Dr. Jens Tersteegen, Prof. Dr. Thomas Reich
Rz. 212
Für die persönliche Steuerpflicht (§ 2 ErbStG), die Wertermittlung (§ 11 ErbStG), die Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe innerhalb von zehn Jahren (§ 14 ErbStG), die Steuerklasse des Erwerbers (§ 15 ErbStG) und die Übergangsregelungen beim Wechsel der gesetzlichen Bestimmungen (§ 37 ErbStG) sind grundsätzlich die Verhältnisse am Stichtag der Steuerentstehung maßgeblich.
Rz. 213
Dem Zivilrecht folgend entsteht die Steuer bei Erwerben von Todes wegen grundsätzlich mit dem Tod des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Der Todeszeitpunkt ist daher sowohl beim Erwerb durch Erbfall, durch Vermächtnis, durch Schenkung auf den Todesfall und beim Erwerb aufgrund Vertrages zugunsten Dritter maßgeblich. Dies gilt sowohl zum Vorteil als auch zum Nachteil des Erben. Nach dem Stichtag eintretende Wertminderungen führen nicht zu einer niedriger festzusetzenden Erbschaftsteuer, da auch Wertsteigerungen nicht zu einer Erhöhung der Erbschaftsteuer führen. Dies gilt auch für die Frage der abweichenden Festsetzung der Steuer im Billigkeitswege nach § 163 AO oder des teilweisen Erlasses der Steuer nach § 227 AO. Diese Handhabung ist grundsätzlich unabhängig davon, wann der Erwerber des Vermögens über dieses tatsächlich verfügen kann.
Beispiel:
Neffe N ist Erbe des Onkel O geworden. N hat dies allerdings erst zwei Jahre später erfahren. Der Nachlass bestand im Wesentlichen aus einem Wertpapierdepot, das im Todeszeitpunkt einen Wert von 500.000 EUR hatte. Als N von seiner Erbschaft erfährt, hat der Nachlass aufgrund einer Wertverminderung der Wertpapiere nur noch einen Wert von 50.000 EUR. In dem Zeitpunkt, in dem N von seiner Erbschaft erfährt, ist der Wert des Nachlasses geringer als die zu zahlende Erbschaftsteuer!
Rz. 214
Mit Urteil vom 23.10.1997 hat das FG Köln zwar entschieden, dass auf der Grundlage der Vermögensteuerentscheidung des BVerfG vom 22.6.1995 von den Finanzbehörden – in Fällen, in denen der Erbe den Kursverfall seines ererbten Vermögens mangels fehlender tatsächlicher Verfügungsmacht weder durch Verkauf noch durch andere Maßnahmen verhindern konnte – im Rahmen der von ihnen zu treffenden Ermessensentscheidung im konkreten Fall zu prüfen sei, ob wegen Verletzung des Übermaßverbotes und der verfassungsrechtlichen Erbrechtsgarantie Billigkeitsmaßnahmen erforderlich sind. An eine Billigkeitsmaßnahme, z.B. einem Erlass nach § 227 AO, werden aber hohe Anforderungen gestellt. Wird kein Erlass gewährt, hätte Neffe N im vorherigen Beispiel daher besser unmittelbar nach Kenntniserlangung das Erbe ausschlagen sollen, zumal die Erbschaftsteuer eine persönliche Schuld ist.
Rz. 215
In den in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a)– j) ErbStG geregelten Fällen tritt die Bereicherung des Erwerbers rechtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt ein. So wird beispielsweise für die Entstehung der Steuer bei dem Erwerb unter einer aufschiebenden Bedingung, unter einer Betagung oder Befristung auf den Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung oder des Ereignisses abgestellt. Entsprechendes gilt, wenn eine unwirksame Verfügung des Erblassers erfüllt wird oder ein (anzuerkennender ernst gemeinter) Erbvergleich geschlossen wird.