Dr. Jens Tersteegen, Prof. Dr. Thomas Reich
Rz. 74
Gemäß § 1939 BGB kann der Erblasser einem anderen einen Vermögensvorteil zuwenden, ohne ihn als Erben einzusetzen (Vermächtnis). Im Unterschied zur Erbeinsetzung wird der Vermächtnisnehmer nicht dinglich am Nachlass beteiligt, das Vermächtnis begründet lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch des Bedachten (§ 2174 BGB).
Rz. 75
Inhalt eines Vermächtnisses kann alles sein, was Gegenstand eines Schuldverhältnisses sein kann, sofern es sich um einen Vermögensvorteil handelt.
Rz. 76
Mit einem Vermächtnis kann entweder ein Alleinerbe, einer von mehreren Miterben (auch der Nacherbe) oder die Erbengemeinschaft als solche beschwert werden. Auch der Vermächtnisnehmer selbst kann wiederum mit einem Vermächtnis beschwert werden (Untervermächtnis).
Rz. 77
Vermächtnisnehmer kann jede natürliche und juristische Person sowie rechtsfähige Personenvereinigung sein. Wird einem von mehreren Miterben ein Vermächtnis zugewendet, so spricht man von einem Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB). Durch ein Vorausvermächtnis kann einem der Miterben ein über seine Erbquote hinausgehender Vermögensvorteil verschafft werden (anders als bei der Teilungsanordnung, siehe Rdn 86), da das Vermächtnis grundsätzlich vor der Erbauseinandersetzung zu erfüllen ist und bei der Erbauseinandersetzung nicht abgezogen wird.
Rz. 78
Während bei der Erbeinsetzung uneingeschränkt der Grundsatz des § 2065 BGB gilt und der Erblasser daher die Bestimmung des Erben oder die Bestimmung der Erbquote nicht einem Dritten überlassen kann, kann der Erblasser beim Vermächtnis die Auswahl des Berechtigten (§§ 2151, 2152 BGB) und die Auswahl der Zuwendung (§§ 2153–2156 BGB) in wesentlich weitergehendem Umfang einem Dritten überlassen (Wahlvermächtnis, Zweckvermächtnis etc.). So kann der Erblasser beispielsweise ein Vermächtnis zugunsten mehrerer Personen anordnen und es einem Dritten überlassen, auszuwählen, welche der Personen das Vermächtnis erhalten soll (§ 2151 BGB). Im Hinblick auf den Zuwendungsgegenstand geht die Freiheit so weit, dass der Erblasser sich darauf beschränken kann, den Zweck des Vermächtnisses anzuordnen und im Übrigen die Bestimmung der Leistung dem billigen Ermessen eines Dritten zu überlassen. So ist es beispielsweise möglich, dass der Erblasser anordnet, dass der Testamentsvollstrecker einem Kind des Erblassers monatlich dasjenige aus dem Nachlass zuwendet, was zum Unterhalt des Kindes erforderlich ist.
Rz. 79
Das Vermächtnis kann getrennt ausgeschlagen werden. Hierfür bedarf es nur einer formlosen Erklärung gegenüber dem Beschwerten (§ 2180 BGB). Eine Frist für die Ausschlagung ist nicht vorgesehen.