Rz. 132
Als Schenkung gilt, was ein Vorerbe dem Nacherben mit Rücksicht auf die angeordnete Nacherbschaft vor ihrem Eintritt herausgibt. § 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG erfasst daher die vorzeitige Herausgabe von Vorerbschaftsvermögen an den Nacherben, während § 6 ErbStG die Vermögenserwerbe mit Eintritt des Vor- und des Nacherbfalles regelt (vgl. § 6 ErbStG Rdn 7 f.). Diese ergänzende gesetzliche Regelung ist notwendig, da dem Nacherben vor Eintritt des Nacherbfalles lediglich ein Anwartschaftsrecht auf das Nacherbschaftsvermögen zusteht. Wird dieses Vermögen vorzeitig an ihn herausgegeben, kann der Nacherbschaftsfall nicht mehr eintreten; eine Besteuerung nach § 6 ErbStG scheidet aus. Zur Schließung der sich daraus ergebenden Besteuerungslücke fingiert § 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG eine Schenkung im Zeitpunkt der vorzeitigen Herausgabe des Nacherbschaftsvermögens. Infolge dieser Fiktion ist nicht erforderlich, dass die Zuwendung im Bewusstsein der Unentgeltlichkeit erfolgt.
Rz. 133
§ 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG setzt daher voraus, dass
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der Vorerbe das Nacherbschaftsvermögen ganz oder teilweise an den Nacherben |
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vor Eintritt des Nacherbfalls |
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mit Rücksicht auf die Nacherbschaft herausgibt. |
Rz. 134
Bleibt unklar, ob die Herausgabe mit Rücksicht auf die Nacherbschaft erfolgt, liegt im Zweifel eine Schenkung des Vorerben an den Nacherben gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG vor. Es ist daher zu empfehlen, in einen Übertragungsvertrag ausdrücklich – z.B. in der Präambel – aufzunehmen, dass es sich bei dem Vermögensgegenstand um Nacherbschaftsvermögen handelt und es im Vorgriff auf den Nacherbfall vorzeitig herausgegeben wird. Denn nur wenn die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG zu bejahen sind, steht dem Nacherben das in § 7 Abs. 2 ErbStG normierte Wahlrecht zu, mit dem er ggf. die Besteuerung nach dem Verhältnis zum Erblasser anstelle des Vorerben wählen kann.
Rz. 135
Ein Argument für die vorzeitige Herausgabe zumindest eines Teils des Nacherbschaftsvermögens kann die Ausnutzung der 10-Jahresfrist gem. § 14 ErbStG sein. Denn wenn bis zum endgültigen Eintritt der Nacherbfolge oder weiteren Zuwendungen durch den Vorerben mehr als zehn Jahre vergangen sind, können die persönlichen Freibeträge neu in Anspruch genommen werden (vgl. aber die Einschränkung im Hinblick auf das in § 7 Abs. 2 ErbStG enthaltene Wahlrecht, siehe unten Rdn 217 f.).
Rz. 136
Erhält der Vorerbe für die vorzeitige Herausgabe des Nacherbschaftsvermögens eine Gegenleistung (z.B. Geldzahlung), finden die Grundsätze der gemischten Schenkung Anwendung. Abzustellen ist daher auf die Werte der Leistung des Vorerben und der Gegenleistung des Nacherben. Nur der die Gegenleistung übersteigende Wert ist schenkungsteuerrechtlich relevant (zur gemischten Schenkung siehe Rdn 39 ff.).
Rz. 137
Verzichtet der Nacherbe vor Eintritt des Nacherbfalles auf sein Nacherbenanwartschaftsrecht gegen Herausgabe von Bestandteilen des Nacherbschaftsvermögens, handelt es sich nicht um eine Gegenleistung, die seine Bereicherung mindert. Auch hier handelt es sich um eine Schenkung i.S.v. § 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG.
Rz. 138
Da über § 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG vom Grundsatz her lediglich eine Besteuerungslücke bei vorzeitiger Herausgabe des Nacherbschaftsvermögens geschlossen werden soll, enthält § 7 Abs. 2 ErbStG – vergleichbar dem Eintritt der Nacherbschaft – die Möglichkeit, auf Antrag das Verhältnis zum Erblasser der Besteuerung zugrunde legen zu können (vgl. Rdn 217 f.).