Rz. 1
Das gesetzlich vorgesehene vereinfachte Ertragswertverfahren (§§ 199 ff. BewG) soll eine Möglichkeit eröffnen, ohne hohen Ermittlungsaufwand und Kosten für einen Gutachter einen objektivierten Unternehmens- bzw. Anteilswert auf der Grundlage der Ertragsaussichten, also entsprechend den Vorgaben des § 11 Abs. 2 S. 2 BewG, zu ermitteln. Es stellt eine Konkretisierung von § 11 Abs. 2 S. 2 BewG dar. Das vereinfachte Ertragswertverfahren kann stets anstelle einer an den Ertragsaussichten orientierten Methode angewendet werden, soweit es nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt. Soweit für die Bewertung des jeweiligen Unternehmens im gewöhnlichen Geschäftsverkehrs für nichtsteuerliche Zwecke (ausschließlich) andere anerkannte Bewertungsmethoden üblich sind (§ 11 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 BewG) scheidet eine Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens aus. Etwas anderes gilt aber, wenn solche Bewertungsmethoden in der jeweiligen Branche neben ertragswertorientieren Verfahren (also nicht ausschließlich) anzuwenden sind.
Im Übrigen besteht, wie bereits angesprochen, für den Steuerpflichtigen kein Zwang, das vereinfachte Ertragswertverfahren anzuwenden. Es handelt sich vielmehr um ein Wahlrecht zu seinen Gunsten. Dessen ungeachtet wird das vereinfachte Ertragswertverfahren mitunter auch als Referenzmodell der Finanzverwaltung bezeichnet.
Rz. 2
Allerdings steht die Anwendbarkeit des vereinfachten Ertragswertverfahrens von Gesetzes wegen (§ 199 Abs. 1 letzter Hs. BewG) unter dem Vorbehalt, dass sie "nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt". In solchen Fällen muss der Wert entsprechend den Vorgaben des § 11 Abs. 2 BewG (ohne Vereinfachung) geschätzt werden. Entgegen der früheren Verwaltungsauffassung geht die Finanzverwaltung nunmehr davon aus, dass die Feststellungslast für diese gesetzliche Tatbestandsvoraussetzung (jedenfalls eingeschränkt) den Steuerpflichtigen trifft. Diese ist aber in der Weise abgemildert, dass das Finanzamt zunächst etwa vorhandene Zweifel an der Qualität des Bewertungsergebnisses substantiiert darzulegen und dem Steuerpflichtigen Gelegenheit zu geben hat, diese Bedenken des Finanzamts auszuräumen. Der Steuerpflichtige soll dann seinerseits substantiiert darlegen, warum das vereinfachte Ertragswertverfahren nicht zu einem offensichtlichen unzutreffenden Ergebnis führt. Die Finanzverwaltung geht insoweit von einer Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen aus, der dieser nachzukommen hat. Tut er dies nicht, unterstellt sie, dass die Voraussetzungen für die Ausübung des Wahlrechts (hin zum vereinfachen Ertragswertverfahren) nicht vorliegen. Das bedeutet im Ergebnis, dass die Finanzverwaltung sowohl bei fehlendem als auch bei erfolglosem Bemühen des Steuerpflichtigen, die Angemessenheit des Bewertungsergebnisses im vereinfachten Ertragswertverfahren substantiiert darzulegen, das Bewertungsergebnis verwerfen wird. Ob dies mit dem ursprünglichen, vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der Einführung des vereinfachten Ertragswertverfahrens (noch) vereinbar ist, darf wohl bezweifelt werden.
Rz. 3
Wann ein Bewertungsergebnis als "offensichtlich unzutreffend" anzusehen ist, wird gesetzlich nicht definiert. Im Hinblick darauf, dass die Abweichung "offensichtlich" sein muss, spricht aber einiges dafür, dass es nicht allein um betragsmäßige Differenzen zum zutreffenden Bewertungsergebnis (wie auch immer dieses ermittelt werden kann) gehen sollte. Vielmehr ist eine Anknüpfung an objektive Umstände, die im Regelfall ein offensichtlich unzutreffendes Bewertungsergebnis indizieren können, geboten. Derartige Umstände (die dann entsprechend auch Zweifel an der Angemessenheit des Bewertungsergebnisses begründen) nimmt die Finanzverwaltung insbesondere dann an, wenn komplexe Strukturen von verbundenen Unternehmen vorliegen, sowie bei neugegründeten Unternehmen, deren künftiger Jahresertrag nicht aus in der Vergangenheit erzielten Erträgen abgeleitet werden kann (insbesondere bei Gründung innerhalb eines Jahres vor dem Bewertungsstichtag). Gleiches gilt bei einem Branchenwechsel des Unternehmens, aufgrund dessen der künftige Jahresertrag nicht aus Vergangenheitserträgen abgeleitet werden kann, sowie in sonstigen Fällen, in denen wegen besonderer Umstände der in der Vergangenheit erzielte Jahresertrag keine repräsentativen Rückschlüsse auf zukünftige Erträge zulässt. Dies gilt insbesondere für Wachstumsunternehmen, bei Vorliegen branchenbezogener oder allgemeiner Krisensituationen oder absehbaren Änderungen des künftigen wirtschaftlichen Umfeldes. Ähnlich kritisch sieht die Finanzverwaltung grenzüberschreitende Sachverhalte (z.B. nach § 1a EStG, § 4 Abs. 1 S. 3 EStG oder § 12 Abs. 1 KStG), wenn nicht der jeweils andere Staat die Ergebnisse des vereinfachten Ertragswertverfahrens auch seiner Besteuerung zugrunde legt. Sowohl bei neugegründeten Unternehmen als auch im Falle eines Branchenwechsels präferiert ...