Rz. 1
Das deutsche Steuerrecht ist grds. vom Gedanken der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit geprägt. Hieraus folgt bei Doppelbesteuerungskonflikten – nicht nur mit EU-Staaten, sondern ganz allgemein – eine Verpflichtung des deutschen Gesetzgebers zur teilweisen Rücknahme des Besteuerungsrechts hinsichtlich des übergehenden Weltvermögens. Denn die Besteuerung darf nicht dazu führen, dass der grundlegende Gehalt der Erbrechtsgarantie einschließlich der Testierfreiheit und des Verwandtenerbrechts ausgehöhlt wird. Darüber hinaus darf die Steuerpflicht den Erwerber nicht übermäßig belasten und die ihm zugewachsenen Vermögenswerte nicht grundlegend beeinträchtigen.
Rz. 2
Vor diesem Hintergrund ist die Inanspruchnahme eines Erwerbers in Form ausländischer Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer als eine Minderung seiner Leistungsfähigkeit anzusehen, die bei der deutschen Besteuerung desselben Vermögensanfalls zu berücksichtigen ist. Diesem Erfordernis trägt – außerhalb bilateraler Maßnahmen – § 21 ErbStG Rechnung.
Rz. 3
Soweit der Anwendungsbereich von § 21 ErbStG reicht, wird die Doppelbesteuerung durch Anrechnung der ausländischen Steuer auf die deutsche Erbschaftsteuer vermieden. Als uneingeschränkt einseitige Maßnahme enthält § 21 ErbStG keinen Gegenseitigkeitsvorbehalt; die Regelung ist also unabhängig davon anzuwenden, ob der jeweils betroffene ausländische Staat in seinem Erbschaft- bzw. Schenkungsteuerrecht eine entsprechende Regelung vorsieht. Auch wenn § 21 ErbStG lediglich von Erbschaftsteuer spricht, ist die Regelung nach den Grundsätzen des § 1 Abs. 2 ErbStG auch auf die Schenkungsteuer anzuwenden.
Rz. 4
Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, die ausländische Erbschaftsteuer nur auf die deutsche anzurechnen und nicht etwa das im Ausland der Besteuerung unterliegende Vermögen von der deutschen Erbschaftsteuer freizustellen (Freistellungsmethode), führt dazu, dass der gesamte in Deutschland steuerpflichtige Erwerb auf jeden Fall entsprechend dem deutschen Steuerniveau belastet wird. Ein etwa niedrigeres ausländisches Steuerniveau wird im Ergebnis auf das deutsche angehoben. Hingegen wird eine höhere ausländische Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer durch § 21 ErbStG nicht gemildert; eine Erstattung im Ausland gezahlter Steuern durch den deutschen Fiskus ist ebenso wenig vorgesehen wie eine über das deutsche Steuerniveau hinausgehende Anrechnung. Im Ergebnis kommt daher stets das höhere Steuerniveau – sei es das inländische oder das ausländische – zum Tragen.
Rz. 5
Im Übrigen führt die Anwendung von § 21 ErbStG nicht in allen Fällen zu einer vollständigen Beseitigung einer doppelten Belastung mit in- und ausländischer Erbschaftsteuer. Probleme ergeben sich insb. dann, wenn in mehreren Staaten unbeschränkte Steuerpflicht besteht oder der ausländischen Besteuerung auch solche Vermögensgegenstände unterliegen, die – nach deutscher Definition – nicht zum Auslandsvermögen gehören. Darüber hinaus kann in Fällen mit mehrfacher Auslandsberührung die sog. "Per-Country-Limitation" eine vollständige Anrechnung ausländischer Steuern verhindern. Mithin greift § 21 ErbStG in vielen Fällen deutlich kürzer als die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und anderen Staaten abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen oder das OECD-Musterabkommen. Insb. im Verhältnis zu den Staaten der Europäischen Union erscheint daher der Abschluss weiterer Abkommen – gerade unter dem Gesichtspunkt der Kapitalverkehrsfreiheit – unbedingt erforderlich.
Da offenbar auch in den übrigen EU-Staaten die Ausgangssituation für die Steuerpflichtigen nicht wesentlich günstiger ist, hat die EU-Kommission im Dezember 2011 die Initiative ergriffen und "Maßnahmen zur Beseitigung von Problemen bei der grenzübergreifenden Besteuerung von Erbschaften" vorgeschlagen.