiten bekannten "Cash-Gesellschaft" den Boden entziehen.[455] Dessen ungeachtet passt diese Art der Obergrenze i.S.v. § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG nicht so recht in die (neue) Systematik des Verwaltungsvermögens. Denn hier wird – wie im früheren Recht (ErbStG 2009) – der Brutto-Wert des Verwaltungsvermögens mit dem Wert des begünstigungsfähigen Vermögens (also einem Netto-Wert) verglichen.[456] Denn ein Abzug der anteilig auf das Verwaltungsvermögen entfallenden Schulden (wie ihn § 13b Abs. 6 und 7 ErbStG eigentlich vorsieht) findet hier ebenso wenig statt wie die Berücksichtigung des Sockelbetrags nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 S. 1 ErbStG. Demzufolge fließen statt der Finanzmittel die Werte der aktiven Finanzmittel (Brutto-Wert ohne Berücksichtigung der Schulden) ein.[457]

 

Rz. 175

Des Weiteren besteht nach dem Gesetzeswortlaut für die Aussonderung von Altersvorsorgevermögen gegenüber den Vorgaben in § 13b Abs. 3 ErbStG eine zusätzliche Einschränkung. Denn dieses bleibt beim 90 %-Test nur dann außer Ansatz, soweit es – zusätzlich zu den Anforderungen des Abs. 3 – der Erfüllung von Schulden aus durch Treuhandverhältnisse abgesicherten Verpflichtungen dient.[458] Die Finanzverwaltung geht aber offenbar[459] davon aus, dass (CTAs – Contractual Trust Agreements) die Anforderungen nach § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG mit denen des § 13b Abs. 3 S. 1 ErbStG identisch sind.[460] Verwaltungsvermögen, das als Altersvorsorgevermögen zu qualifizieren ist, spielt also für den 90 %-Test keine Rolle.[461]

 

Rz. 176

§ 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG kann vor diesem Hintergrund sehr schnell dazu führen, dass auch originär (ausschließlich) gewerblich tätige Unternehmen mit vergleichsweise hohen Forderungsbeständen und/oder erheblichen Verbindlichkeiten an dieser Hürde scheitern (obwohl sie bei Licht betrachtet gewiss begünstigungswürdig wären).[462] Um diesen Effekt zu vermeiden, ist teilweise schon von einem Erfordernis der teleologischen Reduktion der Vorschrift[463] bzw. von einer norminternen Schuldenverrechnung bei der Bestimmung der Finanzmittel[464] die Rede. Mitunter wird auch die Streichung der Regelung gefordert.[465]

Allein aus dem Wortlaut lässt sich dieses Petitum aber nicht ableiten. Auch die insoweit ins Feld geführten systematischen Überlegungen sind nicht unbedingt zwingend. Allein der Umstand, dass die Regelung geschaffen wurde, um missbräuchliche Mitnahmeeffekte zu vermeiden, zwingt jedenfalls nicht zu einer – wie auch immer abzugrenzenden – einschränkenden Auslegung. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber hier erkennbar eine typisierende Abgrenzung begünstigungswürdiger von (angeblich) nicht begünstigungswürdigen Sachverhalten wollte. Dass dies über die bloße Missbrauchsverhinderung hinausgeht, ist eindeutig. Ob der Gesetzgeber diesen Effekt gesehen, in Kauf genommen oder tatsächlich nicht gewollt hat, steht aber nicht so eindeutig fest. Dessen ungeachtet hat das FG Münster aber zu Recht verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet.[466]

 

Rz. 177

Der Rechenweg zur Durchführung des 90 %-Tests stellt sich wie folgt dar:[467]

90 %-Test (Prüfung nach § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG):

 
  festgestellter Wert des Verwaltungsvermögens (einschließlich junges Verwaltungsvermögen), § 13b Abs. 4 Nr. 1–4 ErbStG
+ festgestellter Wert der Finanzmittel (einschließlich junge Finanzmittel), § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG
= Verwaltungsvermögen für den 90 %-Test
  Verwaltungsvermögen für den 90 %-Test  
  festgestellter Wert des (Anteils) Betriebsvermögens  
= Verwaltungsvermögensquote; wenn Verwaltungsvermögensquote ≥ 90 %, dann insgesamt kein begünstigtes Vermögen
[452] Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13b Rn 237; Stalleiken, in: v. Oertzen/Loose, ErbStG, § 13b Rn 87; Geck, in: Kapp/Ebeling, ErbStG, § 13b Rn 74; vgl. auch R E 13b.10 S. 4 ErbStR 2019.
[453] Das ist nicht unbedingt der Unternehmenswert, vgl. Weinmann, Erstkommentierung, § 13b Rn 22. Das gilt z.B. dann, wenn der Wert des Unternehmens auch nicht begünstigungsfähiges Vermögen, z.B. in Drittstaaten, umfasst.
[454] Landsittel, ZErb 2016,...

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