Rz. 4
§ 16 ErbStG regelt die persönlichen Freibeträge in Abhängigkeit von der persönlichen Steuerpflicht nach § 2 ErbStG und dem Familienstand bzw. der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Steuerklasse am Besteuerungszeitpunkt. Die Freibeträge bewirken, dass Erwerbe in bestimmter Höhe nicht der Erbschaft- und Schenkungsbesteuerung unterworfen werden. Lt. BFH v. 27.7.2020 beruhen "Steuerklassen und Freibeträge auf dem typisierten Grundmodell, dass jede Generation jeweils zwei Kinder hat, was die Verdoppelung der Anzahl der Abkömmlinge in jeweils einer Generation zur Folge hat. Dies erklärt die Halbierung des Freibetrags von § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG (400 000 EUR für die Kinder) zu § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG (200 000 EUR wenigstens für die Enkelkinder), denn bei zwei Kindern sind nach diesem Modell typischerweise vier Enkelkinder vorhanden. Auf diesem Modell beruht etwa auch die Berechnung des Freibetrags in den Fällen des § 15 Abs. 2 Satz 3 ErbStG. Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig und systemgerecht, wenn sich die weitere Halbierung des Freibetrags nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG auf 100 000 EUR in § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG mit einem weiteren Schritt in der Generationenfolge deckt. Mit dem Übergang von der Generation der Enkel zur Generation der Urenkel verdoppelt sich wiederum die Anzahl der potentiell Begünstigten, denn bei vier Enkelkindern sind nach diesem Modell typischerweise acht Urenkel vorhanden".
Die (gesetzliche) Bemessung der Freibeträge ist unklar. Anzunehmen ist, dass die Höhe bei Ehegatten und Kindern nach dem Wert eines üblichen Familiengebrauchsvermögens geschätzt worden ist. Damit sollte insbesondere auch das übliche Eigenheim steuerfrei übergehen. Betrachtet man die Freibeträge als Kapitalwerte, ist der Ehegattenfreibetrag bei einer 60-jährigen Witwe geeignet, bei einer Kapitalanlage von 5,5 % Zins und Zinses, fiktiv eine monatliche Versorgung von ca. 3.000 EUR, bei einer 70-jährigen Witwe von ca. 3 728 EUR zu gewährleisten. Bei einem 10-jährigen Kind (Mädchen) gewährleistet der Kinderfreibetrag eine monatliche Versorgung von ca. 1.820 EUR, bei einem 20-jährigen Mädchen etwa 1.844 EUR, jeweils bis zum statistischen Lebensende. Dazu kommt ggf. noch der Versorgungsfreibetrag. Daraus lässt sich ermessen, dass die persönlichen Freibeträge für Ehegatten, Kinder und auch für Enkel per se 2009 sehr gut dimensioniert waren. Angesichts der andauernden Niedrigzinsphase reichen die Freibeträge für eine angemessene Versorgung nicht aus. Zu den persönlichen Freibeträgen kommen noch besondere Freistellungen bzgl. des Erwerbs der selbst genutzten Wohnung/des selbst genutzten Hauses zur Selbstnutzung (§ 13 Abs. 1 Nr. 4a–4c ErbStG), so dass die persönlichen Freibeträge möglicherweise überdimensioniert waren. Inzwischen (Anfang 2022) muss man aber feststellen, dass die Freibeträge wegen der Niedrigzinsen und der Wertentwicklung insb. im Immobilienbereich deutlich zurückgeblieben sind. Das bedeutet eine (indirekte) Erbschaftsteuererhöhung!
Fraglich ist, ob die hohen Freibeträge in Steuerklasse I nicht verfassungswidrig zu Lasten der Erwerber in der Steuerklasse II und III gehen. Hier wird – jedenfalls nicht individuell – annähernd das Gebrauchsvermögen verschont. Das Erbschaftsteuerrecht berücksichtigt z.B. nicht Lebenssachverhalte einer älter werdenden Gesellschaft, in denen sich ältere Menschen, oft Geschwister, Verschwägerte, aber auch Fremde, in Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaften zusammenschließen und ihr Vermögen einbringen und ggf. an die Überlebenden der Gemeinschaft vererben.
Rz. 5
Die Freibeträge sind auf den einzelnen Erwerb bezogen, gem. § 14 ErbStG ist der einzelne Erwerb jedoch derjenige, der innerhalb von 10 Jahren – auch in Teilakten – stattfindet. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Freibeträge jeweils nach Ablauf von 10 Jahren neu aufleben.
Rz. 6
Die persönlichen Freibeträge (§§ 16, 17, 18 ErbStG) regeln unmittelbar das Greifen der Steuersätze, z.B. greift der Eingangssteuersatz von 7 % bei Ehegatten erst bei einem steuerpflichtigen Erwerb von über 500.000 EUR, bei einem Enkel schon bei einem steuerpflichtigen Erwerb von über 200.000 EUR. Folglich beeinflussen sie auch das Überschreiten der Wertgrenzen. Der steuerpflichtige Erwerb wird durch die Freibeträge in unterschiedlichem Ausmaß verändert. Steuertechnisch bedeuten die Freibeträge mittelbar eine Absenkung der Steuerbelastung unter die nominellen Steuersätze.
Beispiel
Erwirbt ein Kind 500.000 EUR, ergibt sich nach Abzug des persönlichen Freibetrags von 400.000 EUR eine Steuer von 11 % auf 100.000 EUR = 11.000 EUR. Bezogen auf den Erwerb von 500.000 EUR bedeutet dies eine effektive Steuerbelastung von (nur) 2,2 %. Je höher der stpfl. Erwerb ist, umso mehr nähern sich die nominelle und die effektive Steuerbelastung aneinander an. Erwirbt ein Kind 26.000.000 EUR, beträgt die Steuer nach Abzug des Freibetrags von 400.000 EUR 30 % = 7.680.000 EUR, bezogen auf den Gesamterwerb effektiv = 29,53 %.
Bei Zuwendung von 210.000 EUR an ein...