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Die Regelung in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG betrifft nur solche Fälle, bei denen der Eintritt oder der Zeitpunkt des Eintritts des zur Fälligkeit führenden Ereignisses ungewiss oder unbestimmt ist (Steuerentstehung bei Eintritt der Fälligkeit).[62] Die Erbschaftsteuer für betagte Ansprüche (§ 813 Abs. 2 BGB; § 8 BewG), die zu einem bestimmten (feststehenden) Zeitpunkt fällig werden (Befristung auf einen bestimmten Zeitpunkt), entsteht entsprechend dem Regelfall des § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG im Zeitpunkt des Todes des Erblassers.[63] Ein Vermächtnisanspruch, der mit Vollendung des 21. Lebensjahres des Vermächtnisnehmers fällig wird (betagtes Barvermächtnis), führt bereits mit dem Erwerb, also zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers, zu einer wirtschaftlichen Bereicherung des Vermächtnisnehmers. Ein klassisches Beispiel für eine betagte Forderung mit feststehender Fälligkeit ist die gestundete Kaufpreisforderung. Solche Ansprüche sind ggf. mit ihrem nach § 12 Abs. 3 BewG abgezinsten Wert anzusetzen.[64] Würde aber die Betagung die Entstehung der Kaufpreisschuld selbst betreffen, d.h. wäre ungewiss, ob die Kaufpreisforderung zum Fälligkeitszeitpunkt tatsächlich besteht, käme der besondere Steuerentstehungszeitpunkt des § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG zur Anwendung; ebenso bei einer Darlehensrestforderung, deren Restbetrag erst nach Beendigung des auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Mietverhältnisses zu zahlen ist.[65] Vermächtnisse, bei denen der Anspruch des Vermächtnisnehmers sofort entsteht, die Fälligkeit des Anspruchs aber hinausgeschoben ist, sind auf den Todeszeitpunkt mit ihrem ggf. abgezinsten Wert zu versteuern. Die Vermächtnislast ist zugleich mit diesem Wert beim Beschwerten als Nachlassverbindlichkeit i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG abzugsfähig. Erwirbt z.B. ein Bezugsberechtigter als Begünstigter die Versicherungssumme aus einem Lebensversicherungsvertrag, liegt hier m.E. grds. keine betagte Forderung i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG auf die Versicherungssumme vor.[66] § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG gilt nach der Rechtsprechung[67] einschränkend – und abweichend zum Zivilrecht – nur für solche betagten Ansprüche, bei denen der Zeitpunkt des Eintritts des zur Fälligkeit führenden Ereignisses unbestimmt ist. Die wirtschaftliche Bereicherung tritt dann – wie bei einer aufschiebend bedingten oder befristeten Forderung – erst mit Eintritt des Ereignisses ein, welches zur Fälligkeit des Anspruchs führt. In diesen Fällen tritt eine wirtschaftliche Bereicherung um das von Todes wegen Erworbene noch nicht im Zeitpunkt des Todes des Erblassers ein. Im Streitfall[68] war aber wegen der ungeklärten Umstände des Todes des Versicherungsnehmers (versicherte Person) eine besondere Prüfung der Leistungspflicht erforderlich; u.a. mussten zunächst die Ermittlungsakten bei der zuständigen Staatsanwaltschaft angefordert werden. Der BFH sah den Zahlungsanspruch aus dem Lebensversicherungsvertrag in diesem Fall im Hinblick auf § 11 Abs. 1 VVG als betagt an, weil die Fälligkeit der Versicherungsleistung erst mit Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfangs der Leistungen des Versicherers nötigen Erhebungen eintrat. Im Urteilsfall kam der Erwerberin die zur Jahreswende 1995/96 in Kraft getretene (für die günstigere) Neufassung des ErbStG zugute.

[62] H E 9.2 ErbStH 2019; BFH v. 14.5.2014 – II B 82/13, UVR 2014, 300. Für die Ermittlung des Werts des steuerpflichtigen Erwerbs ist der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer maßgebend (§ 11 ErbStG). Bei der Bewertung von Forderungen etwa eines Vermächtnisanspruchs kommt eine Abzinsung nach § 12 Abs. 3 BewG in Betracht; anders bei Sacherwerben.
[63] H E 9.2 ErbStH 2019; BFH v. 7.10.2009 – II R 27/07, BFH/NV 2010, 891. Nach FG Köln v. 30.1.2019 – 7 K 1364/17, EFG 2019, 1122 entsteht die Erbschaftsteuer in Bezug auf eine Termfix-Versicherung in vollem Umfang am Todestag des Erblassers und nicht erst an dem festen Auszahlungszeitpunkt in der Zukunft; ebenso FG Nürnberg v. 12.9.2018 – 4 K 498/17, ZEV 2019, 111.
[64] Vgl. H E 9.2 ErbStH 2019; FinMin BW v. 26.8.1998 – 3-S 3802/17, DB 1998, 1841.
[65] FG Köln v. 10.6.2015 – 9 K 2384/09, EFG 2015, 1618; nachgehend BFH v. 14.11.2018 – II R 34/15, BStBl II 2019, 674 zur Zahl der Beschäftigten und Lohnsummenregelung bei Holdinggesellschaften; Einkommensteuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten.

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