Rz. 7
Steuerrechtlich werden der Vorerb- und der Nacherbfall als zwei gesonderte, voneinander getrennte Erbfälle angenommen. Nach § 6 Abs. 1 ErbStG ist der Vorerbe Vollerbe des Erblassers. § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG regelt dies ausdrücklich, wonach der Nacherbe das anfallende Vermögen als vom Vorerben anfallend versteuern muss. Jedoch ermöglicht § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG dem Nacherben ein Wahlrecht, wonach er beantragen kann, dass der Besteuerung des Nacherbfalles das Verhältnis zum ursprünglichen Erblasser statt zum Vorerben zugrunde gelegt wird.
Rz. 8
Rechtssystematisch ist die Einräumung eines Wahlrechts für den Nacherben richtig. Denn hätte der Gesetzgeber dieses Wahlrecht dem Nacherben nicht eingeräumt, würde dies mit den Grundlagen des ErbStG brechen, da für die Besteuerung nach dem ErbStG immer der Grund des Vermögensanfalls maßgeblich ist und bei einem Vermögensanfall aufgrund einer letztwilligen Verfügung von Todes wegen stets das Verhältnis zwischen dem Erblasser und dem Erwerber zugrunde gelegt wird. Nach §§ 1922, 2100 BGB wird der Nacherbe Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers und nicht des Vorerben. Da die Nacherbeneinsetzung ausschließlich auf der letztwilligen Verfügung von Todes wegen des ursprünglichen Erblassers beruht, ist die Einräumung des Wahlrechts, welches Verhältnis der Besteuerung zugrunde gelegt werden soll, rechtssystematisch konsequent.
Eine abweichende steuerrechtliche Behandlung des Nacherben findet nur im Falle des § 6 Abs. 3 ErbStG statt, wenn also der Nacherbfall nicht durch den Tod des Vorerben, sondern durch sonstige Gründe eintritt. Denn in diesen Fällen tritt der Nacherbfall durch andere Ereignisse ein. Es handelt sich also um einen auflösend bedingten Erwerb. Der Nacherbe wird nicht voll besteuert, sondern die vom Vorerben bereits entrichtete Steuer wird auf die Steuerlast des Nacherben angerechnet. Zu Recht stellt sich in der Literatur die Frage, ob diese Regelung tatsächlich systematisch ist. Denn zivilrechtlich ist für die Fälle, in denen die Nacherbfolge nicht durch den Tod des Vorerben ausgelöst wird, der Vorerbfall auflösend und der Nacherbfall aufschiebend bedingt zu betrachten.
Durch die ErbStR 2011 wurde für begünstigtes Vermögen klargestellt, dass begünstigter Erwerb von Todes wegen insbesondere der Erwerb durch Erbanfall (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, § 1922 BGB) nach gesetzlicher oder gewillkürter Erbfolge ist. Ist begünstigtes Vermögen Gegenstand einer Vorerbschaft (§ 6 ErbStG), führen der Vor- und der Nacherbfall zu zwei getrennten Erwerbsfällen, für die beide die Vergünstigungen nach § 13b ErbStG in Betracht kommen. Die vorzeitige Übertragung des Nacherbschaftsvermögens an den Nacherben stellt keinen Erwerb durch Erbanfall, sondern eine Schenkung unter Lebenden dar (§ 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG).