Rz. 81
Der Wortlaut von § 11 Abs. 4 BewG wurde durch das AIFM-StAnpG m.W.v. 24.12.2013 textlich neu gefasst. Der wesentliche Gehalt der Vorschrift hat sich hierdurch aber nicht gewandelt. Sie enthält nach wie vor eine (prinzipiell) zwingende Sonderregelung für die Bewertung von Anteilen an Investmentvermögen (früher: "Anteilscheinen" oder allgemein: Investmentzertifikaten).
Hierbei handelt es sich um Wertpapiere (z.B. auch Aktien), die Rechte der Einleger (Anteilsinhaber) gegen einen Wertpapierfonds oder einen sonstigen Fonds (also ein Investmentvermögen) verbriefen. Welchen Zweck der Fonds (das Investmentvermögen) im Einzelnen verfolgt, ist gleichgültig. Somit fallen in den Anwendungsbereich von § 11 Abs. 4 BewG sowohl Aktienfonds als auch Hedgefonds, Pensionsfonds, Medienfonds etc. Der Sitz des Fonds, im Inland oder im Ausland, ist ebenfalls irrelevant.
Rz. 82
Der erbschaft- bzw. schenkungsteuerlich maßgebliche Wert solcher Investmentzertifikate richtet sich – soweit keine Kursnotierung (Abs. 1) vorliegt – nach dem jeweiligen Rücknahmepreis am Stichtag. Eine Ausnahme gilt dann, wenn dieser von der Fondsgesellschaft nicht bekanntgegeben wird oder die Rücknahme ausgesetzt ist.
Rz. 83
Rücknahmepreis ist grds. der Betrag, den die Kapitalanlagegesellschaft bei Rückgabe des Anteils zahlt und mit dem sich der Anteilsinhaber beim Erwerb der Investmentzertifikate aufgrund der Vertragsbedingungen einverstanden erklärt hat. Er ergibt sich aus dem sog. Inventarwert des Anteils, also dem anteiligen Gesamtwert der im Vermögen eines Investmentfonds befindlichen Wertpapiere und Barmittel (einschließlich eventueller Kassenbestände und sonstiger Vermögensgegenstände) abzüglich Verkaufsspesen und Rücknahmekosten.
Obwohl es sich bei den Investmentzertifikaten bzw. Anteilscheinen nicht um börsennotierte Wertpapiere handelt, sind die jeweiligen Investmentfonds (Kapitalanlagegesellschaften) verpflichtet, börsentäglich den jeweiligen Rücknahmewert der Anteile zu ermitteln (§ 21 KAGG, § 36 InvG). Vor diesem Hintergrund bildet der in § 11 Abs. 4 BewG geregelte Wertansatz eine sichere Basis für die Verkehrswertermittlung.
Rz. 84
Gibt die jeweilige Fondsgesellschaft pflichtwidrig die Rücknahmepreise nicht bekannt oder handelt es sich um ausländische Investmentzertifikate, die im Inland nicht vertrieben werden, muss diese aus dem Ausgabepreis abgeleitet werden. Dies kann bei Anteilen, die mit einem Ausgabeaufschlag begeben wurden, dadurch erfolgen, dass ein Abschlag auf den Ausgabepreis vorgenommen wird, der dem üblichen Unterschied zwischen Ausgabe- und Rücknahmepreis vergleichbarer Anteile entspricht. Im Zweifel muss versucht werden, in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband des privaten Bankgewerbes einen zutreffenden Rücknahmepreis zu ermitteln. Alternativ schlägt Mannek vor, den Wert durch einen pauschalen Abschlag vom Ausgabepreis zu ermitteln, wobei der pauschale Abschlag sich an der Differenz zwischen Ausgabepreis und Rücknahmepreis vergleichbarer Zertifikate orientieren soll.
Rz. 85
Eine zusätzliche Erfassung aufgelaufener und noch nicht ausgeschütteter Erträge – vergleichbar zu börsennotierten festverzinslichen Wertpapieren – ist bei Anteilscheinen nicht erforderlich, da sich die aufgelaufenen Zinsen im Rücknahmepreis niederschlagen und dieser dementsprechend (kurz vor einer Ausschüttung) höher oder (unmittelbar nach einer Ausschüttung) niedriger angesetzt wird.
Wie in Fällen vorzugehen ist, in denen der Fonds geschlossen wurde und daher keine Rücknahme mehr erfolgen kann, ist umstritten. Das Hessische FG vertritt hierzu (überzeugend) die Ansicht, es sei – in Abweichung von § 11 Abs. 4 BewG – auf den Kurswert nach § 11 Abs. 1 BewG abzustellen. Demgegenüber lehnt das FG Münster eine Ausnahme von § 11 Abs. 4 BewG auch für derartige Konstellationen ab. Dabei übersieht es aber, dass die Grundvoraussetzung einer Bewertung mit dem Rücknahmepreis, nämlich dass eine Rücknahme überhaupt möglich sein muss, hier nicht gegeben ist.
Im Übrigen wird hierzu mit überzeugenden Gründen argumentiert, dass § 11 Abs. 4 BewG ohnehin nur eine Auffangvorschrift darstelle, die prinzipiell nur zur Anwendung gelangen dürfe, wenn eine Kursnotierung (i.S.v. Abs. 1) nicht verfügbar sei. Auch die Finanzverwaltung hat sich in R B 11.1 Abs. 5 S. 2 ErbStR 2019 für einen Vorrang des Kurswerts vor dem Rücknahmepreis ausgesprochen.