Rz. 190
Der Begriff der Veräußerung kann sowohl zivilrechtlich als auch steuerrechtlich definiert werden. Regelmäßig meint Veräußerung die entgeltliche oder teilentgeltliche Übertragung des Eigentums an einem Gegenstand von einer Person auf eine andere. Die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums kann – steuerrechtlich – genügen. Konstitutiv ist aber jedenfalls die Übertragung der Vermögenssubstanz, so dass die Einräumung von Nutzungsrechten grds. keine Veräußerung darstellt.
Rz. 191
Im Hinblick darauf, dass die Verschonungsnormen (§§ 13a, 13b ErbStG) zum Abschnitt "Wertermittlung" gehören, könnte allgemein davon auszugehen sein, dass eine wirtschaftliche Betrachtungsweise, insb. die steuerlichen Grundsätze zur Beurteilung des wirtschaftlichen Eigentums stärker als bei den Erwerbstatbeständen (§§ 3, 7 ErbStG) zu berücksichtigen sind. Für den Erwerber begünstigten Vermögens könnte sich dies in der Weise positiv auswirken, dass eine zivilrechtliche Weiterübertragung des Vermögens dann nachsteuerunschädlich bleiben könnte, wenn das wirtschaftliche Eigentum nach wie vor ihm zuzurechnen wäre. Die Finanzverwaltung nimmt in ihren Erläuterungen zum Begriff der Veräußerung jedoch – ebenso wie auch das Gesetz selbst – keinen Bezug auf § 16 EStG, so dass das Verbleiben des wirtschaftlichen, nicht jedoch des zivilrechtlichen Eigentums beim erbschaftsteuerrechtlich begünstigten Erwerber als nicht ausreichend und somit die (allein) zivilrechtliche Veräußerung nachsteuerrelevant sein dürfte. Auch die Rechtsprechung geht von der Maßgeblichkeit des zivilrechtlichen Veräußerungsbegriffs aus und hat insoweit in der Vergangenheit auf das dingliche Rechtsgeschäft abgestellt. Demgegenüber hält die Finanzverwaltung (jüngst) den Abschluss des obligatorischen Rechtsgeschäfts für ausreichend.
Rz. 192
Nachsteuerunschädlich sollte die Begründung von Treuhandverhältnissen sein, bei denen der begünstigte Erwerber die Rolle des Treugebers einnimmt (zur Begünstigungsfähigkeit der Übertragung treuhänderisch gehaltener Personengesellschaftsanteile (Mitunternehmeranteile) vgl. § 13b ErbStG Rdn 44 f.). Fungiert der Erwerber aber selbst als Treuhänder, verliert er hierdurch regelmäßig seine Stellung als ertragsteuerrechtlicher Betriebsinhaber oder Mitunternehmer. In seiner Person tritt somit also eine Betriebsaufgabe oder Aufgabe des Mitunternehmeranteils ein. Dies steht einer Veräußerung grds. gleich.
Rz. 193
Demgegenüber sind – ertragsteuerrechtliche – Veräußerungsfiktionen, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mit einem Rechtsträgerwechsel verbunden sind, nicht als Veräußerungen i.S.v. § 13a Abs. 6 ErbStG anzusehen. Dies gilt insb. für Fälle der Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG).
Rz. 194
Veräußerungen gleichgestellt ist die Aufgabe des Betriebs (oder Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils). Der Grund für die Aufgabe spielt keine Rolle. Somit ist es auch irrelevant, ob und inwieweit der Erwerber aus freien Stücken oder gezwungenermaßen gegen die sich aus § 13a Abs. 6 ErbStG ergebenden Verpflichtungen verstoßen hat. Nachsteuerschädlich sind daher z.B. auch Veräußerungen bzw. Aufgaben wegen der Erteilung eines Berufsverbots oder wegen des Eintritts einer Insolvenz. Dass gerade in Insolvenz-Situationen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmers, also auch des zur Zahlung der Nachsteuer verpflichteten Erwerbers im äußersten Maße eingeschränkt ist, rechtfertigt nach der Auffassung des Gesetzgebers – trotz entsprechender Kritik – offenbar keine andere Beurteilung. Die Finanzverwaltung geht insoweit davon aus, dass bereits die Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Verstoß gegen die Behaltensregelungen bildet. Dies ist umso misslicher, als zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht feststeht, ob der Betrieb tatsächlich eingestellt wird. Beispielsweise bei Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens (und dessen erfolgreichem Abschluss) besteht durchaus die Möglichkeit der Fortführung des Unternehmens.
Rz. 195
Darüber hinaus erscheint die Gleichsetzung einer Insolvenz mit einer Betriebsaufgabe (die im Gesetz keinerlei Anhaltspunkte hat) gerade auch in Fällen einer unverschuldeten Insolvenz völlig unangemessen. Es wäre vor diesem Hintergrund ausreichend gewesen, eine Begünstigungsschädlichkeit nur für Missbrauchsfälle zu statuieren. Die Beweislast hätte insoweit ohne weiteres dem Steuerpflichtigen auferlegt werden können. Dass die Finanzverwaltung auf entsprechende Hinweise bzw. Vorschläge nicht reagiert hat, ist umso bedauerlicher, als auch der BFH Billigkeitsmaßnahmen in Insolvenzfällen eher restriktiv gegenübersteht bzw. gegenüberstand.
Allerdings unterscheidet der BFH (jüngst) zwischen Insolvenzen bei Kapital- und bei Personengesellschaften. Zwar führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens grds. zur Auflösung der Gesellschaft (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 Hs. 1 GmbHG; § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG; § 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB bei der OHG; § 161 Abs. 2 i.V.m. § 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB ...