Gerhard Sievert, Ulrich Gohlisch
Rz. 2
Voraussetzung für die Anwendung eines Vergleichswertverfahrens ist eine ausreichende Anzahl geeigneter Vergleichspreise. Für eine Bewertung nach § 183 Abs. 1 BewG reicht es nicht aus, dass das Finanzamt den Immobilien-Preis Kalkulator der Gutachterausschüsse anwendet, es muss vielmehr auch tatsächlich vom Gutachterausschuss Vergleichspreise anfordern. Näheres zur Ermittlung der Vergleichspreise siehe R B 183 Abs. 3 ErbStR 2019. Das Finanzamt hat bei seiner Wertermittlung gemäß § 183 Abs. 1 S. 2 BewG vorrangig die von den Gutachterausschüssen für Grundstückswerte ermittelten Vergleichspreise heranzuziehen. Die gerichtliche Überprüfung von Mitteilungen der Gutachterausschüsse ist auf offensichtliche Unrichtigkeiten beschränkt.
Die Ableitung des gemeinen Werts aus Unterlagen, die das Finanzamt aus Kauffällen zusammengestellt hat, kann demzufolge keine Priorität haben und nur nachrangig erfolgen. Aus dem gesetzlich geregelten Vorrang zu Gunsten der Vergleichspreise des Gutachterausschusses kann man allerdings erkennen, dass zumindest bei weiter Auslegung der Norm auch andere Ableitungen zulässig sind. Mit der Nachrangigkeit anderer Kaufpreissammlungen wird eine größere Objektivität der anzusetzenden Vergleichspreise angestrebt.
Häufig geben die Gutachterausschüsse Vergleichspreisspannen an. Liegen mehrere Vergleichspreise vor, soll der Durchschnittswert angesetzt werden. Sofern allerdings der Gutachterausschuss nur Durchschnittskaufpreise (Kaufpreismittel) aus einer Vielzahl von Kauffällen einer Grundstücksart ohne Berücksichtigung unterschiedlicher wertbeeinflussender Merkmale abgeleitet hat, sind diese als Vergleichspreise nicht geeignet. In diesem Fall ist m.E. das Sachwertverfahren anzuwenden. Das Gesetz lässt es zu, dass das Finanzamt auch andere geeignete Vergleichspreise, z.B. eigene Kaufpreissammlungen, Kaufpreissammlungen von Verbänden und Instituten, berücksichtigen kann. Grundsätzlich ist m.E. das Finanzamt dafür beweispflichtig, dass dem herangezogenen Vergleichspreis eine ausreichende Anzahl geeigneter Vergleichspreise zugrunde lag. Ein tatsächlich innerhalb eines Jahres vor dem Bewertungsstichtag unter fremden Dritten erzielter Kaufpreis kann als Vergleichspreis herangezogen werden (H B 183 Abs. 2 ErbStH 2019). Voraussetzung ist nach Verwaltungsauffassung, dass in der Zwischenzeit keine Änderung der Wertverhältnisse eingetreten ist. Außerdem dürfen dem Verkauf keine ungewöhnlichen oder persönlichen Verhältnisse zugrunde gelegen haben.
Rz. 3
In der Praxis ist darauf zu achten, dass die Zustandsmerkmale der Vergleichsgrundstücke weitestgehend übereinstimmen, z.B. Lage, Art und Maß der baulichen Nutzung, Größe, Erschließungszustand und Alter des Gebäudes. Stimmen die Zustandsmerkmale des geerbten/geschenkten Grundstücks nicht mit denen der Vergleichsgrundstücke überein, muss sichergestellt sein, dass die Abweichungen von den Vergleichspreisen in sachgerechter Weise auf das geerbte/geschenkte Grundstück übertragen werden können. Weichen die wertbeeinflussenden Merkmale der Vergleichsgrundstücke bzw. der Grundstücke, für die die Vergleichsfaktoren bebauter Grundstücke abgeleitet worden sind, vom Zustand des bewertenden Grundstücks ab, sind diese gem. R B 183 Abs. 4 S. 1 ErbStR 2019 durch Zu- und Abschläge zu berücksichtigen. In Betracht kommen auch Zu- und Abschläge nach Vorgaben des örtlichen Gutachterausschusses. Stehen vom örtlichen Gutachterausschuss zur Berücksichtigung dieser Abweichungen keine Anpassungsfaktoren (z.B. Indexreihen oder Umrechnungskoeffizienten) zur Verfügung, kann nach Verwaltungsauffassung eine hinreichende Übereinstimmung noch unterstellt werden, wenn die wertbeeinflussenden Merkmale des zu bewertenden Grundstücks, wie z.B. die Wohn-/Nutzfläche des Gebäudes, die Grundstücksgröße oder das Alter des Gebäudes, um höchstens jeweils 20 % vom Vergleichsgrundstück abweichen (H B 183 Abs. 4 ErbStH 2019). Besonderheiten, insb. die den Wert beeinflussenden Rechte und Belastungen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Art, werden in dem typisierenden Vergleichswertverfahren nach § 183 Abs. 1 und 2 BewG nicht berücksichtigt (§ 183 Abs. 3 BewG). Letztere Typisierungen sind im Rahmen zu sehen, dass der Steuerpflichtige gem. § 198 BewG ggf. den niedrigeren individuellen Verkehrswert nachweisen kann. Allerdings stellt sich im Einzelfall stets grds. die Frage der Zulässigkeit der Typisierung, da mit dem Nachweis des niedrigeren Verkehrswerts auch Kosten zu Lasten des Steuerpflichtigen verbunden sind.
Rz. 4
Soweit die Gutachterausschüsse Vergleichspreise ermitteln, werden häufig Preisspannen angegeben. Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll in diesen Fällen der Durchschnittswert angesetzt werden. Meines Erachtens ist dies zweifelhaft, denn nicht automatisch ist der niedrigste Wert auch der Wert eines qualitativ schlechteren Grundstücks. Vielmehr kann es sein, dass der niedrigste Wert auch der Kaufpreis für ein qualitativ hochwertigeres Grundstück war, wenn z.B. der Käufer ...