8.5.1 Vorbemerkung
Rz. 43
Die Europäische Union nimmt zunehmend Einfluss auch auf das nationale Erbrecht. Mit der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO) gehen auch Auswirkungen auf das Amt des Testamentsvollstreckers einher.
Der Anwendungsbereich der EuErbVO erstreckt sich auf sämtliche erbrechtliche Streitigkeiten, die einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen. Mit Ausnahme von Dänemark, Irland und dem (mit Ablauf des 31.1.2020 aus der EU ausgeschiedenen) Vereinigten Königreich gilt die Verordnung seit dem 17.8.2015 in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
Dänemark und Irland sind Drittstaaten im Sinne der EuErbVO.
Die Verordnung verfolgt den Zweck der Vereinheitlichung auf dem Gebiet des Internationalen Erbrechts sowie der Erleichterung einer grenzüberschreitenden Abwicklung von Nachlassangelegenheiten. Insbesondere um letzteres Ziel erreichen zu können, wurde mit der EuErbVO das Europäische Nachlasszeugnis (ENZ) eingeführt (vgl. Art. 62 bis 73 EuErbVO), das im Rahmen der Testamentsvollstreckung von erheblicher Bedeutung sein kann.
Nach Art. 63 Abs. 1 EuErbVO ist das Europäische Nachlasszeugnis "zur Verwendung durch Erben, Vermächtnisnehmer mit unmittelbarer Berechtigung am Nachlass, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter bestimmt, die sich in einem anderen Mitgliedstaat auf ihre Rechtsstellung berufen oder ihre Rechte als Erben oder Vermächtnisnehmer oder ihre Befugnisse als Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter ausüben müssen". Das ENZ dient gemäß Art. 63 Abs. 2 lit. c) EuErbVO als Nachweis über die Befugnisse des ernannten Testamentsvollstreckers.
Wenngleich das ENZ gemäß Art. 63 Abs. 2 lit. a) EuErbVO auch als Nachweis über die Rechtsstellung bzw. die Rechte eines jeden Erben anzusehen ist und diesem öffentlicher Glaube zukommt, so wird hierdurch der Erbschein nach nationalem Recht nicht ersetzt (vgl. Art. 62 Abs. 3 EuErbVO). Vielmehr tritt das ENZ als weiteres Instrument daneben, um insbesondere die Abwicklung grenzüberschreitender Erbrechtsangelegenheiten zu erleichtern.
8.5.2 Voraussetzung der Ausstellung
Rz. 44
Die Ausstellung des Europäischen Nachlasszeugnisses setzt einen grenzüberschreitenden Bezug voraus, was regelmäßig bedeutet, dass sich der Nachlass in einem anderen Mitgliedstaat der europäischen Union befindet als der Nachlassberechtigte. Diese Voraussetzung hat der Verordnungsgeber durch seine Formulierung "zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat" in Art. 62 Abs. 1 EuErbVO eindeutig zum Ausdruck gebracht.
Da ein ENZ gemäß Art. 65 Abs. 1 EuErbVO nur auf Antrag ausgestellt wird, muss der internationale Zusammenhang bei der Antragstellung zwingend ("muss") angegeben werden (vgl. Art. 65 Abs. 3 lit. f) EuErbVO). Andernfalls fehlt es am Ausstellungsbedürfnis eines ENZ. Ohne grenzüberschreitenden Bezug kommt ohnehin lediglich die Ausstellung eines Erbscheines nach nationalem Recht in Betracht. Das zuständige Gericht wurde seitens des Verordnungsgebers gemäß Art. 66 Abs. 1 Satz 1 EuErbVO sogar dazu ermächtigt, das Vorliegen vorgenannter Voraussetzung zu überprüfen. In diesem Zusammenhang ist es auch befugt, den Antragsteller zur Vorlage geeigneter Nachweise aufzufordern und somit zur Mitwirkung anzuhalten.
Das nationale (Nachlass-)Gericht prüft den internationalen Bezug im Rahmen seiner Amtsermittlung.
8.5.3 Verfahren
Rz. 45
Das Europäische Nachlasszeugnis wird ausschließlich auf Antrag erteilt. Die internationale Zuständigkeit richtet sich hierbei nach Art. 64 Satz 1 i. V. m. Art. 4, 7, 10 und 11 EuErbVO. Die sachliche, örtliche und funktionelle Zuständigkeit richten sich wiederum nach dem jeweiligen nationalen Recht der Mitgliedstaaten (vgl. Art. 64 Satz 2 EuErbVO).
In Deutschland sind gemäß § 34 Abs. 4 IntErbRVG die Amtsgerichte – Nachlassgericht – ausschließlich sachlich zuständig. § 34 Abs. 1 bis 3 IntErbRVG regelt die örtliche Zuständigkeit.
In funktioneller Hinsicht muss bei der Zuständigkeit allerdings unterschieden werden. Grundsätzlich entscheidet über die Erteilung des ENZ der Rechtspfleger gemäß § 3 Nr. 2 lit. i) RpflG. Im Falle des Vorliegens einer Verfügung von Todes wegen oder im Falle der Anwendung ausländischen Rechts bleibt die Entscheidung dem Richter vorbehalten (§ 16 Abs. 2 Satz 1 RpflG).
Die sich aus Art. 63 Abs. 1 EuErbVO ergebenden Antragsberechtigten – Erben, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker, Nachlassverwalter – können das hierfür vorgesehene Formblatt verwenden (vgl. Art. 65 Abs. 2 EuErbVO). Im Rahmen der Antragstellung sollte genauestens darauf geachtet werden, dass alle nach Art. 65 Abs. 3 EuErbVO erforderlichen Unterlagen in der geforderten Form beigefügt werden.
Das Gericht prüft den Antrag sowie die eingereichten Schriftstücke umfassend, wobei es weitere Nachforschungen von Amts wegen durchführen kann und gemäß ...