Rz. 10
Eine vom Nennbetrag abweichende Bewertung ist für solche Fälle vorgesehen, in denen besondere Umstände vorliegen, die der Forderung bzw. Verbindlichkeit immanent sind. Hierbei handelt es sich neben den in § 12 Abs. 2 (Uneinbringlichkeit) und Abs. 3 (Unverzinslichkeit) BewG explizit geregelten Fällen insb. um das Vorliegen einer niedrigen oder hohen Verzinsung und einen Ausschluss der Kündbarkeit für einen längeren Zeitraum.
Rz. 11
Von einer niedrigen Verzinsung ist auszugehen, wenn der jährliche Zinssatz unter 3 v.H. liegt; eine hohe Verzinsung wird angenommen, wenn der Zinssatz 9 v.H. p.a. übersteigt. Die Niedrig- bzw. Hochverzinslichkeit muss langfristig ausgerichtet sein. Bei (Rest-)Laufzeiten von weniger als vier Jahren sind Unter- bzw. Überschreitungen des genannten Zinskorridors daher unbeachtlich. Eine Laufzeit von mehr als vier Jahren kann nur dann angenommen werden, wenn diese vor dem Stichtag für die konkrete Forderung vereinbart wurde. Allerdings kommt es bei jederzeit kündbaren Darlehen nicht auf gesetzlich oder vertraglich geregelte Kündigungsfristen an, sondern allein auf die bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise im Einzelfall zu erwartende Laufzeit. Maßgeblich ist im Übrigen stets (und ausschließlich) die Rechtslage zum Bewertungsstichtag; das gilt auch für die Frage, ob eine hohe, niedrige oder gar eine Unverzinslichkeit gegeben ist.
Gerade in Niedrigzinsphasen, in denen das allgemeine Zinsniveau am Geldmarkt eine Verzinsung von 3 % p.a. nicht oder nur eingeschränkt zulässt, stellt sich die Frage, ob durch den Nachweis eines niedrigeren Marktzinses ein Ansatz von Verbindlichkeiten unter dem Nennbetrag vermieden werden kann. Die gleich lautenden Ländererlasse vom 10.10.2010 sehen allerdings keine entsprechenden Beurteilungs- bzw. Anpassungsspielräume vor. Und auch in jüngerer Zeit steht die Finanzverwaltung dem Nachweis eines niedrigeren Marktzinses eher kritisch gegenüber. Insbesondere fordert sie eine konkrete Vergleichbarkeit der Darlehensbedingungen (Besicherung, Laufzeit, Kündigungsmöglichkeiten). Dies entspricht auch der grundsätzlichen Haltung der Rechtsprechung. Der BFH ist hinsichtlich des Nachweises eines niedrigeren zugrunde zu legenden Zinses durch den Steuerpflichtigen äußerst restriktiv und stellt insoweit hohe Anforderungen. Im Bereich des Einkommensteuerrechts wird dies aber teilweise anders gesehen.
Rz. 12
Der sich aus einer niedrigen bzw. hohen Verzinsung ergebende Wertab- bzw. -aufschlag wird durch Kapitalisierung des jeweiligen Zinsverlustes bzw. Zinsgewinns für den Zeitraum vom Stichtag bis zur möglichen Kündigung bzw. Fälligkeit der zu beurteilenden Forderung ermittelt. Der Zinsgewinn bzw. -verlust ist zusätzlich zum eigentlichen Nennbetrag der Kapitalforderung zu berücksichtigen. Eine entsprechende Abzinsung ist auch bei betagten Forderungen vorzunehmen.
Rz. 13
Soweit einer niedrigen oder hohen Verzinsung gegenläufige wirtschaftliche Vor- bzw. Nachteile gegenüberstehen und sich diese Effekte – wirtschaftlich betrachtet – gegenseitig kompensieren, ist diese Kompensation auch im Rahmen der Bewertung der Kapitalforderung bzw. -schuld nach § 12 Abs. 1 BewG zu berücksichtigen. Eine vom Nennwert abweichende Bewertung kann dann ausgeschlossen sein. Voraussetzung hierfür ist aber, dass sich die Kompensation unmittelbar aus dem Vertragsverhältnis ergibt und nicht lediglich einen wirtschaftlichen Reflex darstellt; sie darf auch nicht aufschiebend bedingt sein. Typische Beispiele für derartige Fälle sind Bausparverträge, bei denen eine niedrige Guthabenverzinsung durch einen zukünftigen Anspruch auf ein zinsgünstiges Bauspardarlehen kompensiert wird. Gleiches gilt für Verbindlichkeiten aus niedrig verzinslichen öffentlichen Wohnungsbaudarlehen, die – unabhängig von der niedrigen Verzinsung – mit ihrem Nennwert als Schulden berücksichtigt werden können.
Ist bei der Auszahlung von Dividenden Kapitalertragsteuer einzubehalten oder sind zur Auszahlung zu bringende Tantiemeforderungen mit Lohn- bzw. Kirchensteuerabzügen belastet, stellt dies keinen besonderen Umstand i.S.v. § 12 Abs. 1 S. 1 BewG dar, der eine Bewertung der jeweiligen Kapitalforderungen unter dem Nennwert rechtfertigen würde. Dasselbe gilt auch für die Einbehaltung von Solidaritätszuschlägen. Diese Grundsätze gelten nach der Rechtsprechung in gleicher Weise auch für auf bis zum Todestag entstandene Stückzinsen, deren Ansatz demzufolge mit dem jeweiligen Nennwert erfolgt, ohne eine Minderung um einzubehaltende Kapitalertragsteuern.